DIE STAHLHÜTTE BEI DORSEL

HEUTE EIN GUTSHOF MIT TRINKHALLE

VON JOSEF KNOPP

Reist man heute durch das obere Ahrtal an Antweiler und Müsch vorbei, dann erblickt man bald rechter Hand, also auf der linken Ahrseite, auf einer steilen Anhöhe ein kleines Kirchlein.

Wer dächte nicht beim Anblick dieses kleinen Kirchleins an das Gedicht: „Droben stehet die Kapelle, schauet tief ins Tal hinab"? Im Tale aber erhebt sich dort, wo der zu dem Dörflein Dorsel abzweigende Weg rechts hochführt, an der linken Straßenseite ein mächtiger kasernenartiger Bau. Eine Mühle ist es nicht, eine Fabrik ebensowenig wie ein alter Gutshof. — Was ist das also für ein Gebäude? Wohl kaum ein Wanderer, der hier vorbeikommt, ahnt, daß das Gut „Stahlhütte", das heute außer der Landwirtschaft lediglich noch eine Trinkstube beherbergt, einmal wirklich eine „ Stahl - Hütte" war. Noch weniger wird er wissen, daß hier vor etwa hundert Jahren eine für die damalige Zeit sehr bedeutende Eisen- und Stahlindustrie bestand.

Nicht mehr viel erinnert heute noch daran. Die Hochöfen stehen nicht mehr. Das Rauschen der Wasserräder und das Dröhnen der schweren Stahlhämmer, deren dumpfer Schlag stundenweit zu hören war, ist verstummt.

Im Jahre 1633 wurde von einer Familie Kölzen die sogenannte Kaserne, die dem Besitzer als Wohnung und den auswärtigen Arbeitern als Unterkunft diente, zusammen mit dem ersten Hochofen erbaut. Auch die erste Brücke über die Ahr, heute noch die „Steinenbrücke" genannt, ist um diese Zeit errichtet worden. Von dem Begründer kam die Stahlhütte in den Besitz der Herzöge von Aremberg und stand nach dem Separatfrieden von Basel unter französischer Verwaltung. Nach dem Abzug der Franzosen aus dem Rheinland ging sie in den Besitz des preußischen Staates über. In dieser Zeit umfaßte der Betrieb zwei Hochöfen, vier Läuterungswerke und zwei Stahlhämmer. Er verarbeitete jährlich etwa 1400 Wagen Eisenstein. 1823 kauften die Gebrüder Cremer aus St. Ingbert von der preußischen Regierung die Stahlhütte und ließen das Werk von Direktoren verwalten. Unter Direktor Dan-nenberg (1825—1870) erwarben Stahlhütte und Ahrhütte (weiter ahraufwärts, im Kreis Schieiden gelegen) gemeinsam das Lommersdorfer Eisenbergwerk zum Gesamtpreis von 700 Taler. (Das Bergwerk Lommersdorf soll schon zur Römerzeit in Betrieb gewesen sein. Auf primitiven Wagen mußte der Eisenstein über schlechte Wege von Lommersdorf über Dorsel zur Stahlhütte transportiert werden. Die noch lebenden „alten Dorseler" erzählen, daß es damals mit Lebensgefahr verbunden war, ein beladenes Fuhrwerk den steilen, tief ausgefahrenen und kaum drei Meter breiten Hohlweg hinunterzuführen. Die mangelhafte Bremsvorrichtung bestand in langen Stangen, die zwischen die Radspeichen geklemmt wurden. Da eine Ausweichmöglichkeit auf dem schmalen Wege nicht bestand, waren einige Ausfahrten angelegt. Hier mußte der Fuhrmann durch Peitschenknallen ein Zeichen geben, ob der Weg frei sei Bekam er auf die gleiche Weise Antwort, dann mußte er warten, bis der Weg frei war. — Begegneten sich dennoch zwei Fahrzeuge auf der Strecke, dann kam es zuweilen zu Streitigkeiten. Durch die Anfuhr des Eisensteins herrschte damals ein reger Verkehr auf dem Hohlweg. Dieser Hohlweg ist teilweise heute noch vorhanden und wird von Uneingeweihten für einen alten Graben gehalten. (Die neue Straße wurde 1863 angelegt). Der Anfuhrweg heißt heute noch „Steinstraße". 50 Arbeiter waren allein auf der Hütte beschäftigt. Sie verschmolzen jährlich etwa 5000 Wagen Eisenstein. Viele arbeiteten im Bergwerk oder waren in den Wäldern als Kohlenbrenner (Köhler) tätig. Das Werk verbrauchte jährlich für 300—400000 Mark Holzkohlen. Aus allen umliegenden Ortschaften fanden Fuhrleute Verdienst. So ist es auch zu verstehen, daß Dorsel, da das Werk heute nicht mehr in Betrieb ist, nur 290 Seelen zählt, obwohl im 18. und 19. Jahrhundert die Einwohnerzahl schon mit 300 angegeben ist. Dabei war der Ort stets kinderreich und hatte bei 280—290 Einwohnern oft 50—70 Kinder in der Schule.

Wo fand nun das in der Stahlhütte hergestellte Eisen Verwendung? — Das hier hergestellte Stabeisen wurde unter dem Namen A-B-Eisen bekannt, hatte eine ausgezeichnete Qualität und fand sehr guten Absatz. Das A-B-Eisen wurde gut bezahlt und fand z. B. lange Verwendung in den belgischen Gewehrfabriken.

Infolge des in den sechziger Jahren beginnenden Sinkens der Eisenpreise konnte das Werk nicht mehr mit den größeren Fabriken und dem Auslande konkurrieren und verlor wegen der bedeutenden Auslagen für die weite Landfracht sehr an Rentabilität. Der Betrieb wurde immer schwächer und 1880 ganz eingestellt. Später wechselte die Stahlhütte noch mehrmals den Besitzer. Der Versuch, eine Holzindustrie hier ansässig zu machen, schlug fehl. Die nachfolgenden Besitzer verlegten sich nur auf die Landwirtschaft. Vor dem zweiten Weltkriege richtete der jetzige Eigentümer eine stilechte altdeutsche Trinkstube ein und machte durch Parkanlagen die Stahlhütte zu einem bekannten und beliebten Ausflugsziel.

Leider fiel auch die Stahlhütte den Bomben zum Opfer. Erst im Frühjahr 1950 wurde die Trinkstube in dem wiederhergestellten Hauptbau neu eröffnet.