In der Lese

von
Theodor Seidenfaden

Der Winzer steigt noch immer. Schwer
hängt ihm die Kiepe an den Riemen.
Die späte Sonne glüht doch sehr:
er spürt in seinen Schultern Striemen.

Hoch oben auf dem Hange hält
er an. Da brennt das Gold der Trauben,
ist Wunder, stumm gereifte Welt
des Hoffens aus geborenem Glauben.

Er setzt die Kiepe neben sich.
Bedachtsam hebt er an zu pflücken.
Was scheint ihm jetzt noch kümmerlich?
Die Schöpfung ließ das Sorgen glücken.

Schon siebzig Lesen stieg er auf.
Die Jahre kamen und sie gingen.
Die Sterne kreisten ihren Lauf.
Was heute lahmt, muß morgen schwingen.

Ein Bussard schwebt und äugt zu Tal.
Was kümmert den, der liest, sein Suchen?
O, dies Erfülltsein ohne Qual!
Wer mag bei solchen Trauben fluchen?

Der Alte trägt den Hut von Stroh.
Der Hände Tun ist wie ein Beten.
Das Runenantlitz schimmert froh:
er ist ins Himmelreich getreten.