Der „stillschweigende" Schultheiß zu Sinzig

Franz J. Burghardt

Bevor die französischen Revolutionstruppen 1793 bis an den Rhein vordrangen und die politische und gesellschaftliche Ordnung im Rheinland völlig veränderten, gehörte Sinzig seitdem 13. Jh. zum Herzogtum Jülich, das nach der Vereinigung mit der Grafschaft Berg im 14. Jh. von Düsseldorf aus regiert wurde. Neben dieser Zentralverwaltung gab es eine mittlere Verwaltung, nämlich die der einzelnen Ämter, die in ihrer Größe etwa unseren heutigen Landkreisen entsprachen; hierzu gehörte auch das Amt „Sinzig und Remagen". Die unterste Verwaltungsstufe bildeten die Kirchspiele, vergleichbar mit den heutigen Gemeinden, und die Städte. (Die Verwaltungsaufgaben der Kirchspiele wurden in der Regel von nur einer Person erledigt, dem Schultheißen, der Richter des örtlichen Schöffengerichts (unterste Gerichtsinstanz), Steuereinzieher u. a. war). Die Städte wurden von Bürgermeister und Stadtrat regiert, so auch Sinzig, wo jährlich im Herbst der neue Bürgermeister gewählt und Anfang November in der Kirche vorgestellt und vereidigt wurde 3).

Daneben gab es in Sinzig aber auch einen Schultheißen, der — und das ist sehr bemerkenswert — nicht im Dienst des Landesherren, also des Herzogs von Jülich stand, sondern Beamter des Erzbischofs von Trier war. Bedenkt man, daß die Territorien seinerzeit de facto unabhängige Staaten waren, so heißt das, daß es in Sinzig einen „ausländischen Beamten" gab! Kein Sinziger Bürger hätte sich als treuer jüdischer Untertan bereitgefunden, dieses Amt zu übernehmen und so einem fremdem Herrn zu dienen. Daher sah sich der Erzbischof vor Trier dazu gezwungen, das Amt des Schultheißen immer Personen aus ortsfremden Familien zu überlassen. Kein Wunder also, daß die Sinziger Bürgerschaft überhaupt nicht gut auf diese Fremdlinge in der Stadt zu sprechen war; ständig war man bemüht, die Rechte des Schultheißen einzuengen, die uns aus einem Auszug des „Coblenzer Sahlbuchs de anno 1587" über die „guter, Renthen und gerechtigkeiten in Syntzig und desselbigen Ambts zugehörige Dörffer, dem gnädigsten Churfürsten und Herren zu Trier zuständig und gefällig," bekannt sind 1)

Da heißt es, daß zu Sinzig ein „stillschweigend-ter Schultheiß mit zu Gericht sitzt"; er hatte kein Mitspracherecht bei Verhandlungen vor dem Sinziger Stadtgericht, das aus fünf oder sieben Schöffen, dem Schultheißen und dem Vorsitzenden (vermutlich der Vogt des Amtes Sinzig-Remagen; man vergleiche die Verhältnisse in Ahrweiler!) bestand7). Die „Brächten und Wetten" (Strafen und Gerichtsgebühren) wurden „vom Ambtman zu Syntzig oder einem Gülischen Brüchtenmeister im Beysein eines trier. Schultheißen gesetzt", jedoch hatte die jülische Seite das Recht, „die Straffen nachzulassen oder zu schmelern nach ihrem Gefallen frei, dagegen Trier nit einzureden hat". Die so entstehenden Einnahmen wurden von einem Gerichtsboten eingetrieben; da dem Erzbischof von Trier ein Drittel davon zustand (Jülich erhielt 2/3), hatte er zunächst einen eigenen Gerichtsboten. Als aber Jülich 1559 die Jurisdiction in Sinzig nach einer zeitweiligen Verpfändung an den Erzbischof von Köln wieder übernahm, wurde dort „ein trierischer Potte, in Ihrer Churfürstl.trier.Sachen selbst zu pfenden, nit gestattet". Neben dem dritten Teil zu Sinzig, Heimersheim, Löhndorf, Westum, Koisdorf und Unkelbach stand dem Erzbischof von Trier der neunte Teil zu Remagen zu.

Weitere Einnahmen des Schultheißen zu Sinzig waren:

a) 3 Malter 2 Summer Hafer jährlich, die die Inhaber des Frohnhofes zu Sinzig (1587 die Herren von Aich) zu liefern hatten. Dafür mußte der Schultheiß jährlich zwei „Hoffgedinge" (= Hofgerichte, vgl.7)) leiten „eins zu Geschworen Montag, das ander den zweyten Montag nach Ostern".

b) Nach dem „Hern Geding" erhielt er ein Semmelbrot und eine Wachskerze, „1 Viertel wigend. Daneben gebührt dem Scholtheißen, neben seinem Sotten nach uffgehobenem Geding mit in der Herren von Aichen Zehen-hoff binnen Sinzig zu gehen und was daselbst, alten Brauch nach, den Gerichtspersohnen zum besten gegeben wird, mit zu genießen". (Gerichthalten machte offensichtlich hungrig!)

c) 12 Taler in Kölnischer Währung vom Inhaber des Zehnthofs. Dieser Betrag wurde „Roßstand" genannt, „da vor etlichen Jahren ein Churfürst zu Trier einen Herbstknecht mit einem Pferd nach Syntzig geschickt. Daseibig Pferd haben die Herren von Aichen in ihrem Zehenhoff im Futter halten müssen. Leztlich aber daselbig abgeschaffen worden und in statt dessen nunmehr jährlich geben werden 12Th. Cöllnisch".

d) 11 Taler 1 Albus Vogtgeld von den Bürgermeistern zu Westum, Sinzig, Heimersheim, Unkelbach, Franken, Remagen und Löhndorf. Die Bürger von Remagen behaupteten aber, „ab immemoriali tempore (seit undenklichen Zeiten) nichts schuldig zu seyen".

Folgende Sinziger Schultheißen sind uns bisher namentlich bekannt:

I. Anthon Ludwig; 1587 erwähnt.

II. Heinrich Danner; 1634 und 16406) als Schultheiß erwähnt. Kurz danach gab er das Amt an seinen Schwiegersohn Anthon Pontz ab; zuletzt erscheint er 1652 als „Zehnthofmann".

III. Anthon Pontz. Er kam aus einem Ort „Anmers" im damaligen Herzogtum Luxemburg und heiratete 1634 in Sinzig eine Tochter des Schultheißen Heinrich Danner. Seit 1637 (zuletzt 1653) wird er Vogt in Waldorf genannt, seit Ende 1644 Schultheiß in Sinzig, wo er zwischen 1637 und 1651 sieben Kinder taufen läßt. Er wohnte an der Eulengasse im Trierer Hof, den der Erzbischof von Trier am Anfang des 15. Jhs. von der Familie von Hammerstein geerbt hatte und der am Ende des 30jährigen Krieges schwere Zeiten erlebte. 1649 schreibt Pontz an den Erzbischof, er habe durch Einquartierungen von kaiserlichen, französischen und lothringischen Truppen „viel Beschwernisse ausgestanden", er sei sogar ausgeplündert worden, „wobey Euer Churfürstl. Gnaden beysahmen gehabte Früchte sambt meines Viehes gar beraubt und entfrembt" wurde. Später beklagt er sich, daß die Gebäude des Trierer Hofes baufällig seien, doch der Erzbischof schickt nur seinen Landrentmeister Fidtlers und seinen Baumeister Stauffser nach Sinzig; aber das Geld für Reparaturen fehlt offenbar, denn 1671 schreibt Pontz erneut nach Trier und teilt mit, daß die Scheune „gantz mißbawigt stehe" und der kleine Schafstall abgerissen werden müsse.

Als Ende 1653 Anthon Pontz vom Stadtrat zum neuen Bürgermeister gewählt wird, geschieht dies unter der Bedingung, daß die „hierselbsten habenden Gerechtigkeiten (= Rechte)" des Erzbischofs zu Trier, dessen Beamter Pontz in seiner Eigenschaft als Schultheiß war, durch diese Wahl nicht beeinflußt werden sollen. Als am Sonntag nach Allerheiligen, dem 2. 11. 1653 Anthon Pontz in der Kirche als neuer Bürgermeister vorgestellt und vereidigt wird, wird die genannte Wahlklausel der versammelten Bürgerschaft auch mitgeteilt und Pontz gelobt „aidtlich, der Statt und Landschafft besten Vermögens vorzustehen und deroselben Urbar und Profeit zu befördern". Plötzlich aber tritt der Bürger Mattheiß Schopen hervor — der neun Monate zuvor wegen „vorgenhomener Rebellion und Pflichtvergessung" aus dem „Partheienmeisterambt" entlassen wurde — und bringt „allersambt Protestationes" gegen den Bürgermeister vor: Die Bürgerschaft sei überhaupt nicht mit ihm zufrieden, Pontz sei nicht einmal Bürger der Stadt (!) und habe als Landhauptmann die Bürgerschaft „mitt Auff-commandieren schwer aggravirt (belastet)". Schopen fragt schließlich, was den Stadtrat überhaupt dazu veranlaßt habe, diesen Mann zum Bürgermeister zu wählen. Der Stadtrat, der Pontz wohl gewählt hat, um in der schweren Zeit nach dem furchtbaren Krieg das Verhältnis mit dem mächtigen Trierer Erzbischof zu verbessern, reagiert sehr empfindlich: Mattheiß Schopen muß wegen ungebührlichen Verhaltens eine Strafe von sechs Kölnischen Talern zahlen; wenn er etwas vorzutragen gehabt hätte, so hätte er „selbiges zuvor uff der Rhattstuben gepoe-rendt vorprengen sollen".

Die Bürger aber sind empört; sie nehmen es nicht hin, daß ein Fremder Bürgermeister ihrer Stadt sein soll, und fechten unter Federführung des Christoph Lessenich die Wahl des Anthon Pontz bei der jülischen Kanzlei in Münstereifel an. Pontz seinerseits läßt nach einigen Wochen am 8. 4. 1654 die ganze Bürgerschaft auf dem Rathaus im Beisein des Vogtes Joh. Caspar Cremer und des Gerichtsschreibers Peter Norff zusammenkommen und fragt, ob einer unter der Bürgerschaft wäre, der ihn für einen „eingetrungenen und nitt legitime erwälten Bürgermeister erkennen undt darvor halten thäte. Daß derselbe nun sprechen und rotunde (= rund) heraus solches sagen mögte". Niemand aber war dazu bereit; man bestätigte dem Bürgermeister sogar schriftlich, daß man mit ihm „wollzufrieden sei und darwider nitt zu reden hette". Man wollte wohl wegen der restlichen sechs Monate, die Anthon Pontz noch Bürgermeister war, keinen Ärger mehr bekommen.

IV. Franz Michael Pontz; geb. im Trierer Hof, getauft zu Sinzig am 1. 4. 1641. Er heiratete 1670 seine Cousine Catharina Pontz4) und 1710 zu Sinzig in zweiter Ehe die Witwe Regina Anna Elis. Diepenbeck geb. Schopen 4,9). Das Amt des Schultheißen hat er um 1675 von seinem Vater übernommen, aber offenbar kurz nach 1679 (noch als Schultheiß erwähnt) niedergelegt.

V. Heinrich Walter Abaust. Er kam um 1650 nach Sinzig, wurde 1656 in den Stadtrat gewählt und erscheint um 1685 als Schultheiß.

VI. Johann Bertram Bachoven von Echt; geb. 1663, t- 10. 7.1720; er lebte mit seiner Frau Maria Sophia Agnes von Baien ab 1694 in Sinzig. Ob er Schultheiß in Sinzig war, ist nicht ganz sicher; angeblich war er jütischer und kurtrier. Vogt zu Sinzig und Remagen. 1691 wird er auch als Verwalter des Amtes Sinzig-Remagen bezeichnet.5,8)

VII. Werner Leusch. Nov. 1720/Sept. 1722 in den Ratsprotokollen als Schultheiß erwähnt.

VIII. Franz Michael Bruno Bachoven von Echt.; geb. und getauft am 8. 10. 1706 auf Burg Arenfels als Sohn des Praefecten Joh. Bertram Bachoven von Echt. In erster Ehe war er verheiratet mit Maria Charlotta de Potesta, in zweiter Ehe (Trauung am 8. 5. 1753 in Sinzig) mit Maria Theresia Schlösser, mit der er bis zu seinem Tode am 27. 2.1773 in Sinzig lebte. Als Schultheiß erscheint er 1765, als er sich mit der Witwe seines Bruders um die Benutzung eines Kirchenstuhles in Sinzig vor Gericht stritt 5), und 17688). Mit seinem Bruder Carl Caspar Bachoven v. E. (geb. 1693,-|- 1764), der wie sein Vater Vogt des Amtes Sinzig-Remagen war, führte er sogar jahrelang Prozesse wegen Erbschaftsangelegenheiten. Sein Sohn Franz Martin Maria verkaufte 1784 seine Güter zu Sinzig an den Grafen von Hillesheim.5,8)

Quellen und Literatur

  1. LH Archiv Koblenz; 13-375/1, 10-3770 (Akte betr. Trierer Hof) und 13—353 (Ratsprotokolle von Sinzig)
  2. Kirchenbücher von Sinzig im Bistümsarchiv Trier
  3. Burghardt, F. J : Die Sinziger Bürgerschaft im Jahre 1666; Heimat-Jb. 1978 für den Kreis Ahrweiler, p. 40-43
  4. Deitmer, H. SJ: Die Kölner Generalvikariatsprotokolle, Bd. l (Veröffentl. der Westd. Ges. für Familienkunde, NF 3/4), Köln 1970
  5. Keller, K. (Hrsg.): Urkunden zur Familie Bachoven von Echt, Bonn 1907
  6. Eckertz, Dr. G.:Chronik der Stadt Sinzig; Ann. d. Hist. Vereins für den Niederrrhein 13 (1863), p. 246-270
  7. Krahforst, Dr. P.: Zum Gerichtswesen im alten Ahrweiler; Heimat-Jb. 1978 für den Kreis Ahrweiler, p. 30—37
  8. Sammlung von Oidtmann, Univ.- und Stadtbibl. Köln
  9. Burghardt, F. F.: Zur Geschichte der Familien von der Hoven genannt Pampus und Diepenbeck; Kölner Genealog. Blätter, Heft 4 (1978), p. 41 -48