Vom Bergfried zum Bergturm

Eifelverein Bad Neuenahr verwirklichte einen alten Traum

VON WOLFGANG PECHTOLD

15,15 Meter hoch, 5,10 Meter dick, 3,10 Meter Fundamente, 30 Zentimeter starke Mauern, 112 Kubikmeter Beton, zweieinhalb Tonnen Baustahl, eine Wendeltreppe aus vorgefertigten Elementen, eine gedeckte und eine offene Aussichtsplattform - das ist der neue Turm auf dem Berg Neuenahr. Vier Tage lang, vom 29. April bis zum 1. Mai 1973, feierten die Eifclvereins-Ortsgruppe Bad Neuenahr und Tausende von Gästen die Einweihung, und seither bildet das stolze Bauwerk weithin einen Anziehungspunkt für Wanderer und Spaziergänger. Vier Tage Festlichkeiten - das war dem Ereignis angemessen, das den Abschluß jahrzehntelanger Planungen und monatelanger Anstrengungen bildete. Daß auf den Bergkegel ein Turm gehöre, dieser Gedanke war uralt. Der erste, der ihn in die Tat umsetzte, war Otto, hoffnungsvoller Sproß aus der Sippe der Grafen von Are-Nürburg, der im frühen 13. Jahrhundert zum stolzen Bergfried leider auch finstere Verliese mauern ließ, und von der luftigen Höhe aus trieben seine Nachkommen, Grafen von Neuenare, im wesentlichen Unwesen, das Unwesen eines Raubritters. Es muß dem zeit- und landesüblichen Brauch wohl etwas zu auffällig gehuldigt worden sein, eines Tages stand der Kölner Erzbischof mit Roß und Mann vor dem Tor und ruhte nicht eher, bis er drinnen war. Sogleich ließ der streitbare Kirchenmann die Burg schleifen und kund und zu wissen tun, daß nie wieder Wall und Wehr den Berg krönen dürften.

Foto: Kreisbildstelle
Der neue Aussichtsturm

Ob nun der Schrecken oder die heilige Furcht vor den Kölner Gewaltigen solange vorhielten, ob das Interesse zu klein oder die Mühe zu groß war - erst irgendwann im vorigen Jahrhundert fanden sich Männer, die auf dem Berg Neuenahr wieder ein Türmchen mauerten. Niemand weiß mehr so recht genau, wann das war, und niemand vermag präzise zu sagen, wann es abgerissen wurde. „So um 1920 herum", meinen die ältesten Bürger. Auf jeden Fall war das Gemäuer baufällig geworden.

Nach dem zweiten Weltkrieg spukte der Gedanke an den Turm neu durch Neuenahrer Köpfe. Vor allem der Eifelverein erwog ihn. Und so taucht denn im Protokollbuch von 1951 der Vermerk auf, Dr. Dr. Erich Rütten, damals Kurdirektor, habe telefonisch einer Mitgliederversammlung guten Verlauf gewünscht und die Finanzhilfe der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr für den Fall in Aussicht gestellt, daß es ans Turmbauen gehe. Sein Nachfolger Carl-Alexander v. d. Groeben sollte diese Notiz Jahre später in komischer Verzweiflung mit dem Ausspruch kommentieren: „Ein verdammt teures Telefongespräch ...!"

Immerhin dauerte es noch einmal 20 Jahre, ehe der Eifelverein, sein körperlich zwar kleiner, aber an Tatkraft großer Vorsitzender Jakob („Köbes") Steinborn und der nicht minder rührige Turmbauausschuß vom Pläneschmieden zum Klinkenputzen übergingen. Sie ließen sich auch nicht erschrecken, als die ersten, recht erschreckenden Kostenvoranschläge auf dem Tisch lagen: Von 70000 Mark war die Rede. Doch weil die Aktiengesellschaft das alte Rütten-Versprechen aufrechterhielt, Kreis und Stadt ansehnliche Summen beizusteuern versprachen und der aus Bad Neuenahr stammende, in Köln wirkende Architekt Stefan Leuer nicht nur honorarfrei die Blaupausen, sondern in Klaus Pechuel-Lösche auch den Statiker lieferte, stand bald fest: Wir bauen! Da entsannen sich Firmen der Steuerabschreibung und Bürger der Heimatliebe, der Kur- und Verkehrsverein ließ Spendenlisten zirkulieren und die Ortsgruppe Sammelbüchsen klappern, die Badeärzte verordneten sich einen finanziellen Aderlaß, und so summierten sich nach und nach die Spendenbeträge zu fünfstelligen Zahlen.

Im Juli 1972 wurde auf dem Bergplateau mit Spät- und Auslesen die Übergabe der Pläne an Bauunternehmer Gregor Steinborn freudig und feucht begangen. Um diese Zeit wurde auch das Geschenk, daß die Grafen von Neuenare unfreiwillig und posthum den Turmbauern hinterlassen hatten, entdeckt : Hatte es anfangs so ausgesehen, als müsse sämtliches Baumaterial per Seilbahn auf den steilen Bergkegel geschleppt werden, so fand sich beim Gekrauche durch Unterholz und Gesträuch der spiralförmig aufwärts führende Burgzugang wieder, der leicht auszubauen war. Nur mit dem Baugrund haperte es, wie sich bald zeigen sollte. Erst tief in der Erde fand sich gewachsener Fels. Erfolg: 20 000 Mark Mehrkosten. Aber auch das konnte Steinborn und seine Mitstreiter nicht mehr irre machen. In Rekord zeit genehmigte danach das Landratsamt die Pläne, in Rekordzeit wuchsen innerhalb der 228 Quadratmeter großen, vorgefertigten Schalwände die Betonmauern hoch. Am 17. November 1972 wurde in Schnee, Eis und Nebel Richtfest gefeiert, ein Richtfest, von dem die Beteiligten wohl noch ihren Urenkeln erzählen werden. Soweit sie sich daran überhaupt erinnern können...

Die Einweihungsfeierlichkeiten fünf Monate später hielten da durchaus Schritt, obwohl meistens miesestes Wetter herrschte. Am Samstagnachmittag schon gingen die Worte der Festredner und die Gebete der Geistlichen, Pfarrer Buslay und Superintendent Warnecke, fast im Prasseln eines Schauers unter. Trotzdem wurde mitgebührender Aufmerksamkeit vermerkt, daß sich Exzellenzen aus dem Bonner diplomatischen Korps, die Regierungspräsidenten Korbach (Koblenz) und Schubach (Trier), Landrat Dr. Stollenwerk, Stadtbürgermeister Weltken und zahlreiche Vertreter von Parlamenten, Vereinen und Verbänden, Behörden und Institutionen eingefunden hatten. Natürlich stattete Jakob Steinborn all den Beteiligten am Turmbau gebührenden Dank ab, teilweise in Form der grünen Ehrennadel des Eifelvereins, während Stadtbürgermeister Rudolf Weltken im Namen von Rat, Verwaltung und Bürgern, Bauherren und Bauleute beglückwünschte, per Scheck einen weiteren Beitrag der Stadt zu den Mehrkosten überreichte und mit dem Wunsch schloß, daß der Turm Gästen und Bürgern „allezeit zur Freude wird und dem stolzen Bauwerk eine glücklichere und längere Zeit als der einstigen Burg Neuenahr beschieden sein möge". Konrad Schubach gratulierte als Vorsitzender des Haupt-Eifelvereins der Ortsgruppe zur Initiative und zum gelungenen Werk und schloß: „Ich glaube, daß der Turm eine echte Attraktion ist im Rahmen der Fremdenverkehrs-Einrichtungen dieser Stadt." Der feierlichste Augenblick : Am Fahnenmast ging die Stadtflagge hoch. Den Bürgern gehörte dann der Sonntag. Bei Blasmusik und Bier, Wein und Wurst feierten sie nach Kräften mit. Am Montag waren die Kurgäste besonders herzlich geladene Besucher. Einen regelrechten Ansturm aber erlebten das 341 Meter hohe Bergplateau und der Turm am Maifeiertag, als sie Ziel einer Sternwanderung der Eifelvereine waren. Regierungspräsident Korbach, Bezirksvorsitzender, bezeichnete in seiner Ansprache den Turm als Beitrag zur inneren Fremdenverkehrswerbung und das Wandern als den besten Weg unmittelbaren Naturerlebens und nachhaltiger Erholung. Die Gäste, darunter Hauptgeschäftsführer Knopp (Düren), kamen teilweise von weit her. Besonders herzlich begrüßt wurden die belgischen Freunde aus Eupen und die Bollendorfer von der luxemburgischen Grenze. Die Ortsgruppe mit ihren vielen ehrenamtlichen Helfern, die vielfach pausenlos mit der Bewirtung der Besucher beschäftigt waren, durfte auch am letzten Tag viele Komplimente hören: nicht nur für den Turm, sondern auch für ihre Gastfreundschaft. Die schloß, es soll nicht verschwiegen werden, sogar das Abwaschen jener beiden prominenten Persönlichkeiten ein, die in weinseliger Laune den Abhang vom Plateau hinunterkollerten. Mochten sie gewankt haben - der Neuenahrer Bergturm wankt nicht...