,Unser tägliches Brot'

VON PETER WEBER

Wo immer wir hinschauen, es ist gar nicht so selbstverständlich, täglich Brot zu haben und satt zu werden. Das beweisen die Verhältnisse in der Welt in aller Deutlichkeit, denn zwei Drittel der Menschen hungern. Und doch, beten wir nicht häufig das „Vaterunser" gedankenlos, geben wir der Bitte um das tägliche Brot keinen Nachdruck, tun so als wäre das tägliche Brot selbstverständlich? Wir wissen, es gehört mehr dazu, als nur darum zu bitten und es zu nehmen. Wir müssen für unser täglich Brot arbeiten, und so wird es vom Schweiße gewürzt und im Schweiße des Angesichtes genossen. Das wußten unsere Vorfahren besser als wir; denn Not, Hunger und Elend waren häufige Gäste. Viele wanderten aus in der Erwartung, fern der Heimat das tägliche Brot leichter und besser zu erringen als daheim. Wie wurden viele enttäuscht !

Wie sah es bei unseren Vorfahren um das tägliche Brot aus?

Da war zunächst die kleine Anbaufläche, denn die Ländereien dienten zum größten Teil als Weide. Wie mühselig war die Schiffelkultur. Und dann war oft in der Not das letzte Saatgetreide aufgegessen worden, um hungrige Mäuler zu stopfen. Häufig reichte das Brot überhaupt nicht, und so mußte gegen die besten Ländereien Getreide eingetauscht werden. In solchen Jahren fuhren die Ochsenkarren aus der Eifel bis nach Köln, um dort Getreide zu holen, das mit Schiffen teils aus Frankreich dorthin gebracht worden war. Das geschah besonders in den Hungerjahren 1818 und 1848.

Nach der Saat begann die Sorge, und manch' Gebet um gedeihliche Witterung begleitete den bäuerlichen Alltag. Kam die Zeit der Mahd, wurde mit Sicheln oder kurzen Sensen (Krummen) das Korn geschnitten. Man gab acht, daß keine Ähre verloren ging, und nach dem Abernten suchten Ährenleser die Stoppelfelder ab. Die Halme wurden sauber gebunden und auf Kasten gestellt. Nach der Ernte wurde das Saatgetreide (und im Winter das übrige) auf der Tenne mit dem Dreschflegel ausgedroschen. Da die Halme bei diesem Dreschen ganz blieben und das Stroh ausgeschüttelt wurde, konnte das beste zum Ausbessern oder zur Erneuerung der Strohdächer und Strohsäcke benutzt werden.

Die Vermahlung des Getreides mußte für einen bestimmten Bezirk häufig in einer Zwangs- oder Bannmühle erfolgen. Eine herzogliche Zwangsmühle war auch die Dreisbachmühle im Dreisbachtal, im Tale zwischen Wershofen und Eichenbach gelegen, an deren Standort noch Wirtschaftsgebäude (Scheune) erhalten sind. Dorthin brachten die Bauern ihr Getreide. Der Müller hatte an Pacht jährlich ein Schwein und Geflügel ans Schloß zu liefern; außerdem die Forellen für die herzogliche Tafel. Noch heute sind dort oberhalb des Gebäudes die Anlagen der Mühlenteiche im Gelände zu erkennen. In Preußen wurde der Mühlenzwang durch Edikt von 181 o aufgehoben. Als Mahllohn nahm der Müller kein Geld, sondern Getreide, die Molter. Die Höhe des Mahllones schwankte je nach Ort und Zeit (Vu; 4-6%). Bevor das Brot die Hauptspeise bildete, wurde in der Eifel Hafermehlbrei gegessen. Deshalb gab es auch sogenannte Breimühlen. Das Mahlen des Hafers erfolgte am Breitag, weil dafür die Mühlen besonders eingestellt werden mußten. Das übrige Getreide (meist Roggen) wurde nicht so fein gemahlen, so daß das Brot eine dunkle Farbe bekam und wenig Kleie übrig blieb. Auch der Buchweizen hatte größere Verbreitung. Vor Festtagen, an denen es Fladen gab, ließ man das Mahlgut mehrmals „beuteln", d. h. aufschütten, und durch ein feines Sieb aus Leinen gehen, das die Form eines Beutels hatte. Dieser Vorgang wurde später mechanisiert. Es wurde nur feineres Mehl verwandt, das natürlich keinen Vergleich mit dem heutigen aushält. Oft wurde auch Fladen aus Roggenmehl gebacken. Die Fladen wurden mit Pflaumen-, Apfeloder Birnenmus belegt, manchmal auch mit Grieß oder Reis.

Wie sah es damals in der Backstube aus? In vielen Orten gibt es den Familien- und Hausnamen „Backes", der seinen Ursprung im Gemeindebackhaus (Backes) oder vom später entstandenen privaten Backes (meist ein Anbau) hat. Dieses Backhaus konnte gemeindlich oder herrschaftlich sein. Handelte es sich um ein Bannhaus oder einen Bannofen, so mußten alle Bewohner des dazu gehörenden Bezirks dort backen. Die Gemeindebackhäuser wurden auch für andere Zwecke benutzt. Das Backlos bestimmte die Reihenfolge des Bak-kens. Das Backgeld war für die Benutzung des Backofens zu bezahlen. In den Mühlen wie in den Backhäusern kamen regelmäßig viele Menschen zusammen, und hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht und verbreitet. Das gemeinschaftliche Backhaus hatte verschiedene Vorteile, wenn man die damaligen Verhältnisse in Rechnung stellt. Die einzelnen Bürger sparten den Raum und die Kosten für die Einrichtung. Da der gemeinschaftliche Ofen dauernd benutzt wurde, konnten dadurch Holz und Zeit gespart werden. Gleichzeitig wurde auf Reinlichkeit wert gelegt. Die Feuersgefahr für die Häuser mit Strohdächern wurde vermieden. Nach dem letzten Kriege sind erneut solche gemeindlichen Einrichtungen auf dem Hunsrück errichtet worden; in der Eifel waren es Gemeindesäle, Schlachthäuser, Kühleinrichtungen usw. Nach und nach, bei Vergrößerung der Gemeinden und im wirtschaftlichen Aufstieg, wurden in den Bauernhäusern eigene Backöfen errichtet. Der Ofenbauer kam häufig vom Niederrhein. Unter dem oben gewölbten Ofen mit den zwei Zügen, die über der Ofentür verschließbar waren, befand sich die Aschengrube. Oft war auch der Backofen in einem Nebengebäude, dem sogenannten Backes, untergebracht. Dort waren der Viehkessel, die Schrotkiste und manchmal auch noch eine Werkbank, Hier wurden im Winter Geräte zurechtgemacht und Körbe geflochten. Auch die sogenannten Brotkörbchen, die dem Brotlaib ihre Form gaben, machte man hier aus Haselnußgerten, welche man aufspaltete. Am Abend vor dem Backtag wurde der Sauerteig angerührt. Hatte man keinen Tisch, der auch aus einer Backmulde bestand, benutzte man eine besondere Backmulde, die früher aus Eichenholz angefertigt war und häufig Namenszeichen und Jahreszahl trug. Diese Eichenbackmulden waren sehr schwer. Später verwandte man auch andere Holzarten. Blieb die Teigmasse im irdenen Topf klein, so stellte man sie warm und streute Zucker darauf, um die Vermehrung der Hefepilze zu fördern. Stieg der Sauerteig über den Rand des Gefäßes, so stellte man den Topf kalt und streute Salz darauf. Am Backtag wurde früh aufgestanden und „in den Teig gegangen". Die Laibe wurden vorgeformt, geknetet und, nachdem ein bißchen Mehl ins Körbchen gestreut war, dareingelegt. Nun konnte der Teig nochmals „gehen", d. h. gären. Die Frauen bereiteten meistens den Teig, und der Mann hatte inzwischen den Backofen, der nach dem letzten Backen bereits wieder mit Backholz gefüllt worden war, angeheizt. Nach dem Verbrennen des Holzes wurde die restliche Holzkohle mit einem Eisenhaken aus dem Ofen gezogen und in die Aschengrube gefegt. Dann wurde der Ofen ausgekehrt und die Brotlaibe auf einen großen flachen Brotschieber gelegt, mit Milch oder Wasser überstrichen und eingeschoben. Das Einschieben war eine Kunst, zumal der Ofen ja immer dunkel und schwer zu beleuchten war. Dies war um so mehr von Bedeutung, wenn man mit dem Brot gleichzeitig noch Fladen backen wollte und man dafür Platz brauchte. Das erste Brot, das eingeschoben wurde, erhielt vier Vertiefungen in Kreuzesform. Es wurde Kreuzbrot genannt und als letztes verzehrt. — War die Backzeit vorbei, wurde das Brot nach dem Herausnehmen wieder mit Wasser überpinselt und zum Auskühlen abgestellt. Später kam es dann in die Truhe, die meist im Keller stand, damit das Brot lange frisch blieb.

Heute sind es nur wenige, die selber noch Brot backen, obwohl damit eine uralte Funktion des Bauerntums aufgegeben wurde. Die Entwicklung machte davor keinen Halt, und die Backöfen stehen leer. Trotzdem sollten wir auch heute noch das Brot, das wir beim Bäcker kaufen oder gegen Getreide eintauschen, ehrfürchtig in die Hand nehmen und vor dem Anschneiden, wie es Vätersitte ist, ein Kreuz darüber machen, damit es allen, die davon essen, zum Segen gereiche, Es mag zeitgemäß und rationell sein, nicht mehr selbst zu backen, das ändert nichts an der Bedeutung und dem Wert des Brotes.

Deshalb dürfte es nicht vorkommen, daß täglich Tausende von Butterbroten in die Mülltonnen wandern. Wie weh der Hunger tut, hat mancher nach dem Kriege erfahren. Die Jugend vor allem sollte lernen, das tägliche Brot als Gabe und Verpflichtung zu sehen. Sie soll dankbar die kostbare Gabe annehmen und ihre Aufgabe darin sehen, mit dafür Sorge zu tragen, daß alle Menschen täglich ihr Brot zu essen haben. Darüber hinaus sollte man sich bemühen, die Menschen wieder die Ehrfurcht vor dem Brot zu lehren. Dabei soll auch derer nicht vergessen werden, durch deren Mühe und Fleiß, Arbeit und Sorge das Brot geworden ist; und nicht zuletzt des Herrgotts, aus dessen liebevoller und gütiger Schöpferhand uns das tägliche Brot erhalten bleibt.