Lebenslinien der Stadt Adenau

VON DR. PETER BLUM

Berge und Wald grüßen und begleiten rund um die Stadt Adenau jeden Besucher. Darüber ziehen die wechselvollen Eifelwolken ihre Bahn der Tage und der Jahre. Sonne und Wind, Regen und Schnee wetteifern und steigern sich bis zum Gewitter. Der Bach muß sich zuweilen verstecken, Blumen und Sträucher umsäumen die oft steilen Wege der Menschen in diesem seltsamen Tal sowie auf den Höhen.

Zu dein Geheimnis der Landschaft, in deren Rahmen sich die Häuser schichten, hat vielleicht noch das Getier von Wald und Feld am ehesten Zutritt.

Trotzdem hält diese hohe Eifel in ihrer kühnen Gemeinschaft von Bergwald und Rennstrecke, von Burgruine und Wegkreuzen immer noch das Erstaunen bereit für jeden, der etwas verweilen will.

Wir finden, falls wir Glück haben, hie und da in der Stadt und auf den Dörfern noch einen bedächtigen Erzähler von den Geschehnissen und Rätseln früherer Zeiten.

Außer den gedruckten Sagen: vom Nürburger Schild und von den glühenden Kohlen sowie neben den Heimatschriften, bietet sieh die heutige Welt unsrer Lichtbilder an, vor allem auch eigene.

Adenau
Foto: H. Esch

Ist die Kiefer, die sich an der Hohen Acht zur Erde duckt, nicht wie ein Verhau, der hier die Grenze weist für alles menschliche Streben über die örtliche Kargheit hinaus?

Können wir unsern Vorfahren nachleben und so demütig bleiben, aber auch so gläubig, wie sie es uns sagen, etwa in der Dreiheit der Kapellen eines Dörfchens wie Gilgenbach? Zu oberst die prächtige Himmelskönigin, um die sich der neue kleine Tempel wölbt; im schmalen Tal die Filialkirche aus dem 18. Jahrhundert; zu unterst aber die verhärmte Schmerzensmutter mit dem Pestheiligen Rochus und dessen Hund? In einem entlegenen Winkel, wie in Rodder, wird jetzt noch der angelobte Rosenkranz aus der Pestzeit gebetet, und Nürburg hat seinen Schmerzensmann, einen Pest-Christus, vor dem allerdings die Kinder schauderten.

Die Bewohner von Adenau hatten in ihrem großen Gemeindebann trotzdem von je her wenig geeigneten Raum, um ihr Brot alle selbst zu ziehen. Aber zum Wohnen ist es gut da, dreihundert Meter tiefer als die steilen Basaltkuppen. Nun mußten durch dieses Tal und über diese Hochflächen die Menschen gehen, pilgern, reiten oder fahren, die von Köln nach Trier wollten oder quer dazu. Vor oder nach dem Anstieg, bei Nacht oder Unwetter, gegen jedes Ungemach bedurften Mann und Roß und Fahrzeuge der Bleibe zu Rast und Pflege an diesem Weg, den die Forscher schon für die Eisenzeit nachweisen. Dafür mußten in Adenau Fachleute seßhaft sein, selbst wenn es keine Bauern wären, sondern ihr Brot kaufen oder tauschen mußten.

Den "unsterblichen" Tausch vermochten sie zu leisten: mit ihrem Handwerk und Gewerbe, mit den Schafen ihrer Steilhänge und der Wolle sowie dem Tuch davon, mit den schmackhaften Schweineschinken aus der Eichelmast der endlosen Wälder, mit dem Schwamm und vor allem mit der Holzkohle aus dem armdicken Laubholz für die Erzverhüttung und die Eisenindustrie. Daran erinnert die „Kohlenstraße" und Familiennamen wie Coels, Koll. Der Fuhrmann Rollmann, Romens, Romes, ebenfalls Familiennamen, hauderte seine leichte Fracht in einem riesigen Korbwagen noch im 19. Jahrhundert von den runden "Kohlplätzen" der Köhler weit über Land zu den Eisenhütten.

Von der Holzkohle, dieser Vorläuferin der Steinkohle, her dürfen wir die Eifel in ihrem damaligen verhältnismäßigen Reichtum betrachten, der all die Burgen, Kirchen und Klöster baute. Lassen wir uns nicht verdrießen durch die Schmähreden der jüngsten hundert Jahre über die "arme" Eifel! Sie rühren aus dem Strukturturwandel durch die aufkommende Industrie. Da wanderte die blühende Eifeler Eisenindustrie ab zur Steinkohle an Ruhr, Saar und Wurm. Aber nicht alle ansässigen Mitarbeiter konnten sofort mitwandern. Viele zwar zogen nach, andere sogar übers Meer, als Auswanderer neben den Abwandernden nach dem „Niederland".

Ebensowenig wie am Rhein und in seinen Seitentälern konnte und kann der Boden allein seine zahlreichen Bewohner ernähren. Es muß Barverdienst aller Art dazukommen.

Infolgedessen verdienen Tausende aus der Gegend sich bis heute noch ihr Brot auswärts. Daher entstand als eine der neuen Lebenslinien die Zugverbindung von Adenau über Bonn und Köln nach Dortmund. Die Fortsetzung der Eisenbahn von Adenau nach Daun, wegen Wengerohr und Trier, ist 1914 vom Preußischen Landtag genehmigt, aber trotzdem nicht mehr gebaut worden; zum Schaden der ganzen Hocheifel. Die nach Jünkerath, zur alten Eisenindustrie, war noch gebaut worden, weil sie an den Truppenübungsplatz Elsenborn heranführte, 1863 aber die angebotene Verbindung von Koblenz nach Lüttich und Paris abgelehnt worden. Sie hätte sich mit der - jetzt überwundenen - „Erbfeindschaft" nicht vertragen.

Dagegen haben zwei neuzeitliche Maßnahmen für Adenau und seine Landschaft die unveräußerlichen Lebenslinien der alten Straßen kräftig in Teer nachgezogen: der Nürburgring und der beispielhafte Ausbau des ehemaligen Übungsplatzes Ahrbrück durch weitgewanderte Ermländer.

Nürburg und Nürburgring
 Foto: Aero-Foto A. Schwarzer

Dem nahen und überörtlichen Austausch im Land von Adenau dienen vorab die beiden Fernstraßen 257 Bonn-Trier und 258 Aachen-Koblenz. Sie kreuzen sich südlich von Adenau, genauer zwischen Quiddelbach und Müllenbach am sogenannten "Potsdamer Platz", wie wir ihn 1926 beim Bau des Nürburgrings launig getauft haben. Er bemüht sieh jetzt mit 32 Schildern um die "fahrbare" Kundschaft. - "Wer hat dich, du schöner Wald?" - Jedoch scheint es durchweg zu klappen, obwohl der Verkehr sieh fortgesetzt steigert. Die Bus-Linien der Neuzeit seien dabei nicht vergessen! Die Straßenbezeichnung „Eifel-Ardennen" ist mehr als ein Sinnbild. Der Bus-Abschnitt Kelberg-Daue schließt in etwa die alte Lücke im planmäßigen unmittelbaren Linienverkehr zwischen Adenau und Dann über Kelberg.

Allerdings hat der Strukturwandel 1932 den bisherigen Kreis Adenau, der seit 1816 bestand, zerschnitten zwischen Ahrweiler und Mayen, indem der Nürburgring und 14000 Einwohner des Kreises Adenau zu Ahrweiler kamen und 11000 zum Kreis Mayen. Jedoch ist damit die Nürburg für die Werbung vielleicht etwas näher an den Rhein gerückt.

Der Kreis Adenau hatte 107 meist kleine Gemeinden und 550 qkm Fläche.

Immerhin ist die Stadt Adenau die Drehscheibe geblieben für 42 Gemeinden mit rund 12000 Einwohnern auf 300000 ha. So ähnlich dürfen wir es auch schon von seinen Anfängen her sehen, als wirtschaftlich der Ackerbau allgemein an der Spitze stand.

Der wirtschaftliche Einzugsbereich von Adenau bildet, im Groben, ein Viereck zwischen den Dörfern Ohlenhard, Herschbach, Reimerath und Nohn. Diese Landschaft wird durchflossen von der oberen Ahr zwischen Hoffeld und Liers, dem Trierbach von Rothenbach bis Müsch und dem Adenauer Bach von Quiddelbach durch Adenau bis Dümpelfeld.

Die 3000 Einwohner beziehungsweise Beschäftigten von Adenau selbst verteilen sich mit 21%

auf Land- und Forstwirtschaft (drei Forstdienststellen in Adenau), 29% Industrie und Handwerk (Tuchmacherei, elektrotechnische Industrie und etwas Holzindustrie), Handel 17%, öffentliche Verwaltung 12%. Über ein Viertel der Einwohner mit ihren Familien sind Behördenbedienstete. Von der Raumordnung her betrachtet ist die Stadt Adenau fortentwickelt auf den Stand eines zentralen Ortes mittlerer Stufe mit folgender Normalausstattung: Progymnasium, Landwirtschaftsschule, Krankenhaus, Fachärzte, Fachgeschäfte, Theateraufführungen und wissenschaftliche Vorträge.

Adenau kann sein Brot sozusagen von draußen kommen lassen, wie es früher die tausend zünftigen Weber unter 140 Meistern besorgten und mit ihnen die beiden andern Zünfte des Leders und des Hammers.

Zwar sind sie nur mehr geschichtliche Erscheinungen, wie die großen Märkte, die Mönche der Malteser-Komturei und des Franziskanerklosters.

So ungefähr hinter der Bühne wird es aber allmählich kund, was für die Eifel und ihre Entwicklung und damit auch für Adenau wichtig ist und bleibt: das Gespenst des 19. Jahrhunderts für die Eifel: die strategische Bestimmung als Aufmarschgebiet für den Krieg gegen den Westen. Es ist jetzt verscheucht. Denn die Gefahr ist jetzt in und um die Eifel überall gleich groß. Nunmehr wird dieses Bergland mit dem Motor auch für das Großkapital wenigstens annähernd so interessant, wie es der Rhein und die Mosel schon lange waren.

Die erste urkundliche Beziehung zu diesem wichtigsten deutschen Strom dem Rhein, stammt vom Jahr 992 und befaßt sieh mit dem Bannforst zwischen Adenau und dem heutigen Bad Neuenahr.

Die Linie nach der entgegengesetzten Seite, zum Westen, ist bereits im Jahr 975 aufgezeichnet, indem sie zu den Pfarreien Üxheim und Reifferscheid den Zusammenhang von Adenau beurkundet.

Dieser Hinweis ins Kalkland enthält die alte Linie der wirtschaftlichen Verflechtung.

Beurkundet wurde ja nur, was irgendwie strittig oder gefährdet war. Ein wichtiger Nachweis sind die Boden- und Wirtschaftsformen. Aber selbst die Funde bei Ausgrabungen, die auch in Adenau bis in und vor die Römerzeit zurückreichen, brauchen nicht den tatsächlichen Anfang darzustellen.

Bemerkenswerte Fachwerkbauten vom Stadtteil Breidscheid und von Bodenbach stehen im Freilichtmuseum Kommern.

Für den Austausch jeder Art waren die Wege und Straßen unentbehrlich, und diese verlangten Sicherheit; sie brachten auch Einnahmen. Deswegen bot sieh über der Landstraße von Köln nach Trier, um den Schiffsweg und seine Abgaben zu umgehen, der nächste Berg an, um da die Nürburq als Festung zu errichten. Die Fliehburgen der älteren Zeit, vor allem der Barsberg bei Bongard, auch die Ahlburg bei Beinhausen, waren entwertet, seit hier in der Nähe durch den römischen Eroberer Caesar der Stamm der Eburonen blutig ausgerottet worden war.

Die Nürburg, neuerdings wieder freigelegt und ausgebessert, tritt mit Adenau fast gleichzeitig in die Geschichte des Mittelalters ein durch den Adel von Are-Nürburg. Auf der Festung behielt das kurköhlischc Amt seit 1276 seinen Sitz weiter, obwohl die Kreuzritter des Johanniterordens schon im Jahr 1162 ihre erste links

rheinische Komturei in Adenau errichteten, die späteren Malteser, deren Besitz rasch zunahm. Sie hatten die Pfarrei inne und sicherten den Wohlstand. Im Jahr 1690 stieg die kölnische Amtsverwaltung von der zerstörten Nürburg ebenfalls hinab nach Adenau. Ihrem trierischen Nachbarn vom Amt Daun unterstand das Gebiet westlich des Trierbaches bis Trierscheid. Jedoch gehörte selbst Daun wie Adenau mit dem Eifeldekanat kirchlich zu Köln. Der Besitz der Johanniter-Komturei Adenau reichte bis in die Nähe der Mosel. Umgekehrt griffen die Augustiner-Chorherren von Springiersbach mit dem pfalzgräflichen Hof Ödingen nördlich bis vor Remagen. Sie hatten außerdem Besitz innerhalb des kölnischen Amts Adenau in Katzwinkel, Mosbruch, Quiddelbach, Welcherath und Zermüllen (Daue). Das Amt Adenau reichte bis Hörschhausen im jetzigen Kreis Daun. Wirtschaftlich hochbedeutsam auch für Adenau war die Weinzollstraße von der Mosel durch die Eifel nach Köln über Adenau, woher wohl der Ortsname Gefell im Kreis Daun rührt.

Nach dein Umsturz durch die französische Revolution von 1789 und die Freiheitskriege von 1813 trug Adenau seit 1816 bis 1833 die Bezeichnung Stadt, die es 1952 wieder erhielt.

Die Lebenslinien von Adenau und seinem Bereich sind klar ersichlich geblieben und stellen ihre Aufgaben an die Gegenwart für die Zukunft.