Peter Herber

Winterstarre, Winterschlaf und Winterruhe im Reich der Tiere

Überaus mannigfaltig sind die Wege, die das Leben in seinen verschiedenen Gestalten beschneitet, um sich Im Wechsel der Jahreszeiten mit Ihren oft sehr beträchtlichen Wärmeschwankungen behaupten zu können; denn allen Lebensvorgängen bei Mensch, Tier und Pflanze sind durch das, was wir Temperatur nennen, gewisse Grenzen gesetzt. Stoffwechsel, Bewegung und Wachstum gehen im Tier- wie im Pflanzenkörper nur innerhalb eines bestimmten Wärmebereiches vor sich, bei dem Temperaturen von über 45° C das Leben der warmblütigen Tiere tödlich bedrohen. Das Eiweiß, auch Plasma genannt, als Hauptbestandteil der Zelle und Tröger jeglichen Lebens, gerinnt, es versteift sich — man denke an ein gekochtes Hühnerei —. Es tritt dann ein Zustand In der Zelle ein, der niemals mehr rückgängig gemacht werden kann; einmal geronnenes Eiweiß läßt sich nicht mehr erweichen. Die notwendige Folge ist das Erlöschen des Lebens. Ebenso bringt ein schon geringes Unterschreiten des Gefrierpunktes die wirkenden Lebensvorgänge in der Regel zum Erliegen. Auch dann ist ein Wiederaufleben nicht mehr möglich. Es ergibt sich somit als Norm: Die aktiven Vorgänge des tierischen Lebens spielen sich im Temperaturbereich von etwa —1,5° bis 50° C ab. Dabei ist festzustellen, daß möglichst gleichmäßige optimale Wärmegrade dem Leben die üppigste Entfaltung gewähren. Die tropischen Zonen mit einer für uns als Bewohner der gemäßigten Regionen kaum vorstellbaren Fülle von Leben beweisen es. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Eisgebiete der Erde. Unser heimisches Leben ist nun aber ständigen, gewaltigen, im Wechsel der Jahreszeiten bedingten Klimaschwankungen mit Dürre und Eisesstarre, mit Nahrungsüberfluß und Futternot unterworfen. Denen gilt es die wirksamsten Schutzmittel entgegen?usetzen, um jeglichem Wandel zu trotzen, um nicht unterzugehen.

Die Wissenschaft teilt die Tiere noch ihren Wärmeansprüchen ein in Warmblütler und Kaltblütler, letztere besser Wechselwarme. Die Warmblütler, auch gleichwarme (homöotherme) Tiere genannt, weisen stets die gleiche Körpertemperatur auf, unabhängig von der Temperatur ihrer Umgebung. Zu ihnen gehören die Vögel und Säugetiere, überaus interessant ist eine Übersicht der Körperwärme einiger Warmblütler (nach Durig):

Fasan . 41— 44° C
Huhn 40—42° C
Ratte 37—38° C
Kaninchen 38—39° C
Ziege 37—40° C
Esel 37—39° C
Kamel 35—36° C
Pferd 37—39° C
Rind 37—40° C
Schwein 38—40° C
Hund 37—39° C
Katze 37—39° C
Strauß 36—37° C
Wal 36—36,5° C
Affe 36—39° C
Mensch 36—37° C

Die Warmblütler tragen ihre optimale Körperwärme stets bei sich. Das ist zwar ein großer Vorteil gegenüber den wechselwarmblütigen Tieren, allerdings muß er sehr teuer bezahlt werden. Die dauernd gleiche Eigentemperofur gewährt zwar ständig aktive Lebensäußerungen, bedingt aber auch einen regen Stoffwechsel und Energieverschleiß, die wiederum nur durch einen ungeheuren Nahrungsbedarf wettgemacht werden können. Ein Beispiel: Die Meise benötigt als tägliche Futterration die Menge ihres Eigengewichtes. Maulwurf und Spitzmaus können nur ganz kurze Zeit ohne Nahrung bleiben. Federn, Haare oder ein ansehnliches Fettpolster unter der Haut schützen die Warmblütler vor schädigendem Wärmeverlust.

Ganz anders verhält es sich mit den wechselwarmen, den poikilothermen Tieren. Zu dieser großen Gruppe gehören Fische, Lurche, Reptilien und alle wirbellosen Tiere, etwa Insekten, Würmer und Schnek-ken. Sie alle weisen stets keine höhere Bluttemperatur auf als die ihrer Umgebung. Sie kann, so zum Beispiel bei den Eidechsen, oft sehr hoch sein. Die Wechselwarmen, unvermögend, ihre optimale Blutwärme zu halten, sind schutzlos dem Winter ausgesetzt, und selbst die Tatsache, daß einige, wohl als Nachfahren von Arten, die während der Eiszeit Mitteleuropa belebten, kälteliebend sind — Gletscherfloh, Erdhaften —, andere sogar wenige Grade unter Null zu ihrer Entwicklung benötigen — etliche Falter, Gallwespen —, kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Winterkälte lebensfeindlich den Wechselwarmen gegenübersteht. Sie zwingt die Tiere, ihre Tätigkeiten einzustellen und einen Ruhezustand einzunehmen. Diesen Zustand nennen wir Winterstarre. Die Winterstarre stellt somit die Anpassungsform der Wechselwarmen zum überstehen der kalten Jahreszeiten dar. Für diese Starre charakteristisch ist es, daß alle Lebensvorgänge mit zunehmender Abkühlung des Körpers mehr und mehr verlangsamen, die freie Bewegungsfähigkeit schließlich aufhört und der Stoffwechsel auf ein Minimum vermindert wird. Die gleichen Zustände sind auch dann zu beobachten, wenn solche Tiere zur Sommerzeit in einen Kühlschrank gebracht werden.

Besonders bemerkenswert erscheint es nun, daß gewisse Vorbereitungen zur Überwinterung schon lange vor Eintritt der Winterkälte getroffen werden. So fertigen mehrere Falterarten — Baumweißlinge, Scheckenfalter — schon zeitig im Herbst ein gemeinsames Winternest aus zartem Gespinst an. Die zierlichen Florfliegen, das Pfauenauge und mehrere Käfer suchen sehr früh ihre Winterverstecke in Höhlen, Kellern und auf den Speichern auf. Wir finden die Falter dann mit zusammengeschlagenen Flügeln regungslos am selben Ort verharrend. Andere Arten speichern ähnlich vieler Warmblütler einen gewissen Fettvorrat im Körper auf. Für den auf ein geringstes Maß herabgesetzten Stoffwechsel reicht der dann aus. Das ist der Fall bei den Gehäuseschnecken, Amphibien und Reptilien. Bekanntlich benötigen die Weibchen der Stechmücken Menschen- oder Tierblut, um überhaupt in eine Eiablage treten zu können. Die blindwütige Gier, nichtachtend jeglicher Gefahr, an die Blutquellen heranzukommen, hat vielen im Volksmund zu dem Namen Blindmücken — Scheele Mökke — verhelfen. Die letzte Blutaufnahme im Jahr dient diesen Mücken, die als Vollinsekt oder Imago überwintern, zur Bildung eines Fettkörpers, der dann dem Hinterleib eine gelbliche Färbung verleiht.

Eine weitere, sehr wichtige Umstellung als Vorbereitung für die Überwinterung ist bei vielen Wechselwarmen die Konzentration der Körpersäfte. Durch verstärkte Ausscheidung von Wasser in Kot und Harn sowie durch vermehrte Bindung von Wasser an das Eiweiß der Zellen erhöht sich naturgemäß der Salzgehalt. Je höher dessen Konzentration, um so niedriger wird der Gefrierpunkt der Körpersäfte. Besonders russische Forscher — Kalabuchow, Bachmetjew — haben sich in jüngster Zeit dieser Erscheinung, die Unterkühlbarkeit genannt, eingehend gewidmet und sind zu den interessantesten Ergebnissen gekommen. Einige Beispiele zur Veranschaulichung (nach Eisentraud). Die Widerstandsfähigkeit gegen den Kältetod reicht bei:

Zauneidechse bis—1,3° C
Moorfrosch bis—1,5° C
Rote Waldameise bis—1,5°C
Schildkröte bis —5,3° C
Gelbbrandkäfer bis —15° C
Larve des Mehlkäfers bis — 17° C
Raupe d. Weidenbohrers bis — 20° C
Schildwanze bis — 26° C
Gemeine Stechmücke bis — 30° C
Fiebermücke bis — 40° C

Der Grad der Unterkühlbarkeit ist also recht verschieden; dennoch scheint die notwendige Anpassung instinktiv gelenkt zu werden, denn nach jahrelangen Beobachtungen sind die Verluste bei den Schadinsekten nach strengen Wintern kaum höher als in normalen Jahren. Die Dauer der Winterstarre bei den Wechselwarmen richtet sich weitgehend nach den Witterungsbedingungen des betreffenden Jahres und nach der geographischen Lage des Ortes. Während sie bei uns etwa 6—7 Monate anhält, dauert sie in den wärmeren Mittelmeerländern kaum 2 Monate. In weit nördlich gelegenen Gegenden dehnt sie sich auf 8—9 Monate aus, bedingt folglich auch eine ganz veränderte Lebensführung. So bringen dort z. B. Kreuzottern nach erfolgter Begattung im Sommer ihre Nachkommen erst im kommenden Jahr zur Welt. Es mögen nun einige Beispiele für Überwinterungsformen folgen: Während die grauen Nachtschnecken verborgen im Erdreich und zusammengerollt zu einem Kügelchen den Winter überdauern, sterben die alten roten oder schwarzen Wegeschnecken im Herbst, nachdem sie ihre Eier abgelegt haben; nur die geschlüpften Jungschnecken überwintern. Dagegen verschließen die Gehäuseschnecken den Eingang ihres Häuschens mit einem schützenden Kalkdeckel. Weinbergschnecken, deren Gehäuse durch Entfernen des Deckels geöffnet wurde, gingen danach bei Frost ein. Spinnen verkriechen sich im Erdboden, unter Steinen, unter Baumrinden oder suchen gern die menschlichen Behausungen auf. Feld- und Laubheuschrecken sind ausgesprochene Sonnentiere. Vor seinem Tod im Spätsommer hat das Weibchen seine Eier mit Hilfe der langen Legeröhre sicher in der Erde verborgen. Blatt-, Rinden- und Schildläuse überdauern die kalte Zeit teils als Eier an gesicherten Plätzchen, teils als Jungtiere im toten Mutterleib. Die Überwinterungsformen der Käfer und Schmetterlinge sind sehr verschieden. Von den rd. 850 Großschmetterlingsarten Mitteleuropas überstehen den Winter: 14% im Eistadium, 40% als Raupe, 40% als Puppe, 6% als Schmetterling. Erstaunlich dabei ist, daß einige Arten vollständig ungeschützt sich der Kälte aussetzen. So ist es keine Seltenheit, den ruhenden Zitronenfalter an irgend einem Zweiglein im verschneiten Winterwald zu finden. Stechmücken versammeln sich oft in großer Zahl im Keller, in feuchten Höhlen oder ähnlichen Orten. Gelegentlich im geheizten Winterzimmer müde umhersummende Stubenfliegen sind die letzten überlebenden ihrer Sippe. Ihre Tage sind gezählt, denn sie überwintern als Larve oder Puppe im Dung und Schmutz. Wespen und Hummeln haben ihren einjährigen Staat durch den Tod aller Einzeltiere aufgelöst. Nur befruchtete Jungköniginnen schreiten nach überstandener Starre zur Neugründung eines Staates. Die meisten Ameisen stellen während des Winters die Brutpflege ein und steigen in tiefere Erdschichten. Unsere Honigbiene beschreitet eigene Wege zur Überwinterung. Bei ihr tritt keine Winterstarre ein, da ihre aktive Lebensweise während des Winters nie ganz zum Stillstand kommt. Als Einzeltier verfällt sie schon bei Werten von unter 10° C der Erstarrung, stirbt bei 2° C schon nach zwei Stunden. Die Fähigkeit der Unterkühlung scheint sich bei ihr als soziales Insekt nicht entwickelt zu haben. Das überwinternde Volk hängt im Bienenstock dicht zusammengedrängt zu einer kugeligen Traube. Kühlt sich die Stockwärme bis auf 13° C ab, so werden die an der Peripherie der Traube sitzenden Bienen unruhig, und die Traube lockert sich. Jetzt beginnen die Tierchen, mit den Flügeln zu schwirren. Die Muskelbewegung im Verein mit erhöhter Atmung erfordert vermehrte Nahrungsaufnahme. Der dadurch vergrößerte Stoffwechsel steigert die Wärme erheblich. Innerhalb einer Stunde steigt die Stockwärme auf 25° C an. Das Volk beruhigt sich und bildet wieder die fest geschlossene Traube. Dieses Bild wiederholt sich in einem täglichen Rhythmus. Viele Fische stellen während des Winters die Nahrungsaufnahme ein, wühlen sich in den Schlamm oder liegen fast bewegungslos auf dem Grund. Eine langanhaltende geschlossene Eisdecke kann ihnen gefährlich werden wegen Sauerstoffmangel. Kälteliebenden Edelfischen schadet ein kurzfristiges Einfrieren nicht. Für Feinschmecker werden diese heute in kleine Eisblöcke eingefroren, mit dem Flugzeug verschickt und dann nach raschem Auftauen „lebendfrisch" serviert. Angaben jedoch, wonach Fische ein langanhaltendes Einfrieren im Eis schadlos überstehen, treffen nicht zu. Während Kröten und Unken in Erdlöchern versteckt überwintern, suchen einige Froscharten den Grund des Wassers auf. Die notwendige Sauerstoffversorgung erfolgt durch Hautatmung und durch die Schleimhäute des Rachens. Molche, die nur während der Laichzelt das Wasser aufsuchen, schlüpfen in verlassene Mäusegänge oder sonstige geeignete Stellen In der Erde. Salamander verkriechen sich unter Moos, Wurzelwerk und Laubhaufen. Oft finden wir gerade Lurche in größeren Mengen vereinigt. Obschon sie eine einjährige Entwicklungszeit durchmachen, überwintern gelegentlich auch ihre Larven. So können wir im zeitigen Frühjahr oft große Kaulquappen und Molchlarven in Tümpeln und Weihern beobachten, Eidechsen, Schlangen und Blindschleichen im gemeinsamen Winterquartier in unterirdischen Höhlungen zu Knäueln verschlungen.

Möge das bis jetzt Angeführte genügen zu einem Einblick in den sonderbaren Zustand der Wechselwarmen, die also aus Mangel an eigener Körperwärme sonst schutzlos dem todbringenden Winter ausgeliefert wären. Die Warmblütler dagegen erzeugen lebenserhaltende Eigenwärme, die dazu noch durch besondere Körpereinrichtungen reguliert werden kann. Diese Wärmeregulation ist jedoch wiederum nicht bei allen warmblütigen Tieren gleich vollkommen ausgebildet. Einer Reihe von Säugetieren steht während des Winters die erforderliche Nahrungsmenge zur Erzeugung der notwendigen Körperwärme nicht mehr in genügendem Maße zur Verfügung. Aus diesem Mangel an Futter haben sie nun in Anpassung an den Winter jene erstaunliche Fähigkeit entwickelt, ihre aktive Lebensweise völlig einzustellen. Dieser Zustand, der eine tiefe Lethargie darstellt, wird als Winterschlaf bezeichnet. Für den Winterschlaf besonders charakteristisch ist es, daß die Körpertemperatur sehr tief unter die Aktivitätstemperatur absinkt und sich dann weitgehend an die Umgebungstemperatur angleicht. Dadurch treten auch hier zwangsläufig tiefgreifende Veränderungen in den Lebensäußerungen der Winterschläfer ein. Im Rahmen dieser Ausführungen kann ich naturgemäß nur das Wichtigste herausstellen. Was geschieht mit einem Warmblütler, der einer tiefen Umgebungstemperatur ausgesetzt wird? Der lebensbedrohenden Abkühlung seines Körpers setzt er eine erhöhte Wärmeproduktion durch gesteigerte Atmung, lebhaftere Bewegungen und vergrößerte Nahrungsaufnahme entgegen. Bei anhaltender Kälte jedoch erlahmen die Abwehrkräfte, sein Körper erkaltet mehr und mehr, bis schließlich durch Hypothermie, durch Unterkühlung, der Tod infolge Atmungslähmung eintritt. Das geschieht schon bei Temperaturen von 20" C. Ein Beispiel: Während eines Winters sprang mir eine Maus in einen mit frischem, tiefgekühlten Brunnenwasser gefüllten Eimer. Die anfangs sehr lebhaften Bewegungen des Tieres schwächten sich schon in ganz kurzer Zeit ab. Nach knapp fünf Minuten sank es leblos ab.

Die Wassertemperatur mag 10° C gewesen sein.

Wie grundverschieden anders „schaltet" der Winterschläfer! Erreicht bei ihm durch ständiges Absinken die Umgebungstemperatur den sogenannten kritischen Punkt — der ist bei den einzelnen Arten sehr unterschiedlich —, so setzt er seine Wärmeregulation außer Takt, besser gesagt, er lenkt sie um. Nun sinkt seine Körpertemperatur, ohne ihm zu schaden. Die Winterlethargie tritt ein und die Eigentemperatur gleicht sich jetzt wie beim Wechselwarmen der Umgebungstemperatur an. Doch unterschiedlich von jenen sind beim Winterschläfer einem weiteren Absinken der Körperwärme bestimmte Grenzen gesetzt. Erreicht sie eine Minimaltemperatur — diese liegt zwischen 5—O° C —, so erfolgt eine überaus bedeutungsvolle Reaktion: Infolge des Kältereizes wird nun die regulatorische Tätigkeit des Nervensystems wieder eingeschaltet und der auf das niedrigste Maß zurückgesetzte Stoffwechsel steigt wieder an. Dadurch wird Wärme erzeugt, die gerade ausreicht, die Minimaltemperatur trotz weiteren Absinkens der Umgebungswärme zu halten, oder aber so intensiv ist, daß sich der Körper langsam erwärmt und das Tier aus seiner Lethargie erwacht (Eisentraud).

Es ist leicht verständlich, daß eine so tiefgreifende Umstellung des körperlichen Wärmehaushaltes auch weitgehende Veränderungen der Körperfunktionen beim Winterschläfer zur Folge haben muß. Zunächst wird der Stoffwechsel auf ein Minimum eingeschränkt. Dadurch reichen die während der aktiven Lebensperiode aufgespeicherten Fettvorräte und enthalten das Tier, von außen Nahrung zu sich zu nehmen. Hierin besteht die wesentliche Bedeutung des Winterschlafes. Während nämlich die Wechselwarmen hauptsächlich in die Winterstarre eintreten als Flucht vor der Kälte, entziehen sich die Winterschläfer den Unbilden der kalten Zeiten aus Mangel an Nahrung; denn in erster Linie sind die Winterschläfer Tiere, deren Hauptnahrungskontingent Insekten und Weichtiere, also Wechselwarme, darstellen. Typische Winterschläfer sind Igel und Fledermäuse, dazu viele Gattungen der Nager, die allerdings vorwiegend Pflanzenkost lieben: Murmeltiere, Erdhörnchen, Siebenschläfer, Gartenschläfer, Ziesel und Haselmaus.

Durch das Fallen der Körpertemperatur tritt weiter eine Verlangsamung der Atmung ein. In wachem Zustand atmet der Igel etwa 50 mal je Minute, im normalen Tagesschlaf 20 mal. Dagegen verringern sich seine Atemzüge im Winterschlaf auf einen in der Minute. Beim Ziesel, einem Tier der Steppen, vermindert sich die Atmungsfrequenz von etwa 150 auf 2—3 in der Minute. Der Sauerstoffbedarf des Winterschläfers scheint sehr gering zu sein, denn lethargische Tiere überstanden bei Versuchen einen mehrstündigen Aufenthalt in sauerstoffarmen Behältnissen schadlos, während das gleiche Verbleiben beim wachen Zustand in wenigen Minuten den Erstickungstod zur Folge gehabt hätte.

Mit der Verminderung der Atmungsfrequenz verringert sich analog die Herztätigkeit. Das Herz des wachen Igels schlägt durchschnittlich 188 mal in der Minute, im Winterschlaf bei 6" C jedoch nur 21 mal. Beim Alpenmurmeltier wurden folgende Werte gemessen: 90 zu 11 Schläge.

Weiter werden im Schlafzustand die Nervenfunktionen bedeutend herabgemindert. Gegen optische und akustische Reize wird das Tier unempfindlich. Man hat winterschlafende Ziesel und Alpenmurmeltiere als Spielbälle und Kugeln benutzt, ohne daß sie erwachten. Auch diese Zustände sind nicht für alle Winterschläfer gleichwertig. Wie an früherer Stelle schon angeführt, besteht jedoch eine sehr hohe Reizempfindlichkeit gegen sich verstärkende Kälte, wohl als notwendige Schutzmaßnahme.

Jüngste Forschungen nach Ursache und Möglichkeiten des Winterschlafes ergaben staunenswerte Erkenntnisse: Seit einiger Zeit ist bekannt, daß der Winterschlaf mit den sogenannten „braunen Fettkörpern" in engster Beziehung steht. Es sind das blut- und nervenreiche Gewebe zwischen Brust- und Rückenmuskeln. Da diese Fettgewebe die Fähigkeiten eines Körperorganes besitzen, werden sie als „Winterschlafdrüsen" bezeichnet. Nach langen Versuchsreihen an Igeln stellte sich heraus, daß die Winterschlafdrüse einen Wirkstoff erzeugt, der für das Eintreten und die Aufrechterhaltung der Lethargie wesentlich ist. Wird das Fettgewebe aus dem Tier entfernt, so erfriert es wie jedes andere Tier unter den gleichen Voraussetzungen. Bei Mäusen, denen man Teile der Winterschlafdrüse vom schlafenden Igel operativ einpflanzte, stellten sich prompt Temperatursenkungen ein. Auch bei Einspritzungen von Extrakten aus den „braunen Fettkörpern" ergab sich die gleiche Reaktion. Dabei sind die Wirkungsmengen unglaublich gering. 20 bis 30 Gamma (1 Gamma = 1 Millionstel Gramm) des Wirkstoffes riefen einen Temperatursturz von 6—8° C hervor (nach Dr. J. Schurz).

Neben Winterstarre und Winterschlaf ist eine dritte Überwinterungsform bei einigen Tieren festzustellen. Es ist die Winterruhe, ein Zustand besonders bei höheren Warmblütlern, der 3—4 Monate anhalten kann. Bezeichnend dafür ist, daß sich diese Tiere beim Eintritt ungünstiger Witterung in ihren Bau oder in ihre Verstecke zurückziehen und dort in Untätigkeit verharren. Sie widmen sich einem Ruheschlaf, gleichsam einem Dahindösen. Dabei sinkt die Eigentemperatur nicht ab; wohl verringern sich Atmung, Herzschlag, Blutdruck und Stoffwechsel wie beim normalen Schlaf. Diese Tiere „leben dann vom eigenen Fett" oder unterbrechen bei milden Wintertagen ihre Ruhe und begeben sich auf Futtersuche; andere zehren in kurzen Abständen von ihren Hamstervorräten. Zu dieser Gruppe zählen: Bären, Dachs, Präriehunde, Eichhörnchen u.a. Winterstarre, Winterschlaf und Winterruhe sind die drei Anpassungsformen, welche die zur Einstellung ihrer aktiven Lebensführung genötigten Tiere in den gemäßigten Zonen zum überstehen der kalten Jahreszeit ausgebildet haben. Manche Rätsel dieser sonderbaren Angewohnheiten harren noch der Lösung, nicht alle Zusammenhänge sind restlos geklärt. Doch genügen aber die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse sicher schon, in uns auch hier Freude an der Natur zu wecken, Bewunderung für die Fülle der Daseinsformen zu erregen und besonderen unsere Ehrfurcht vor allem Leben zu vertiefen.

Quellen: Gerd von Natzmer: Lebensgeheimnisse der Natur. — M. Eisentraud: Überwinterung im Tierreich. — Der Große Brockhaus. — Der Kosmos.