St. Gertrudis über dem Ahrbogen

Heimsuchungen der Jahrhunderte in Schuld - Die Kirche wieder aufgebaut

VON HARRY LERCH

Die Steine, die Urkunden, die Weistümer sprechen es aus, daß Schuld im großen Ahrbogen mindestens tausend Jahre alt ist. Im Jahre 975 ist „Scolta" in einer Grenzbestimmung des Pfarrbezirks Reifferscheid zum ersten Male genannt - was nicht unbedingt die Gründung des Ortes bedeutet, er also älter sein kann.

Wenn auch nicht unter diesem Namen, so ist Schuld früher besiedelt gewesen. Aufschluß hat die unvollkommen gebliebene Freilegung eines Gutshofs römischer Zeit vor Jahren gegeben. Seither ist Schuld, wenn auch nicht im Munde aller Welt, dann doch im Sinne der Chronisten gewesen, zuerst in den Urkunden der Erzbischöfe und des Domstifts von Köln und der Ordenskommende der Johanniter zu Adenau, in Gerechtsameurkunden, dann in den Schriften des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Philipp Wirtgen und Gottfried Kinkel in ihren Reiseführern durch das Ahrtal, natürlich ist Schuld auch erwähnt in Chr. von Strambergs „Rheinischer Antiquarius". Nicht genug - auch in die Annalen der Meteorologen ist Schuld eingegangen mit dem Unwetter des Jahres 1804, als die Mühle in der Flur „Deistig" völlig weggerissen wurde. Dann noch einmal aktenkundig ist das Jahr 1910, als bei einem chaotischen Hochwasser viele kroatische und italienische Arbeiter umkamen. Sie waren beim Bahnbau Düm-pelfeld-Jünkerath beschäftigt, ihre Unterkünfte wurden weggeschwemmt, sie starben in der Regenflut.

Einmal noch kam Unheil, als im zweiten Weltkrieg 1944 ein Bomberpulk Schuld heimsuchte. Die Kirche steht über dem Tunnel. In ihm waren tags die Munitionszüge für die VI- und V 2-Raketen abgestellt, deren Abschußrampen zwischen Tondorf und Falkenberg standen. Darüber ist viel zu lesen in der fleißvoll geschriebenen Chronik des Lehrers Georg Kesselheim, in Jahrzehnten Organist und Chorleiter an der Gertrudiskirche.

Gertrud heißt althochdeutsch Speerträgerin - wer weiß, wie die unterströmige Historie das durch die Jahrhunderte trägt, denn der große Ahrbogen hatte strategisch bescheidene Bedeutung. Der einstige Ortsname „Scolta" heißt „Schild". Vor Insul war einst das Prümer Tor der Benediktiner. Im benachbarten Reifferscheid hatte der Schwedengeneral Graf Baudissin sein Hauptquartier, die Heerhaufen und Sprengsel der Truppen brachten Ungemach wie der Bombenteppich des Christkönigstags dreihundert Jahre später - an einen im Grunde stillen Ort drangen die kriegerischen Ereignisse ungerufen heran. Immer haben, erst recht in Bedrängnis und Gefahr, die Einwohner um den Altar gestanden. Der Turm der Kirche wurde um 1240 hochgemauert. Die Kirchenmauern zerfielen und wurden mehrmals wieder aufgebaut, zum letzten Male zwischen 1945 und 1949 von Pfarrer Jakob Scherer. Um es schlicht zu sagen: er baute „schwarz"! Behörden und Materiallieferanten hielten ihn hin, er und seine Gemeinde packten an und bauten eine neue Kirche aus den Ruinen des großen Bombenangriffs. Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre später kamen die Experten, hatten klug zu reden, die Gewölbebögen hielten nicht mehr stand, und so kam es unter seinem jüngeren Nachfolger Gerold Rosenthal, zum weiteren Neubau. Nun, sie haben die Eucharistie in der Schützenhalle gefeiert, bis nach Abriß die Mauern wieder hochgezogen und das Dach aufgesetzt waren, so daß am 6. April 1974 die Kirche von Weihbischof Dr. Alfred Kleinermeilert konsekriert werden konnte. Alles steht zueinander in Harmonie, in den geordneten Maßen. Dem zugleich entstandenen Pfarrheim, das insbesondere die Jugend in Gebrauch genommen hat, ist, um es neben dem Kirchenportal nicht zu breit zu dehnen, eine Fachwerksscheinzeichnung auf die Front gelegt.

Die Proportionen fügen sich auch in der Kirche zueinander. Es versteht sich von selbst, daß die Raumordnung der Jahrhunderte unterschiedlich gewesen ist, doch immer haben sie sinnvoll aneinander und ineinander gebaut. Auch hier - da schließt sich einem Tonnengewölbe ein hohes Scheiteldach an. Und da die Achslänge nicht erweitert, das Chor also nicht nach Osten weitergeführt werden durfte, bot sich der Quadratgrundriß wie von selbst an. Die Bänke stehen in drei Gliedern um den Altar, die Helligkeit der Sonne strömt durch ein Lichtband ein. Es ist jetzt noch schlicht, später vielleicht einmal mit den Szenen der Apokalypse farbig gefüllt, da Dorf und Kirche so oft heimgesucht waren, die Apokalypse dem Frieden aber weichen soll. Gebaut ist in der Zeit, das heißt, in der Gegenwartssprache der Bronze und der Steine. Zunächst in Bronze - das ist das Portal von Georg Gehring.

Es kündet von der Geheimen Offenbarung: „Ich bin das Alpha und das Omega." Insgesamt führt es ein in die ersten Kapitel der Apokalypse, es ist „Der Eingang in die Parusie". Dargestellt sind die sieben Leuchter, sinnbildlich die sieben Gemeinden in Asien, insbesondere „Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete". Am Ende der Darstellung dann Christus als Menschensohn und als Lamm, das Mysterium seines Blutopfers. Später soll, wir sagten es schon, das seine Fortsetzung finden im Kathedralglas des hohen Lichtscheitels über dem Altar, seine Vollendung in der Darstellung des Christusgeheimnisses. Doch, wie spricht auch alles andere zueinander! Das Sakramenthaus der Dreifaltigkeit, der Barockaltar der Gertrud von Nivelles mit Äbtissinnenstab und der Maus als einziger Zellengenossin ihrer Gelehrsamkeit. Der Zelebrationsaltar, eine Blockmensa aus Kerpener Marmor - und hier haben an der Konzeption Georg Gehrings auch jüngere Hände mitgearbeitet. Waldemar Kaspers war Mitgestalter dieses Altars und der Ambo sowie des Osterleuchters aus Basalt neben dem romanischen Taufstein. Von Egon Schug sind die Apostelleuchter und die Weihwasserstätte, von Michael Gehring der Kreuzweg. Einen neuen Standort hat das Gabelkreuz mit dem Corpus, geschnitzt um 1500. Es hing früher über dem Triumpfbogen. Wer die frühere Kirche kennt, wird es heute in der Seitenkapelle der Urkirche finden, die sich an den Turm schmiegt. Ihre Wand wurde einst seitlich aufgebrochen, und hier führt der Schritt in das später gebaute Hauptschiff. An der Apsis hat die Barockmadonna mit dem Szepter ihren Platz, aus der einstigen Seitenkapelle ist nun der romanische Taufstein, um 1220, in die Nähe des Altars gerückt.

Harmonie des Außen und des Innen - das ist der glückliche Gewinn. Dazu ordnen sich die Barockgrabkreuze rechts der Bronzetür, der handwerkgerechte Verputz, das Schwarz zu Weiß im Schiefer zum Verputz der Wände, das Johanniterkreuz im Fenster. Wie einst bei Pfarrer Jakob Scherer für die Kirche, standen weltliche und kirchliche Baubehörden dem Plan fürs Jugendheim nicht begeistert zur Seite, so daß hier zumindest „halb-schwarz" gebaut wurde. Was soll es - das Ganze ist vollendet.