Tausendjährige Eifeldörfer

Der Prekarievertrag des Archidiakons Wiefrid von 975

Ignaz Görtz

Im Jahre 1975 blickte eine Reihe von Eifeldörfern auf die erste urkundliche Erwähnung vor 1000 Jahren zurück: Antweiler, Hoffeld, Müsch, Niederadenau, Reifferscheld, Schuld und Üxheim.

Die diesen Jubiläen zugrundeliegende Urkunde ist einmal im Original erhalten. Hierin werden die Orte Reifferscheid, Hoffeld, Müsch, Üxheim und Bewingen genannt. In einer erweiterten Form wird dieser Vertrag als Abschrift überliefert im Großen Maximi-ner Diplömatar, einer Pergamenthandschrift des 12. bis 14. Jahrhunderts, die die Besitzungen und Rechte der Benediktinerabtei St. Maximin zusammenfaßt. Die erweiterte Fassung der Urkunde enthält im Anschluß an die Nennung der Kirche zu Reifferscheid 'eine Beschreibung der Pfarrgrenzen, wobei weitere Siedlungen erwähnt werden. Es ist nicht beweisbar, ob der In der Abschrift eingeschobene Text die Grenzverhältnisse des Jahres 975 oder eines späteren Zeitpunktes wiedergibt, doch dürfte hier sicher die Situation in der kirchlichen Organisation dargestellt sein, wie sie in den Anfängen ihrer Entstehung war.

Im Jahre 975 schließt nach der vorliegenden Überlieferung der trierische Archidiakon Wic-fried mit der Abtei St. Maximin einen Prekarievertrag (Tauschvertrag) über die Kirchen zu Üxheim und Reifferscheid. Dabei erhält Wicfried die Kirche in Okisheim (Üxheim) mit dem gesamten Zehnten, ferner 18 Hufen mit allen Knechten und Gebäuden, mit Mühlen, Wäldern, Wiesen, Weinbergen, Weideland, mit bebautem und unbebautem Land, mit Wasserläufen und Wasserfällen. Dagegen gibt Wicfrid der Abtei St. Maximin und

erhält nach prekarischem Recht die Kirche im Dorf Riferesscheit (Reifferscheid) mit dem gesamten Zehnten und 5 Hufen, die zu dieser Kirche gehören, ferner die Dörfer Bopinga (Bewingen) und Musca (Müsch) und eine Hufe in Huffeit (Hoffeld), dazu Weinberge entlang der Ahr und alles, was er im genannten Gebiet nach Erbrecht besitzt.

Gegenstand des Prekarievertrages sind zwei damals benachbarte Pfarreien, die nach Aussage der Urkunde im Eifelgau in der Grafschaft des Hermann lagen. Heute schieben sich zwischen die Pfarrorte Reifferscheid und Üxheim noch die Pfarreien Barweiler, Kir-mutscheid und Nohn. Damals gehörte der Bezirk der heutigen Pfarreien Barweiler und Nohn noch zur Pfarrei Üxheim. Barweiler wurde um 1600 selbständige Pfarrei, Nohn sogar erst 1801. Das Gebiet der Pfarrei Kirmutscheid unterstand zur Entstehungszeit der Urkunde noch der Pfarrei Müsch.

Eingeschoben in die Urkunde ist bei der Nennung der Kirche im Dorf Reifferscheid eine Grenzbeschreibung der „terminatio Riferesscheit", des Pfarrbezirks Reifferscheid. Der Begriff terminatio dürfte hier als Pfarrbezirk zu verstehen sein, wenn er zunächst auch nur Grenze oder allgemein fest umgrenzter Bezirk bedeutet. Im Mittelalter fallen jedoch oft grundherrlicher Bannbezirk und Pfarrbereich räumlich zusammen. Im übrigen nennt die Urkunde das umschriebene Gebiet in Verbindung mit der Kirche und dem Zehnten. Schon nach den Capitularien Karls des Großen von 810/13 sollte aber jede Kirche ihren „terminus" haben, dessen Bewohner den zur finanziellen Absicherung der Pfarrei gedachten Zehnten lieferten, so daß der Begriff terminus bzw. termination mit Zehntsprengel bzw. Pfarrbezirk gleichzusetzen wäre.

Erste Seite der Urkundenabschrift im großen Maximiner Diplomatar, (Kobl. 211.2111)

Der Ausdruck terminatio verlangt eine Erläuterung, weil bei der Beschreibung des Grenzverlaufs auch die terminatio Musche (Müsch), Ametwilre (Antweiler) und Scolta (Schuld) genannt werden, wobei Müsch seit Jahrhunderten keine Pfarrei mehr ist und als Filialort zur Pfarrei Antweiler gehört. Im Jahre 1272 begegnet Müsch noch als Pfarrei. Der über valoris nennt um 1300 in der Liste der Pfarreien noch Müsch, jedoch ohne Angabe einer Taxe. Hieraus wäre der Schluß zu ziehen, daß damals die Pfarrei Müsch in Auflösung war, wenn nicht gar schon zu bestehen aufgehört hatte. Antweiler, wo die Abtei St. Maximin auch begütert war, wird im über valoris mit Taxe unter den Pfarreien des Eifeldekanates aufgeführt. Ebenso wird hier die Pfarrei Schuld genannt, von der eine frühere urkundliche Erwähnung nur aus dem Jahre 1216 überliefert ist, als der Kölner Erzbischof Engelbert l. den Zehnten von Neurodungen dem Kölner Domstift übereignet, das zunächst mit den Johannitern von Adenau, später allein die Pfarrei zu vergeben hatte.

Pfarrgrenze von Reifferscheid

Nach der Beschreibung verlief die Grenze des Pfarrbezirks Reifferscheid über Rodder (Rodorum) den Limbach (Limpach) abwärts bis zur Ahr; die Ahr entlang bis zum Laufenbach (Lofenbach); von da dann entlang der Pfarrgrenze von Schuld (terminatio Scol-ta) und weiter nach Niederadenau (Li-dersadonowe), nach Waldaradechevelle (?), zur Hohen Warte (hoen hekka) und zur Hohen Acht (montem Hacha); weiter über Mure (?) zur Pfarrgrenze Oxneim (terminatio Okisheim) und welter entlang den Pfarrgrenzen von Müsch (terminatio Musche) und Antweiler (terminatio Ametwilre). Bei der Nennung des Grenzpunktes „Mure" könnte eine Verschreibung vorliegen und hiermit die „Nore", die Basaltkuppe der Nür-burg gemeint sein. Die Siedlung Waldaradechevelle, 932 als Walderagivelle erwähnt, wird eine später aufgegebene Einzelsied-lurig zwischen Niederadenau und Hoher Warte gewesen sein. 1604 heißt dieser Grenzpunkt "Wüste Scheuer". Die Nennung der Grenzpunkte und Grenzli-nien bzw. Grenzgebiete wirft die Frage auf, wieso viermal ein angrenzender Pfarrbezirk angeführt wird, während der östliche Grenzverlauf zwischen der genannten terminatio Scolta und Okisheim durch Angabe von Siedlungen (Lidersadonowe, Waldaradechevelle) und natürliche Grenzpunkte (hoen hekka, hacha) festgelegt wird. In diesem Bereich stieß die Pfarrei Reifferscheid an den Wald Meliere, jenes kaum besiedelte Waldgelände südlich der Ahr von der Einmündung des Adenauerbaches abwärts, in dem das Kloster Prüm schon 762 bei Kesseling Fuß faßte, das zur Pfalz Sin-zig gehörender königlicher Besitz war und dessen Wildbann den Gebrüdern Sigebodo und Richwin, Vorfahren der späteren Grafen von Are, im Jahre 992 von König Otto III.

übertragen wird. Dieses Waldgebiet lag im Ahrgau, und der in der Urkunde beschriebene östliche Grenzverlauf war die Grenze zwischen Ahr- und Eifelgau, dem in der kirchlichen Organisation Ahrgau- und Eifel-dekanat entsprachen. Die Pfarrei Reifferscheid stieß also hier an den Ahrgau und das Ahrgaudekanat, während im übrigen Pfarreien des Eifeldekanats die Grenze bildeten.

Die Urkunde von 992 beschreibt den vorerwähnten Grenzverlauf von der Mündung des Adenauer Baches in die Ahr (fluvius Adenoua) bis Niederadenau (Lierades Ade-noua), von da den Pfad hinauf bis Walderagivelle, weiter zur Hohen Warte (Hohen Egga) und den Pfad entlang zur Hohen Acht (Acha). Im Jahre 1604 wird dieses Grenzstück in umgekehrter Richtung genannt von der Hohen Acht entlang dem Rennpfad bis in die Nähe der Reifenhardt, weiter zur Hohen Warte, zur Wüsten Scheuer, auf den Winkelsberg und abwärts über den Dümpelfelder Trinkborn zur Ahr. Die Umschreibung der Reifferscheider Pfarrgrenzen enthält eine weitere interessante Feststellung: eine Pfarrei Adenau bestand noch nicht, und der heutige Pfarrbezirk Adenau gehörte ganz zur Pfarrei Reifferscheid. Die ersten Ansätze zur Herausbildung einer Pfarrei Adenau sind wohl ins 13. Jahrhundert zu legen. Eine Kirche in Adenau ist für 1216 belegt, als Graf Gerhard von Are, Herr zu Nürburg, die Stiftung eines Jahrgedächtnisses seines Vaters Ulrich anerkennt. Im Jahre 1224 gelangt diese Kirche an die Johanniter. Im Zehntverzeichnis des Eifeldekanates von 1506 und 1513 wird Adenau erstmals ausdrücklich als Pfarrei aufgeführt.

Die Größe des Reifferscheider Pfarrbezirks mag überraschen. Doch haben wir es hier wie auch beim benachbarten Oxheim mit einer der ältesten Pfarreien des Eifeldekanats zu tun, die in ihrer räumlichen Ausdehnung die Weite der Eifelhöhen und die relativ geringe Besiedlungsdichte ahnen lassen.

Quellen: