Ehemals arenbergisches Land, früher eine Brücke, dann ein Graben

VON W. KNIPPLER

Man braucht nicht einmal die hohe Politik als Zeugen für Brückenschlag zu bemühen, nicht den Schumanplan und die EWG, es genügen Hinweise auf all die Kontakte, die Einzelpersonen, Schülergruppen, "Wissenschaftler oder Militärstellen, Städte und Landesbehörden der Bundesrepublik, die uns mit unseren westlichen Nachbarn verbinden. Heimatkundlich betrachtet, haften in unserer Erinnerung der jüngsten Vergangenheit die bedeutsamen Zeugnisse der Aachener Karlsausstellung ebenso kraftvoll wie die Ausstrahlungen der Eifel-Ardennen-Ausstellung des Eifelvereins in Wittlich. All diesen vielfach ideellen Bemühungen standen und stehen noch geographische Hindernisse im Wege. Deshalb muß man sich nicht darüber wundern, daß ein Geistlicher vor vierzig Jahren einem jungen Lehrer von der Höhe des Arembergs aus nach Westen deutend sagte: „Sehen Sie diese weiten, unermeßlichen Wälder? Dort wohnen noch Völkerstämme, die bei der letzten Volkszählung noch nicht erfaßt werden konnten." Das war eine humorvolle Übertreibung, aber sie berührt die Gegensätze, welche diese Studie behandelt.

Früher war dort im Westen kein uns fremdes Land, denn gerade die Arenberger bildeten eine Brücke durch jene Wälder hindurch über 250 Kilometer. Lesen wir nur eine Urkunde aus der herzoglichen Zeit!

Josef Udelhoven aus Aremberg war Gerichtsschöffe und Erbpächter des Falkenberger Lehnsgutes, das im Flurbereich des „Tals" Aremberg lag. Bevor der Lehnsmann kinderlos starb, bat er die herzogliche Regierung, als Nachfolger seinen Schwestersohn Nikolas Krings zu belehnen. Der arenbergische Statthalter und Lehendirektor von Seigneux ließ durch den Lehnsschreiber Ridder den neuen Lehnbrief ausstellen. Der Statthalter unterzeichnete eigenhändig, Ridder contra-signierte und bekräftigte die Urkunde mit dem herzoglichen Insiegel. Als Zeugen waren dabei anwesend der Sekretär Heinrich Gang und der Kammerdiener Johann Traudmann. Der am 19. Mai 1778 ausgestellte Lehnbrief interessiert uns besonders wegen der Namenstitel des Lehnsherrn. Dieser Titel folgt im genauen Wortlaut:

„Wir, Carl, von Gottes Gnaden Herzog zu Arenberg, des Heiligen Römischen Reiches Fürst, Herzog zu Arschot und Croy, Prinz zu Porccan und Rebeque, Markgraf zu Caretto, Savona, Grana und Mont Cornet, Graf zu Lalling, Schleiden, Kerpen und Casselburg, Freiherr zu Commeren, Hierges, haute penne, Rotzlaer, Bersel, Bierbeque, Aeverlet, Wallers, Querrain, Peruvelz, Beveren, Luniay, Serain, Saffenburg, Rade, Mechernich und Bartzheim und Herr der Städte und Lande von Enghien, Halle, Braine, Neufchateau und Fleringen, ...... Erbschenk des Erzstiftes und Kurfürstentums Köln (als Besitzer des Kautenturms vor dem Obertor in Ahrweiler). Pair der souveränen Provinzen von Hennegau und Bouillon, ...... Gouverneur und Offizier souverain der Grafschaft Hennegau, ..... usw."

Der Weg des arenbergischen Geschlechtes führte, das weisen die Titel aus, nach Westen. Das war eine Notwendigkeit, denn der Osten und der Norden der Eifel wurden von Kurköln und Jülich, der Süden von Trier, Luxemburg und mehreren kleinen Territorialherren beherrscht. Verfolgen wir kurz die Entwicklung der Arenberger in dieser Richtung! Adolf von der Marck, der Bruder Engelberts II. von Arenberg, war von 1313 bis 1344 Bischof von Lüttich. Eberhard von Arenberg erwarb Neufchateau, sein Sohn Eberhard II. erbte Lummen, kaufte Sedan und Florenville, dazu 1410 die Vogtei im Hennegau. Im Lütticher Gebiet blieben die Arenberger das mächtigste Geschlecht. Eberhard III. von Arenberg und von der Marck heiratete Margarethe von Bouchout. Er erwarb dadurch Besitz in Brabant und das erbliche Burggrafenamt von Brüssel. Sein Neffe Eberhard wurde Fürstbischof von Lüttich. Wilhelm von der Marck war der berüchtigte „Eber der Ardennen". Die Kreuzherrenkirche in Lüttich wurde seit dem Tode Eberhards TU. die Grabstätte der Arenberger.

Eberhard IV. wurde Grand-Majeur von Lüttich. Sein Nachfolger Robert erwarb durch Heirat Besitz in Holland.

Die letzte .Erbtochter der Arenberger von der Marck, Margaretha, heiratete Johann von Ligne, Freiherrn von Barbancon. Nun konzentrierten sich die Arenberger noch stärker im niederländischen Raum.

Karl von Arenberg gewinnt durch Anna von Croy reichen Landbesitz, besonders das Herzogtum Aerschot. 1606 wird die Herrschaft Enghien von Frankreich erworben. Philipp Karl von Arenberg wird Gouverneur der Stadt und Grafschaft Namur.

Der Kapuzinerpater Karl (von Croy) unterstützte den arenbergischen Erben Philipp Franz, den ersten Herzog von Arenberg. Dieser und die Arenberger behielten von da ab das Amt des Gouverneurs und Generalkapitäns des Hennegaus.

Zweifellos hatten die Arenberger durch eine kluge Heiratspolitik ihren Einfluß und ihren Besitz in West- und Südeuropa sehr gestärkt. Überblicken wir nochmals die Abstammung der Frauen der Arenberger:

von Looz (1340), von Bouchout, von Braquemont (1410), von Rochcfort (1422), von Mont-fort (um 1480), Prinzessin von Epinoy (um 1610), Gräfin von Barlemont (1620), von Croy (1612), de Vergy de Cucancc, Erbgräfin von Champlite (um 1650), von Borja (Spanien), del Caretto (1684, Italien), Pignatelli (1711, Italien), Brancas-Villars (1773) und Saffenburg von der Mark (1773).

Die Stammburg, später das Stammschloß und der Namengeber, war der Aremberg. Die Hauptwohnsitze der Arenberger aber waren die Schlösser Heverle, Chimay, Brüssel und besonders Enghien, alle in den belgischen Niederlanden gelegen. Kein Eifeler wird es den Arenbergern verübeln, daß sie die meiste Zeit ihres

Lebens in diesem gesegneten Lande verbrachten, das klimatisch und verkehrsmäßig in bezug auf Landwirtschaft und Viehzucht, auf Gewerbe, Handel und Industrie damals ihrem Stammland weit voraus war.

Die Brücke von Westen nach Osten, die uns — abendländisch gesehen — sichtbar wird im Weg des Minnesangs und der Ausbreitung der Zisterzienser, im Siegeszug der Gotik und der Idee der Aufklärung, diese Brücke findet — kleinräumig gesehen — ihren Niederschlag in der arenbergischen Verwaltung, die zum großen Teil durchgeführt wurde von wallonischen Beamten. Dafür begegnen uns im Stammland der Arenberger folgende Zeugen:

1542 Statthalter und Amtmann Daniel von Myll
1600 Landschultheiß H. Ph. von Meyll
1616 Capitän Salancon
1623 Gouverneur und Capitän de la Kethuller
1624 Capitän Pottclet
1649 Kommandant Hubert Coels
1680 Rentmeister Heinrich de Ridder
1693 Landschultheiß Johann de l´Eau
1703 Rentmeister B. de Ridder
1723 Statthalter Romagnol
1729 Forstmeister Hcnrotin
1740 Schneidmüller Grisard in Antweiler
1742 Forstmeister Porrigneaux
1744 Statthalter und Oberamtmann Pin de la
Borde
       
Hüttenmeister Gerhard de l'Eau, Pächterder Stahlhütte
1761 Statthalter de Seyll
1764 Landmesser Galibert
1722 Statthalter de Seigneux
1787 Förster Chose

Die Ruland wurden in Aremberg „Brabanter" genannt; wahrscheinlich war es ein Hinweis auf ihre Herkunft.

Und die Brücke nach Westen? Die Hauptverkehrsverbindung ging von Aremberg aus nicht zur Ahr und nach Osten, sondern über Lommersdorf, Freilingen, Mülheim und über Blankenheim und Schleiden nach Lüttich. Die aremberger Bauern hatten damals 32 Pferde, und viele von ihnen transportierten das arenbergi-sche Eisen der Stahlhütte und der Ahrhütte den weiten Weg nach Lüttich, wo es zu Lütticher Stahl geschmiedet wurde.

Vielfältig waren also die arenbergischen Beziehungen zu den Niederlanden. Anfangs waren es kirchliche Verwaltungsaufgaben, dann Verwaltungsdienste in spanischen, später in habsburgischen Interessen, schließlich in der Hauptsache leitende militärische Stellungen. Den größten Gewinn für die Arenberger erbrachte die Heiratspolitik.

Die Übersichtskarte führt die unterstrichenen Orte an, die entweder den Arenbergern gehörten oder die ihnen verwaltungsmäßig oder militärisch unterstanden. Der einzige reichsunmittelbare Besitz der Arenberger war und blieb das Stammland an der Oberahr. Die Skizze zeigt demnach die von den Arenbergern ererbten, erworbenen oder angeheirateten Besitzungen und die Amtssitze, die sie als Kommandant, Gouverneur, Statthalter, Burggraf oder als Grand-Baillif innehatten.

Alle diese Orte liegen an zwei deutlich erkennbaren Hauptlinien:

1. an der wichtigen Verbindungsstraße von Paris über Mons nach Brüssel und Antwerpen,

2. an der Südgrenze der Niederlande entlang als Bastionen, Grenzburgen oder Marken, offensichtlich errichtet gegen Frankreichs damalige Absichten der Gebietserweiterung nach Norden und Osten.

Was die Karte nicht Zeigt, das sind die weiteren Beziehungen der Arenberger nach Nordfrankreich, nach Burgund und Norditalien. Sie frischen unsre Erinnerungen auf an das alte Deutsche Reich, dessen Grenzen jahrhundertelang südlich des wallonischen und westlich des burgundischen Lebensraumes verliefen. Wie wurde nun aus der jahrhundertelang gefestigten Brücke ein Graben? Mit dem Jahre 1789 ändern sich alle territorialen Verhältnisse. Das Lehnssystem wurde durch die Französische Nationalversammlung am 4./5. August 1789 aufgehoben, gleichzeitig wurden alle Privilegien des Adels und der Geistlichkeit ohne Entschädigung annuliert. Fünf Jahre später galten diese Bestimmungen auch in den arenbergischen Interessensgebieten. Die französische Besetzung und die Neueinteilung der Verwaltungsgebiete schufen absolut neue Grenzen. Drei Departementgrenzen stießen damals im arenbergischcn bis dahin reichsdeutschen Land zusammen. Im Jahre 1816 kommt eine vierte Grenzlinie hinzu, denn die neue preußische Regierung errichtet vier Regierungsbezirke. Die deutschen Lande des arenbergischen Territoriums, die bis 1794 einem einzigen Statthalter und Oberamtmann mit dem Sitz in Aremberg unterstanden, gehören nun zu vier voneinander getrennten Bezirken. Die zweite Skizze zeigt, daß zum Regierungsbezirk Koblenz das Stammschloß und die Residenz Aremberg mit Antweiler, Wershofen und Dorsel zählten, ebenso wie die Herrschaft Saffenburg mit Mayschoß, Rech, Dernau und Marienthal. Zu Trier gehörten nun die Grafschaft Kerpen mit Ahütte, dazu die Kasselburg und Gillenfeld. Kommern wurde dem Bezirk Köln zugeteilt, wogegen Ahrhütte, Lommersdorf, Freilingen, Reetz, Mülheim, die Grafschaft Schleiden und die Herrschaft Mechernich in den Bezirk Aachen eingereiht wurden.

Aus der Skizze wird deutlich, wie sich die vier Regierungsbezirksgrenzen im ehemals arenbergischen Gebiet bis auf 12 Kilometer nähern, die Entfernung von Ahütte bis zur Mutscheid. Man kann also innerhalb weniger Stunden einen Fußweg durch vier Regierungsbezirke zurücklegen.

Die veränderte Situation bedeutete für die Grenzbewohner über hundert Jahre lang Nachteile und Erschwerungen. Die früheren arenbergischen Untertanen an der Oberahr erlebten das Schicksal der Menschen, die an Nahtstellen von Bezirken wohnen, denn die Richtungsweisungen lauteten nun

Aremberg - Antweiler - Ahrweiler (Adenau) -

Koblenz, Lommersdorf - Blankenheim - Schleiden - Aachen,

Kommern - Euskirchen - Köln, Ahütte - Hillesheim - Daun - Trier.

Diese Richtung galt nicht nur für Verwaltungsfragen, sondern gleichermaßen für kirchliche Zuständigkeitsbereiche, für die Gerichte und Katasterämter, für Märkte und Steuerangelegenheiten, für die Forstverwaltung, ja für Ärzte und Krankenhäuser, selbstverständlich für die Postbezirke und die Eisenbahndirektionen, ja sogar für Zeitungsverbreitungsgebiete und für den Sport.

Alle Interessen richteten sich von der Peripherie aus nach den Zentralorten, das umgekehrte Interesse reichte lange Zeit aber nur von den Zentralorten bis zum Grenzstrich und selten einen Kilometer darüber hinaus. Dokumentiert wurde der Zustand durch die Qualität der Verbindungsstraßen, durch die Armseligkeit der Bahnanschlüsse, durch die Misere der Fernsprechverbindungen vor Inbetriebnahme des Selbstanschlusses. Zwischen Menschen diesseits und jenseits der Bezirksgrenzen gab es nur noch schwache Kontakte.

So werden die oben zitierten Worte des Pastors verständlich. Glücklicherweise blieb es nicht bei dem Dornröschenschlaf der Anwohner der Nahtstellen. Die Wende kam mit der Erbauung des Nürburgringes, besonders durch die großzügig angelegten Zufahrtsstraßen. Der Siegeszug der Technik, des Kraftwagens, des Rundfunks und des Fernsehens vollzog einen weiteren Schritt zur Überbrückung der Entfernungen. Daß man heute in Westdeutschland weiß, worauf es ankommt, das verraten die Energien um bessere Verkehrserschließungen. Die Schiffbarmachung der Mosel und der Ruf nach Fertigstellung der Autobahnen in -westlicher Richtung lassen uns hoffen, daß die Gräben in unserer Heimat und die Gräben vor den westlichen Nachbarn bald überbrückt werden. Brückenschlägen dient dem Frieden im Land und dem Frieden nach draußen.