Die Wollindustrie in Adenau einst und jetzt

VON ERNST WOLLMANN

Man darf wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß die Wollindustrie in Adenau und Umgebung bereits nach dem 3ojährigen Krieg ihren Anfang genommen habe. Was hat der lange Krieg übrig gelassen? Verarmte Bauerngehöfte, verwüstete Felder, unbebaute und von Unkraut, Dornen und Disteln überwucherte Fluren und Not und Elend überall. Aber der harte und rauhe Eifelbauer wußte sich dieser Feinde zu wehren durch eine intensiv betriebene Schafhaltung. Die genügsamen Schafe fanden reichliche Weiden und lieferten Fleisch und Wolle, also Nahrung und Bekleidung. Wohin mit der Wolle? Auch da hatten die Bauern guten Rat: Selbst gesponnen, selbst gemacht, ist des Bauern schönste Tracht! Die Verarbeitung der Wolle erfolgte zuerst in Heimbetrieben unseres Ortes und verbreitete sich, später auf die nähere und weitere Umgebung. Nun setzte neben der Feldarbeit ein emsiges Schaffen beim Spinnen und Weben ein. Fleißige Hände spannen die Fäden auf surrenden Spinnrädern zu Garn; und die nebenan stehenden Handwebstühle sangen dazu im Rhythmus ihre Melodie.

Aus diesem handwerklichen Können entwickelte sich am Ende des 17. Jahrhunderts ein zünftiger Stand, die Wollweberzunft. Erstaunlich war die Tatkraft und der Aufbauwille des Zunftverbandes, der um 1788 mit 141 wackeren Zunftmeistern seine Blütezeit erreichte. Zählt man noch außer den Spinnern und Webern die Lehrlinge und Gesellen, Färber, Tuchscherer und Walker hinzu, so beschäftigte die Wollindustrie nach einem vorhandenen Zunftbrief fast tausend Personen. Auf eine saubere und gediegene Anfertigung der Stoffe wurde besonders großer Wert gelegt. Bei der Herstellung hat man sich damals auf derbes Tuch für die ländliche Bevölkerung, auf warme Unterröcke für Feld und Stall und auf Strickwolle beschränkt. Die Produktion des bereits schon damals geschätzten „Adenauer Tuches" erreichte jährlich 70—80 000 Ellen (1 Elle = 0,77 m). Besonders geehrt fühlte sich die Zunft durch Aufträge vom Kurfürsten von Köln zur Lieferung von Montierungstuch für das Militär.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte die Adenauer Tuchmanufaktur zehn Arbeiter beschäftigt, die jährlich 4 000 m Mittelstoff lieferten. Außerdem empfingen 80 Tuch=Weber das Garn von der Manufaktur zur weiteren Verarbeitung durch Handwebstühle. 27 000 Meter waren das jährliche Ergebnis ihrer Arbeit.

Die nun einsetzende fabrikmäßige Herstellung der Tuche verdrängte allmählich die Heimindustrie. Aus ihr entwickelte sich allmählich die Tuchindustrie. In diese Zeit fällt auch der Bau der ersten Tuchfabrik im oberen Adenau, die heute noch an dem 20 Meter hohen viereckigen Turm zu erkennen ist. 1851 erhielt die Fabrik eine maschinelle Einrichtung für Spinnen und Walken. Die erforderliche Kraft lieferte ein Wasserrad, das von einem anliegenden Stauweiher gespeist wurde. Später ersetzte man das Wasserrad durch eine Wasserturbine. In der Fabrik fanden 20 Arbeiter lohnende Beschäftigung. Der tägliche Verbrauch an Rohwolle belief sich auf 35-40 Pfund. Das fertige Garn übergab man den Handwebern in Heimarbeit. Die weitere Verarbeitung wie das Färben, Waschen und Trocknen, Walken und Scheren erfolgte wieder in der Fabrik. Im Jahre 1898 baute die Fabrik den ersten mechanischen Webstuhl ein. Seit dieser Zeit waren sämtliche Arbeitsgänge in ihr vereinigt. Dadurch vermehrte sich wohl die Belegschaft des Betriebes auf 20—25 Arbeiter vor dem ersten Weltkrieg, aber die Heimarbeit der Weber ging langsam zurück. Um diese Zeit, etwa 1910, bewegte sich kein Webstuhl mehr in Adenau. Heute ruht der Betrieb, der durch seinen Erbauer Friedrich und die nachfolgenden Erben einen guten Namen hatte. Nur dann und wann in den Sommermonaten bewegen sich die müden Glieder des einst so regen Betriebes und versorgen das Tuchgeschäft mit Tuchen und Strickwolle je nach Bedarf.

Adenauer Wollwerke

Außer der Adenauer Tuchfabrik gab es noch eine zweite, von der im folgenden berichtet werden soll. Zwischen Leimbach und Niederadenau steht einsam und verlassen in einem Obstgarten ein mit Wellblech bedecktes altes Haus. Es ist die „Birnbachsmühle". Vor 1800 war in dem Gebäude, wie der Name auch darauf hindeutet, eine Mehlmühle — Kundenmühle — beherbergt. Sie wurde später durch ein Hochwasser zerstört. Ein Herr Michels von Andernach kaufte sie und baute sie zu einer Tuchfabrik um. Um 1850 erwarb die Fabrik Ägidius Radermacher aus Adenau. Sie ist bis heute im Besitze eines Nachkommens der Familie, nämlich dem des Josef Radermacher. Noch vor dem ersten Weltkriege war die Fabrik mit fünf mechanischen Webstühlen und. drei Handwebstühlen ausgestattet. Das zum Teil selbstgesponnene Garn übergab man außerdem verschiedenen Webern in Adenau. So webten auf ihren Handwebstühlen die Geschwister Koll in der Schulstraße, die Familie Gilsdorf in der Kollengasse und die Familie Fabry in ihrem früheren Stammhaus im oberen Adenau, dort, wo jetzt das Gasthaus „Zur gemütlichen Ecke" steht. Sie waren wohl die letzten Vertreter der Wollindustrie mit Handwebstühlen. Auch hier wurde das begehrte reinwollene Adenauer Tuch gewebt, außerdem Unterrocktuche für Frauen, besonders aber rote Wolldecken mit weißen Streifen, weiße Wolldecken mit roten Streifen und Steppdeckeneinlagen. Im Monat konnten in den besten Jahren vor dem ersten Weltkriege 25 Stücke Tuch — 1 Stück = 22 m — hergestellt werden. Abnehmer war in der Hauptsache die ländliche Bevölkerung der Eifel, des Westerwaldes, der Mosel, vor allem die der Kreise Prüm, Daun und Eupen=Malmedy. Die Märkte wurden fleißig besucht.

Adenauer Wollwerke
2 Fotos: Kreisarchiv

Im Frühjahr fuhr man per Achse für mehrere Wochen hinaus aufs Land zum Handel. Mit gefülltem Geldbeutel kehrten die Fabrikanten zufrieden heim, um nach einigen Tagen der Ruhe sich wieder zu einer neuen Fahrt zu richten. Nach dem zweiten Weltkriege ist es auch in der „Birnbachsmühle" still und stiller geworden, was zu bedauern ist. Was hat sie zum Erliegen gebracht? War es die Konkurrenz der modernen Betriebe, mangelnder Unternehmungsgeist oder Unstimmigkeiten in den Besitzverhältnissen? Die stolze Tradition des über 125 Jahre alten Adenauer Tuchgewerbes hat inzwischen ein neues, modernes Wollwerk übernommen. Hinter dem romantischen und geschichtlichen Ortsteil, dem „Buttermarkt", auf einem Wiesengelände, reiht sich ein stattlicher, grauer, massiver Bau ein, das „Adenauer Wollwerk". Das Werk soll nach dem Willen des zielstrebigen Gründers, Josef Lambert, der Eifler Bevölkerung Arbeit und Brot bringen und damit der Landflucht steuern. Der Besitzer war früher Direktor einer großen Textilfabrik am Niederrhein. Er ist ein echter Eifler Junge, dessen Mutter, eine geborene Thelen, und dessen Ahnen aus Herschbroich stammen. Diese echte Heimatverbundenheit und die verwandtschaftlichen Beziehungen, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen, veranlaßten den Unternehmer, aus den pulsierenden Betrieben des Industriegebietes in das ruhige Eifel= und Heimatland zurück, zukehren. Bei der Ansiedlung und Planung fand er im Stadt= und Amtsbürgermeister Baur einen guten Freund und Helfer. Es war das Jahr 1950, als am 2. Oktober der Grundstein auf dem Wiesengelände des Gastwirtes Matthias Nett gelegt wurde. Nach einjähriger Bauzeit der dreigliedrigen geräumigen Halle und dem Einbau einer modernen Innenausstattung mit einer stattlichen Anzahl mechanischer Web=Stühle und automatischer Zwirnerei und Spulerei konnte der sinnvoll geordnete Betrieb Ende 1951 anlaufen. Inzwischen sind zehn Jahre verflossen. Während dieser Zeit hat sich der Betrieb modernisiert und rationalisiert. Mit einer Handvoll Fachkräften wurde begonnen, und heute läuft die Fabrik mit einer Belegschaft von 150 Mann bei gleichbleibender Kapazität auf vollen Touren.

Die Rohstoffe aus dem In= und Ausland werden zu Oberbekleidung für Damen und Herren verarbeitet. Das Produktionsprogramm umfaßt weiter die Verarbeitung von Kamm= und Streichgarn für den zivilen und technischen Sektor und Tuche für das Militär.

In den einzelnen Arbeitsgängen: Spulen Zwirnen und Weben werden hier gute Qualitäten hergestellt, die dem geschätzten früheren „Adenauer Tuch" einen neuen, guten Namen verschaffen. Doch bevor die Tuche das Werk verlassen, werden sie durch eine genaue Prüfung auf etwaige Fehler im Gewebe untersucht. Viele junge Stopferinnen, die mit geübtem Blick jeden fehlenden oder verkehrten Faden erkennen, beseitigen mit geschickter Hand die Mängel. Auch auswärtige Stopferinnen, die nur stundenweise im landwirtschaftlichen Betrieb entbehrlich sind, finden als Heimstopferin lohnende Beschäftigung. Man hat in Schuld an der Ahr versuchsweise mit der Heimarbeit begonnen und gute Erfahrungen gesammelt. Es wird in zwei Schichten gearbeitet. Wenn die erste Schicht um 15.00 Uhr beendet ist, kann die Bauernjugend in der Landwirtschaft des Vaters sich noch nützlich beschäftigen. Und wer von 15.00 bis 24.00 Uhr arbeitet, kann am Vormittag zu Hause behilflich sein, zumal die Entfernung zur Fabrik bei der Motorisierung weniger ins Gewicht fällt. Für die Arbeiter der weiter entfernten Dörfer müßten für die Zukunft günstige Buslinien eingerichtet werden, mit denen der Unternehmer für seine weitschauenden Pläne schon jetzt rechnet. So kommt unsere Industrie dem arbeitswilligen und arbeitsfreudigen Eifler Volk entgegen und trägt dazu bei, den wirtschaftlichen Wohlstand zu heben und die bäuerliche Landflucht zu stoppen. Neben den mechanischen Webstühlen in den Fabriken und Wollwerken wollen wir aber nicht den kleinen Kreis derjenigen Liebhaber vergessen, die heute noch im trauten häuslichen Winkel ihrer stillen Arbeit am Webrahmen nachgeht. Schöne Decken, geschmackvolle Sofakissen, bunte Mützchen und viele andere nette Sachen sind der Preis ihrer emsigen und nützlichen Beschäftigung.