WILHELM KNIPPLER

MENSCHEN ZWISCHEN ZWEI WELTEN

Wann war das wohl? Leben der herrschenden Klassen In Wohlstand — Revolution — Diktatur — Krieg — Evakuierung — Flüchtlingselend — Kriegsgefangenschaft — Niederlage — Vermögensbeschlagnahmung — nach der Heimkehr Geschädigtenansprüche — abgelehnt wegen politischer Unzuverlässigkeit — Aufbau einer neuen Existenz auf veränderter Grundlage.

Davon hatte ich doch schon einmal gehört! Ganz recht! Das war unter Ludwig Engelbert, dem letzten regierenden Herzog von Aremberg.

Lebensbild Ludwig Engelberts:

Er ist 1750 geboren in Brabant, das damals österreichisches Erbland und Teil des Deutschen Reiches war, aufgewachsen im Barockschloß Enghien und in Schloß Heverle bei Löwen, hochgebildet, weit gereist, aufgeschlossen für Kunst, Wissenschaft und Technik, liebenswürdig und von wirklichem Adel. Mit 25 Jahren erblindet er durch einen Unglücksfall, verliert aber nicht den Lebensmut, ist trotz dieses Schicksalsschlages von steter Ausgeglichenheit und heiteren Gemütes.

Im Jahre 1778 wird er regierender Herzog von Aremberg, außerdem österreichischer Geschäftsträger (Grand Baill!) im Hennegau. Er ist ein aufgeklärter Fürst, der sich auf einen tüchtigen Beamtenstab stützen kann, der alljährlich seine eigenen Lande, so auch das Stammschloß Aremberg, inspiziert, für Schulbildung, Hebung der Wirtschaft und Steuerung sozialer Nöte, besonders unter seinen Bergarbeitern, besorgt ist, meistens aber in Brüssel residiert.

Als 1792 die revolutionären Ideen nach Brüssel gelangen, wird er von den dortigen Ständen zum Repräsentanten gewählt. Er lehnt dieses Amt jedoch wegen seiner Blindheit ab. Ein Jahr später werden seine französischen Besitzungen beschlagnahmt. Beim Herannahen der französischen Revolutionsheere evakuiert er 1794 seine Wertgegenstände, besonders die Kunstwerke, nach Österreich. Auch seine Güter In Brabant werden mit Sequester belegt. Deshalb flieht Ludwig Engelbert mit seiner Familie nach Deutschland und lebt ohne alle Einkünfte anfangs auf dem Aremberg, dann In Wien, später in Schwaben. Acht lange Jahre bittet er als allzeit reichstreuer Fürst um Entschädigung beim Kaiser, kommt aber von jedem Bittgang enttäuscht zurück. Erst 1803 erhält er Meppen und Recklinghausen als Abfindung für die verlorenen reichsdeutschen Besitzungen. Ludwig Engelbert verzichtet jetzt auf die Souveränität, und sein Sohn Prosper wird regierender Herzog in Recklinghausen und Meppen. Nun erst kann Ludwig Engelbert, da er nicht mehr reichsdeutscher Fürst ist, seine Ansprüche in Belgien geltend machen und erhält seine dortigen Güter zurück.

Napoleon wird Herr in Deutschland und Herzog Prospers Souveränität kommt in Gefahr. Prosper muß den Franzosen ein Regiment stellen und zusammen mit den Rheinbundfürsten gegen Preußen marschieren. Prosper steigt in der Gunst Napoleons. Er heiratet 1808 die Nichte der Kaiserin Josefine, und Napoleon richtet die Hochzeit aus. Dann aber kämpft der Aremberger mit seinem Regiment in Spanien und gerät 1810 in englische Gefangenschaft. Hiernach zieht Napoleon Meppen und Recklinghausen ein. Meppen wird kaiserlich französischer Besitz, Recklinghausen wird mit Berg vereinigt. Wiederum ist der regierende Herzog von Aremberg enteignet. Nach der Schlacht bei Leipzig und der Rückeroberung des deutschen Bodens 1813 läßt Freiherr vom Stein die arembergischen Länder beschlagnahmen, da der Herzog sich durch undeutsches Benehmen keineswegs einer vorzüglichen Begünstigung würdig gemacht habe. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft versucht Prosper 1814 seine Hoheitsrechte zurückzuerlangen. Stein nimmt dazu folgende Stellung ein: Arembergisches Land ist erobertes Land. Es kommt auf die Eroberer an, was sie beschließen. Der Wiener Kongreß wird entscheiden, und 1815 wurde entschieden, daß die arembergische Souveränität endgültig verloren war. Der Herzog behielt nur seine Domänen. Wäre dies nun alles, was über jene Zeit von den Arembergern zu berichten ist, dann könnte man auch bei Ludwig Engelbert und seinem Sohn Prosper mit Schiller sprechen: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt schwankt ihr Charakterbild in der Geschichte", und man könnte wie bei Wallenstein die größere Hälfte ihrer Schuld den unglückseligen Gestirnen zuschreiben. Allein, es bleiben noch andere Dinge anzuführen. Der Name Aremberg sollte trotz verlorener Souveränität wciierleben und Klang behalten.

Seit Jahrhunderlen hatte sich dieses Geschlecht um den Bergbau bemüht. Schon 1567 erließ Graf Johann von Aremberg eine Bergfreiheit für Mechernich, und seit 1583 wurde der dortige Bleiberg bergmännisch ausgebeutet. Die arembergische Stahlhütte wurde 1633 erbaut, und von 1690 datiert eine Bergordnung des Herzogs Philipp Karl für die arembergischen Lande. Eisen und Blei waren ein Großteil der herzoglichen Einkünfte im deutschen Lebensraum. Aremberger Eisen hatte in der rechten Zusammensetzung von Lommersdorfer und Freilinger Erz europäischen Ruf. Dieses bergbauliche Interesse sollte den Arembergern noch reiche Früchte bringen, und nicht nur der Hauptlinie, sondern auch der Linie von der Marck.

Heute noch kennt man weit und breit die Takenplatten, die anfangs in Antweiler auf der Hütte, später in der Stahlhütte und der Ahrhütte gegossen wurden. Auf vielen die-sei Ofenplatten sehen wir zwei Wappen eingeprägt, die drei Mispeln der Aremberger und den geschachteten Balken der Grafen von der Marck. Dies ist kein Zufall. Die von der Marck, die zweite Linie der Aremberger, fanden nach sieben Generationen wieder zur Hauptstammlinie zurück durch die Gräfin Luise Margarethe von der Marck, die Mutter Engelbert Ludwigs. Sie brachte 1773 dem Stammhaus die Grafschaft Schieiden und das Saffenburger Land. Der Name von der Marck führt uns jetzt zum Bruder Ludwig Engelberts, zu August Maria Raimund von Aremberg, der als Graf August von der Marck in die Geschichte eingegangen ist.

Lebensbild Augusts von der Marck:

1753 ist er geboren, ein aufgeschlossener Mensch. Mit jungen Jahren übernimmt er mit Einwilligung Maria Theresias, wahrscheinlich sogar auf ihren Wunsch, ein französisches Regiment, das ihm — zusammen mit dem Namen — sein mütterlicher Großvater Ludwig Engelbert von der Marck hinterlassen hat. Es war damals, als Marie Antoinette ihrem Gatten Ludwig XVI. nach Paris folgte und Osterreich eine Besserung der Beziehungen, eine engere Verständigung mit Frankreich anstrebte. August von der Marck wird in Paris eine geachtete Persönlichkeit. Er heiratet die Erbin der Herrschaft Raismes bei Valenciennes in Nordfrankreich und wird dadurch 1784 Leiter der Kohlengruben von Anzin. 1788 entsieht seine Freundschaft mit Mirabeau. Im Jahr der Revolution wird August von der Marck in die Generalstaaten berufen und sucht Mirabeau für eine gemäßigte Monarchie zu gewinnen. Er ist der Mittelsmann zwischen Mirabeau und dem Hofe. Mirabeau stirbt 1791, und August von der Marck geht 1792 nach Österreich, wird dort Generalmajor, kehrt dann aber nach Belgien zurück. Er widmet sein weiteres Leben der Verwaltung der Kohlengruben, der Kunst und Literatur. Er versucht das Andenken Mirabeaus, seines Freundes, zu rehabilitieren. Sein Briefwechsel mit Mirabeau sollte Aufschluß geben über die geheimen Verbindungen Mirabeaus mit dem Königshofe.

Die Beziehungen zu Mirabeau erbrachten 1791 ein Gesetz der französischen Nationalversammlung, das von größter Bedeutung für das Bergrecht und die Erzbaugeschichte geworden ist. Es behandelte die Mutungsrechte, wobei die Bergwerke von Anzin als Musterbeispiele von Mirabeau genannt wurden.

Was hatte das Haus Aremberg Mirabeau zu verdanken? Es behielt die reichen Kohlengruben, und in diesen Bergwerken im größten französischen Kohlengebiet blieb bis zum Jahre 1920 der Name Aremberg erhalten.

Ludwig Engelberts Sohn, der Herzog Prosper, aber beginnt 1854 in Recklinghausen zu schürfen und legt den Grund zu der Aremberger Bergbau- und Hüttengesellschaft, und bei dieser Gründung spielt das französische Bergbaurecht, fußend auf Mirabeau und von der Marck, herüber über die deutschen Grenzen.

Wir lernten Ludwig Engelbert kennen als reichstreuen Fürsten, den aufgeklärten Absolutisten, den Flüchtling, der seine Rechte beim deutschen Kaiser geltend macht, aber viele Jahre enttäuscht warten muß, der schließlich zu retten sucht, was zu retten ist und sich seinen Besitzungen zuwendet, die im französischen Einflußgebiet liegen. Der Sohn muß sich für Napoleon einsetzen, wird aber von diesem trotzdem seiner Güter beraubt und geht bei der Endabrechnung des Wiener Kongresses leer aus. Unterdessen wird der Bruder Ludwig Engelberts, Graf August von der Marck, dank seiner engen Beziehungen zu Mirabeau zum Inspirator der neuen Bergbaugesetze, die, von der französischen Nationalversammlung erlassen, den Grundstein legen zum bergbaulichen Erfolg der Aremberger.

Alle genannten Aremberger sind Menschen zwischen zwei Welten, zeitlich zwischen 1780 und 1815, zwischen Absolutismus und französischer Revolution, zwischen sterbendem Deutschen Reich, Napoleon und den Befreiungskriegen. Ein Drittel der arembergischen Besitzungen lag im deutschen, zwei Drittel lagen im wallonischen Lebensraum. Hier lag ihr Stammschloß, das ihnen Souveränität als reichsfreien Fürsten verlieh — drüben der größere Teil ihrer Liegenschaften. Das ging so lange ohne Konflikte, als das Deutsche Reich Rhein, Maas und Scheide zusammenklammerte. Als aber Österreich den belgischen Raum preisgeben mußte, begann die Tragik des Grenzlandbewohners. Niemand kann zwei Herren dienen!

Und doch öffnet sich den Arembergern in den Jahren, als die Souveränität verloren geht, eine neue Zukunft. Zwei Aremberger werden Montanfürsten, der eine im nordfranzösischen Kohlenrevier, der andere im Ruhrgebiet.

Das sind bestimmt keine Zeichen von Degenerierung oder müder Resignation! Denn in einer Zeit, als andere die Köpfe hängen ließen, gehörten Weitblick und Wagemut — hier wie dort — dazu, sich auf ein vollkommen neues Gebiet zu werfen und zu bleibendem Erfolg zu gelangen.

Wir sahen Untergang und Wiederaufbau, und der Mensch von heute wird sagen: „Alles schon einmal dagewesen!"