Jakob Burckhardt

IM AHRTAL

Von Dr. Dr. Walther Ottendorff-Simrock

Eigentum und Reproduktionsrecht: Dr. W. Ottendorff-Simrock

Jakob Burekhardt — wir kennen diesen großen Kunsthistoriker, den Freund und Kenner der Kultur, der in den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende starb, dessen Werke aber heute noch lebendig sind. In den Büchereien der Universitäten und Schulen und in Privatbibliotheken stehen seine Bücher: „Geschichte der Renaissance", „Kultur der Renaissance", „Zeit Konstantins des Großen" und „Griechische Kultur". Der Europäer beugt sich ehrfürchtig vor diesem kulturgeschichtlich so bedeutsamen Manne.

Der Schweizer Burckhardt hat die Grundlagen seiner Bildung auf deutschen Universitäten erworben. Im Jahre 1841 war er Student in Bonn. Damals machte er die Bekanntschaft Gottfried Kinkels, des Theologen und Dichters, aber auch des Revolutionärs von 1848. Burckhardt wurde ein eifriger Besucher der Donnerstag=Abende, an denen Kinkel einen kleinen Kreis auserlesener Studenten um sich versammelte. Einige von ihnen sind Jahre hindurch mit Kinkel und Burckhardt freundschaftlich verbunden geblieben: Alexander Kaufmann, ein Bruder des Bonner Oberbürgermeisters, Karl Fresenius, der spätere Gymnasialprofessor in Frankfurt am Main, und Willibald Beyschlag, nachmals Theologieprofessor in Halle. Diese drei waren es auch, die zusammen mit Jakob Burckhardt dem Bonner „Maikäferbund" angehörten, jenem geistbeschwingten Dichterkreis um Gottfried Kinkel und dessen Frau, die genialische Johanna Mockel=Matthieux. „Maikäferbund"? Ein merkwürdiger Name; darin liegt leiser Spott, augenzwinkerndes Lächeln, frohes Leben. Es war eine geistvolle Gemeinschaft von Menschen, die sich stolz „Bürger" nannten, jedoch vom „Spießbürger" klafterweit entfernt waren.

Die „Maikäfer" trafen sich einmal wöchentlich zu heiterer Geselligkeit; sie lasen einander ihre Dichtungen vor und unterbreiteten sie der gegenseitigen Kritik. Bei den alljährlich zu Peter und Paul stattfindenden Stiftungsfesten des Bundes wurden die auf Grund einer Preisaufgabe von den Mitgliedern geschaffenen poetischen Arbeiten einem Richterkollegium vorgelegt, dem auch Karl Simrock angehörte. Liebhaberaufführungen von klassischen Dramen wie Goethes „Iphigenie", aber auch von Komödien und Singspielen, meist aus der Feder des Ehepaares Kinkel, zu denen Johanna die Musik geschrieben hatte, bildeten weitere Höhepunkte. Gern flogen die „Maikäfer" auch in die schöne Umgebung von Bonn aus. Und hier war es das Ahrtal, das Burckhardt im Sommer 1841 auf vielen Wanderungen an der Seite Kinkels, der damals Unterlagen für sein Ahrbuch sammelte, kennen und lieben lernte. Burckhardt fühlt sich mit dem geschichtlich so reichen „Aregau" bald auf das engste verbunden. Die kunstgeschichtlichen Schönheiten dieser Landschaft, besonders die Kirchenbauten in Sinzig und Remagen, in Heimersheim und Ahrweiler, in Mayschoß und Altenahr, sind ihm von Kinkel erschlossen worden. Die Ahr macht den jungen Gelehrten zum Dichter, der eine romantisch bei Wein und Lied durchwachte Nacht im Felsengeklüft bei Altenahr besingt. Dieses Gedicht hat in Kinkels 1846 erschienenen Buch „Die Ahr, Landschaft, Geschichte und Volksleben" einen ehrenvollen Platz gefunden.

Kein Wunder, daß dem Studenten Burckhardt der Abschied von Bonn und den Freunden unendlich schwer wird, als er im September 1841 erneut die Universität Bonn mit der in Berlin vertauscht! Sind die Freunde nun räumlich auch weit voneinander getrennt, geistig bleiben sie dennoch verbunden: Poetische „Maikäfer"=Briefe gehen zwischen den Bonnern und Burckhardt hin und her und knüpften das geistige Band um so fester. Im März 1842 sendet Burckhardt, der nach Berlin „Verbannte", Kinkel für die Maikäfer=Zeitung ein dem „Sonntagskind" Willibald Beyschlag gewidmetes Gedicht, das tiefe Sehn= sucht nach den fernen Freunden ausspricht:

Du, den ich unverdient gewann,
weil gleiches Gl
ück die Menschen eint,
weil jene Sonne, die mir schien,
nun auch dir Sonntagskinde scheint,

o glaub' es deinem fernen Freund,
an dessen Herzen Heimweh frißt,
du an des Rheines Frühlingsstrand,
du weißt nicht, wie du glücklich bist. . .

Am 14. Juni 1842 schreibt Burckhardt: „Ich bin ein Exilierter und werde mir in Berlin immer so vorkommen, so lange Stadt und Gegend mit meinem Innern so grell disharmonieren. — Ah, nur einen Blick in eine krumme, alte enge Straße einer rheinischen Stadt, wo oben die Felsen und die blauen Berge hineingucken; denn ich leide große Not in dieser Sandwüste!" In Erinnerung an die gemeinsamen frohen Fahrten mit Kinkel und dem Freundeskreis in das Tal der Ahr verfaßte Burckhardt die 1843 erschienene Monographie „Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln", seine erste historische Arbeit übrigens; er widmete sie Gottfried Kinkel. In dem Brief Burckhardts an Beyschlag vom 12. September 1842 heißt es: „Dir, mein Lieber, schreibe ich jetzt nur wenige Worte, da ich die bündigste Hoffnung habe, dich bald von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Um deine Bonner Abschiedszeit beneide ich dich gerade am meisten; ich kenne die majestätisch trübe Stimmung, die dem Abschied vom Rhein vorangeht. Als ich mich zur Abreise rüsten mußte, besuchte ich noch all die schönen lieben Orte und zeichnete, so viel ich konnte. — Wenn ich doch noch einen Sommer in Bonn hätte! Dieses traumhafte Sommersemester 1841, zwischen zwei Aufenthalte in dem odiosen Berlin hineingepfropft, kommt mir wirklich bisweilen wie eine Vision vor." Willibald Beyschlag verließ im September 1842 Bonn, um mit Beginn des Wintersemesters nach Berlin überzusiedeln. Mit ihm ging sein Freund Albrecht Wolters, der Anfang September, kurz vor beider Weggang von Bonn, auf Beyschlags Empfehlung noch schnell in den Maikäferbund aufgenommen worden war und damit auch mit Burckhardt bekannt wurde. Das Wintersemester 1842/43 verlebten Beyschlag, Wolters und Burckhardt in Berlin gemeinsam in, regem freundschaftlichem Verkehr. Sie taten sich zu einer „Filial=Mau" (Mau = Abkürzung für Maikäfer) zusammen und dichteten nicht nur eifrig für die Maikäfer=Zeitung, sondern schrieben auch poetische Maikäfer=Briefe nach Bonn, die von dort mit ähnlichen Briefen beantwortet wurden.

Im März 184; verließ Jakob Burckhardt Berlin endgültig, nicht ohne seinen Freunden dort noch eine herzliche Abschiedsfeier zu bereiten. Von Ende April bis Ende Mai 1843 machte er in Bonn Station, um den Rhein und das Zusammensein mit dem Bonner Freundeskreis noch einmal zu genießen. Hier feierte er auch Kinkels Hochzeit mit; Burckhardt und Geibel waren an jenem Maitag 1843 Trauzeugen. Einen Höhepunkt in Burckhardts Bonner Aufenthalt bildete eine erneute Fahrt ins Ahrtal; er unternahm sie in der ersten Maihälfte mit Kinkel. Die Erinnerung an diesen mehrtägigen Ausflug spielt noch lange eine große Rolle in den Briefen an die rheinischen Freunde. So schreibt er zwei Jahre später aus Basel dem „herzlieben Freund" Kinkel: „Ich habe die Anni» Versalien der Reisetage an der Ahr andächtig gefeiert ... Es war doch einer der Culminationspunkte meines Lebens!" Damals — am 20. Mai 1845 — berichtet er, noch ganz unter dem frischen Eindruck der Ahrfahrt, an Beyschlag in Berlin: „Ich bin unlängst mit Kinkel 4 1/2 Tage im Ahrtal gewesen, bis weit in die Eifel. Wir waren beide sehr fidel und haben uns vortrefflich amüsiert. Es gibt aber auch auf der weiten Welt keinen Reisegefährten, wie der ist!"

Am 20. Juli 1843 gedenkt Burkhardt in einem Brief an Wolters erneut des Ahrtals: „Heut sind es genau zwei Jahre seit einer der schönsten Suiten meines Lebens. Höre: Du entsinnst dich wohl des Sturmsonntags, 18. Juli 1841. An diesem Tage fuhren wir in zwei Charabanes von Bonn nach Altenahr, unser neun, gemischte, aber fidele Gesellschaft. Daß es Katzen hagelte, erhöhte nur den Spaß. Montags, zum Teil im Katzenjammer, gings retour nach Bonn ..."

Gottfried Kinkel

Die kleine Betrachtung, die wir Jakob Burckhardt, dem großen Gelehrten im vorigen Jahrhundert, und seinen Beziehungen zum Ahrtal widmen, möchten wir mit einem heiteren Kapitel abschließen: Gottfried Kinkel hat nämlich die im Mai 1843 mit Burckhardt unternommene Ahrfahrt den Freunden in Berlin in Versen geschildert. Die für die beiden Reisenden verwendeten Namen „Eminus" und „Cominus" stammen von Burckhardt. Dieser bezeichnete sich nach seinem letzten Bonner Aufenthalt, der für ihn zugleich den Abschied von Deutschland bedeutete, mit Vorliebe als „Eminus", das heißt der in die Ferne Entrückte, im Gegensatz zu „Cominus", dem immer gegenwärtigen Kinkel. So nun beginnt Kinkels heiteres Poem:

Es war im schönen Monat Mai,
die Nachtigallen sungen
und legten unterweil ein Ei
und heckten viele Jungen,
da zogen zu der Sünden Büß'
der Doktor E, und Cominus
fort in die wilde Eiffel.

Kinkel schildert dann die Wallfahrt der „beiden frommen Doctores" durch das romantische Tal der Ahr. Sie beginnen ihre Buße in Ahrweiler, und zwar mit „Walporzheimer", halten dann im „Sankt Peter" zu Walporzheim Einkehr, „wie's ziemt für gute Christen", passieren den „Durchbruch", also den Altenahrer Straßentunnel, und erreichen den Ort „Himmelreich", das ist Altenahr.

Da kamen sie ins Himmelreich
und tranken Gott zum Dank sogleich
vom Altenahrer Bleichart.

Doch:

Droben hoch zu Kaltenborn
gerieten sie in heiligen Zorn,
so sauer war der Mos'ler.

Ähnlich geschieht es in Adenau. Erst beim „Mosel=Ausbruch" in Blankenheim können sie wieder ausruhen:

Der Eminus speist fleisch und Fisch,
Der Cominus sitzt auf dem Tisch
und ruft: „Kommt her, ihr Manchen!"

Am 19. Juni 1843 schreibt Jakob Burckhardt aus Paris an Beyschlag über diese Ahr=Pilger= und Weinfahrt: „Dem Urmau (dem Ur-Maikäfer, nämlich Gottfried Kinkel) habe ich für sein Ahrbuch ein Gedicht geschickt, welches eine Kneipbande in Altenahr beschreibt. Er hatte mich fürchterlich drum getreten, ja ich kann sagen . . . moralisch gewippt. Diese Ahrtour war in der Tat einzig: wir amüsierten uns wie die Kinder!"

Es ist, als vernähmen wir, weit über hundert Jahre später, das glückselige Lachen der geistvollen und doch kindfrohen Männer. Man möchte fürwahr ein wenig wehmutig werden, wenn man ihre Freude mit dem so oft lärmenden und ungezügelten Ungeist zahlreicher „Ahrfahrer" von heute vergleicht.

QUELLEN UND LITERATUR:

Jakob Burckhardt, Briefe an Gottfried und Johanna Kinkel aus den Jahren 1841—47 in: Briefe, Vollständige Ausgabe, Basel 1949. — Gottfried Kinkel, Die Ahr, Landschaft, Geschichte und Volksleben, Bonn 1846. — Walther Ottendorff=Simrock, Die Ahr, Ansichten des ig. Jahrhunderts, Honnef/Rhein, 1953. — Derselbe, Das Haus Simrock, Ratingen 1954. — Max Pahncke, Aus Jakob Burckhardts Jugendzeit (1841—1945) in: Basler Jahrbuch 1910, S. 103—136. — Derselbe, Aus dem „Maikäfer" in: Euphorien, Zeitschrift für Literaturgeschichte Bd. 19, Jahrgang 1912.