Was uns die Dernauer „Schöffenkiste" und das Dernauer „Morgenbuch" berichten

von Jakob Rausch

Der berühmte Weinort „Dernau" wird urkundlich zuerst 1112 erwähnt; die Besiedlung dieses fruchtbaren Tales fand aber viel früher statt. So beweisen uns Funde aus der Römerzeit (römische Münzen, Mauerreste und römische Wasserleitungen), daß die Römer dieses sonnige Tal bewohnten, woran auch der Weinbergsname „Am Römerkastell" erinnert. Auch die Franken siedelten nach Vertreibung der Römer in diesem Tale, was uns schon der Name „Dernau" beweist. In der Urkunde von 1122 wird der Ort „Dagernowa" genannt; d. h. An des Dagharin (Dagheri, Dagher). Dieser fränkische Personenname bedeutet so viel wie „Herr des Tages", auch „Kämpfer des Tages". Dieser edle und mächtige Franke Dagharin besaß hier einen Gutshof und gab der fränkischen Bauernsiedlung den Namen „Dagernnowa".

In einer Urkunde von 1210. heißt der Ort schon verkürzt Dernova, woraus Dernau entstand.

Der Ort Dernau hat während des ganzen Mittelalters mit Mayschoß, Laach, Rech und dem westlichen Teil von Marienthal stets zur Herrschaft Saffenburg gehört. Im 15. Jahrhundert kam die Herrschaft Saffenburg vorübergehend durch Heirat und Vererbung an die Grafen von Sayn, von Sponheim und an die Schwanenritter von Kleve. Im Jahre 1552 heiratete der damalige Herr Johann von Saffenburg die Erbin Katharina von Neuenahr, so daß nun die beiden Grafschaften Saffenburg und Neuenahr vereinigt wurden. Dieses Geschlecht erlosch schon 1419 im Mannesstamm. Die Erbin, Gräfin Katharina von Saffenburg-Neuenahr, heiratete den  Junggrafen Philipp von Virneburg; dadurch wurden die Grafen von Virneburg-Saffenburg von 1419—1545 Landesherren von Dernau. Nach Aussterben dieses Geschlechtes (1545) wurden die Grafen von Manderscheid=Schleiden Besitzer des Saffenburger Ländchens. 1543 heiratete der Graf Philipp von der Mark die Erbin dieser Herrschaft. An die Grafen von der Mark erinnert das schöne Marmordenkmal der Gräfin Katharina von der Mark (+ 1646), Herrin der Saffenburg, in der Pfarrkirche zu Mayschoß. Die Erbtochter des letzten Grafen Ludwig Engelbert von der Mark heiratete 1749 den Herzog Karl Maria Raimond von Arenberg. Nach dem Tode des Grafen Ludwig Engelbert von Saffenburg fielen im Jahre 1773 Schleiden und Saffenburg mit Dernau an das Herzogtum von Arenberg. Beim Einmarsch der Franzosen 1794 verloren die Arenberger Herzöge die Landeshoheit. Durch die französische Neuordnung kam die Gemeinde Dernau zur Mairie Mayschoß, zum Kanton Ahrweiler, zum Arondissement Bonn und zum Departement Rhein und Mosel. In der Preußenzeit (1815—1945) gehörte Dernau zum Amt Altenahr, Kreis Ahrweiler, Regierungsbezirk Koblenz, zur Rheinprovinz, zum Staate Preußen. Anstelle von Preußen trat 1946 Rheinland-Pfalz. Auch in kirchlicher Hinsicht hat Dernau eine interessante Geschichte. Die Heimatforscher Jörres und Wirtz vertreten die Ansicht, daß die Siedlungen auf den Höhen die ersten Pfarrkirchen hatten; daher war Dernau der Pfarrei Holzweiler, Ahrweiler, Karweiler und Adenau Reifferscheid eingepfarrt. Aber schon um das Jahr 1000 hat Dernau seine eigene Pfarrkirche. Das Marienstift Rees (Niederhein), das Weinberge und Zehnten in Dernau besaß, betrachtete sich als Kirchenherr von Dernau, was ihm 1119 von Papst Hadrian feierlich bestätigt wurde. Im Jahre 1205 wurde, die Dernauer Pfarrkirche förmlich r dem Reeser Stift inkorporiert. Um 1248 . aber beanspruchte Hermann von Saffenburg als Stiftsherr von St. Gereon in Köln die Kirchenrechte für sein Stift. Dieser reit wurde so geschlichtet, daß die Pfarrkirche von Dernau dem Stifte Rees auch weiter gehörte, daß aber Hermann von Saffenburg auch als Stiftsherr in Rees an= erkannt werden sollte. So ernannte auch fernerhin das Stift Rees aus der Reihe seiner Kanoniker den Pastor von Dernau. Dieser Stiftsherr und Pastor von Dernau ließ aber häufig die Seelsorge durch einen Vikar ausüben.

Im Jahre 1448 gingen alle kirchlichen Güter und Rechte vom Stift Rees auf das benachbarte Augustinerinnenkloster Marienthal über, das nun über 350 Jahre Kirchenherr von Dernau war. Aber noch im Jahre 1760 versucht der Abt von Rees vergebens, die Pfarrei wieder dem Stift Rees einzuverleiben.

Dernau ist die älteste und bis ins Mittelalter die einzige Pfarrei in der Herrschaft Saffenburg. Mayschoß hatte nur eine Vikarie, die erst 1537 aus dem Pfarrverband von Dernau entlassen und selbständige Pfarrei wurde. Als Zeichen ehemaliger Abhängigkeit mußte die Pfarrei Mayschoß an den vier Festtagen des Jahres dem Pastor von Dernau geringe Abgaben entrichten.

Rech blieb aber auch weiterhin eine Filiale von Dernau. Erst 1798 erhielt Rech durch reiche Stiftungen der Geschwister Ley und des Herzogs von Arenberg den Beneficiaten Johann Mayer, der aber erst 1801 hier selbständiger Pfarrer wurde. Leider fand der erste Pfarrer von Rech beim Hochwasser 1804 einen tragischen Tod (vgl. Jahrbuch 1961).

Die Schöffenkiste von Dernau gibt in ihren Lagerbüchern genauen Bericht über die Be= Sitzverhältnisse. Der Wald war durchweg im Besitz des Landesherren und der Hausleute von Dernau. Die Äcker und Wiesen waren Privatbesitz der Winzer und Bauern. Auch der größte Teil der Weinberge war im privaten Besitz der Hausleute. So entnehmen wir aus der Schöffenkiste des Jahres 1691, daß nur etwa ein Sechstel der Weinberge in den Händen des Adels, der Klöster und der Kirche waren. Das Verzeichnis der Grundherren und ihres Besitzes ergibt nachstehende Übersicht:

Die Aufstellung lehrt uns: Im Jahre 1691 hatten neun Klöster und zehn Adelsfamilien Weinbergsbesitz in Dernau. Insgesamt betrug dieser Besitz 38 Morgen, während die Dernauer Winzer 240 Morgen im Eigenbesitz hatten. Auch die 38 Morgen Kloster- und Adelsbesitz wurde von den Dernauer Winzern für den halben Ertrag (Halbscheid) bebaut. In der Tabelle ist der Ohm-Ertrag ( 1 Ohm = 160 Liter) vom Jahre 1691 angegeben. So brachte der Marienstatter Hof mit fast 7 Morgen 16 Ohm Wein ein, wovon also den Dernauer Winzern 8 Ohm verblieben. Sie lieferten aber auch nicht den Wein ab, sondern entrichteten die Naturalabgabe meist durch Geld. Die Dernauer Schöffen setzten den Weinpreis fest. Dieser betrug 1695 8 Taler pro Ohm. Also mußten die Winzer, die die Marienstatter Klosterweinberge bebauten, 8X8 Reichstaler = 64 Reichstaler dem Kloster entrichten. Auch der Ertrag wurde jährlich von den Schöffen „geschatzet" (festgestellt). So lesen wir, daß 1691 die 7 Morgen des Marienstatter Hofes 16 Ohm, die zwei des Schweinheimer Klosterhofes 14 Ohm ergaben. Der Reichstaler wird mit 80 Albus angegeben, also war ein Albus ein achtzigstel Reichstaler, obwohl er zuerst ein vierundzwanzigstel und zuletzt nur ein zweihundertstel Reichstaler betrug, so daß der Albuswert von zehn auf zwei Pfg. sank. Die zwei letzten Spalten der Schöffenkiste enthalten die Kriegskontributionen, die diese Höfe entrichten mußten. Im Jahre 1695 war diese Zahlung wegen des dritten französischen Raubkrieges notwendig, in dem Ahrweiler am 1. Mai 1689 bis auf zehn Häuser eingeäschert wurde. Dernau mußte 800 Reichstaler Kriegskosten zahlen. So entfielen auf einen Morgen zwei Reichstaler zwei Albus. Es zahlten die Klöster= und Herrenhöfe 38 mal 2 Tlr. und 2 Albus gleich ungefähr 76 Rtl., so daß die Dernauer Bewohner noch 724 Taler Kriegskosten zahlen mußten.

Die letzte Spalte weist die französischen Kriegssteuern aus dem Jahre 1704 aus, also aus dem spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1714), in dem die Franzosen in den vier ersten Kriegsjahren das Ahrtal besetzt hielten. Hier betrug aber die Umlage nur 44 Albus pro Morgen, also nur etwa einen halben Reichstaler.

Das Güterverzeichnis von 1691 unterschrieben der Vogt Georg Vicarius und die Schöffen Hubert Hambach, Clemens Marner, Thönnes Becker, Johann Rössel, Johannes Josten und Jakob Pützfeit. Da diese Familiennamen durchweg noch heute in Dernau und Umgebung zu finden sind, so ersehen wir daraus, daß es sich bei diesen Familien um starke, gesunde, mit der Heimat verwurzelte Generationen handelt.

Auch lehren uns die Güterverzeichnisse der Schöffenkiste, daß die Dernauer durchweg freie Grundbesitzer waren und nur ein Sechstel der Weinbergsfläche in den Händen des Adels und der Kirche war. Die Dernauer Schöffen waren in Wirt» Schaftssachen und in der niederen Gerichtsbarkeit selbständig; nur die höhere Gerichtsbarkeit übte der Saffenburger Vogt und Schultheiß im Namen des Landesherrn aus.

Aus der Franzosenzeit (1794—1814) stammt das Dernauer „Morgenbuch" aus dem Jahre 1813! Es ist ein in Schweinsleder gebundener Folienband (50 mal 32 mal 12 cm) mit 400 Seiten, von denen 252 beschrieben sind.

Dieses „Morgenbuch" ist ein Grundstücks» nach weis, aus dem sich die Morgenzahl eines jeden Besitzers feststellen läßt. Der Berechnungsschlüssel gibt an: „Ein Morgen = 4 Viertel, ein Viertel sind = 4 Finten, ein Morgen sind = 16 Finten (— 32 ar), 1 Finte sind = 9 Ruthen und 6 Fuß, i Ruthe = 16 Fuß, 150 Fuß = 1 Finte, 150 Ruthen = 1 Morgen."

Foto: Görtz
Eichentruhe 15. Jahrhundert - Ahrgaumuseum Ahrweiler

Foto: Görtz
 Titelblatt des Dernauer Morgenbuches

Der alte rheinische Morgen zählte in Dernau 32 a, an anderen Orten war der Morgen noch größer (bis 38 a).

Die französische Verwaltung ließ dieses Morgenbuch anlegen, um nach diesen Angaben die Grundsteuer zu berechnen.

Bei der Taxierung wurde eine Ruthe in einer guten Weinbergslage und 1 1/2 Ruthen in einer schlechten Lage gleichgesetzt und mit je einem Taler bewertet.

Auch Äcker, Gärten und Wiesen wurden nach einer Ruthe Weinberg aus guter Lage taxiert.

So wurden 1 1/2 Ruthen = 1. Klasse, 4 1/2 Ruthen = 2. Klasse u. 6 Ruthen = 3. Klasse wie eine Weinbergrute guter Lage mit einem Taler geschätzt.

Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit und die Bauernbefreiung entrechteten den Adel und die Kirche nicht vollständig. Wohl wurden die Klöster aufgehoben und das Klostergut als Staatseigentum verkauft. Die Pfarrkirche aber behielt auch in der Franzosenzeit ihren Grundbesitz, mancherorts auch bis auf den heutigen Tag. Der Adel mußte wohl den bislang erbuntertänigen Bauern Grund und Boden als freies Gut überlassen; aber die adeligen Güter, die der Adel mit seinem Hofgesinde selber bebaute, blieben ihm erhalten. Auch die Weinberge, die der Adel den Halbgewinnern überlassen hatte, galten als rechtmäßiges Gut des Adels; jedoch mußte der Adel auf seine anderen Vorrechte, auch auf den Adelstitel, verzichten und sich als „Bürger" bezeichnen. So erklärt es sich, daß wir auf den ersten Seiten des Dernauer Morgenbuches noch Adelsbesitz aufgezeichnet finden, so die Gräfin Lamark, die mit dem ehemals „Weißen Hof" mit der Burg und 12 Morgen Land ausgewiesen wird. Sie besitzt auch 1 2/3 Morgen von dem ehemaligen Hof der Dürener Jesuiten. Die Herren von Gymnich besitzen 14 Morgen des „Fischeler Hofes". Die Freifrau von Ketterinck ist Besitzerin des „Ziffeler Hofes" (12 Morgen). Der „Bauliger Hof" besitzt noch 9 Morgen. Monsier Nellesen (Bissenauer) hat 3 Morgen.

Das Kirchengut umfaßt:

1. Das Beneficium zu Ehren des hl. Sebastianus u. des hl. Quirin 6 1/3 Morgen,

2. Vikarie vom hl. Sylvester 8 1/2 Morgen,

3. Vikarie der hl. Jungfrau Maria 8 1/2 Morgen,

4. die Pastoralgüter 5 Morgen,

also insgesamt über 20 Morgen, die aus Weinbergen, auch aus Feld und Wiesen bestanden.

Die Dernauer Schule besaß im Jahre 1813

5 Ruthen Weinberg, 1 Finte Wiese und 4 Finten Ackerland.

Von Seite 6 bis Seite 182 folgen die Namen der 186 „Nachbarn", d. h. der Dernauer Dorfbewohner mit ihrem jeweiligen Grundbesitz.

Dernau an der Ahr
Foto: H. Esch

Von Seite 183 bis 252 werden jene Personen von benachbarten Dörfern aufgezählt, die in der Gemarkung Dernau Grundbesitz hatten. Zu diesen gehören 16 Einwohner von Rech, 5 von Marienthal, je 3 von Ahrweiler und Altenburg und je 1 Einwohner von Beller, Mayschoß, Oberesch, Lissendorf, Köln und Walporzheim.

Das Morgenbuch von 1815 zeigt, wie zersplittert und zerstreut der Besitz war. Wenn drei Morgen sich auf 90 Parzellen verteilten, so war die Durchschnittsgröße eines Grundstückes über 1/2 Finte = über 1 a = über 100 qm. Wenn auch die Realteilung durch den „code civile" rechtlich begründet wurde, so beweist doch die Schöffenkiste, daß die Realteilung auch schon vor der Franzosenzeit hierselbst bestand, die den Splitter- und Streubesitz im Gefolge hatte.

Das Morgenbuch legt klar dar, daß die meisten Bewohner weniger als 2 Morgen Grundbesitz (Weinberg, Wiese, Garten und Feld) besaßen. Josef Marner besaß mit 126 Parzellen 4 Morgen, Christian Creutzberg, Joseph Leyendecker, Reinhold Nietgen zählten jeder mit etwa 90 Parzellen 3 Morgen.

Über 2 Morgen besaßen noch: Sebastian Bertram, Mich. Creutzberg, Heinrich 5todden, Hubert Latsch und Wwe. Joh. Jakob Schreiner.

Wie verdienten die Dernauer durchweg ihren Lebensunterhalt?

1. Sie betrieben einen intensiven Wein- und Ackerbau, wobei Fleiß und Sparsamkeit sie auszeichneten.

2. Die Allmende an Wald und Weide gab ihnen Holz für den Hausbedarf und Nahrung für ihr Vieh. Kuh und Schwein halfen die Ernährung sichern. „Eine Kuh deckt jede Armut zu."

3. Sie arbeiteten ferner im Tagelohn im Walde, in Ahrweiler Weinbergen und bei den Großgrundbesitzern in Vettelhofen.

So beweist uns die Geschichte Dernaus, daß es der erste Ort des Saffenburger Ländchens war und im Weinbau eine führende Stellung hatte. Heute bebauen rund zweihundert Winzer noch vierhundert Morgen Weinberge in der Dernauer Gemarkung. Jede Weinbergslage hat einen guten Klang. Am hellsten aber klingt der Hardtberger.

Das Verwurzeltsein mit der Scholle, verbunden mit einem zähen Fleiß, läßt den Dernauer Winzer nicht nur seine Weinberge in Dernau mustergültig bebauen, sein rühriger Fleiß treibt ihn auch ahrabwärts über Ahrweiler nach Bad Neuenahr. Wahrlich, viele Weinberge in der Gemarkung Bad Neuenahr würden brach liegen, wenn nicht Dernauer Winzer sie noch heute bebauten!

Früher bebauten sie diese Weinberge im Tagelohn; heute sind sie Pächter und teilweise sogar Besitzer dieser Weinberge.

„SICH REGEN BRINGT SEGEN!"

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