Das Sinziger Urkunden-Inventar von 1774

VON HANS KLEINPASS

Anno 1774 besaß die Stadt Sinzig noch einen kostbaren Schatz: 41 alte Urkunden zur Geschichte der Stadt Sinzig aus den Jahren 1220 bis 1665. Diese lokalhistorisch bedeutsame Tatsache blieb selbst in der heimatkundlichen Literatur der Stadt Sinzig bisher unerwähnt. Wer von den Sinziger Bürgern mag wissen, daß die Stadt Sinzig damals diesen kostbarsten Teil ihres städtischen Archivs in einer besonderen Kiste aufbewahrte, die offenbar aus Sicherheitsgründen in der Sakristei der Sinziger Pfarrkirche St. Peter stand. Die Sakristei muß sich damals wohl in der heutigen Taufkapelle der Sinziger Kirche befunden haben.

Ein Aktenstück des Bistumsarchivs Trier (Abt. 36, Nr. 11 o) gibt uns Zeugnis von der Existenz und dem Inhalt dieser ehemaligen Sinziger „Kirchen-Kiste". Die Aufschrift dieses neun Seiten umfassenden Aktenstückes lautet: „Protocollum de 13'a May 1774 Bey in-ventarisirung deren in der Kirchen Kiste befindlichen Stadt und Amtsbriefschaften und Privilegien." Es handelt sich bei diesem Aktenstück jedoch nicht um das Original von 1774, sondern um eine „gleichlautende Abschrift", die der ehemalige Sinziger Bürgermeister Vogel am 19. Mai 1819 anfertigte und unterzeichnete. Leider enthält dieses Aktenstück nicht die vollen Texte der alten Urkunden, sondern nur Regesten, d. h. abgekürzte Inhaltsangaben.

Interessant ist u. a. auch die technische Durchführung der damaligen Inventaraufnahme. Ganze vier Tage wurden für diese 3774 offenbar erstmalig durchgeführte Inventarisierung benötigt, ein Zeitraum, der nur dem Laien lang erscheint. Ein wissenschaftlicher Archivar würde dafür heute ein Vielfaches an Zeit benötigen, dafür aber auch gründlichere und bessere Arbeit liefern. Man nahm die Urkunden damals vor, wie sie eben kamen, und führte sie im Inventar auf, ohne sie etwa vorher zeitlich zu ordnen. In dem einen oder anderen Falle muß man die damals aufgestellten Regesten deshalb mit einer gewissen Vorsicht behandeln und verwenden. Dennoch soll der Inhalt dieses Aktenstückes hier nicht vorenthalten werden.

Am Freitag, dem 13. Mai 1774, fand sich morgens in der Sakristei der Sinziger Pfarrkirche eine illustre Gesellschaft ein: der damalige Vogt, Hofrat Gülich, ferner von Remagen Bürgermeister Bernardus Magh und Anton Schaefer, von Heimersheim Anton Steinheuer, Johannes Simons und Stephan Schaefer, von Unckelbach Bürgermeister Christian Müller und der Schöffe Gottfried Schaefer, von Coisdorf Mathias Heinzgen, Johannes Haas und Lambert Everz, von Löhndorf Bürgermeister Peter Schmickler und Anton Schmilz, von Sinzig Bürgermeister Peter Nachtsheim, Johannes Strunck jun., Anton Reichelstein, Hubert Cronenberg, Christophel Zimmermann und der Stadtschreiber Moeren. Nachdem nun der Sinziger Bürgermeister den anderen Schlüssel „zu der gemeiner in der Sacristeihe befindlicher Kisten" beigebracht hatte, „so hat mann sich in die Sacristeih erhoben, die Kiste eröfnet, die von Kaiseren und Königen herkommende Documenta Originalia heraus genehmen und auf das Bürgerhaus zur inventarisation hingetragen, womit der ganze Morgen zugebracht worden". Erst am Nachmittag des 13. Mai 1774 begann dann im Beisein der Versammlung die eigentliche Inventarisierung der Urkunden.

Unter Nr. l ist im Inventar eine Urkunde von 1295 aufgeführt, und zwar „Der Pfandbrief zwischen dem Römischen König Adolph und dem Marckgrafen Gerharden von Gülich, in Lateinischer Sprach, de anno 1295, ohne Siegel . . ." Aus der Niederschrift geht hervor, daß das Original dieses Pfandbriefs damals nach Anfertigung einer Abschrift (im Beisein der beiden Notare Johann Wilhelm Kremer von Linz und Johann Arnold Ferber von Erpel) dem Vogt, Hofrat Gülich, gegen Empfangsbestätigung „zur einschickung und remittirung" ausgehändigt wurde.

An weiteren Urkunden sind dann im Inventar aufgeführt:

(Nr. 2) Confirmatio deren Freyheiten und Privilegien der Stadt Sinzig von Wilhelm Grafen zu Wede, de anno 1374 in die Sti. Petri.

(Nr. 3) Freyer Geleits-Brief vor und auf den Marck zu Sinzig vom Kaiser Ludwig, de anno 1335.

(Nr. 4) Daß die Gemeinen zu Sinzig dem Rath unterthänig und gehorsams seyn sollen, von Herzogen Wilhelm zu Gülich und Cleve, de anno 1372.

(Nr. 5) Daß die Stadt Sinzig den darunter gehörigen Dörferen den Scherz sollte sehen können, von Herzogen Wilhelm zu Gülich und Cleve, de anno 1372. (Nr. 6) Confirmatio Privilegiorum der Stadt Sinzig vom Grafen von Wede, vom Jahr 1374. (Nr. 7) Concession und Confirmation einiger Marck Tagen der Stadt Sinzig, von Wilhelm Grafen zu Gülich, de anno 1306.

(Nr. 8) Privilegium für die Stadt Sinzig einen Jahr Marck zu halten, von Wilhelm Herzog zu Gülich, de anno 1373. (Nr. 9) Graf Adolph von Cleve gelobet die Stadt Sinzig und zu gehörige Dorfschaften, bey ihren alten Gerechtigkeiten und Herkom-Westum, Löhndorf, Coisdorf und Unckelbach men zu belassen, de anno 1398.

(Nr. 10) Römischer König Henricus verstattet drey Tage Jahrmarck, vor dem Sontag ante festum assumtionis B.M.V., de dato Cölln in januario 1310.

(Nr. 11) Gnadenbrief Herzogen zu Gülich Wilhelm für Sinzig vom Jahr 1371 die Juden und Lombart betreffend.

(Nr. az) Schein, vermög wessen Sinzig von Herzogen Wilhelm dem Grafen von Wede übergeben und ihrer Huldigung und Eids entlassen worden, vom Jahr 1367.

Am Samstag, dem 14. Mai 1774, wurden dann vormittags acht und nachmittags sechs weitere Urkunden inventarisiert: (Nr. 13) Ludovicus Römischer Kaiser verleget den sonst 3 Tag vor assumtionis B.M.V. und 3 Tag hernach denen Sinziger gestatteten Marck auf Sti. Martini Fest ab anno 1335.

(Nr. 14) Confirmatio der Sinziger Gerechtigkeiten von Herzog Wilhelm zu Gülich vom Jahr 1351.

(Nr. 15) Confirmatio privilegiorum Signia-censium Archi Episcopi Coloniensis Sigfridi de anno 1220.

(Nr. 16) Ein uraltes Document, so aber gar nicht zu lesen ist.

(Nr. 17) Ulrich erwehlter zu Trier confirmi-ret die von den Herzögen zu Gülich der Stadt Sinzig ertheilte Freiheiten und privilegia, de anno 1431.

(Nr. 18) Verwilligung der Trierischen Huldigung zu Sinzig von Herrn Ruprecht Sohn zu Berg, de anno 1471.

(Nr. 19) Gerard von Cleve confirmiret alle denen Sinziger vom Reich gegebene Freyheiten und Gerechtigkeiten, de anno 1418.

(Nr. 20) Wilhelm Herzog von Gülich erlaubet denen Sinziger einen Lombarden und Joden, de anno 1395.

(Nr. 21) Übertrag des Herzogen Gerard von Gülich und Berg an den Erzbischofen Dedrich zu Cöllen der Stadt und Pflege von Sinzig und Remagen, de anno 1451.

(Nr. 22) Confirmatio privilegiorum der Stadt Sinzig, und Erzbischofen Ruprecht! von Cöllen, wie solche schon von dessen Vorfahreren Erzbischofen zu Cöllen Dedrich bestättiget worden, als sie Ihnen vorher als Landsherrn gehuldiget, de anno 1463.

(Nr. 23) Erz-Bischof Herman von Cöllen confirmiret denen Sinziger ihre Privilegia und Gerechtigkeiten wie solche Erzbischof Ruprecht schon vorher confirmirt gehabt de anno 1480, als die Sinziger Ihnen vorher als Landesherr gehudiget.

(Nr. 24) Confirmatio deren Sinziger Freyheiten und Gerechtigkeiten von Erzbischofen Herman zu Cöllen, welcher sich auf gleiche Confirmation seines Vorfahreren Erzbischof Herman zu Cöllen beziehet de anno 1515 als sie Ihnen vorher gehuldiget. (Nr. 25) Adolph Erz-Bischof zu Cöllen bestättiget denen Sinziger ihre Privilegia, Rechten, Gebrauch und Herkommen, wie solche von dessen Vorfahren confirmirt worden, als sie Ihnen voraus gehuldiget, de anno 1547. (Nr. 26) Concession des Erzherzogen Wilhelm zu Gülich, Cleve und Berg, vermög welcher denen Sinziger erlaubet wird eine Mahl Mühle auf der Ahr gegen jährliche recognition von 3 Rthlr. zu erbauen, de anno 1575.

Am Montag, dem 16. Mai 1774, machte man sich vormittags erneut an die Arbeit und erfaßte weitere vier Urkunden: (Nr. 27) Notarial instrumentum über von den Sinziger der Durchlauchtigsten Frauen Antonettae Herzogin zu Gülich, Cleve und Berg, gebohrnen Fürstin zu Lottringen geleisteten Huldigungs Eyd, falls Höchstdieselbe die letztlebende in der Ehe mit dem Durchlauchtigsten Fürsten u. Herren Johann Wilhelm Herzogen zu Gülich, Cleve und Berg pp. seyn, und das Höchst zum Wittumbsitz ausgemachtes Schloß zu Sinzig beziehen, und die ihr in diesen Ämtern Sinzig, Remagen, Neu-enahr und Münster Eiffel angewiesenen Heyrathsgeldern benuzen würde, bey welcher Huldigung denen Sinziger all ihre alte Gerechtigkeiten, Freyheit und Gewohnheiten feyerlichst bestättiget, und sie dabei zu belassen, angelobet worden de anno 1599. (Nr. 28) Notarial Instrument über von der Verwittibter Frau Fürstin Antonetta von Gülich, Cleve und Berg pp, gebohrne Herzogin Colabrien, Lottringen und Baar genohmene wirkliche real possession des Schlosses zu Sinzig, und deren Ämtern Sinzig, Remagen, Neuenahr und Münster Eiffel als ihres vermachten Wittumbsitz, worinnen der im Jahr

1599 höchst Ihrer von denen Sinziger bereits geleisteter Huldigung gedacht, und ermelte Sinziger sich die Bestättigung ihrer Privilegien, Gerechtigkeiten und Gewohnheiten de novo ausbedungen haben de anno 1609.

(Nr. 29) Original Confirmation aller denen Sinziger von vorigen Landsherren ertheilter Privilegien, Gerechtigkeit, und gewohnhei-ten, von denen Herren Commissariis deren Durchlauchtigsten Ernst Marckgrafen zu Brandenburg und Preußen, fort Wolffgang Wilhelm Pfalzgrafen bey Rhein pp. als Höchst dieselbe nach absterben des letzten Herzogen zu Gülich Cleve und Berg pp. von diesen Landen possession ergriffen, und die Sinziger angelobet keinen anderen Herren erkennen zu wollen, bis dahin zwischen obbemelten Beiden hohen Häuseren die Theilung der Landen reguliret seyn würde, de dato Düsseldorf 20 Nov. 1609 von Beiden Herren höchsthändig unterschrieben.

(Nr. 30) Original fundation von Vier Qua-temper und ein anniversariums Messen in der Pfarr Kirche zu Sinzig, wie auch einiger Armen Renthen von der Verwittibter Frey-frauen von Orsbeck wofür 28 RThlr jährlicher Renthen von einem auf der Chur Cöllnischer Stadt Linz haftenden Capital angewiesen, und zur Auszahl- und respect. Ausspendung verordnet sind, de dato in vigilia Sti. Michaelis 1624.

Hiernach trat dann bei der Inventar-Aufnahme eine Unterbrechung von etwa zwei Wochen ein, und in dem schriftlichen Protokoll heißt es dazu: „. . . weilen inzwischen Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht Landschreiber dahier angekommen, und die Brüchten besessen worden, so hat miteler weile mit der In-ventarisation eingehalten werden müßen ..." Am Freitag, dem 27. Mai 1774, wurden dann vormittags weitere sechs und nachmittags die restlichen fünf Urkunden inventarisiert. Die uns hierzu in der Niederschrift überlieferten Regesten lauten wie folgt:

(Nr. 31) Herzog Wilhelm von Gülich verpfändet die Stadt Sinzig mit zugehörigen Dörferen Westum, Löhndorf, Coisdorf, Heimersheim und Unckelbach an Adolph Grafen zu Cleve und entlaßet die Sinziger Bürger und zugehörige ihrer Huldigung und Eidspflichten, de anno 1398.

(Nr. 32) Otto Erzbischof zu Trier confirmiret denen Sinziger alle ihre Privilegia, welche solche von denen Herzogen zu Gülich dabevor schon confirmiret gewesen, de anno 1421. (Nr. 33) Vertrag zwischen dem Grafen Wilhelm zu Wede und denen Sinziger wegen einlösung der Stadt Sinzig und zugehöriger Dörferen de anno 1334-

(Nr. 34) Gerard von Cleve und Marck versetzet und verpfändet Sinzig und darzu gehörigen Dörfer an Grafen von Moers, entlaßet die Sinziger ihrer Huldigung, und Eidspflichten, und befehlet selbigen hinführe be-meltem Grafen zu Moers zu gehorsamen, bis er Gerard sie wieder einlösen würde — de anno 1418.

(Nr. 35) Quittung Adolphen Erzbischofen und Churfürsten zu Cöllen über 8000 und 10 ooo Goldgulden so zu errettung des ErzStifts vieler Beschwehrungen ausgeschrieben worden, de anno 1549.

(Nr. 36) Urkund über von dem Herzogen Wilhelm zu Gülich geschehene Einlösung des halbentheils der Ämter Sinzig und Remagen, welche bis dahin dem Erzbischofen von Cöllen Gerharde versetzt gewesen, und erlaßung Chur Cöllnischer Huldigung und Pflichten, de anno 1560.

(Nr. 37) Notificatorium Herzogen Wilhelm zu Gülich an Bürgermeister, Scheffen und Rath zu Sinzig und Remagen, von Gebhardo Churfürsten und Erzbischofen zu Cöllen eingelöset scye. fort Auftrag an die Amtleuthe von Orsbeck von Eller und dem Land Rentmeistern von Höngen die Huldigung von Sinzig einzunehmen, wogegen ermelter Herzog Wilhelm denen Sinziger alle ihre privilegia, Freyheiten, Gerechtigkeiten und Gewohnheiten bestättiget. de anno 1560.

(Nr. 38) Conflrmatio des Wochenmarcks zu Sinzig von Herzogen Wilhelm zu Gülich.

(Nr. 39) Als die Einwohner der Stadt Sinzig der daselbst residirender Verwittibter Herzogin zu Gülich einige Handdiensten gethan, und ferner thun wollen, so reversiret obbemelte Herzogin sich, daß solche denen Sinziger zu keinem praejuditz gereichen, noch zur Consequenz gezogen werden solle, de 28va May 1663.

(Nr. 40) Verwittibte zu Sinzig residirende Herzoginn zu Gülich aßentiret, daß die von denen Sinziger und zugehörigen Dörfern Ihro im Garten und sonsten geschehene Handdiensten denenselben zu keinem praejuditz oder abbruch ihrer Privilegien gereichen solle, de 2oma Xbris 1664.

(Nr. 41) Maria Francisca Verwittibte zu Sinzig residirende Herzogin zu Gülich versicheren, daß einige von denen Sinziger Ihro auf gesinnen geschehene Holzfuhren denenselben zu keinem praejuditz noch schmälerung ihrer Freyheit gereichen sollen, de 22da Xbris 1665. Der Schlußtext der vorliegenden Abschrift lautet dann wie folgt:

„Weilen sich nun nichts Originales merck-würdiges mehr befunden, so seynt oben in-ventarisirte Urkunden beysammen gebunden, und wieder in die Gemeinheits Kiste in die Kirch zurückgetragen und geleget worden. Ita actum ut supra. In fidem et pro Extractu Inventarii gez. W. Hertgen, Gschbr. Für gleichlautende Abschrift: ausgefertigt zu Sinzig 19. May 1819. Der Bürgermeister: Vogel."

Ordnet man diese 41 Uurkunden einmal nach ihrer zeitlichen Reihenfolge, so stammten 2 Urkunden aus dem 13. Jh., 16 aus dem 14. Jh., 8 aus dem 15 Jh., 7 aus dem 16. Jh. und 6 Urkunden aus dem 17. Jh. Außerdem sind im Inventar von 1774 zwei Urkunden ohne Angabe des Ausstellungsdatums aufgeführt. Das älteste und vermutlich wertvollste Stück war wohl die unter Nr. 16 erwähnte Urkunde, die damals offenbar niemand zu lesen verstand. Man darf deshalb wohl mit Sicherheit annehmen, daß diese Urkunde lange vor den übrigen mit ihrem Datum aufgeführten Urkunden ausgestellt wurde.

Noch heute lagert in den verschiedensten staatlichen und sonstigen Archiven eine große Zahl alter Urkunden zur Geschichte der Stadt Sinzjg. Die hier erwähnten 41 Urkunden stellen im Vergleich dazu nur einen Bruchteil dar. Bisher hat sich jedoch leider noch niemand daran gemacht, die alten Texte zusammenzutragen und ein Buch mit den „Urkunden und Regesten zur Geschichte der Stadt Sinzig" zu veröffentlichen. Beginnend mit der ältesten nachweisbaren Urkunde von 762 ergäbe sich eine Urkundensammlung zur Geschichte der Stadt Sinzig für einen Zeitraum von rund 1200 Jahren. Vielleicht würde bei einer gründlichen Nachforschung auch die bisher so sehr vermißte Urkunde über die Stadtwerdung Sinzigs ans Tageslicht kommen.