Die Landskrone und der Reichsfreiherr vom und zum Stein

Eine historische Untersuchung

VON HERMANN BAUER

Zur Geschichte unserer Landschaft

Philipp Von Schwaben, der jüngste Sohn Barbarossas, lag mit Otto, dem zweiten Sohne Heinrichs des Löwen, in schweren Kämpfen um Sie Kaiserkrone.

Über die Machtkämpfe der Staufen und Weifen berichtet was ein Kölner Chronist, daß der Staufer Philipp einen, gewissen Berg mit Namen „Landzcron" in der Nähe von Remagen besetzt und zum Mißvergnügen der ganzen Gegend daselbst eine Festung erbaut habe. Das war im Jahre 1206. Zum Herren der Feste erwählte der König seinen getreuen Vasallen Gerhard von Sinzig, der Später von" Friedrich II. mit Burg und Palast Landskrone belehnt wurde und somit der Ahnherr derer von der Landskrone ist. Der Besitz war so weiträumig, daß er die Teilung unter drei Familien im Jahre 1366 ertragen konnte. Gemeinsames Familieneigentum blieb die Burgkapelle. Unter den Nachfahren der Landskroner erschien 1450 ein Lutter Quadt als Herr der obersten Burg. Dieser Name ist in der Goldnen Meile und dem benachbarten Rheingebiet bis heute bekannt.

Der Ehe des letzten Namensträgers mit Margarete von Overlacker entsprossen sechs Töchter. Die älteste Christine, Katharina, Elisabeth ehelichte 1633 Johann von Brempt, der gestürtzt auf das Testament seines Schwiegervaters nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Witwe mit ihren noch unversorgten Töchtern von der Landskrone zu vertreiben. Diese stieß auf ihrer Flucht in ihre „Bodendorfer Herrschaft" einen solchen gewaltigen Fluch gegen Tochter und Schwiegersohn aus, daß man sich nicht zu wundern brauchte, als dieser wörtlich in Erfüllung, ging. Denn 1714 ließ Moritz von Brempt die Burg sprengen und zerstörte sie so gründlich, daß sich in dem Kriegsgewirr keine der Parteien hier mehr festsetzen konnte. Dann verkaufte er Berg und Ruine an die Herzöge von Jülich. Als Mitgift in die Ehe mit dem Reichsfreiherrn vom und zum Stein brachte 1798 seine Frau Marie Juliane von Clodh, eine Nachfahre derer von Quadt, die „Herrschaft Bodendorf". So tritt der große Staatsmann in das helle Licht der Geschichte unserer näheren Heimat.

Der Reichsfreiherr vom und zum Stein

Bekannt war er durch seine Reformpläne, die ihn in unüberbrückbaren Gegensatz zu der damals herrschenden Gesellschaft brachte. Als er 1807 zu Fall kam, war der Jubel seiner Feinde nur von ganz kurzer Dauer, da .die Niederlage Preußens so vollständig war, daß nur ein Mann von außergewöhnlichem Format sie zu überwinden vermöchte. Stein erkannte sofort, daß halbe Maßnahmen hier keine Heilung brachten; er mußte ein völliges Umdenken aller Schichten des Volkes einleiten. Daher übertrug er den Bürgern selbst die Verwaltung ihrer Gemeinwesen und löste so den Untertanengeist durch verantwortlich-politisches Denken: ab. Den .Bauern gab er die Selbstachtung gegenüber ihren Grundherrn wieder und, wenn er wegen des gewaltigen Widerstandes der Junker nicht ihre völlige Befreiung erreichte, so leitete er doch die Entwicklung dazu ein. Oberhaupt gab er für die ganze soziale Gesetzgebung neue Anstöße, die erst in, unserer Zeit ihre Früchte zeitigten, Napoleon sah, daß dieser Staatsmann auf dem Wege war, eines preußisch-deutsche Politik mit europäischer Ausstrahlung zu beginnen. Daher mußte er Stein zWIiigsläM^; unschädlich machen; doch dieser entzog sich seinen Nachststellungen und fand Aufnahme in Wien und Petersburg. Seine Güter in dem neuen französischen Staatsgebiet waren besonders gefährdet. Ihre Verwaltung lag indessen in treuen Händen bei dem Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde von Bodendorf Bartolpme Fey, dem es jedoch nicht gelang, in der französischen Zeit den Besitz Steins an der Ahr zu erhalten. Ein Dekret der Staatsverwaltung verlangte, daß alle seine Liegenschaften in Heimersheim, Lohrsdorf, Heppingen und Bodendorf zum Verkauf anständen. Daher erwarben Winzer und Bauern neuen Besitz, und auch Kirchen erweiterten ihre Pfründe. 3164 Francs waren ein geringer Erlös, für die Käufer ein gutes Geschäft. Mit der endgültigen Niederlage Napoleons änderte sich auch hier wieder das Bild. Pastor Fey mußte viel Ärger einstecken, und die Rückgabe des in der französischen Zeit erworbenen Besitzes mußte bisweilen beim Friedensgericht erzwungen werden. Kein Wunder, daß die Dankbarkeit des Freiherrn für den Pfarrer groß war. Daß Stein selbst den Bau einer Marienkapelle auf der Landskrone veranlaßt habe, ist eine Legende. Diese Kapelle hat alle Katastrophen der Burg überdauert und wurde bis 1797 von der Pfarrei Heimersheim, in deren Sprengel sie lag, unterhalten.

Landskrone mit den neuen Weinbergswegen
Foto: Kreisbildstelle

Die Stiftung

Die Stiftungsurkunde war in den Archiven nicht zu finden, wohl konnte ihr Inhalt aus dem Schriftwechsel späterer Zeit rekonstruiert werden. Am 19. März 1826 gelangten 60 Morgen Ackerland, Wiesen, Weinberge und Ödland in den Besitz von Pastor Bartolome Fey, der bis zu seinem Lebensende Nutznießer dieser Pfründe war; erst nach seinem Tode fielen die Liegenschaften an den Nachfolger im Amte. Man muß hier wissen, daß die Lebensgrundlagen der Pfarreien in diesen Pfründen und den Stipendien lagen, und man unterschied daher zwischen reichen und armen Pfarreien. Die Beurteilung solcher Vorgänge ist mit heutigen Maßstäben nicht zu messen. Der Stifter drückte die Dankbarkeit gegenüber einem Manne aus, der in schwerster Zeit mit viel persönlichem Einsatz seine Güter verwaltete. Die Stiftung gestattet aber auch einen Einblick in die religiöse Grundhaltung des Stifters. Ausdrücklich schreibt sie vor, daß in den fünf Sommermonaten jeden Samstag in der Kapelle auf dem Berge, an den übrigen Monaten ebenfalls samstags in der Pfarrkirche ,zu Bodendorf für die Lebenden und Verstorbenen der Familie des Stifters eine Messe gelesen werde. Wenn Neider behaupten, daß ihm, dem „Protestanten" an diesen Bestimmungen weniger gelegen sei, so hätte den Stifter doch nichts gehindert, die Güter aus Dankbarkeit allein dem. Pfarrer zu übereignen. Ein im Politischen so weit denkender Mann mußte in der konfessionellen Zweiteilung des deutschen Volkes für die Zukunft größte Gefahr sehen, die überwunden werden muß. Pfarrer Fey hat sich genau an den Text der Urkunde gehalten. Hätte er es getan, wenn er^die Gesinnung des Stifters in Zweifel gezogen hätte? Unverdrossen stieg der alte Mann den beschwerlichen Weg zum Berg'^ oder, wenn es gar nicht mehr ging, ließ er sich) durch einen Priester aus Heimersheim vertreten. Solange dies geschah, war die Burgkapelle in gutem Zustand. Das änderte sich erst im Jahre 1829. Nach langen Verhandlungen gelang es, die Überreste des letzten Namensträgers von Quadt, die 1620 auf dem Apollinarisberg beigesetzt worden waren, in einer „großartigen und kostspieligen" Feier nach Bodendorf zu überführen. So sollte der Name für alle Zukunft an der Ahr lebendig bleiben. Was lag nun näher, den Text der Stiftung so zu verstehen, daß von jetzt ab der Dankgottesdienst. nur noch in der Pfarrkirche von Bodendorf gehalten werden soll. Bei einem Besuch des Bischofs von Trier Joseph v. Hommer mit Pfarrer Fey auf dem Gute Nassau soll Stein mit der Verlegung der Stiftsmesse in die Pfarrkirche einverstanden gewesen sein; später konnte sich der Bischof an diese Zusage nicht mehr erinnern. Erneut wandte sich Fey an seinen Bischof und begründete diesmal seinen Antrag mit der Saufälligkeit der Kapelle. Der Bischof zeigte efne erstaunliche Weitsicht in der liturgischen Begründung der Verlegung des Gottesdienstes in die Pfarrkirche. Es sei besser, wenn das Volk zahlreich die heilige Handlung mitfeiere, als daß ein Priester allein mit seinem Küster auf dem Berg die Messe lese. Denn in der Anschauung der damaligen Zeit waren Priester, und Volk zwei Welten, und wer schon damals die Einheit sah, schaute weit »n die Zukunft. Aber die Verfügung des Bischofs schadete der Kapelle sehr, da man aus der Stiftungsurkunde keinen Fonds zu ihrer Erhaltung herauslesen konnte. Gläubige Menschen aber dachten anders. Als ersfie Retterin erschien ihr eine Frau von Breuning, die auch ein Stipendium für eine Sonntagsmesse stiftete. Die Rechtmäßigkeit dieses persönlichen Einsatzes stieß bald auf starke Bedenken. Daher wurde die Verfügung des Bischofs v. Hommer im Januar 1848 aufgehoben, und der amtierende Pfarrer Sin-zig von Bodendorf beauftragt, mit den Erben des Stifters über die Bildung eines Fonds zum Unterhalt der Kapelle zu verhandeln. Viele Menschen unserer Tage haben für solche Überlegungen wenig oder gar kein Verständnis. Da die Kapelle augenscheinlich ihren Zweck nicht mehr erfüllt, erscheint auch ihr Weiterbestehen sinnlos. Das heißt in ihrer Sprache: richtig für die Zukunft planen. Doch ihre Sprache klingt hohl. Sie kennt keine Vergangenheit, auf der die Gegenwart ruht. Sie weiß nichts von den Wurzeln, aus denen jegliches Leben für die Zukunft neue Kraft zieht. Sie vergißt, daß selbst das Unkraut nur in den Wurzeln vernichtet werden kann. Wer aus der Vergangenheit nicht seine Kraft schöpft, kann nicht für die Zukunft planen.

Der Einsiedler

Wenn ein Staatsanwalt eine Fülle von Anklagen vor den schwachen Schriftsätzen der Verteidigung ausbreiten kann, steht es für den Angeklagten schlecht. Ich will nun dessen Verteidiger sein und auch aus dem belastenden Material ein Lebensbild des Müllers Cornelius aus Heimersheim zeichnen, das der Wahrheit mehr entspricht, als führende Zeitgenossen aus Staat und Kirche es gesehen haben. Im Übrigen, wer allein gegen diese Mächte ankämpft, nur die 'Armen, Schwachen und Einfältigen auf seiner Seite, befindet sich sowieso in keiner schlechten Gesellschaft; viele Heilige der langen Kirchengeschichte galten ihren Zeitgenossen als Narren. Die große Liebe des Müllers -war die Burgkapelle auf der Landskrone. Ihretwegen machte er im Jahre 1830 eine Wallfahrt nach Rom. Ob zu Fuß, zu Pferd oder mit der Postkutsche ist uns nicht überliefert. Wenn seine Gegner von ihm wie von einem Faulenzer und Tagedieb sprechen, so glaube ich, daß eine Wallfahrt nach Rom im Jahre 1830 wahrlich kein harmloser Spaziergang war.

Papst Pius VIII empfing ihn wirklich in Audienz. Der Papst ließ den Kardinal Surla rufen und, nachdem dieser den Müller angehört hatte, 'gab er dem Bittenden Bescheid, sich an den Bischof zu wenden, in dessen Sprengel die Kapelle liege. Als Cornelius glücklich seine Wallfahrt beendet hatte, wandte er sich an den Bischof von Trier, schrieb ihm von seinem Gespräch mit dem Papst und dem Kardinal und breitete seine Pläne über die Bergkapelle vor\ ihm aus. Der Bischof schickte das Schreiben an Pfarrer Fey, der Kreis war geschlossen, und die Kapelle verfiel weiter. Da rebellierte Cornelius, baute sich eine kleine Klause in ihrer Nähe, und bald sprach man von dem Einsiedler auf der Landskrone in der ganzen Gegend. Wie schon in den früheren Jahren kamen nicht nur am Feste Maria Verkündigung Pilger von nah und fern, sondern auch jetzt, brachten ihre Opfer und zogen getröstet von dannen. Die Spenden * für die Kapelle flössen reichlich, ebenso wie die Meßstipendien für die Jubilarpriester aus Wadenheim, die gerne den Berg hinaufstiegen, um nach Meinung der Spender zu zelebrieren. Vielleicht hat Cornelius auch an seinen eigenen Lebensunterhalt gedacht im Gedenken an das Pauluswort: „Wer dem Altare dient, soll auch vom Altare leben." Einst war unter den Pilgern auch ein Mann aus Wadenheim, der nach sechs Jahren zum zweitenmal den Berg bestieg, da ihn die Kunde Von dem Einsiedler erreichte. Nach einem langen Gespräch mit ihm schrieb er an den Bischof, daß die Kapelle in einem ordentlichen Zustand sei und schön geschmückt. Er zweifelte nicht, daß „der Bewohner der Landskrone" lauter in seiner Gesinnung sei. Er selbst wolle mit ihm ein Kloster errichten, nach franziskanischer Regel unter der geistlichen Leitung eines Franziskaners leben, und weder von staatlicher noch von kirchlicher Seite Unterstützung annehmen. Man erwäge zwar, hier eine Raststätte für die Pilger zu errichten, so daß sie auch durch den „Landskroner Berg" für die Beschwernisse des Weges entlohnt würden. Bischof Arnoldi lehnte die Pläne ab, nicht ohne vorher die Stellungnahme der Dekanatskonferenz eingeholt zu haben.

Die Ankläger

In der Dekanatskonferenz in Ahrweiler wurden nun alle Kräfte mobilisiert, die in dieser individuellen Frömmigkeit einen Angriff gegen die geheiligte Ordnung sahen. In diesem Kampfe fanden sich die Pfarrer, die Behörden; und die Besitzer in einer Front. Die Pfarrer warfen dem Müller Cornelius vor, er halte die Jugend vom christlichen Unterricht fern, da er sonntags nachmittags nach eigenem Ritus, mit einer Kutte bekleidet, in der Kapelle Gottesdienst halte, Er verleite die Menschen zum Aberglauben, da er unechte Reliquien aus Rom zur Verehrung anpries. Er sei zudringlich, wenn er Kollekten für die Kapelle und seinen eigenen Unterhalt erbitte. Und schließlich kam der vernichtende Schlag, der immer half und weiter hilft: Er beherberge in seiner Klause eine im üblen Rufe stehende Weibsperson. Der Schöffe nannte ihn einen Arbeitsscheuen, verdächtigte ihn wegen der Kollekten und stieß auch in das Hörn vom bösen Weib. So kamen die Anklagen an das Landgericht in Koblenz, nicht ohne Vorher die Erben des Landskroner Besitzes auf den „rechtswidrigen Eindringling" aufmerksam gemacht zu haben. Das Gericht gab lediglich dem Antrag der Erben statt, den Müller von ihrem Besitz, wenn nötig mit Gewalt, zu vertreiben. Der preußische Landrat von Ahrweiler führte den Beschluß durch, zu weiteren Verhandlungen auf all die Vorwürfe kam es nicht. Seit der Zeit ist der Müller Cornelius verschwunden.

Das Vermächtnis

1946 wurde die Landskrbhe wieder ein Denkmal der Dankbarkeit. Pfarrer Josef Savelsberg aus Heimersheim hatte wegen der Errettung der Heimat aus Kriegsnot gelobt, alljährlich am 1. Mai eine Wallfahrt auf die Höhen des Berges durchzuführen. Wie ein Rufer in der Wüste rüttelte er die Menschen auf, dankbar zu sein, da sie glücklich aus dem Stahlgewitter nach Hause gekommen sind. Auch die Toten wurden lebendig, als er ihr Vermächtnis verkündete. Jahre sind vergangen; die Schrecken des Krieges vergessen. Sollen nicht Steine von den Menschen künden, die .diesen Berg zum Denkmal der Dankbarkeit gemacht haben?