Wir jagen den Marder

Wer kennt die Fährten und Spuren Im Winterwald ?

VON JULIUS EIGNER

Es gibt wohl keine Jahreszeit, in der das Leben des Wildes so leicht beobachtet werden kann, wie gerade im Winter. Die Bäume sind kahl, und der Blick reicht weit. Der Schnee verzeichnet besser als der zuverlässigste Chronist Zahl, Art und Bewegung der Tiere. Das Leben des Waldes, das sich sonst nur dem Eingeweihten enthüllt, liegt nun offen vor aller Augen. Wie ein dichtes Gewebe bedecken Fährten und Spuren den Waldboden, und man erstaunt über die Vielheit der Tiere, von denen man sonst nichts beobachtet. Wie aufregend eine Winterwanderung sein kann, erfuhren wir an dem Tag, da wir der Spur des Marders folgten. Einst kam der Nachbar kurz nach Tagesanbruch und sagte, er habe im Schnee eine Marderspur entdeckt. Da wir seit langem verabredet waren, der ersten Marderspur zu folgen, sofern einer von uns sie finden sollte, machten wir uns sogleich auf den Weg. Es war ein herrlicher Wintertag. Die Sonne schien von einem blaßblauen Himmel, der Schnee war noch keine 24 Stunden alt und lag etwa handhoch. Wo die Sonne den Schnee traf, hatte er einen zartgoldenen Schimmer, die Baumschatten dagegen einen bläulichen Ton. Es war 13 Grad unter Null. Kurz nach 8 Uhr begann die Verfolgung. Sie fing aii am Hühnerstall, an dessen freistehenden Seiten die Spuren verrieten, von wo aus der Marder Zugang gefunden hatte. Von dort aus war er quer durch den Garten zur Landstraße gesprungen bis zu dem Bauernhof an der Kreuzung. Hier war er ein Stück dei Landstraße gefolgt, zunächst den Weg am Rain entlang, dann durch die dichten Schlehhecken, mal auf dieser, mal auf jener Seite. Wenn die Spur auch recht groß und verhältnismäßig leicht erkennbar war, so war es doch nicht leicht, ihr zu folgen, denn die Sprunghaftigkeit des Marders gab uns bald manche harte Nuß zu knacken. Wenn die Spur plötzlich aufhörte, dann mußten wir scharf überlegen. Am besten schien es, wenn wir uns fragten, was wir wohl getan hätten, wenn wir der Marder gewesen wären. War er die Ahornbäume hochgeklettert, um dann durch das Geäst zu springen? Hatte er die Holzstöße durchsucht, oder war er über das leichte Gebüsch geturnt und hatte so für eine Weile seine Spur in die Luft geschrieben? Es war nicht einfach, dem Instinkt eines Marders zu folgen. Und obendrein war es auch noch ein Baum- oder Edelmarder, den wir vor uns hatten; ein Steinmarder hätte es uns leichter gemacht, denn er bleibt mehr am Boden.

Die Spur führte eine Anhöhe hinauf durch leichtes Buschwerk. Auf der glitzernden Schneedecke lagen in gerader Linie die Trittsiegel des Fuchses schnurgerade hintereinander, wie zu einer Perlenkette aufgereiht. Meister Reineke war hier vorübergeschnürt, und wir hielten an und beschauten die Zeichen der Freiheit, wie sie sich uns in der Spur offenbarten. Am Waldrand begegneten wir anderen Spuren, Hier waren Rehe gezogen, dort ein Hase vorbeigehoppelt, daneben waren Spuren von Kaninchen. Wir verhielten und folgten den Fährten der Rehe, die zu dem Acker mit Winterweizen führten. Die kräftigere Fährte des Rehbocks unterschied sich deutlich von der des Schmaltieres. Auch war deutlich zu sehen, wie der Bock manchmal seine eigenen Wege gegangen war, wie er nach vorn oder nach der Seite lief, als wolle er sich vergewissern, ob die Luft rein sei.

Obwohl nur die vier Fährten vorhanden waren und nicht die Tiere selbst, so war es doch, als stünden die Rehe leibhaftig vor uns, denn im Schnee war in schönster Unbestechlichkeit jede ihrer Bewegungen aufgezeichnet.

Hier hoppelten Kaninchen
Foto: Julius Eigner

Im schrägen Licht der Morgensonne lag in einiger Entfernung das Stück des Feldes, von dem sie auf der Futtersuche den Schnee weggeplätzt hatten. Im Wald verloren wir die Spur des Marders immer wieder. Warum er es so trieb, konnten wir uns zwar nur denken, aber es war dann doch auch offensichtlich; er sprang in den Baumkronen herum, weil er Eichhörnchen- oder Vogelnester suchte. Und da er oft lange von Krone zu Krone weitergeturnt war, ohne auf die Erde zurückzukehren, galt es, aufzupassen. Oft mußten wir viele hundert Meter im Kreis herumgehen und suchen, bis wir die Spur wieder aufnehmen konnten.

An einem schmalen Weg, von einer Weißdornhecke gesäumt, fanden wir die unverkennbare Spur des Dachses. Schon vor einigen Tagen, während des kurzen Frühlingswetters, hatte Grimbart seinen Bau verlassen. Damals fand ich seine Spur im aufgeweichten Lehm am Waldsaum. Jetzt, im Winterschnee, mochte er sein frühzeitiges Aufstehen bereuen, denn dürr und mager, wie er nach der langen Fastenzeit sein mochte, sagte ihm die Kälte nicht zu. Wir folgten der Spur: sie verlief schnurstracks in den Bau zurück. Nun lag er dort in der Wärme, aber sicherlich mit knurrendem Magen. Und wahrscheinlich erwartete er mißmutig die Tage, bis ihm das Schmelzen des Schnees die Futtersuche erleichtere.

Eine wahre Aufregung für uns begann in dem alten Buchenwald, wo die gewaltigen Silber-Stämme wie Säulen einer gotischen Kirche hochragten. Es war das Stück, das den Namen trägt: an der Römerstraße. Schon aus der Ferne sahen wir, daß hier die Schneedecke aufgerissen war. Das waren die Sauen, die unter den Buchen nach Futter gesucht hatten. Wir sahen deutlich die Fährte des schweren Keilers und zählten insgesamt acht Sauen. Sie waren von der Tannendickung hergekommen, hatten sich es hier schmecken lassen und waren dann langsam den Berg hinaufgezogen.

Noch einmal, am frühen Nachmittag, stießen wir auf eine Saufährte. Wir folgten lange dem Weg einer Bache, die dort mit ihren Frischlingen gezogen war. Wir versuchten an den Spuren die Frischlinge zu zählen, aber das war unmöglich, weil die Kleinen alle, bis auf eines, genau hintereinandergelaufen und säuberlich in die Spur des Vordermannes getreten waren, so daß es aussah, als sei hier nur eines gegangen. So hatte es ihnen ihr Instinkt gesagt, der seit Urzeiten her in ihnen lebendig ist. Wir stießen wieder auf eine Fuchsspur, und später am Weiher sahen wir, wo der Fischreiher am Ufer entlanggegangen war. Einmal fanden wir auf dem Schnee einen Haufen Federn vom Grünspecht. Vielleicht war er dem Habicht in die Fänge geraten, oder während der Nacht dein Waldkauz ? Die Jagd nach dem Marder wurde aufregender und anstrengender. Es ging über Abhänge, überwachsene Waldwiesen und Kahlschläge, durch Dickungen.

Hier zogen Rehe
Foto: Julius Eigner

 Der Weg führte durch ein Dorf, Durch angewehten Schnee stapften wir hinab ins Tal, darin einen schwierigen Hang hinauf, und kaum waren wir oben, ging es wieder steil in die Tiefe. Schon längst dampften wir. Wir hatten die Windjacken und sogar eine Wolljacke ausgezogen, und wir spürten, wie der Schweiß an uns hinablief. Dennoch waren wir so erregt von der Jagd, daß wir weder Hunger noch Müdigkeit empfanden. Einmal, als wir in einer Eiche ein Eichhörnchenest entdeckten und selbst nach halbstündigem Suchen nicht wieder auf die Marderspur gestoßen waren, vermuteten wir, daß der Marder sich dort zu einem Schläfchen eingerollt haben könnte. Aber während wir noch mit uns zu Rate gingen, fanden wir doch die Spur wieder. Sie führte in eine Fichtendichtung und zwang uns, uns auf allen Vieren durch sie hindurchzuschieben, wobei uns der Schnee in den Hals lief und dann als eiskaltes Wasser den Rücken hinunterlief. Auf der Talsohle, wieder am Bachrand, fanden wir eine Iltisspur. Im Gebüsch entdeckten wir erneut die Fährte des Fuchses. Dazwischen war ein dichtes Netz von zarten und zierlichen Mausspuren. Auch die Tritte einer Krähe fanden wir, die sich hier eine Weile ergangen hatte. Schließlich stießen wir auf die Fährte eines kapitalen Hirsches. Groß und tief war sie eingedrückt und so gut erhalten wie ein Gipsabdruck, Die Schwere des Tieres verriet sich durch die Tiefe der Fährte. Wir vergaßen eine Weile die Marderspur und folgten der des Kapitalen, der in weiten Kurven, scheinbar ziellos durch den Wald geschritten war. Eine wahrhaft königliche Fährte, und im Geiste sahen wir das Tier vor uns, das wir nicht mit Unrecht den König unserer Wälder nennen. Wie verführerisch waren die Berge in ihrem Wintergewand! Wie glitzerte der Schnee, wenn immer wieder die Sonne schräg auf ihn fiel!

Wer zählt all die Spuren, die wir an diesem Tage fanden? Wer kann wohl die vielen Erlebnisse deuten, wie sie sich in ihnen ausdrückten? Am Rand einer Waldwiese fanden wir auch die Spuren eines letzten Kampfes. Hier hatte der Fuchs ein Kaninchen gepackt; der Schnee war aufgewühlt — dort waren ein paar Blutstropfen, ein paar Büschel Kaninchenhaare . . .

Als es fünf Uhr wurde und die rote Sonnenscheibe sich dem Horizont näherte, hatten wir 13 Kilometer zurückgelegt. Es war Zeit, nach Hause zurückzukehren. Auf dem Heimweg stießen wir unerwartet auf einen Bauern, der einen toten Marder in der Hand hielt. Es war ein schönes, dunkelbraunes Tier mit einem gelben Kehlfleck.

„Acht Hühner hat er mir getötet", sagte er, „jetzt endlich hab ich ihn. Mit dem Geld, das ich für den Balg kriege, kann ich mir die Hühner wieder kaufen!"