Die „Grafschaft" - jetzt eine Gemeinde

VON HANS JOSEF MOEREN

Im Kreisgebiet ist als „Grafschaft" das fruchtbare Hügelland nördlich der unteren Ahr seit jeher bekannt. Diese Bezeichnung hat historische Bedeutung und weist auf die frühere Zugehörigkeit dieses Gebietes zur Grafschaft Neuenahr hin. Hierzu gehören die Gemeinden Bengen, Birresdorf, Eckendorf, Gelsdorf, Holzweiler, Karweiler, Kalenborn, Lantershofen, Leimersdorf, Nierendorf, Ringen und Vettelhoven, die 1818 in der Bürgermeisterei Gelsdorf, später im Amt und in der Verbandsgemeinde Ringen zusammengefaßt wurden. Nun ist „Grafschaft" der Name der neuen Gemeinde, die im Zuge der Verwaltungsreform des Landes Rheinland-Pfalz aus den vorgenannten Gemeinden, ausgenommen Kalenborn, gebildet wurde.

Ausgelöst wurde die Diskussion über die kommunale Neugliederung der Grafschaft durch das Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften und zur Vorbereitung der Neugliederung von Gemeinden vom 16. 7.1968 (GVBI S. 132), das erstmals im gesamten Lande die Bildung von Verbandsgemeinden vorsah, und zwar mit einer Mindesteinwohnerzahl von 7 500. Dabei ging der Gesetzgeber von der unbestrittenen Erkenntnis aus, daß die wichtigsten gemeindlichen Aufgaben einer breiteren Einwohnerbasis bedürfen, um wirtschaftlich und wirkungsvoll wahrgenommen werden zu können. Ziel der kommunalen Neugliederung sollte daher sein, die Verwaltungs- und Leistungskraft der kommunalen Verwaltungseinheiten so zu stärken, daß für die Bürger in den städtischen und in den ländlichen Räumen des Landes gleichwertige Lebensverhältnisse und Entwicklungschancen geschaffen werden. Da die Verbandsgemeinde Ringen mit 6 742 Einwohnern am 31. Dezember 1969 die Mindesteinwohnerzahl für eine Verbandsgemeinde nicht erreichte, wurde im Zielplan der Landesregierung, der Inhalt des Achten Verwaltungsreformgesetzes wurde, vorgeschlagen, das zunächst als Verbandsgemeinde Ringen fortbestehende frühere Amt Ringen mit Ausnahme der Gemeinde Kalenborn, die der Verbandsgemeinde Altenahr zugeordnet werden sollte, zum 1. Januar 1971 in die Stadt Neuenahr-Ahrweiler einzugliedern.

Zeichnung: Holzapfel

Diesem Vorschlag waren bereits einmal Erörterungen über die ursprüngliche Absicht des Innenministeriums, die Verbandsgemeinde Ringen der Verbandsgemeinde Altenahr zuzuschlagen, vorausgegangen. Dabei hatten sich alle betroffenen Gemeinden uneingeschränkt für die Erhaltung der Verbandsgemeinde Ringen evtl. in der Form einer Mehrortsgemeinde ausgesprochen. Für den Fall, daß dies aus gesetzlichen Gründen nicht möglich wäre, wurde die Bildung einer Verbandsgemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler-Land unter Einbeziehung der ländlichen Stadtteile der gerade neugebildeten Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler gefordert.

Eingliederung nach Bad Neuenahr-Ahrweiler

Der nunmehrige Vorschlag auf Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler stieß jedoch unter Hinweis auf die unterschiedliche Struktur der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und der Verbandsgemeinde Ringen und die erst seit einem Jahr bestehende Stadt mit den damit zusammenhängenden Problemen auf Ablehnung des Stadtrates von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Als Alternative wurde ein möglicher Zusammenschluß frühestens zum Zeitpunkt der nächsten Kommunalwahlen im Jahre 1974 vorgeschlagen. Auch die betroffenen Gemeinden, mit Ausnahme der Gemeinde Birresdorf, die den Zusammenschluß schon zum 1. Januar 1971 wünschte, und die Verbandsgemeinde Ringen sprachen sich für einen Zusammenschluß im Jahre 1974 aus.

Unabhängig von der Zielplanung der Landesregierung schlössen die für die Eingemeindung vorgesehenen Gemeinden und die Verbandsgemeinde Ringen mit der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler einen Vertrag, in dem sie sich u. a. dazu verpflichteten, bis zum Zusammenschluß alle Maßnahmen von überregionaler Bedeutung, insbesondere die Bauleitplanung, untereinander abzustimmen. Weiter wurde in dem Vertrag festgelegt, daß der vorgesehene Zusammenschluß der vertragsschließenden Gebietskörperschaften - sofern der Landtag nicht zu einer anderen Auffassung gelange - frühestens zum Zeitpunkt der Kommunalwahl 1974 wirksam werden sollte, Die Zuordnung der Gemeinde Kalenborn zur Verbandsgemeinde Altenahr fand die Zustimmung der Gemeinde und der beteiligten Verbandsgemeinden. Bei der anschließenden parlamentarischen Beratung des Zielplanes schloß sich der Landtag den Argumenten der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler an und sah von einer Eingliederung der Gemeinden der Verbandsgemeinde Ringen in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und damit auch von der Zuordnung der Gemeinde Kalenborn zur Verbandsgemeinde Altenahr ab. Bei den Ausschußberatungen wurde jedoch der Vorschlag gemacht, eine Eingliederung für das Jahr 1974 in Erwägung zu ziehen. Obwohl damit die Angelegenheit vorerst vom Tisch schien, gab am 29, November 1972 die Verbandsgemeindevertretung Ringen „unbeschadet der Rechte der autonomen Gemeinden" ihre Auffassung kund, daß die Verbandsgemeinde in eine Großgemeinde überführt werden solle. Diese Meinungsäußerung hatte jedoch zunächst keinerlei Auswirkungen.

Neu entfacht wurde die Diskussion um die kommunale Neugliederung der Grafschaft erst wieder durch ein mit Schreiben des Ministeriums des Innern vom 9. Juli 1973 nochmals eingeleitetes Anhörverfahren zu den Vorschlägen aus dem Jahre 1970. Mit fast inhaltsgleichen Beschlüssen sprachen sich die Gemeindevertretungen von Bengen, Birresdorf, Eckendorf, Holzweiler, Karweiler, Lantershofen, Leimersdorf, Ringen und Vettelhoven sowie die Verbandsgemeindevertretung Ringen, meist mit überwiegender Mehrheit erneut für die Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler aus. Für die Bildung einer Großgemeinde und damit gegen die Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler waren nur die Gemeindevertretungen von Gelsdorf und Nierendorf.

Welche Hoffnungen an die Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler geknüpft wurden, kommt in einem Zusatz der Gemeindevertretung Vettelhoven zu ihrer Stellungnahme zum Ausdruck, in dem es heißt, daß sie voraussetzt, „daß die Bürger der Gemeinde Vettelhoven nach einem erfolgten Zusammenschluß die gleiche Behandlung erfahren, wie die bisher im Stadtbereich (von Bad Neuenahr-Ahrweiler) den dort ansässigen Bürgern zuteil wird". Allerdings wurde die Zukunft auch mit Skepsis beurteilt. So sagte ein Verbandsbeigeordneter: „Wir fühlen uns alle nicht wohl in unserer Haut und wissen, daß wir in kein Paradies gehen." Ein Verbandsgemeinderatsmitglied beurteilte die Zukunft in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler im Hinblick auf den Verlust der Verwaltung in Ringen und die höheren städtischen Steuern und Abgaben sehr pessimistisch, wenn er feststellt: „Zwar würden wir bei einer Eingliederung wie die Städter zahlen, dafür aber nach dem Verlust der Selbstverwaltung wie die letzten Hofhunde leben."

Von einer besseren Zukunft in städtischen Gefilden wollte der Stadtrat von Bad Neuenahr-Ahrweiler jedoch nichts wissen. Er sprach sich am 24. September 1973 mit Mehrheit gegen den Vollzug der Eingliederung der Gemeinden der Verbandsgemeinde Ringen zum Zeitpunkt der allgemeinen Kommunalwahl im Jahre 1974 aus.

Dem Beschluß vorausgegangen war der Besuch einer Delegation des CDU-Stadtverbandes von Bad Neuenahr-Ahrweiler unter Beteiligung von Stadtbürgermeister Weltken und dem I. Beigeordneten Schneider bei Ministerpräsident Dr. Helmut Kohl in Mainz am 6. September 1973. Als Begründung für die ablehnende Haltung der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler wird in dem Stadtratsbeschluß angeführt, die erst im Jahre 1969 aus zwei Städten und vier Gemeinden gebildete Stadt brauche noch eine weitere Zeit der Konsolidierung. Ferner bestehe bei einer Eingliederung die Gefahr der Vernachlässigung dringender und zum Teil lebenswichtiger Aufgaben sowie einer Überforderung der Verwaltungs- und Finanzkraft der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler zum jetzigen Zeitpunkt. Dazu wird in einem Pressekommentar treffend bemerkt: „... das Mineralheilbad im Rotweintal weiß angesichts der Fülle eigener Aufgaben nicht, wie es finanziell den Zusammenschluß verkraften soll." Der Vorschlag, die Gemeinde Kalenborn der Verbandsgemeinde Altenahr zuzuordnen, fand erneut die Zustimmung der Vertretungskörperschaften der Gemeinde Kalenborn und der Verbandsgemeinden Altenahr und Ringen.

Da nach Auffassung der Landesregierung eine Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler gegen deren Willen sachlich nicht vertretbar war, war mit der ablehnenden Haltung des Stadtrates von Bad Neuenahr-Ahrweiler die bis zu diesem Zeitpunkt vorgesehene Lösung hinfällig geworden. Andererseits war die Landesregierung nicht willens, die Verbandsgemeinde Ringen fortbestehen zu lassen, da man befürchtete, daß in diesem Falle auf Grund der ungünstigen räumlichen Lage der Verbandsgemeinde im Spannungsfeld zwischen den Städten Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen sowie dem Großraum Bonn im Laufe der Zeit eine Aufteilung des Bereiches der Grafschaft erfolgen würde. Ganz grundlos waren diese Befürchtungen auch nicht. Der Stadtrat von Bad Neuenahr-Ahrweiler hatte nämlich als Alternative zu der Eingliederung der gesamten Gemeinden schon einen begründeten Vorschlag zur Teilung der Grafschaft gemacht. Danach sollten nur die Gemeinden Bengen, Karweiler, Lantershofen, Ringen, Vettelhoven, Eckendorf und Gelsdorf in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler eingegliedert werden. Die Gemeinden Holzweiler und Kalenborn sollten der Verbandsgemeinde Altenahr zugeordnet und die Gemeinden Birresdorf, Leimersdorf und Nierendorf in die Stadt Remagen eingemeindet werden. An der Eingliederung dieser Gemeinden hatte auch der Stadtrat von Remagen sein Interesse bekundet. Jedoch stieß dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe der drei betroffenen Gemeinden, so daß er von diesen erst gar nicht ernsthaft behandelt wurde. Insgesamt wurde der Vorschlag zur Dreiteilung der Grafschaft als „alarmierend und schockierend" bezeichnet.

Bildung einer Einheitsgemeinde

Als Lösung für die von der Mehrheit der Gemeinden gewünschte kommunale Einheit der Grafschaftsgemeinden schlug die Landesregierung jetzt die Bildung einer Einheitsgemeinde vor. In dem dazu erforderlichen Anhörverfahren sprachen sich die Gemeinden zu diesem Vorschlag wie folgt aus:

Gemeinde Bengen:
3
nein, 2 ja, 1 Enthaltung (wünschte Fortbestand der Verbandsgemeinde);

Gemeinde Birresdorf:
5 ja, 2 nein;

Gemeinde Eckendorf:
einstimmig ja (einschließlich Kalenborn);

Gemeinde Gelsdorf:
einstimmig ja (einschließlich Kalenborn);

Gemeinde Holzweiler:
einstimmig ja;

Gemeinde Karweiler:
6 ja, 4 nein (einschließlich Kalenborn);

Gemeinde Lantershofen:
einstimmig nein (wünschte Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler und hilfsweise den Fortbestand der Verbandsgemeinde) ;

Gemeinde Leimersdorf:
einstimmig ja;

Gemeinde Nierendorf:
5 ja, 1 Enthaltung;

Gemeinde Ringen:
7 ja, 3 nein, l Stimmenthaltung (einschließlich Kalenborn);

Gemeinde Vettelhoven:
einstimmig ja;

Verbandsgemeinde Ringen:
14 ja, 3 nein (einschließlich Kalenborn 9 ja, 7 nein).

Auf Grund dieses Ergebnisses der Anhörung brachte die Landesregierung sodann als Landtagsdrucksache 7/2466 den Entwurf eines Sechzehnten Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung im Lande Rheinland-Pfalz im Landtag ein, das in § § 1 und 2 bestimmt:

§ 1

(1) Die Verbandsgemeinde Ringen sowie die Gemeinden Bengen, Birresdorf, Eckendorf, Gelsdorf, Holzweiler, Karweiler, Lantershofen, Leimersdorf, Nierendorf, Ringen und Vettelhoven werden aufgelöst.

(2) Aus dem Gebiet der aufgelösten Gemeinden wird die neue Gemeinde Grafschaft gebildet. Die Gemeinde Grafschaft ist Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Verbandsgemeinde und Gemeinden.

§ 2

Die Gemeinde Kalenborn in der Verbandsgemeinde Ringen wird in die Verbandsgemeinde Altenahr eingegliedert.

Gleichzeitig wird in dem Gesetz bestimmt, daß in dem Gebiet der aufgelösten Gemeinden jeweils ein Ortsbezirk gebildet wird.

Als Begründung für diese Maßnahmen wird u. a. angeführt:

„Die vorgeschlagene Regelung stellt eine Lösung dar, die die von der Mehrheit der Bevölkerung gewünschte Einheit der Grafschaft gewährleistet und späteren Lösungen nicht im Wege steht. Eine einzige Gemeinde für den Bereich der Grafschaft, die durch einen starken Bevölkerungszuwachs gekennzeichnet ist, erleichtert und fördert zudem die notwendige gleichgerichtete Planung und Realisierung der Entwicklungsziele sowie die Zusammenarbeit und die Abstimmung wünschenswerter gemeinsamer Vorhaben mit den benachbarten Zentren."

Zu dem Wunsch der Gemeinde Lantershofen auf Eingliederung in die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler wird bemerkt:

„Dem Wunsch der Gemeinde Lantershofen kann nicht entsprochen werden, da die neue Gemeinde dann nur noch 5359 Einwohner zählen würde. Zudem handelt es sich bei der Gemeinde Lantershofen um die steuerstärkste Gemeinde im Bereich der Verbandsgemeinde. Die durchschnittliche Steuereinnahmekraft der Gemeinden innerhalb der Verbandsgemeinde (mit Ausnahme Kalenborns) würde von 169 auf 163,50 DM je Einwohner absinken. Die Verwaltungs- und Leistungskraft der neuen Gemeinde besäße damit eine unvertretbar schmale Basis."

Nach Zustimmung des Landtages wurde das Gesetz am 19. Dezember 1973 ausgefertigt und im Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 541 veröffentlicht. Geburtstag der neuen Gemeinde Grafschaft mit 6 095 Einwohnern und einer Flächengröße von 57,72 qkm ist der 16. März 1974, der Tag des Inkrafttretens des Gesetzes.

Foto: Kreisbildstelle
Autobahn A 14 bei Ringen

Nicht mit Freuden wurde das Gesetz und damit die neue kommunale Einheit von der Gemeinde Lantershofen aufgenommen.

Hier beschloß die Gemeindevertretung das höchste Landesgericht, den Verfassungsgerichtshof, anzurufen, um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes feststellen zu lassen. Außerdem kam es zu Protestaktionen der Bevölkerung und zum teilweisen Wahlboykott bei der Kommunalwahl am 17. März 1974, so daß von 489 wahlberechtigten Bürgern nur 69 zur Wahl gingen.

Im übrigen hat sich die neue Gemeinde Grafschaft schnell mit den Gegebenheiten abgefunden. Nach der Wahl des neuen Gemeinderates und der Wahl des bisherigen Verbandsbürgermeisters und zwischenzeitlichen Beauftragten Otto Leininger zum Bürgermeister erfolgte die Wahl der Ortsbeiräte und Ortsvorsteher für die jetzt als Ortsbezirke fortbestehenden ehemaligen Gemeinden.

Es bleibt zu hoffen, daß die neue Gemeinde Grafschaft zum Wohle ihrer Bürger die durch den Zusammenschluß gewiß nicht kleiner gewordenen Aufgaben erfüllen und die mit der Fertigstellung der A 14 auftretenden Probleme lösen kann. Damit wäre zugleich der Beweis erbracht, „daß dieses Gebiet allein lebensfähig ist", wie von verschiedenen Kommunalpolitikern dieses Gebietes immer festgestellt wurde.