Glocken der Heimat

VON WILHELM KNIPPLER

Woher kommt der lange, tiefe Nachhall in uns, von dem wir annehmen dürfen, daß er auch noch in fernen Jahren die Gemüter nachkommender Generationen ergreifen wird?

Was hat sich nicht alles grundlegend geändert in den letzten Jahrzehnten? Landschaftsbilder wurden umgeformt, Eisenbahnschienen und Autostraßen schnitten scharfe Runen in unsere Umwelt, Fabrikschornsteine und Hochhäuser wetteiferten um die höchste Höhe, die Silhouetten unserer Städte und Dörfer wurden neu gezeichnet, Dunstschleier verhüllten die Dächer unserer Häuser, und der Lärm der Arbeit stirbt erst spät in der Nacht. Eins aber ist geblieben wie ehedem: der Kirchturm, in ihm die Glocke, ihr Klang und ihr Echo im Menschen.

Dabei sind die Glocken schon uralt. Bereits die Assyrer im neunten Jahrhundert vor Christus kannten den Glockenguß aus Kupfer und Zinn. Alle Merkmale des Fortschritts, die Industrialisierung, moderne Fabrikationsmethoden und Laboratoriumsforschungen, Tücken des Geschmackswandels und Launen der Mode, sie alle haben an der Art oder der Herstellung der Glocken nichts ändern können. Es gibt wohl kein anderes Kunsthandwerk, das sich über die Jahrtausende so unverändert erhalten hat, Die Glocke hat das Einmalige, ihren Persönlichkeitswert, ihre Individualität bewahrt. Sie wird niemals in Massenproduktion, Fließbandarbeit oder im Lochkartensystem untergehn. Sie verlangt noch nicht einmal nach dem heute sonst überall unumgänglich notwendigen Kundendienst, denn der Beruf des Glockengießers arbeitet für Jahrhunderte, nicht mit nur einjähriger Garantie!

Wie schmerzlich war es für jeden von uns, der da hörte vom Glockensterben im letzten Krieg. Aus den deutschen Kirchen wurden 75 000 Glocken geholt. Von diesen überlebten nur 13 ooo den Zusammenbruch 1945. Umso freudiger nahmen alle Menschen Anteil an jedem neuen Glockenguß der Nachkriegszeit. Wenige Ereignisse im Heimatleben finden ein so nachhaltiges Echo wie der erste Klang, den eine neue Glocke aus ihrer Glockenstube hinausschickt.

Die älteste Glocke im Kreise Ahrweiler

Zugegeben, die Romantik des Glockenläutens ist vorbei. Einstmals waren 28 starke Männer notwendig zum Läuten der alten Kaiserglocke des Kölner Doms. Aber das Geheimnisvolle der Glockenstube ist geblieben, das Zwielicht, die Patina des Staubes, die Welt der Spinnen, der Eulen und der Fledermäuse. Und geblieben ist die Macht des Glockenrufes.

Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um museale Gegenstände, die hinter Glas sorglich aufbewahrt werden, damit sie nicht verderben. Wir sprechen von höchst lebendigen Wesen, die Tag für Tag ihren Dienst tun, mahnen, rufen, klagen und jubeln, und das zu einem großen Teil bereits seit Hunderten von Jahren.

In 48 Orten unseres Kreises klingen heute noch 78 Glocken, die bis zum Dreißigjährigen Krieg gegossen worden sind.

Die wahrscheinlich älteste Glocke nicht nur des Kreises, sondern unseres Bistums, klingt in Sinzig und läutet dort seit dem Jahre 1290. Sie hat ein Dienstalter von 664 Jahren!

Drei alte Geläute mit je vier alten Glocken besitzen Sinzig, Altenahr und Hönningen. Zwei uralte Geläute fielen leider den unerbittlichen Bränden des Mittelalters zum Opfer. Vier alte Glocken von Remagen schmolzen beim Brand von 1633, acht alte Glocken von Ahrweiler verglühten 1689 bei der Brandschatzung.

Sieben Geläute mit je drei ehrwürdigen Glokken finden wir in Kirchsahr, Vischel, Dernau, Bengen, Dümpelfeld, Adenau und Holzweiler. Neunzehn Glocken des Kreises Ahrweiler hingen schon vor dem Jahre 1400 auf ihrem heutigen Glockenstuhl.

Am stärksten vertreten ist das 15. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen allein 34 der heutigen Glocken.

Fünf Geläute erklingen hier, von denen jedes ein Gesamtalter seiner Glocken von über zweitausend' Jahren aufweisen kann.

Die 78 Glocken, die unten aufgeführt sind, gehören zu den ältesten Zeugen unserer Vergangenheit. An ihrer Echtheit und Unverfälschtheit ist nicht zu zweifeln. Eine Zahl oder ein Buchstabe könnte wohl von ihnen entfernt, aber kein Strich hinzugefügt werden. Sie überzeugen allein schon durch ihre Existenz.

Seien wir stolz auf diesen herrlichen Besitz, der in uns trotz' der Unruhe unserer Tage unüberhörbar den Heimatbegriff akustisch formte! Freuen wir uns dieser treuen Weggenossen, die „unseres Lebens wechselvolles Spiel mit ihrem Schwunge begleiten!

Alte Glocken im Ahrkreis:

Sinzig 1299,1402,1433,1462 Müsch 1449
Vischel 12. Jh., 1250, 14. Jh. Lorsdorf 1452
Kirchsahr 13. Jh., 1358, 14. Jh. Franken 1456
Niederesch 13. Jh., 1524 Lantershofen 1458
Reifferscheid um 1300 Dümpelfeld 1467,1513,1532
Altenahr ca. 1320,1333,1461,1473 Schuld 1472,1478
Niederzissen 1337,1462 Överich 1472
Westum 1377,1462 Adenau 1481,1523,1624
Dernau 1385,1564,1564 Rodder 1481
Beul 1391 Aremberg 1483
Unkelbach 14. Jh. Gimmigen 1484
Blasweiler 1400 Lind 1494,1524
Wiesemscheid 1400 Lind 1494,1524
Pomster 1400,1422 Dedenbach um 1500
Niederbreisig 1409 Holzweiler 1504,1578,1578
Nohn 1410 Karweiler 1511
Leimersdorf 1413 Eckendorf 1531
Barweiler 1416 Ringen 1561
Kaltenborn 1419,1420 Wershofen 1563
Kreuzberg 1420 Gelsdorf 1582
Bengen 1427,1488,1578 Ödingen 1612
Hönningen 1435,1435,1451,1485 Oberzissen 1613
Kesseling 1444 Heimersheim 1613
Mayschoß 1447 Krälingen 1624