Johannes Butzbach

* 1478

+ 29.12.1516

P. Emmanuel! v. Severus

Am Abend des 28. Dezember eines jeden Jahres hört die Klostergemeinde der 1892 wiederbesiedelten Abtei Maria Laach nach der gemeinsamen Mahlzeit folgenden kurzen Nekrolog: „Im Frieden Christi entschlief am 29. Dezember 1516: P. Prior Johannes Butzbach. Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern des rheinischen Klosterhumanismus und ist eine der liebenswürdigsten Gestalten der Laacher Klostergeschichte. Vom fahrenden Schüler und Schneider im Kloster Johannisberg im Rheingau stieg er zum Studenten in Deventer auf und trat 1500 in Laach ein. 1502 legte er Profeß ab, wurde 1503 Priester und bald darauf Novizenmeister. Obwohl ihm nach seinen eigenen Worten die Amtsgeschäfte kaum Zeit zum Atmen ließen, nachdem er 1507 auch Prior geworden war, blieb er ein ebenso frommer wie fleißiger Arbeiter und für seine Mitbrüder ein leuchtendes Beispiel. 33 größere und kleinere Schriften gelten als von ihm verfaßt. Während diese sich im allgemeinen der Geschichte zuwenden, trat im Jahre vor seinem Tode vor allem die Heilige Schrift in den Mittelpunkt seiner Studien. Butzbach war erst 37 Jahre alt, als er starb, doch beweisen die frommen Legenden, die im Rituale des Abtes Johann Machhausen von seinem Hinscheiden berichtet werden, in welchem Ansehen seien Persönlichkeit im Kloster stand."

Für die heute in Maria Laach lebenden Benediktiner bedeutet die Lesung zunächst ein Bekenntnis zu ihrer Geschichte, weil sie wohl wissen, daß nichts so schwer wieder herzustellen ist wie eine zerbrochene Tradition, als deren Zeuge Johannes Butzbach gelten kann. Seine Gestalt am Vorabend der Reformation kann aber auch wegweisend sein für die Aufgabe der sich ständig erneuernden geistlichen Gemeinschaft in der Kirche.

Johannes Butzbach wurde 1478 (die meisten Forscher halten an diesem Überlieferten Jahr fest) zu Miltenberg am Main geboren. In Erinnerung an sein Geburtsstädtchen hat er sich später gern nach Humanistenart Piemontanus, der „Miltenberger", in volkstümlicher Etymologie genannt. Sein Leben bis zum Eintritt ins Eifelkloster Laach hat er in einem ebenfalls nach Humanistenweise „Hodopori-con" genannten Büchlein erzählt, dem „Wanderbüchlein" oder der „Chronica eines fahrenden Schülers", wie es der erste deutsche Übersetzer D. J. Becker 1869 nannte. Das Hodoporicon hat bis in die Gegenwart immer neu die Forschung beschäftigt. Abgesehen davon, daß es für das literarische Genus der Autobiographie ein bedeutsames Zeugnis am Beginn der Neuzeit ist, bietet das „Wanderbüchlein", das unter den Handschriften des alten Klosters Laach in der Universitätsbibliothek Bonn die meist benutzte ist, eine Fülle von interessanten Mitteilungen zur Geistes- und Kulturgeschichte, zur Kunstgeschichte, Volkskunde und Sprachforschung. So wurde es stets im Zusammenhang der Erforschung des Humanismus nördlich der Alpen und der Ordensgeschichte bis in die Neuzeit herangezogen. Nicht zuletzt weckte es in den letzten Jahrzehten die Aufmerksamkeit der Slawistik, die nicht nur kulturgeschichtlich wertvolle Nachrichten über Böhmen dem Hodoporicon entnahm, sondern es vor allem als brauchbare Quelle für die Aussprache des Althechischen ansah.

Der Vater des kleinen Johannes Butzbach hatte ihn nämlich 1488 dem Sohn seines Nachbarn als Schüler übergeben, der den Eltern versicherte, bei ihm könne der Junge mehr lernen als anderswo. Freilich begann damit für den 10jährigen Jungen eine Leidenszeit, in der beispiellose Ausnutzung der Kräfte des Schülers durch seinen Bachanten-Lehrer, moralischer Mißbrauch beim Betteln, Krankheiten und Mißhandlungen sich die Waage hielten. Johannes liefert mit der Schilderung seiner Erlebnisse nicht nur interessante Schilderungen fränkischer Städte und Verhältnisse, sondern nach der Weiterfahrt nach Böhmen auch ein reizvolles Sittengemälde Böhmens in dieser Zeit. Aber er mußte auch die Sprache des Landes lernen und er vergißt nicht zu bemerken, daß er mehr Tschechisch als Latein habe lernen müssen. Bei der Schilderung der Schönheit Prags gibt er schließlich seinem Stiefbruder, dem Adressaten des Wanderbüchleins, als Sprachprobe die tschechischen Texte des Vaterunser und des Apostolischen Glaubensbekenntnisses wieder. Sie zeigen, daß Butzbach zwar die alttschechische Schreibung gelernt hat, noch mehr jedoch aufzeichnete, wie er hörte. Die Forscher unserer Zeit finden dabei naturgemäß manche Irrtümer und Gehörverwechslungen, loben aber doch das feine Gespür des Mainfranken für slawische Sprachmerkmale. Es war für Butzbach, als er zehn Jahre nach der Flucht aus Böhmen die Sprachproben niederschrieb, schwerer, Irrtümer zu vermeiden, als bei der Schilderung der hussitischen Bräuche und der Glaubensunterschiede, bei der er sich auf die ihm zugängliche Literatur zur Aufhellung seines Gedächtnisses stützen konnte. Wir wissen heute, daß er dafür die Schedelsche Weltchronik und die historischen Europastudien des Aeneas Sylvio Piccolomini benutzte.

Anziehend war am Wanderbüchlein stets die Schilderung des Werdegangs vom fahrenden Schüler zum Klosterschneider, dann aber zum Priester und Prior des Eifelklosters. Das Schneiderhandwerk lernte Butzbach in Aschaffenburg. Er war 16 Jahre alt, als er sein sechs jähre währendes Wanderleben mit dem fahrenden Schüler durch Flucht beenden konnte und wieder nach Miltenberg heimfand. Dort erfuhr er vom Tode seines Vaters und, daß er schon seit ungefähr fünf Jahren einen Stiefvater habe. Dieser gab ihn nach Aschaffenburg in die Lehre. Johannes gesteht freimütig, daß er selbst es gewünscht habe, das Schneiderhandwerk „zu erlernen, weil es leichter ist als aridere".

Die objektive Berichterstattung Butzbachs ist von der Forschung zwar nie ernstlich in Frage gestellt 0orden, doch wird man wohl beachten müssen, aus welcher Absicht der Laacher prior sein Hodoporicon geschrieben hat: Es ging ihm in erster Linie darum, seinen Stiefbruder aus zweiter Ehe seiner Mutter, Philipp Drunck, im fernen Münster i. W. in seinem Heimweh nach dem lieblichen Maintal zu trösten und ihn zu ermutigen, auszuharren. Auch Butzbach hatte ja in Aschaffenburg seine Lehre durchgehalten und war schließlich nach Aufenthalten in Frankfurt und Mainz als Bruder und Schneider im Kloster Johannisburg im Rheingau aufgenommen worden, wohl noch im Jahre 1496. Nach den Schilderungen, die Butzbach vom Leben im Kloster Johannisberg und dem von ihm bewunderten und geliebten Rheingau gibt, hätte man wohl annehmen dürfen, er sei am Ziel seines Strebens angkommen. Dem war jedoch nicht so. Die Erinnerung an sein ursprüngliches Vorhaben, als er als Zehnjähriger Miltenberg verlassen hatte, Gespräche mit jüngeren Konventsmitgliedern und auch die Voraussage eines Aschaffenburger Pfarrers, dessen Para-mente er als Lehrling auszubessern hatte, ließen ihn nicht ruhen, bis er von seinem Abte die Erlaubnis hatte, an der von niederländischen Humanisten und den Brüdern vom gemeinsamen Leben geleiteten Schule in Deventer die Studien wieder aufzunehmen — ein Versuch, der erst nach mancherlei Zwischenfällen beim zweiten Male gelang und erneut mit vielen Anstrengungen und Nöten verbunden war. Sie ergaben sich nicht allein aus Krankheit und körperlicher Schwäche, sondern aus den Gegebenheiten, die für Butzbach unter spätmittelalterlichen Verhältnissen durchaus mit jenen zu vergleichen sind, unter denen ein Spätberufener heute an einem kirchlichen oder staatlichen bzw. kommunalen Abendgymnasium zu studieren hat: Neben den Studien eine oft nicht geringe Arbeitsleistung, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Butzbach weist darauf einmal ausdrücklich in einem Briefe an Abt Johannes Trithemius aus dem Jahre 1509 hin. Immerhin konnte Butzbach das Pensum von Sechs Klassen in zwei Jahren bewältigen.

In seinem Wanderbüchlein schildert er sodann ausführlich, wie es dazu kam, daß er nicht zum Kloster Johannisberg im Rheingau zurückkehrte, sondern am 18. Dezember in das Kloster Laach eintrat, dessen bedeutender Abt Simon von der Leyen (1491—1512) auf der Schule zu Deventer um Nachwuchs hatte werben lassen. Zu dem im Nekrolog genannten Weihe- und Ämterdaten mag noch hinzugefügt werden, daß Butzbach durch Johannes Trithemius, den er schon während seiner Johannisberger Zeit kennenglernt hatte, auch Zwang zur „Sodalitas litteraria Rhenana" der berühmten Heidelberger Humanistengesellschaft, fand. Es scheint geraten, sich so zurückzuhalten, da klare Aussagen über eine Mitgliedschaft Butzbachs fehlen und außerdem die Sodalitas ihre Blütezeit bereits überschritten hatte. Seiner Beziehungen zu Trithemius wegen und als Schüler des Deventer Rektors A. Hegius (1420-1498) hätte ihm der Zutritt im Sinne eines externen oder korrespondierenden Mitglieds wohl offengestanden, doch werden wir den Gegebenheiten eher gerecht, wenn wir ihn dem Kreis der Sodalitas zurechnen, ohne damit eine förmliche Mitgliedschaft zu präzisieren.

Im modernen Nekrolog des Klosters Laach wird kurz angedeutet, daß Butzbachs Leben in diesem Kloster alles andere war als ein stilles Gelehrtendasein. Bei aller Liebe, die ihn zu seinem Kloster und dessen bedeutendem Abt Simon, sowie zum großartigen romanischen Münster beseelte und bei aller Befriedigung über den neuen Aufschwung des monastischen Lebens seit dem Beitritt Laachs zur Bursfelder Union im Jahre 1474 , waren auch die Laacher Jahre für Butzbach nicht nur Freude. Seine von Kindheit an nicht robuste Gesundheit litt schwer unter dem Laacher Klima, dessen Feuchtigkeit und Nebel damals nicht durch den technischen Fortschritt ausgeglichen werden konnte, der dem Kloster heute zur Verfügung steht. Aber auch die Studien, die Butzbach so sehr am Herzen lagen, fanden bei seinen Mitbrüdern nicht stets das erhoffte Verständnis und waren sogar im Jahre 1509 Anlaß zu schwerwiegenden Anklagen bei den Visitatoren. Gewiß kam hier das alte Wort zur Geltung, daß in seiner Heimat keiner als Prophet gilt, aber diese Streitigkeiten sind ohne Zweifel auch als Äußerungen der Zeitenwende anzusehen,

deren Erschütterungen Europa damals ausgesetzt war und in die ebensoviel Menschlich-Allzumenschliches sich zur Geltung brachte, wie es schon der Vater des abendländischen Mönchtums in seiner so wirklichkeitsnah entworfenen Mönchsregel kennt. Die moderne Forschung wird heute in der Beurteilung und Kennzeichnung der Persönlichkeiten und Verhältnisse weit zurückhaltender sein als etwa der erste Übersetzer des Hodoporicon im Jahre 1869, für den die kleinlichen Auseinandersetzungen des Jahres 1509 Anzeichen des „großen Kampfes des Humanismus mit der Scholastik" waren. Das Wirken Butzbachs ist zunächst von der ab 1416 im benedikti-nischen Mönchtum eingeleiteten Reform her zu beurteilen, der wie vielen Erneuerungsbewegungen im Mönchtum ein restaurativer Charakter nicht abzusprechen ist. Neue Gedanken kamen bei ihm gewiß unter dem Einfluß der Devotio moderna der niederländischen Gelehrten hinzu. Als Typisch humanistisch kann für Butzbach gelten, daß die Werte der antiken Welt für die Erneuerung fruchtbar gemacht werden sollen, während sich andere Elemente, die in früheren Renaissancebewegungen typisch waren, wie z. B. textkritische Bemühungen stark zurücktreten. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß das Urteil K. Arnolds zutrifft, wonach der Laacher Prior "sich als Literat schwertat" und eher der mittelalterlichen Florilegienmethode folgte als philologischen und textkritischen Maßstäben. Auch Vorzeichen der großen kirchlichen Auseinandersetzungen, die im Todesjahr Butzbachs ihren ersten Höhepunkt erreichten, fehlen. Er bleibt trotzdem eine liebenswürdige Gestalt, dessen Hodoporicon nicht nur wegen seiner kulturellen Notizen, der Menschen-11 nd Landschaftsschilderung von frischer Lebendigkeit ist und eine reizvolle Lektüre darstellt, sondern weil die Schilderung des Laacher Konvents am Ende des Büchleins Butzbach als einen Mann zeigt, der voll und ganz von seiner Aufgabe als Prior erfüllt ist. Neben aller Begeisterung für die Schönheit der Laacher Landschaft und ihres Kleinods, des Laacher Münsters, sieht er sein Kloster vor allem als Ort des Gottsuchens. Dieses Grundelement benediktinischen Lebens scheint der eigentliche Maßstab für die Schilderung der Mönche zu sein, die er bei seiner Ankunft in Laach vorfand. Von (diesem stammten einige aus der Nachbarschaft des Klosters,

wie Abt Simon von der Leyen (1491 — 1512) aus dem Geschlecht der Grafen von Gondorf an der Mosel, der Vorgänger des Johannes Butzbach, Johann von Kond an der Mosel, ferner Johann von Andernach. Heinrich von Koblenz war zur Zeit der Ankunft Butzbachs in Laach 1. Kantor, Bruder Kratho von Nürnberg versah Küsterdienste und P. Benedikt von Münstereifel war Novizenmeister. Die übrigen Mönche der Gemeinschaft waren vorwiegend Rheinländer aus dem Kölner Gebiet und vom Niederrhein bis hinunter nach Holland.

Das wissenschaftliche Streben des priors Butzbach hatte vor allem den Sinn, mit den Studien die Möglichkeit zu schaffen, die Bursfelder Reformgedanken zu verwirklichen und zu einem reichen Ertrag zu bringen. Überall, wo in der Geschichte zur Verwirklichung eines solchen Ziels geistige und kulturelle Werte der Antike eingesetzt wurden, kann man in einem gültigen Sinne von Renaissance sprechen und insofern ist auch das Wort vom Klosterhumanismus berechtigt. Kloster ist hier nicht nur der Ort der Studien und Gelehrsamkeit, sondern auch das Ziel, dem Studium und der Wissenschaft dienen sollen.

Butzbach starb im Jahre 1516, wie der Laacher Ordenshistoriker P. Paulus Volk schon 1926 gegen den Gelehrten O. Legipont, der 1740 in Laach weilte, nachgewiesen hat. Leider ist dieses Ergebnis bei weitem nicht überall zur Kenntnis genommen worden. Gerade dieses frühe Todesdatum macht aber verständlich, daß wir von Butzbach kein Wort zur Herausforderung erhalten haben, die das Auftreten Luthers für das Mönchtum bedeutet hat. Die Gegenwart stellt mit Erstaunen fest, daß diese Antwort auch von anderen ausgeblieben ist, obwohl sie sonst der Polemik nicht abhold waren, wie auch eine Schrift Butzbachs gegen den Heidelberger Humanisten Wimpfeling aus dem Jahre 1509 zeigt. Man wird aber vielleicht das eine sagen dürfen: Daß Männer von der Geistesart des Laacher Priors Butzbach dazu beigetragen haben, daß die Bursfelder Klöster an Rhein und Main nicht nur den Asturm der Reformation überdauerten, sondern auch so viele Lebenskraft behielten, in den folgenden Jahrhunderten bis zur französischen Revolution ihren Daseinssinn zu erfüllen.