Der vertauschte Hut

VON PETER KREMER

Daß jemand einen Hut vertauscht, soll häufig vorkommen und nicht bloß in der Schenke. Daß aber jemand seinen Hut mit dem eigenen vertauscht, das kann nur im Ahrtal geschehen, wo der lustige Vers umgeht:

Wer an der Ahr war
und weiß, daß er an der Ahr war,
der war nicht an der Ahr.
Wer an der Ahr war
und weiß nicht, daß er an der Ahr war,
der war an der Ahr.

So ähnlich erging es auch dem Hut oder vielmehr dem Herrn des Hutes, von dem nun erzählt werden soll.

In einem gemütlichen Ahrstädtchen erschien ein deftiger Bürger jeden Morgen in seiner Weinstube zum Frühschoppen. Wer wollte den guten Mann ob dieses Frühschoppens verurteilen, wer wollte sogar den Bann über ihn verhängen, wenn er dazu noch wüßte, daß unser Bürger auch keinen Abend den Dämmerschoppen versäumte! Niemand ist da/u befugt; er müßte zuerst wissen, daß draußen vor den Toren dieses Städtchens Herbst um Herbst unzählige Fässer edlen Ahrburgunders reifen, die doch getrunken werden müssen, und er müßte endlich auch noch wissen, daß es eine der besten Tugenden aller Bürger dieses Städtchens ist, keinen trinkbaren Wem ungetrunken zu lassen.

Was nun unser vertauschter Hut mit dieser gewiß rühmenswerten Tugend zu tun hat, wird schon jetzt manchem Leser klar sein, und bei dem Klügsten schon ein stilles Schmunzeln um die Lippen wecken. Aber klug sind ja die Leser alle.

Zur Sache! Eines Sommertages geschah es unserem guten Bürgersmann, daß sein kurzer Frühschoppen zu einer ausgedehnten Morgensitzung wurde. Wie viele Schoppen er getrunken hatte, wußte zuletzt nur der Wirt und auch der erst,

nachdem er die Kreidestriche von vorn gezählt und von hinten staunend überprüft hatte. Das war unserem Schoppenstecher im Augenblick auch nicht das wichtigste; das war die Uhr, die schon erschrecklich weit über Mittag stand. Im Angst- und Schuldgefühl vor seiner lieben Haus- und Ehefrau wollte er in aller Hast den Hut vom Haken greifen, als er wiederum erschrecken mußte: die Haken waren leer, bloß am letzten hing einsam und verlassen ein uraltes Ding, das einmal ein Hut gewesen sein konnte. Und alle anderen Gäste waren fort. „Wo ist mein nagelneuer Hut?" fiel er in jähem Ärger den überraschten Gastwirt an. „Was soll ich mit diesem Speckdeckel? Eine Unverschämtheit ist es, mir diesen schmierigen Dreckdeckel für meinen neuen Hut zu hinterlassen!" Dem Wirt war es äußerst peinlich, daß dies in seinem guten Hause geschehen konnte. Ratlos wollte er den verärgerten Gast mit Worten trösten, an die er selbst nicht glaubte: es sei vielleicht nur ein Versehen, und ohne böse Absicht sei der Hut vertauscht worden. Sicherlich würde der neue Hut sich bald wieder einstellen. Jedoch unser Freund ließ sich nicht trösten. Gewiß sei es mit Absicht geschehen, schimpfte er, einen neuen Hut könne jedermann gebrauchen; zwanzig Mark habe er gekostet, ob das eine Kleinigkeit sei. Das sei fürwahr cm billiges Geschäft; aber er sei nicht einverstanden mit dem Tausch, den Speckdeckel wollte er nicht, den lasse er da hängen, bis sich sein neuer Hut daneben eingefunden habe. „Mahlzeit!" rief er wütend, und bei diesem Wort fiel ihm plötzlich auch wieder ein, was er unterdessen versäumt hatte und was ihn daheim erwarten mochte. Natürlich erzählte er zu Hause zu allen Verspätungsausreden nicht auch noch sein Mißgeschick mit dem neuen Hut. Ja, nun tröstete er sich selbst im stillen damit, es sei noch Hoffnung, daß der Hut zurückkäme. Aber der kam nicht, "wie sehr er auch darauf wartete und wie oft er auch im Gasthaus darum vorsprach. Wie bisher tat er das zweimal täglich; aber tagaus, tagein hing noch am letzten Haken der „traurige Filz des unbekannten Spitzbuben". Er verdächtigte diesen und jenen, und auch der Wirt stellte heimlich Nachforschungen an.

Lange blieb das Geheimnis um den vertauschten Hut verborgen, bis dann unerwartet des Rätsels Lösung da war. Nach wieder einem Frühschoppen, als es draußen heftig regnete, setzte unser guter Ahrbürger notgedrungen den alten Speckdeckel auf. Wie wunderte er sich zu Hause über den entsetzten Empfang! „Aber Vater", riefen Frau und Kinder wie aus einem Munde, „wie kannst du am hellen Tag noch mit deinem alten Hut über die Straße gehen! Warum hast du den alten Hut wieder angezogen? Der neue hängt im Schrank!" —

Unser Schoppenstecher sagte nichts darauf, und wir brauchen auch nichts mehr hinzuzusetzen.