Der Vinxtbach als Sprachgrenze

VON FRANZ SCHOLZ

„Kukemado, Mutte! Do setz de Oehm Döres on raach jemödlich sei Peif. Da wollt ons doch of dem Bahnhoff avholle. Su ne Kneules!" So spricht ein Andernacher Knirps zu seiner Mutter, der mit ihr zum Besuch seines Onkels Theodor nach Bonn gekommen ist. Statt Kukemado sagen die dortigen Bewohner auch wohl Kumahei. Und die Leute weiter nördlich an der Ahr und in der Bonner Gegend? Sie reden: „Lurens! Do setz de Ohm Thei on rooch sing Pief! Da wollt ons doch am Bahnhoff avholle. Su ne Knüles!" Die Grenze zwischen diesen beiden Mundarten, dem Nieder- und dem Mosel-fränkischen, bildet schon seit vielen, vielen Jahrhunderten der Vinxtbach, ein ziemlich unbedeutendes Eifelwasser, das nach etwa 16 Kilometern unmittelbar oberhalb Niederbreisigs am Fuße der Burg Rheineck in den Rhein mündet. Erst zur Römerzeit erhielt er die Bezeichnung Finis-Bach, d. h. Grenzbach. Die vorher dort ansässigen Kelten hatten ihn Abrinca genannt. Hier stieß zu Cäsars Zeit der keltisch-germanische Stamm der Treverer (Trierer) von Süden her mit den nordwärts angesiedelten rein germanischen Ubiern zusammen. Beide redeten eine ganz andere Mundart, so daß man mit Recht von einer Sprachscheide sprechen konnte; sie wirkte dermaßen auffällig, daß unter Kaiser Domitian hierselbst die Grenze zwischen den römischen Provinzen Ober- und Niedergermanien festgesetzt wurde (90 n. Chr. Geburt). Das freie Germanien lag auf der rechten Rheinseite, das von den römischen Eroberern besetzte linksrheinische Grenzland zog sich als provincia

Bad Niederbreisig
Foto; Aero-Foto A. Schwarzer

Germania von den Alpen bis zur Nordsee. Am Ausgang des übrigens recht anheimelnden und landschaftlich einprägsamen Vinxtbachtales lag eine Schenke, eine caupa, mit dem Wirtshausschild ad Fines, zu den Grenzgottheiten. Einen römischen Votivstein, diesen Gottheiten der Grenze geweiht, hat man vor Jahren an Ort und Stelle gefunden. Er ist heute im Landesmuseum in Bonn zu sehen. "Wie kann aber aus einem Finisbach ein Vinxtbach werden? Ungelehrte Steinmetzen haben öfter F und V vertauscht. Man denke auch nur an die verschiedene Schreibweise von Genovefa! Aus ad Sanctos, zu den Heiligen (ergänze Märtyrern) ist Xanten geworden. Geschichtlich interessant ist nun der Umstand, daß wir nach der Völkerwanderung eben diesen Vinxtbach als Grenze der salischen Franken und der Moselfranken wiederfinden. Und auch heute noch spricht man diesseits des Vinxtbaches den kölschen Dialekt, jenseits die Koblenzer Mundart, die wir an der ganzen Mosel bis in die Trierer Gegend wiederfinden. Hierfür mögen einige Beispiele dienen, die man beliebig vermehren könnte.

„Bat michs dau?" fragt der Moselfranke, hingegen der Bonner: „Wat mühste?" Überhaupt setzt jener gerne ein B für ein W, spricht also von bo und bie, statt wo und wie. Auch verwechselt er beständig holen und nehmen. Er geht in die Apotheke, um sich seine Arznei abzunehmen und dann. einzuholen. „Jivv mir ebbes!" spricht dort das Schwesterchen zum Bruder, während die Kinder an der Ahr bitten: „Jäw mer jet!" Natürlich weisen die Mundarten im Moselgebiet genau wie in der Ahrgegend unter sich wieder kleinere Verschiedenheiten auf. Die spielen jedoch im Vergleich zu den markanten Verschiedenheiten von diesseits und jenseits des Vinxtbaches keine Rolle. „Onse Kaffepott hat an der Schnuut neu Blötsch!", ein Satz, den man kaum in ein ansprechendes Hochdeutsch bringen kann. Das gleiche gilt von dem moselfränkischen „Öse Kaffepott hat an der Zuut en Beus". Zur Sommerzeit klagt ein Remagener Panz: „Op minge Botteramm setze zwei Fleeje", doch nc Annenache Ditz jammert: „Ov mingem Stock setze zwa Möcke." Der Vinxtbach bildete früher auch die Schwarzbrotgrenze, d. h., südlich von ihm kannte man dieses nahrhafte Vollkornbrot nicht, sondern nur das Eifeler Graubrot.

In den letzten Jahrzehnten hat sich eine leichte Verschmelzung angebahnt, zunächst noch weniger bemerkbar. Sie ist durch die „Überfremdung'' hervorgerufen worden, d. h. durch den Zuzug vieler Fremden aus der nördlichen Rheinprovinz, Ob es den Einheimischen gelingt, ihre alte Mundart rein zu erhalten?

Nachtrag:

Mit Recht wird der Vinxtbach als ein Grenzfluß bezeichnet. Mit der anschließenden Eifelbarriere war er nicht nur Grenze zwischen Ober- und Niedergermanien, zwischen Mosel- und Niederfranken, sondern auch zwischen Mayen und Ahrgau, zwischen Ober- und Niederlothringen, zwischen Kurtrier und Kurköln und Kreis Mayen und Ahrweiler. Jedoch wollen wir auch die Ansicht von Dr. Mürkens in seiner wertvollen Schrift „Die Ortsnamen des Kreises Abrweiler" darlegen. Er nimmt an, daß die Kelten, bei denen der Vinxtbach keine Grenze bildete, dem Bach den Namen gaben.

Der ursprüngliche Name hieß Vinzenna, d. h. die Ausbiegende, die Gekrümmte. Aus Vincenna wurde Vincena, Vinza, Vinsa, Vinz, Vins und durch Nasalierung und Anhängung von t Vingst, Vinxt, so wie wir diese Formen auch im rechtsrheinischen Orte Vingst bei Köln nachweisen können.