Stein
auf
Stein
gefügt

Die Kirche von Schuld - Beispiel eines Wiederaufbaues

VON HARRY LERCH

Ein gutes Jahrhundert ist es her, als der Spätromantiker Gottfried Kinkel unsere Landschaft durchwanderte und mit seinem Buch „Die Ahr" berühmt machte. In den Lobworten ist eines auch über Schuld, in dem er die Menschen rühmt, die hier fleißig leben und dennoch zuhauf übers Meer auswandern mußten — ein Lobwort ist aber auch gesagt für den Fels überm Dorf, auf dem die Kirche verläßlich ruht.

Es ist ein Fels, den die Fluten der Ahr zu durchsägen in Jahrtausenden nicht vermocht haben. Fest gegründet stand St. Gertrudis, und was den Wassern nicht gelang, war dem Menschen aufgegeben mit zerstörenden Kräften in der Hand, als in den Kriegstagen 1944 der Bau zusammensank. Der Einwohnerschaft ist heutigentags das Bersten und Zusammenstürzen noch im Gehör, wenn sie die Stufen hinaufschreitet zu diesem Fels.

Doch, es ist vorbei. Beiseite gerafft seien die dunklen Tücher der Trauer und bitteren Vergangenheit, und, siehe! — der Tag ist hell über dem Fluß! Und hell ist der Fels gekrönt von einem neuen Bau! Nicht dem Schmerz sei das Wort geredet in diesen Zeilen, denn auch im Vergessen ist Heil. In der Tat haben Hände und planender Sinn einen Neuaufbau zuwege gebracht, der gültig sein darf dafür, wie Tatkraft und Entschluß auch unsichtbare Hilfe im Gefolge haben.

Was hatte hier gestanden als Heiligtum, was war sein kleinodienhafter Reichtum innen? Was ging verloren? Was steht heute an seiner Stelle? Mit einem Blick in die Chronik der Baugeschichte und, die Pläne in der Hand, sei alles dies aufgezeichnet als Bild eines Aufbaues, wie er sich allenthalben in rheinischen Landen vollzog, selten aber in so konsequentem Verfolge Schritt um Schritt.

Im „Handbuch der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz'' hat Clemen aufgezeichnet, was hier gewesen ist. Aus Weistümern, Pfarrhausbüchern, Taufchroniken und Visitationsberichten ergänzt sich dies: eine Kirche stand 975 schon in Schuld, ein Pfarrer Heinrich von Schuld ist 1234 genannt. Mauern sind zusammengesunken im Flugsand der Zeit, immer aber, seit tausend Jahren schon, stand hier ein Haus Gottes. Bis ins zwanzigste Jahrhundert war auf diesem Plateau eine kleine Kirche. Chor und Richtung des Langhauses wiesen in Ostnordost der Windrose. Diese Kirche war klein, aber kunstgeschichtlich bemerkenswert durch den romanischen Triumpfbogen, unter dem sich beim Zusammenbruch ein Rest alter romanischer Wandmalerei zeigte. Wertvoll waren die drei Barockaltäre und eine kunstgeschichtlich interessante Grundrißlösung die Zweischiffigkeit. Zwei Säulen standen mitten im Kirchenraum, teilten ihn also in je ein Schiff links und rechts, und mit diesen Säulen hat es seine Bewandtnis, weil ihre Füße gedreht sind. Diese beiden Säulen blieben bruchstückhaft erhalten, so daß sie — am alten Platz — heute die Orgelempore der neuerbauten Kirche tragen.

Was Wunder! — der kleine Kirchenraum war im zwanzigsten Jahrhundert zu eng! Den Sakralbau zu verlängern, das Ostchor also einfach hinauszuschieben und die Kirche so zu strecken, verwehrte die Lage auf dem Felsplateau. Da löste es in den zwanziger Jahren der Kirchenbaumeister Mockenhaupt so: er brach die rechte Kirchenwand auf und baute — im rechten Winkel! — eine neue, größere Kirche an. Das war eine ebenso einfache wie geschickte Lösung. 1923, 1924 . . . es war noch Inflation, und in den Aufzeichnungen des damaligen Pfarrherrn lesen wir, wie er mit Billionen Mark, mit Kornlieferungen und Ackerfrüchten die Baustoffe bezahlen mußte — nicht anders als zwanzig Jahre später!

*

Wozu die Schrecken schildern des Christkönigstages 1944! Dreimal fluteten die Wellen der Flugzeuge an und ließen fast alles zusammensinken. Eine Bombe fiel vor den Altar der früheren Kirche und zerstörte das Mauerwerk, die Decken und die drei wertvollen Barockaltäre mit ihrem reichen Figurenschnitzwerk. Eine andere Bombe traf die Orgel, eine dritte ließ im neuen Langhaus die Decke bis zum Mauerkranz zusammenfallen. Gurtbögen stürzten nach, so daß sich dem Auge ein Chaos bot. Erhalten blieb der Taufstein, von dessen neuen Platz noch zu reden ist, der Turm von 1240, das Gabelkreuz von 1510 mit dem Leib des Gekreuzigten, die Glocken, die Kelche und die Kostbarkeiten des Altars.

Wer damals vor den Trümmern stand, war vom Schmerz bewegt. Und dennoch: Tage der Opferbereitschaft beschreiben die Aufzeichnungen des Pfarrers Scherer, wie die helfenden Hände das Trümmerwerk beiseite trugen. Es war ergreifend, als im Sommer 1945 der erste Gottesdienst gehalten wurde unter freiem Himmel. Die Sonne der Morgenfrühe schien in die leere Kirche, und die Gebete und Gesänge tönten herauf. Kein Dach darüber — der Himmel sah zu ....

Zum Ruhme der Einwohnerschaft von Schuld und der Filialgemeinden Insul, Winnerath, Sierscheid und Harscheid sei es gesagt, daß sie den zusammengestürzten Bau nicht sich selbst überließen. Was galt es zu tun! Das Mauerwerk war wieder aufzurichten, ein Dach von 800 Quadratmeter zu decken, Fenster, Fußböden und Gestühl wiederherzurichten, der Turmhelm aufzusetzen. Und, welches Glück! Die Glocken waren auf dem Sammelplatz von Sinzig geblieben, die Glocken, von denen die älteste im Jahre 1472 gegossen wurde und diese Umschrift trägt: MARIA REISEN ICH, IN CODES EIR LUD MAN MICH, ALLE BÖSE WEDDER VERDRIFEN ICH .... Dieses Wetter freilich wußte sie nicht zu vertreiben, dieses Kriegswetter des Herbsttages 1944.

Die alten romanischen Säulen der früheren, kleinen Kirche blieben erhalten und tragen jetzt die Orgelempore der neuen Kirche, die in ihrem Grundriß schon 1923/24 erbaut wurde. Bemerkenswert ist der gedrehte Säulenfuß, der kaum noch nach dem Kriege in den Sakralbauten erhalten blieb. - Rechts: Die sieben Rundfenster nach Entwürfen von Reinhold Hess-Trier, die den Psalmvers abwandeln „Die Himmelrühmen."

Bis Anfang 1947 waren beschafft und wurden zum Wiederaufbau verwendet: 188 fm Holz, 270 Ztr. Kalk, 100 Sack Zement, 5000 Schwemmsteine, 1000 qm Aluminiumblech, 100 qm Glas und 6 Ztr. Nägel. Diese sechs Zentner Nägel! Sie wurden bei Nacht und Nebel über den Rhein gebootet, denn alles war ja bewirtschaftet und nur „schwarz" zu organisieren. Der Pfarrer und der Bürgermeister wissen davon zu erzählen, wie sie Kirche und Brücke in der Kompensation Getreide — Wein — Baustoff aufgebaut haben. Das Wort könnte überraschen, aber eigentlich ist das Geläut jetzt „amerikanisch". Denn, das zerstörte Kugellager wurde von den Resten eines liegengebliebenen amerikanischen Panzers montiert und als Kugellager ins Gebälk des Geläuts eingebettet. Was tut es — die Glocken wollten bald wieder rufen.

Vorbei, vorbei! Neue Mauern ragen auf. Das Provisorium des Ausbaues aus eigener Initiative wurde zusammengefaßt im Plan des Trierer Architekten Prof. Thoma. Im Maß von 12 mal 35 m weitet sich das Langhaus auf den Mauerresten. Ein weites, in den Proportionen wohltuend maßvolles Schiff nimmt den Besucher auf. Kein Pfeiler deckt den Blick zum Altar, und als geschweiftes Tonnengewölbe weitet sich die Decke über das große Kirchenschiff. Die Kassettierung der Decke kommt der Akkustik zugute, und so ordnet sich eines ins andere.

Ein Glück: die beiden Säulen, die das Netzgewölbe der romanischen Kirche trugen, sind erhalten geblieben und tragen die Orgelempore. Diese frühere Kirche, die quer zur neuen stand, wird in ihrem ehemaligen Chorraum wieder aufgebaut. Vier Bögen tragen das quadratische Gewölbe, und ein hinausragendes Chor wird eine einfache Mensa aufnehmen. Hier entsteht also — am alten Platze aus romanischer Zeit — ein zweiter Kirchenraum für die Messe des Wochentags und für Hochzeiten, eine Beichtsakristei wird eingebaut, und der romanische Taufstein aus Basalt, der in Pokalform mit eingearbeiteten Eckkapitälen gehauen ist, wird hier seinen Platz finden.

Blick in den Innenraum der neu aufgebauten Kirche von Schuld
Fotos: Segschneider

Über der Orgelbühne sind sieben neue Rundfenster eingebrochen, die auch außen über dem Portal sichtbar sind. Ihre farbige Kraft freilich erlebt man erst von innen. Sie tragen die Zeichen des Kosmos, die Sonne, Sterne und den Mond, Planetenbahnen und im mittleren das Gottesauge. Sie sind eine Huldigung an die Schöpferkraft in einer gläsernen Melodie des alten Psalmverses „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre ..." Die Fenster wurden entworfen von Reinhold Heß und sind in der Leuchtkraft in Blau und Gelb und Rot sinnbildhaftes Schmuckwerk dieses Sakralbaues.

Was war an Mühen aufzubringen vom ersten Maurertag bis zum Einbau der modernen Ölheizungen, die in Wintertagen binnen einer Stunde das Kirchenschiff erwärmen. Alles ist wohlgetan in dem Bau wie außen der weiße Kellenputz in alter Bauhüttenkunst. Stein auf Stein wurde gefügt, und die Maurerspeis enthielt nicht nur netzendes Wasser und Zementgemisch, sondern ebenso alle sichtbaren und unsichtbaren Besorgnisse, die grüblerischen Nächte um eine Kirche, die erhalten bleiben sollte um jeden Preis.

Es gelang. Das ist gültig wie ein Schlußstein im Gewölb. Weißgeputzt ist jetzt der Sakralbau über dem Fels. Seine Mauern sollen dauerhaft sein und das Dach Jahrhunderte tragen, beschirmend und beschirmt!