Deutsche Rechtsaltertümer

NACH JAKOB GRIMM

Die 1. Ausgabe der „Deutschen Rechtsaltertümer" von Jakob Grimm erfolgte im Jahre 1828. In der Vorrede zur 2. Auflage aus dem Jahre 1854 bekennt Jakob Grimm:

„Unter allen meinen Büchern habe ich keine mit größerer Lust geschrieben als die Rechtsaltertümer, den Reinhard1) und die Geschichte unserer Sprache."

Durch die Sammlung der Weistümer wurde das Werk besonders befruchtet. Jakob Grimm beleuchtet in Kapitel IV der Einleitung Seite 109—207 die alten Rechtssymbole.

Erde und Gras haben, als Symbol genommen, immer denselben Sinn. Wer sein Grundstück auf einen anderen übertragen wollte, tat es mit diesem Symbol, indem er dem neuen Besitzer eine Hand voll Erde oder ein Rasenstück (Wasem) überreichte.

Auch der Halm ist ein Rechtssymbol. Man gebrauchte gewöhnlich den geknoteten Halm des Roggens ohne Ähre. Dieser Halm wird nun zum Zeichen feierlicher Übergabe, Auflassung, Entsagung oder Kündigung mit der Hand geworfen, gereicht, gegriffen, bald von den Beteiligten, bald von dem Richter.

Halm des Roggens ohne Ähre, mit dem Gebrauch der Erde und des Grases zusammen. Allein er ist ein abstrakteres Wahrzeichen. Die Erde oder der Rasen mußten von dem Grundstück selbst genommen werden, über welches verfügt werden sollte. Der Halm kann überall aufgenommen werden, selbst auf dem Gerichtsplatz. Er ist nicht nur Symbol für die Übergabe von Grund und Boden, sondern auch für andere Verhältnisse und Gelübde.

Das Rechtssymbol Ast oder Zweig, hat mehr Ähnlichkeit mit der Erde und des Rasens als mit dem Halm. Wurde bloßes Ackerland oder Wiese übertragen, so genügte die Scholle oder das Rasenstück, war es Waldgrund, Baumgarlen, Weinberg, so pflegte ein Laubzweig, eine Rebe gebrochen und in die Scholle gesteckt oder auch allein dargereicht zu werden. Der Stab, Rute, Stecken hat mehrere Bedeutungen.

1. Größere Güter wurden mit dem Stab übergeben.

2. Der weiße Stab in der Hand des Landflüchtigen war nur ein Zeichen der Erniedrigung und Knechtschaft. Verurteilte Aufrührer mußten mit weißen Stäben auf dem Markte knien und dem Herrn schwören, zur Buße stets den weißen Stab zu tragen.

3. Umgekehrt ist der Stab in der Hand des Landesherren und des Richters das Zeichen höchster Gewalt. Dieser Stab wurde von Bittenden, Gelobenden und Schwörenden angerührt und seine Worte feierlichst bekräftigt.

1) Reinhart = Reineke Fuchs.

4. Ober dem Haupt des Verurteilten wird der Stab gebrochen und ihm vor die Füße geworfen. Daher stammt noch die heutige Redensart „Ober jemanden den Stab brechen".

Auch Hand und Finger wurden als Rechtssymbole gebraucht, wie dies die Redensarten belegen: Etwas fest in der Hand halten, aus der Hand geben, die Hand über ihn halten.

Zuweilen werden beide Hände gebraucht; wenn nur eine, so ist es immer die rechte.

1. Allgemeine Bekräftigung aller Verträge war der Handschlag.

2. Auch die Übergabe von Grund und Boden konnte mit bloßem Handschlag vollzogen werden.

3. Bei Huldigungen nach Lehnsrecht legte man beide Hände zwischen die Hände des Lehnsherren.

4. Beim Eidschwur ist die Hand wesentlich; es wird angesehen, als ob sie ihn vollbringe und halte. Der Schwörende berührt mit der rechten Hand Kreuz, Reliquie, Bibel . . .

5. Trifft jemand sein Vieh im fremden Besitz und will es wiedererlangen, so ist Handauflage nötig. Die rechte Hand legt er beteuernd auf die Reliquien, mit der linken faßt er das linke Ohr seines Viehes.

Die Füße sind schon ein selteneres Symbol. Im Altertum setzte der Sieger seinen Fuß auf die Brust des am Boden liegenden Besiegten. Auch trat bei einzelnen Lehnshöfen der Lehnsherr mit dem rechten Fuß auf den gleichen des hörigen Lehnsträgers.

In der Redensart Mund und Hand geloben, bedeutet Mund das gesprochene Wort. Bei Belehnungen war der küssende Mund das Symbol des Friedens zwischen Herr und Vasall.

Wichtig ist für die deutsche Rechtsgeschichte das Ohr. So wurden bei wichtigen Anlassen: Legung eines Grundsteines, Setzen eines Grenzsteines, bei Flurgängen Knaben hinzugezogen, die zog man an den Ohrlappen, gab ihnen auch eine Ohrfeige und bedachte sie mit kleinen Geschenken, damit sie den Vorgang und den Ort fest im Gedächtnis behalten sollten. Dies war bei den Grenzgängen in Ahrweiler noch im 18. Jahrhundert Sitte und Brauch.

Bart und langes Haar waren Zeichen des freien Mannes. Abschneiden des Haupthaares und des Bartes galt als Symbol der Unfreiheit.

Der Hut ist:

1. Ein Symbol der Übertragung von Gut und Lehen. Der Übertragende oder der Richter hielt den Hut, der Erwerbende griff oder warf einen Halm hinein.

2. Die gemeinsam in den Hut griffen, verschworen sich untereinander.

3. Wer mit dem Urteilsspruch nicht einverstanden war, warf seinen Hut vor dem Richter zu Boden.

4. Der Hut war gleich der Fahne Feldzeichen. Wer ihn aufsteckte, forderte die Männer zur Gefolgschaft auf.

Handschuh:

1. Mit der Übergabe eines Handschuhes wurden Güter übergeben.

2. Warf der König, Fürst oder Richter den Handschuh hin, so war das ein Zeichen des ausgesprochenen Bannes.

3. Im Mittelalter galt das Hinwerfen eines Handschuhes vor dem Gegner als Kampfansage und Kampfaufforderung, daher die Redensart: jemanden den Handschuh hinwerfen.

4. Boten werden von den Herren mit Handschuhen belohnt (so auch in Ahrweiler).

Schuh:

1. Den Schuh bringt der Bräutigam der Braut. Sobald sie ihn angezogen hat, gilt das Verlöbnis.

2. Könige sandten ihren Vasallen den Schuh zu, den sie als Zeichen der Unterwerfung tragen mußten.

3. Das Ausziehen des Schuhes war auch das Zeichen zur Hergabe von Grund und Boden.

4. Im Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts war der „Bundschuh" das Zeichen des Aufruhrs.

Mit dem Hammer, den man auf den Schild schlug, wurde die Volksgemeinde zusammengerufen, auf dem Dingplatz Ruhe geboten, das Urteil bekräftigt, wurden Verkäufe bestätigt (vgl. unter den Hammer gekommen = Zwangsversteigerung).

Schwert:

1. Auf den Schwertgriff wurde beim Schwören die Hand gelegt, während die Schwertspitze in der Erde stach.

2. Der Gefangene warf sein Schwert von sich als Zeichen der Unterwerfung.

3. Auch Übergabe von Land fand durch das Schwert statt.

4. Auf dem Tisch vor dem Richter lag das Schwert als Zeichen der peinlichen Gerichtsbarkeit über Leben und Tod.

Kreuz:

1. Das Kreuz wurde oft als Grenzkreuz errichtet, wo sich die benachbarten Markgenossen bei den Flurgängen trafen und „Recht und Frieden" gelobten.

2. Das Kreuz auf dem Markte ist Sinnbild der Marktgerechtigkeit und des Weichbildfriedens.

3. Der Kläger oder Gerichtsbote steckt ein Kreuz an das Haus oder auf die Sache des Beklagten und Verurteilten.

Span:

1. Der Span wurde bei Übergabe eines Hauses aus der Haustür geschnitten und dem neuen Besitzer übergeben. 2. Der Fembote schnitt einen Span aus dem Tor des vor das Gericht Geladenen und steckte in die Kerbe die Vorladung (Steckbrief).

Eines Hauses Besitz konnte auch angetreten werden, wenn der neue Besitzer die r öffnete, seinen Fuß auf die Schwelle setzte, mit der Hand den Türpfosten berührte und dann die Türe wieder schloß. Eine eigentümliche Weise der Freilassung gab es bei den ripuarischen Franken. Der Herr schlug aus der Hand seines Hörigen eine Münze auf den Boden, dadurch wurde der Hörige ein freier Bauer. Neuerworbenes. Land mit dem Wagen oder Pflug befahren, war" ein Zeichen der Besitzergreifung.

Auch der dreibeinige Stuhl spielt in der Rechtssprache eine Rolle. Der geringste Gutsbesitz wird durch den Raum bezeichnet, worauf ein dreibeiniger Stuhl stehen kann. Ein Stück, das keinen Stuhl faßte, ist des Grundeigentums unfähig. So antworten in manchen rheinischen Weistümern die hörigen Bauern auf die Frage des Schultheißen: „Wieviel Land ist euer freies Eigentum?" Antwort: „Nicht soviel, als ein dreibeiniger Stuhl bedecket!" Setze ich aber einen Stuhl auf ein Grundstück, so ist dies ein Zeichen der Besitz, nähme (sitzen, besitzen, Besitz, Besitztum).

Der Stuhl kann auch durch einen Tisch ersetzt werden.

Sprichwörtlich heißt es, einem den Stuhl vor die Tür setzen, einen aus dem Hause, wo er bislang sitzberechtigt war, weisen. Diese symbolische Handlung wurde früher auch wirklich vorgenommen.

Der Wein wurde unstreitig in Deutschland zur Bekräftigung feierlicher Verträge und Bündnisse getrunken; der Trunk hieß litkouf, leitkauf; winkouf, weinkauf.

Feuer:

1. Zündung und Nährung des Feuers auf einem neuerworbenen Grundstück galt als Zeichen der Besitznahme.

2. Der neue Hausbesitzer löschte das alte Herdfeuer und entzündete es wieder.

3. In Kriegsnot und Landesaufruhr gaben angezündete Feuer das Zeichen zur Versammlung.

Der Strohwisch wird an Stangen auf Felder und Wiesen gesteckt, um sie zu hegen oder den Weg zu sperren.

An Häuser gesteckt, war der Strohwisch ein Zeichen, daß Haus und Grundstück zu verkaufen seien.

Jakob Grimm schließt die Abhandlung über die Rechtssymbole mit folgenden Worten:

„Sämtliche Symbole fallen ungefähr in drei Hauptarten:

1. Solche bei Übertragung von Grund und Boden,

2. solche mit persönlichen Verhältnissen (Freiheit, Ehe, Kindschaft),

3. solche, die Eid, Gelübde und Bündnis

betreffen.

Die meisten deutschen Rechtssymbole haben es mit dem Besitzwechsel von Grund und Boden zu tun." Sie spielten also im Rechtsleben des Bauern eine besondere Rolle und haben sich deshalb teilweise bis in die Neuzeit erhalten. Freiherr von Stein ließ 1798, also dreißig Jahre vor der Herausgabe der „Deutschen Rechtsaltertümer", seine Güter in Bodendorf und Umgebung Besitz ergreifen, wobei das alte Brauchtum sorgfältig ausgeübt wurde. (Siehe Seite 49 dieses Jahrbuches!)