Kreisentwicklungsprogramm Ahrweiler

Entscheidungshilfe für die Kreispolitik

Hans Habermann

Die Verwaltung hat an der Jahreswende 1977/78 dem Kreistag und der Öffentlichkeit ein Entwicklungsprogramm für den Landkreis Ahrweiler vorgelegt. Mit der Bedeutung dieses Programms, seiner Zielsetzung und dem gegenüber traditionellen Planungen veränderten Konzept befaßt sich der folgende Beitrag.

Der Kreis hat im Rahmen der Daseinsvorsorge zusammen mit den Städten und Gemeinden eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen. Er baut Straßen, sichert die öffentliche Wasserversorgung, ist Schulträger und für zahlreiche weitere Fachaufgaben, angefangen von der Jugendhilfe bis zum Katastrophenschutz zuständig. Im Rahmen seiner Ausgleichsfunktion muß er dabei die unterschiedliche Situation der Gemeinden berücksichtigen und die Entwicklungsmöglichkeit im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse beeinflussen. Die Vielgestaltigkeit dieser Aufgaben, die sich ständig vermehren, stellt erheblich Ansprüche an die Leistungskraft des Kreises. Es gilt daher, die stets knappen Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen. Dazu bedarf es vorausschauender und gestaltender Überlegungen, will man sich nicht der Gefahr aussetzen, lediglich Mängel zu verwalten.

Allerdings sind in die Zukunft gerichtete Entscheidungen immer mit Unsicherheiten und Risiken verbunden. Einige Beispiele können das verdeutlichen:

Wie wird sich die Bevölkerungszahl entwickeln? Wird sich der Geburtenrückgang weiter verstärken oder kommt es zu einer Stabilisierung? Fragen, die für die Auslastung der

Infrastruktureinrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser usw. von Bedeutung sind. Oder: welche Möglichkeiten gibt es, die vorhandenen Strukturschwächen abzubauen und wie groß sind die Realisierungschancen? Oder: kann der Rückgang der Erwerbsmöglichkeiten in der Landwirtschaft durch den Fremdenverkehr aufgefangen werden, wo bieten sich die besten Ansatzpunkte dazu und welche Mittel sind erforderlich?

Die Reihe der Beispiele könnte beliebig fortgesetzt werden.

Für den Einzelnen dürfte es kaum noch möglich sein, die komplizierten wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Zusammenhänge alle zu überblicken; und besonders schwierig wird es, wenn auch noch zukünftige Entwicklungen ins Kalkül gezogen werden müssen. Die politisch Verantwortlichen sind bei ihrer Arbeit daher immer mehr auf die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und moderner Planungstechniken angewiesen.

Das nunmehr vorliegende Kreisentwicklungsprogramm soll diese Aufgabe erfüllen, indem es den Politikern notwendige fundierte Entscheidungshilfen bietet. In einem umfassenden Analysenteil werden problemorientiert die wichtigsten Entwicklungsbereiche Bevölkerung, Arbeitsmarkt, Landwirtschaft und Weinbau, Fremdenverkehr, Siedlung und Landschaft, soziale und technische Infrastruktur und Verkehr durchleuchtet und ihre Abhängigkeiten dargestellt. Der zweite Teil befaßt sich mit den angestrebten Zielen, die in einem Ordnungsmodell zusammengefaßt sind, während in dem anschließenden Steuerungsprogramm Möglichkeiten und Beispiele aufgezeigt werden, diese Ziele zu erreichen.

Nun ist nach einer eher euphorischen Phase der Planungstätigkeit in den letzten Jahren das „Planen" in den Widerstreit der Meinungen geraten. Mißerfolge, vor allem aber nicht erfüllte hohe Erwartungen, die an neue Planungstechniken geknüpft wurden, haben die Begeisterung erheblich geschmälert und den Wert solcher Planwerke teilweise fragwürdig erscheinen lassen. Hinzu kommt noch ein wachsendes Mißtrauen gegen Planung im allgemeinen. Schlagworte wie „der verplante Bürger" deuten darauf hin. In dieser Situation wurde das Kreisentwicklungsprogramm dem Kreistag und der Öffentlichkeit vorgestellt, und es wäre sonderbar gewesen, wenn diesem Kreisentwicklungsprogramm nicht ähnliche Vorbehalte entgegengebracht worden wären.

Schon zu Beginn der Planungsarbeit wurde versucht, diesem Mißtrauen zu begegnen und offenkundige Fehler bisher überkomme-ner Praxis zu vermeiden. So wurde eine Projektgruppe gebildet, der neben zahlreichen Verwaltungsangehörigen mit dem Landrat an der Spitze sowohl externe Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen als auch ein Planungsinstitut angehörten. Damit war gewährleistet, daß neben dem notwendigen Fachverstand und den wissenschaftlichen Methoden, die internen und regionalen Kenntnisse nicht zu kurz kamen.

Zu überlegen war natürlich auch der Aufbau eines eigenen, personell umfangreichen und hochqualifizierten „Kreisentwicklungsamtes". Diese Alternative schied jedoch wegen der Gefahr der späteren Unterauslastung — nach Fertigstellung des Entwicklungsprogramms — aus und wäre auf die Dauer auch nicht finanziell zu verkraften gewesen.

Wichtigste Basis des gewählten „kooperativen Modells" war die Mitarbeit der Politiker. Die Beteiligung der Kreistagsmitglieder und der Bürgermeister der Städte und Verbandsgemeinden auf verschiedenen Intensivseminaren- ging davon aus, daß es Aufgabe der Planer ist, Analysen zu erarbeiten, entwicklungspolitische Abhängigkeiten aufzuzeigen und alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwerfen, kurz: Entscheidungshilfen zu liefern, nicht aber selbst grundlegende Entscheidungen zu fällen. Letzteres ist und bleibt Aufgabe der politischen Mandatsträger. Noch in anderer Hinsicht unterscheidet sich das Kreisentwicklungsprogramm von „konventionellen Plänen". Es beabsichtigt nicht, die Entwicklungen für einen bestimmten Zeitraum detailliert und perfektionistisch festzulegen. Ein solches Vorgehen ist in der Tat ungeeignet und zum Scheitern verurteilt. Denn die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge unserer hochentwickelten Gesellschaft sind so kompliziert und ständigen Wandlungen unterworfen, daß sie weder mit Sicherheit vollständig erfaßt, noch in ihrer Gesamtheit für einen längeren Zeitraum festgeschrieben werden können.

Bei der Konzeption der Kreisentwicklungsplanung Ahrweiler stand diese Erkenntnis Pate. Es konnte nicht Ziel sein, in einem einmaligen, wenn auch umfangreichen Prozeß, die Entscheidungen für die nächsten 5 oder 10 Jahre zu fällen. Vielmehr ging es darum, auf der Basis fundierter Analysen ein Rahmenprogramm zu erarbeiten, das die komplexen Verflechtungszusammenhänge und ihre Abhängigkeiten darstellt, die die Entwicklung des Kreises bestimmen und alternative Handlungsmöglichkeiten skizziert. Dieses Programm ist durch politische Einzelentscheidungen auszufüllen und ist darüber hinaus Fundament für anschließende Fachplanungen. Betont werden muß die besondere Notwendigkeit einer regelmäßigen Fortschreibung, die ständige Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen. Um sie sicherzustellen, und aus der Erkenntnis, daß mit Vorliegen des Entwicklungsprogrammes die planerischen Überlegungen nicht abgeschlossen sein können, wurde bereits während der Projektarbeit „Kreisentwicklungsprogramm Ahrweiler" im Zuge einer Verwaltungsneugliederung ein Referat „Kreisentwicklungsplanung" geschaffen. Denn Entwicklungsplanung ist nicht darauf ausgerichtet, einen künftigen, endgültigen Zustand zu erreichen, sondern ist ein Prozeß, der die laufende Steuerung einer Entwicklung zum Inhalt hat.

Dieses Entwicklungsprogramm kann das Denken nicht ersetzen; es bietet aber einen Orientierungsrahmen, der — bei kritischem Gebrauch — Fehlentscheidungen verhindern hilft und positive Impulse für die zukünftige Entwicklung zu geben vermag.