Ein Schafhirt war's

VON TONI EICH

Überlegt einmal: Es webt doch etwas Geheimnisvolles um das Dasein der Hirten. Seit Beginn der Menschheit ziehen sie durch die Zeiten mit ihrer Herde. Schweigen senkt sich traurig auf ihre sinnende Gestalt: Hände und Kinn auf einen Stecken gestützt, die Welt ertastend mit ihrem Blick, — wie das Denkmal eines Geistesfürsten. Gott gab ihnen ihre Bestimmung; seit urdenklichen Zeiten ist es so. Und schaut, sie waren doch die ersten Zeugen jenes größten Geschehnisses der Menschheitsgeschichte, als Engelsmund sie hieß, nach Bethlehem zu eilen, dem armseligen Kinde in der Krippe ihre unbeholfene Huldigung darzubringen. So ist's verbrieft im Buch der Menschheit, das sie begleitet, nach Väter Art, auf ihrem stummen Zug. Und wenn der Weihnachtsfrieden niederkommt, fingern sie mit grober Hand nach jener vergilbten Seite, da der göttliche Ruf an sie erging. Dann eilen sie zur Krippe wie ehedem. So halten sie's, — auch heute noch . . .

Ja, schweigend tragen sie ihr Wissen um Göttliches und Menschliches, um Natur und Dinge, die da sind. Ach, öffnet sich gar ihr Herz, dann sprudelt bilderreiches Wissen den Gefährten an, wie weise Bücher es so einfach-wahr nicht vermögen.

So erging's auch mir: Damals, droben im Land der Ahnen, da, wo die Ahr jugendfroh dahinträllert, zog er seine Fährte durch struppiges Heidegras und stand sinnend in sich — wie die Säule eines Wacholderbusches. Ach, dieser Schafhirt! — Ganz borstiges Haar, daraus ein geschnitztes Antlitz bräunte. Und obenauf hockte ein glockiger Hui. Oh, dieser Hut! Sonne, Regen und Wind, reihum, hatten ihn gefügig gemacht und sein Ansehen vertan. Zwei listige Augen, die Wissen funkelten, erhellten sein buschiges Gesicht. So sah ich ihn oft, zu scheu ihn anzugehen. Doch eines Tages stand ich vor ihm. Eine Beute bunthütiger Pilze, mit stelzigen und knolligen Beinen, wölbte sich aus dem Grund seines Hutes, und als er meinen fragenden Blick erkundete, hob er zu sprechen an in der bäurischen Sprache seiner Eifelheimat, bilderreich — geheimnisvoll sein Plaudern. Schweigen ist euer höchstes Gut! Wer vermag's besser als ein Pilz? Es ist ein köstlicher Genuß, das Schweigen, so sagt auch ein sinnender Dichter. Dann hielt er sie zärtlich dar mit seiner knorrigen Hand. He! Pfifferling, so gering bist du nicht, zwar vieler Leute Speise schon, doch warte, am Jüngsten Tage wird dein Schweigen fallen, und deine Posaunen werden den Wald erschauern lassen. Ich weiß es wohl, der Ahn verriet es mir. Du edler Steinpilz, ein Standbild aus Stein bist du! Nicht umsonst heißt man dich Herrenpilz. Mit Adel trägst du dich, man sieht's, wenn im lichten Tann dein fester Wuchs dich mächtig schirmt. Und wie zu allem Hehren des Teufels List so gern zu schleichen weiß, so versuchst auch du es, Satanspilz, dich wohl zu tarnen. Zwar bist du leicht erkannt: die Höllenfarben verraten dich. Edel seid auch ihr, Rotkäppchen, Birkenpilz. Auf schlanken Beinen wiegt ihr euer schönes Köpfchen, hingeneigt zu den Birken und Pappeln, daß ihr Flüstern auch euch beglücke. Nicht schelten will ich dich, Maronen-röhrling, Zigeuner du, — verloddert stehst du da herum. Doch kenne ich deinen inneren Wert, du weißt es selbst, deswegen schmückst du dich auch nicht. Was wären meine Einbrandsuppen ohne dich? Wem stünde die Schönheit besser an als dir, Fliegenpilz? Ich

Steinpilze Fliegenpilze

weiß um deines farbig schillernden Ruhmes, und ich kenne deine innewohnende höllische Kraft, auf Wolken gleich ins selige Traumland hinzusegeln. Deine Schönheit ist sündige Verführung. Und du, Champion, gabst mir zu manchem kargen Vesperbrot eine würzige Zugabe. Doch hüte dich vor dem Verräter, der mit frommem Augenaufschlag, aber den Teufel im Nacken, sich dir ebenbürtig anbiedert, du Knollenblätterpilz! Ein Judas bist du, des elenden Schurken Ebenbild! So ging es hin, eine lange Weile, mit seinem deutungsreichen Plaudern, gleich dem erzählenden Murmeln eines Baches, bis die wolligen Hütehunde seine stämmigen Beine umknurrten, ihren Herrn gemahnend, daß er der Herde nicht vergessen möge. Was scherte ihn das, als er gerade anhob, urgründiges Wesen den Pilzen anzudichten. — Dunkel ist eure Herkunft, einem unsichtbaren Geflecht entwindet ihr euch. Ja, ein Stück Schöpfungsgeschichte, voller Geheimnis. Ein Regehstoß, dazu die wärmende Hand der Sonne, und schon reckt ihr eure Köpfe, kein Hindernis scheuend.

Bild um Bild reihte er seiner Erzählung bei. Sinn und Herz glühten ob solchen Wissens. Und es glomm in mir weiter bis zum heutigen Tag. Aus liebevollem Herzen schreibe ich es dahin. Ihr habt es in Händen. Ich aber halte es so: Just, wenn der Lenz den Wald durchgaukelt, bin ich bei euch Pilzen in den verschwiegenen Gründen. Bis hin zu den dunklen Tagen des Sterbens verfolge ich eures flüchtigen Lebens bunte Spur, ihr frohen, stummen Gefährten meiner Wanderschaften. Nicht Habgier treibt mich. Freundschaft ist's, die aus dem Herzen kommt und nie zerstören kann. Gedenken will ich immer jenes Schafhirten, den lange schon durchglühte Eifelerde deckt. Und wenn ein Schafhirt mir begegnet, so erblicke ich in ihm den alten. Denn alle sind sie gleich, ein ewiges Geschlecht.