Hebammenkunst im Kreise Ahrweiler

VON DR. DR. CARL MÜLLER

Vor einigen Monaten ging durch die Tageszeitungen die Nachricht, daß das Land Nordrhein-Westfalen mit den vielen Großstädten an Rhein und Ruhr leider die höchste Sterblichkeitsziffer unter den Säuglingen besitzt vor allen anderen deutschen Bundesländern. Eine noch größere Säuglingssterblichkeit war am Ende des 18. Jahrhunderts im Kurfürstentum Trier, am Mittelrhein und in der Eifel zu verzeichnen, wo zeitweilig fast ein Viertel aller Säuglinge im ersten Lebensjahre aus dem Leben schieden. Diese Tatsache veranlaßte die staatlichen Behörden, nach Maßnahmen zu suchen, um die Gesundheit der Säuglinge und ihrer Mütter zu schützen. Auffallend ist, daß bereits um 1786 die Verwaltung des damaligen Fürstentums Arenberg in der Eifel sich bemühte, in einigen vom Landesphysikus geleiteten Lehrkursen geeignete Frauen zu Hebammen heranzubilden. In Trier wurde sogar um 1790 eine Hebammen-Lehranstalt gegründet, wo in Verbindung mit einem Krankenhaus geprüfte Frauen eine für die damalige Zeit gute Ausbildung als Geburtshelferinnen erhielten. Wie Sanitätsrat Dr. Hucklenbroich in einem Aufsatz ,,Die Medizinische Fakultät und Hebammenschule zu Düsseldorf von 1770 bis 1814" (Historische Studien zur Naturwissenschaft, Industrie und Medizin am Niederrhein), Düsseldorf, 1898, berichtet, wurde diese Hebammenschule am 20. September 1771 ins Leben gerufen durch Dr. med. Bernard Guerard, Stabschirurg und Garnisonmedicus zu Düsseldorf. Weil vor der Besetzung der Rheinlande, vor dem Einmarsch der französischen Revolutionsheere im Jahre 1793, Remagen, Sinzig und Neuenahr zum Herzogtum Jülich-Berg gehörten, konnten Frauen aus diesen Gemeinden an Hebammen-Ausbildungskursen in der Residenzstadt Düsseldorf teilnehmen.

Wie die „Jülich- und Bergischen wöchentlichen Nachrichten" 1769/70 und 1775 berichten, veröffentlichte der Leiter der Hebammenschule Dr. Guerard 1775 eine Schrift „Anfangsgründe der Geburtshilfe", Düsseldorf, bey Augustin Zehnpfennig". Er widmete das Buch Sr. Exzellenz, dem Statthalter Grafen Goltstein, als „Erstercm Einführer der Hebammenschule da-hier". Beachtenswert ist die Nachricht, daß Kurfürst Carl Theodor einer jeden Hebamme ein tägliches Gehalt für die Lehrzeit bewilligte. 1777 bringt das amtliche Blatt die Bekanntmachung, daß das Hebammen-Collegium am 15. Oktober seinen Anfang nehmen wird. Auswahl der Hebammen-Lehrlinge erfolgt durch „Amtspliysikus oder benachbarte medicinos et chirurgos". Es wurde seitens der Regierung streng darauf gesehen, daß nur Personen, die den Kursus durchgemacht und das Examen bestanden hatten, Wöchnerinnen entbinden und pflegen durften. Es war auch nicht approbierten Ärzten das Kurieren bei Zuchthausstrafe verboten. So berichten die „Jülich- und Bergischen wöchentlichen Nachrichten".

Als im Jahre 1793 die französische Verwaltung die Teilnahme von Frauen aus linksrheinischen Gebieten an Ausbildungskursen der Hebammenschule in Düsseldorf verboten, wurde eine schulmäßige Ausbildung erst wieder möglich, als 1815 in Köln die Provinzial-Lehranstalt für Hebammen eröffnet worden war. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Krankenversicherung noch wenig verbreitet, so daß viele Familien befürchteten, die wenigen Ärzte als Geburtshelfer in Anspruch zu nehmen. So kam es, daß die Wöchnerinnen fast nur Hebammen als Geburtshilfe heranzogen.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die lebenswichtige Ausbildung der Hebammen eine wertvolle Förderung durch die Entdeckung des Volksdeutschen Arztes Dr. Ignaz Semmelweis (1818—1865). Dieser, aus der Stadt Temeschburg im südungarischen Banat stammende berühmte Frauenarzt, hatte als Medizinprofessor an der Universität in Wien die Ursachen des Kindbettfiebers entdeckt und wurde der Begründer der Asepsis, der keimfreien Wundbehandlung.

Aus den im Staatsarchiv in Koblenz aufbewahrten Akten des Regierungsbezirks Koblenz ist zu ersehen, daß die Ehefrauen, welche das Hebammeninstitut in Köln besuchen -wollten, zunächst beim Kreisarzt für ihren Beruf als Geburtshelferinnen vorbereitet wurden. Leider sind im zweiten Weltkrieg bei Luftangriffen mit Bombenwürfen auf das Staatsarchiv in Koblenz die Akten über das Hebammenwesen im Kreise Ahrweiler (Abt. 441, Nr. 13,151) fast ganz verloren gegangen. Aber die Akten des vormaligen Kreises Adenau (Abt. 441, Nr. 13,322) sind erhalten geblieben. Aus diesen Akten ist zu ersehen, daß für die Ausbildung von Hebammen aus dem Kreise Adenau von der Kreisverwaltung im Jahre 1884 in 4 Fällen je 100 Mark bewilligt worden sind. Ähnliche Summen sollen auch im Kreis Ahrweiler ausgezahlt worden sein. Aus den Berichten anderer Kreise läßt sich feststellen, daß die gesamten Ausbildungskosten im Hebammeninstitut in Köln 400 M betrugen, die in \ielen Fällen erst nach bestandener Prüfung vergütet wurden. Nach einer Altersstatistik aus dem Jahre 1898 waren in den Kreisen Ahrweiler und Adenau je 22 Hebammen tätig.

Wie mir Herr Rektor J. Rausch als Verwalter des Kreisarchivs von Ahrweiler in freundlicher Weise mitteilte, gab die Bezirksregierung in Koblenz Amtsblätter heraus, in denen zwischen 1817 und 1878 viele Verfügungen über das Hebammenwesen veröffentlicht wurden, darunter auch zeitweilig über einen Hebammenkursus in Koblenz, Auskunft über die persönlichen Verhältnisse der Hebammen sowie im Jahre 1820 eine Liste über die Bezahlung der einzelnen Dienstleistungen. Im Jahre 1821 taucht zum ersten Male das Wort „Hebammengroschen" auf, der -wohl von der Kreisverwaltung eingezogen wurde.

Nach der bestandenen Prüfung erhielten die Geburtshelferinnen ein „Hebammenlehrbuch" mit Anweisungen zur Verhütung des Kindbettfiebers. Als desinfizierende Mittel werden darin außer zwerprozentiger Karbolsäure auch absoluter Alkohol, Sublimat und einhalbprozentige Lysollösung empfohlen, wenn die Haut mancher Hände Waschungen mit Karbolsäure nicht verträgt. Den Hebammen war die Führung einer Liste der mit ihrer Hilfe geborenen Kinder und ihrer Mütter, auch mit der Eintragung von Totgeburten sowie eine Meldung an die Standesämter der Gemeinden zur Pflicht gemacht (Staatsarchiv Koblenz Abt. 441, Nr. 13, 151).

Dies geschah, um zu verhindern, daß heimliche Geburten oder Totgeburten vor den Behörden verschwiegen wurden.

Nachdem die Hebammenanwärterinnen sich ihrer Berufsprüfung unterzögen und ihren Berufseid abgelegt hatten, erfolgte durch den Kreisarzt ihre staatliche Anstellung in einem festabgegrenzten Dienst-Betreuungs-Bezirk. Dieser deckte sich zumeist mit dem Wohnort der Hebamme. Gelegentlich konnten benachbarte kleine Gemeinden dem Dienstbezirk angeschlossen werden. Wenn dann die Hebamme das Tagebuch und die neueste Ausgabe des von Dr. Schmidt herausgegebenen Lehrbuches erhalten hatte, mußten die für die Geburtshilfe nötigen Instrumente in einer handlichen Ledcrtasdie vorgewiesen werden. Amtsblätter brachten Nachrichten über die Prüfungsergebnisse. So meldete der Landrat von Adenau (Abt. 441, Nr. 13,322) am 20. 4. 1874, daß Witwe Ambrosius Ley hierselbst beim Hebammen-Lehrinstitut in Köln die Prüfung mit dem Prädikat „sehr gut" bestanden hatte. Im Jahre 1880 gab Kreisphysikus Dr. Grisan bekannt, daß eine Hebamme wegen epileptischer Krämpfc aus dem Dienst entlassen werden mußte.

Über die Vergütungen für die Geburtshilfe befinden sich in den Landratsakten nur wenige Angaben, Anscheinend sind die Gebühren lange Zeit hindurch nach der persönlichen Übereinkunft zwischen den Eltern des Kindes und der Hebamme festgelegt worden. Nach einer Aktennotiz des Landrats von Adenau vom 23. Dezember 1834 erhielt die Hebamme Catharina Schmelzer zu Dümpelfeld eine jährliche Besoldung von 27 Talern. Vom Bürgermeister auf eine Liste gesetzte Armen mußten unentgeltlich versorgt werden. Im Jahre 1884 erfolgte für die Kreise Ahrweiler und Adenau eine neue Festlegung der Hebammengehälter. Damals erhielten die Geburtshelferinnen ein. Anfangsgehalt von 50 bis 70 Mark, nach je 10 Jahren eine Zulage von 10 M bis zum Höchstbetrag von 120 M. Bei Nachprüfungen wurden Reisekosten und 3 M Teilnehmergebühr ersetzt. Auf Veranlassung des 1895 gegründeten Hebammenvereins wurden 1899 Gehälter und Ruhegehälter amtlich neu geregelt und von 1913 bis 1932 Fortbildungskurse für Hebammen eingerichtet.

Auffallend ist die Tatsache, daß die Akten der Ahrkreise an keiner Stelle eine Notiz über einen außergewöhnlichen Durst der Geburtshelferinnen nach geistigen Getränken enthalten, wie es am Niederrhein nicht selten berichtet wird. Es war natürlich, daß die Hebamme für ihre Gebturtshilfe und die Pflege der Wöchnerin nicht nur die vorgeschriebene geldliche Vergütung, sondern, auch eine vorzügliche Verpflegung mit Schinken und Eiern, mit Kaffee und Likören erhielt. Auch im Ahrgebiet war der Spruch bekannt: „Wenn die Frau gern Kaffee trinkt, singt sie wie ein Distelfink". Aber niemals wurde gemeldet, daß eine Hebamme beim starken Eifelnebel benebelt nach Hause gegangen ist.

Eine leidige Unsitte war allerdings auch in den Ahrkreisen verbreitet, daß nämlich nach der Kindtaufe in der Kirche die Taufgesellschaft in

die nächste Gastwirtschaft zog, um die Aufnahme des Säuglings in eine Kirchengemeinde durch einen kräftigen Umtrunk zu feiern. Obwohl die Regierung einen solchen Aufenthalt der Hebamme mit dem Säugling und den Taufpaten im Wirtshause verboten hatte, wurde der Mißbrauch dieses oft längeren Aufenthaltes im Wirtshaus bekannt. Aus Meldungen diensteifriger Fußgendarmen geht hervor, daß sie gelegentlich an solchen Tauffeiern in Wirtshäusern das „vorschriftsmäßige Ärgernis" nahmen und die hochachtungsvolle Gesellschaft, vor allem den oft im Zylinder siegreich schwankenden Taufpaten nach Hause begleiteten. Nach dem Weltkriege war es üblich, daß der Kreisarzt bei den halbjährlichen Kontrollversammlungen der Hebammen über die Erfolge der Gesundheitspflege im Kreise Bericht erstatteten. In den Entbindungsanstalten der Krankenhäuser wurde hierbei durch Vorträge und praktische Übungen die Ausbildung verbessert. Wenn der Kreisarzt Erfolge melden konnte, wenn die Säuglingssterblichkeit und das Kindbettfieber zurückgegangen waren, dann konnte er ihren Berufsstolz wecken. Bei der nachfolgenden Kaffeetafel wurden die Zungen der sogenannten „Storchentanten" gelöst. Sie konnten erstaunliche Leistungen bei der Geburtshilfe von Zwillingen schildern und berichteten, daß das Söhnchen eines Metzgermeisters bei der Geburt ein beachtenswertes Gewicht erreichte „achteinhalb Pfund mit Knochen". Voll Stolz leuchteten die Augen der Hebammen, wenn sie später einer jungen Mutter begegneten, die ihr Kindchen zu Verwandten brachte mit einem bequemen Kinderwagen, der sogenannten. „Ehestandslokomotive". Die bessere Ausbildung der Geburtshelferinnen hatte sich also gelohnt. Es hatte sich gezeigt, daß die Förderung der Hebammenkunst am Anfang der von den Gemeinden und Kreisen unterstützten Gesundheitspflege stehen muß.