Wurzelecht und gepropft

Weinbau und Wein in der heimischen Wort- und Wirtschaftsgeschichte

Hanspeter Kees und Willi Kriechel

Seit fast zwei Jahrtausenden bestimmen Weinbau und Wein Geschichte und Kultur unserer Heimat. Mit Sorgfalt und Mühsal betreut der Winzer die Reben, deren Trauben in der Sonne des Jahres gereift sind, deren Saft gärt und sich klärt zu duftendem goldenem Wein . Ausgrabungen weisen auf den Einfluß der Griechen im Anbau von Weinreben und der Aufbewahrung von Wein hin. Den Römern verdanken wir den Weinbau und die Weinkultur, wie wir sie in unseren Tagen weiter betreiben, fortentwickeln, modernisieren. Die Geschichte des Weines ist Heimatgeschichte. Die Weinkultur schöpft ihre Kraft in ständiger Erneuerung aus dem „Urquell" Hebe .

Zahlreiche Worte des heimischen Sprachgebrauches sind dem Lateinischen entliehen. Arbeitsvorgänge und ihre Ausführung durch den Winzerstand sind das Fundament weinbaulichen Brauchtums. Sprachliche Erbstücke aus der Römerzeit haben sich als Lehnwörter fest eingebürgert. Sprachliche Überbleibsel aus der Franzosenzeit der Revolutionsepoche sind als „fremdsprachliche Brocken" in die gebietseigene Mundart, den Dialekt, eingegangen.

Unterteilt nach den Kapiteln „Die Kultur der Rebe", „Die Trauben und der Wein" und „Die Art der Weine" soll im folgenden der Herkunft bestimmter Wörter, einmal „Wurzelecht" -griechisch/römisch- und „gepfropft" — der heute im Dialekt üblichen Bezeichnung nachgegangen werden.

l. Die Kultur der Rebe

Auge

Die noch „schlafende" Rebknospe, welche noch nicht ausgetrieben hat, wird Auge genannt. Die Augen sind von der Wolle umhüllt, als Schutz vor Nässe und Frost. Es gibt, je nach dem Zweck, Blatt- und Frucht- (oder Trag-)knospen. — An der Ahr: „Ooch". „Auch". —

Bogrebe

Eine Rebe, welche in Halbkreis- oder Herzform heruntergebogen, oben und unten am Pfahl oder Biegdraht angebunden ist, heißt Bogrebe. Bügling oder Bogel. — An der Ahr: „Bochreff", „Booch".

Chor

Ein terrassenförmig angelegter Weinberg wird als Chor bezeichnet. Terrasse kommt von lat. „terra" = Erde, teilweise abgeplattete Erhöhung.

Dutholz

„Totes Holz" ist grünes Holz, welches beim Rebschnitt nicht als Fruchtrute verbleibt, sondern überflüssig ist oder der Vermehrung dient. Das unbewurzelte Dutholz wird eingelegt, um als Wurzelrebe zur Heranzucht neuer Rebstöcke zu dienen. — An der Ahr: „Enleger".

Gang (Most)

Ein „Gang" ist diejenige Menge Most, die ein Mann auf dem Gang von der Kelter bis zum Gärfaß im Keller tragen kann (rd. 40 ltr„ vier Gänge = 1 Ohm = rd. 160 Itr. — An der Ahr: „Stitz".

Geize

sind einjährige Triebe, die aus der Triebachsel zusätzlich sich entwickeln. Beim Jungfeld kann zu spätes Ausbrechen zu Schäden am Triebgewebe führen und die Holzreife negativ beeinflussen. Die Rebsorte Kerner ist besonders geiztriebfreudig. Wenn die älteren Blätter ihre Tätigkeit einstellen, sind die Geize an den Rebstockgipfeln noch assimilationsfreudig. — An der Ahr: „Jietz".

Geschein

ist der im Frühjahr an den jungen Trieben (Loden) erscheinende Blütenansatz, aus dem sich nach der Blüte die Traube entwickelt, (mittelhochdeutsch: schinen = erscheinen, sich zeigen). — An der Ahr: „Sching".

Kirchenstück

ein zur Sicherung des selbsterzeugten, naturreinen Weines benötigtes Flurstück, oder Weinberg, dessen Eigentümer die Kirche ist.

Lotten

Lodig = üppig emporgeschossen, gewachsen. Abioden = Ausbrechen überzähliger Rebtriebe am Stock. Es sind junge, noch nicht verholzte Rebtriebe. — An der Ahr: „Lodde".

M ist recht:

Das Weistum von Mayschoß (1586) schreibt: „in jedem fünften Jahr ist mistrecht, das heisst. in jedem fünften Jahr müssen die theilweingärten gemistet werden und alsdann erst empfängt der benutzer den ganzen trauben".

Peronospora

Eine in Deutschland seit 1882, aus Amerika „eingeführte" Pilzkrankheit, welche die Blätter zum Verdorren bringt, auch Blattfallkrankheit (Falscher Mehltau), genannt.

Pfropfrebe

Das Wort kommt aus dem Lateinischen (pro-pago = Ableger). Phrofa heißt althochdeutsch Pfropfreis, Veredlung mit Edelreis.

 

Schnitzarbeit ziert die Türen der Winzerhäuser
Foto: Kreisbildstelle

Die Abtei Prüm hielt im 15. Jahrhundert zum Pfropfen in Ahrweiler einen eigenen Kunstsachverständigen. Auf eine amerikanische Unterlage wird das europäische Edelreis gepfropft, (z. B. Bl. Spätburgunder auf Teleki 5 C). — An der Ahr: „Reufling".

Sang (Roter Brenner)

ebenfalls eine Pilzkrankheit der Rebe, die gerne dann auftritt, wenn nach langer Trockenheit im Frühjahr Regen aufkommt. Die Blätter sehen wie versengt aus, verbrannt. — An der Ahr: ,,Brant".

Term

ist ein alter Ausdruck für Grenze, (lat.: terminus). Der Term- oder Tirmstein war der Grenzstein. Die anstoßenden Eigentümer nannten sich „tirmgenossen", und einigten sich so, daß die Rebstöcke dem einen wie dem anderen abwechselnd in Arbeit und Ernte zufielen.

Weingarten

Zum Unterschied von Weinbergen (Steillagen) spricht man von Weingärten bei ebener Lage. — An der Ahr: ,,Wingert, Wengert, Wingberch".

II. Trauben und Wein

Ahrgebiet: ,,da der edle Spätklevener, der Riesling der Rothtrauben, in geringen Lagen und ungünstigen Jahrgängen einen kaum genießbaren Wein liefert, wurde die Einführung der früher reifenden blauen Portugieser-Rebe empfohlen". (Nr. 9 d. Zeitschrift des Landwirtschaftlichen Vereines 1869, Ahrweiler). Heute ist der blaue Spätburgunder mit leistungsfähigen Klonen die Leitsorte des bestimmten Weinanbaugebietes Ahr.

Amphoren

waren die Weinaufbewahrungsbehältnisse der Römer, Tongefäße mit zwei Henkeln zum Tragen, im Keller in Sand gestellt und mit Olivenöl verschlossen.

Beere/Berkel

Vorzeitig abfallende unreife Beeren heißen Lederbeeren (siehe Peronosporabefall). Die einzelne Weinbeere wird Berkel genannt. Es gibt dickberkelige Trauben (Silvaner) und dünnberkelige Trauben (Riesling, Frühburgunder).

Eimer

Der Eimer ist eines der ältesten Weinmaße im Gehalt von V5 Ohm = 33 Itr., oder 16 Maß.

— An der Ahr: „Emer, Schlott".

Fuder

ist eine Faßinhaltsbezeichnung, rd. 1000 l.

— An der Ahr: „Fode", „Faß".

Glennen (gelinnen)

bedeutet Nachernten, Nachlese. Mit der Glinnglocke wurde nach dem Ende der Hauptlese das Zeichen zur Nachlese gegeben. Alsdann durften arme Leute und Kinder das abpflücken, was hängen geblieben ist. In der Eifel kennt man auch das Ährengelinnen, Kartoffelgelinnen.

Hotte

Die Pechhotte (Beschoff) war früher ein ver-pichter Rückentragkorb bei der Traubenernte. — An der Ahr: "Kiep", "Esel".

Kamm

Kämme oder Rappen sind Stielwerk der Traube. Rappig schmeckt ein Wein, wenn er rauh schmeckt.

Kelter

lat.: calcatura, calcatorium. (Calcare = mit den Füßen treten, Altdeutsch: Kelter = Trotte, Trutta). Die Weintrauben wurden Jahrhunderte mit den Füßen getreten. Die Bannkelter war eine Kelter, in der die Umwohner ihre Trauben auspressen lassen mußten. Es gab einen Kelterbann und einen Kelterherren.

Leget

lat.: lagena, ein oben breites und unten enges Traubentraggefäß aus Weidengeflecht, Holz, Zinkblech und Plastik. Im Legel wurden die Trauben zur Kelter getragen, oder zur Traubenmühle auf dem Herbst-Lesewagen.

Most

lat.: mustum (mustus = jung, neu, frisch), un-gegorener, ausgepreßter, zuckerreicher Traubensaft. Durch den Hefesproßpilz wird mittels alkoholischer Gärung aus dem Most der Wein.

Oechsle

Johann-Ferdinand, Goldschmied in Pforzheim gilt als Erfinder der Mostwaage, gest. 1852. Mit einer „in Silber vergudeten Kugel" maß er die physikalische Dichte des zuckerhaltigen Mostes gegenüber „reinem" Wasser. Oechslegrade (an der Ahr: „Jrat") geben die Zahl in Gramm an, um die 1 Liter Most schwerer als 1 Liter Wasser ist.

Rode/Die Weinröder waren städtische Beamte, denen es oblag, die Keller zu besichtigen, die Fässerinhalte mit Schnur und Rute (= Stab) zu messen, Betrug und Fälschung zu verhüten. Man sprach vom Schnüren, Roden des Weines.

Sprachgut (französisch)

Marmittchen (franz.: marmite = Eßgeschirr) für einen Behälter, in dem den Weinbergsarbeitern das Essen gebracht wurde. Kasserolle (franz.: casserolle) war ein eisener Topf zum Glühwein anrichten. Budäll (franz.: bouteille = Flasche) war das Ausschankmaß für einen Schoppen Wein.

Wingertsschütz

an der Ahr „Flurhöder" genannt, war eine Amtsperson zum Schütze der Weinberge („Druweschötz"). Als Beischütz wurde der dem ordentlichen Wingertsschütz beigegebene Gehilfe bezeichnet.

Zehnt

war eine Abgabe an Trauben oder Wein. Er wurde oft nach Billigkeit festgesetzt, ,,up gnade des herrn", daher auch: gnädiger Zehnt.

 

III. Art der Weine

Bleichen oder Claretwein

Gottfried Kinkel 1848 über den Ahrbleichert: „weil man früher den Wein vor der Gärung kelterte, also bevor der Farbstoff der Hülsen sich mit dem Safte verbunden hatte, behielt er eine hellröttliche = bleiche Farbe". Aus dem lat.: „clarus = hell, entstand die französische Bezeichnung Claretwein.

Eiswein

ist eine Rarität. Die gefrorenen Trauben werden gelesen und im gleichen Zustand gekeltert. Es erfolgt eine hohe Konzentration bezüglich der Oechslegrade, aber auch der Gesamtsäure. Ein zu Dreikönig 1980 gelesener Eiswein wird auf dem Etikett als 1979er Prädikatswein ausgewiesen. — An der Ahr: „Iswing".

Federweißer

an der Ahr auch „Prickler" genannt, ist ein junger Wein und hat seinen Namen von den noch nicht abgesonderten grau-weißen Hefezellen.

„Thorkes"

nennt man an der Ahr die Rebsorte Müller-Thurgau, eine Kreuzung aus Riesling x Silva-ner, um 1880 von dem Schweizer Önologen Müller/Kanton Thurgau in Geisenheim gezüchtet. Eine an der Ahr für den Blauen Spätburgunder gebräuchliche Bezeichnung ist „Kaster" (von Kastenholz, einem Önologen, der durch zielbewußte Auslese Selektionen dieser bislang ertragsunsicheren Qualitätssorte eine erhebliche Ertragsfestigkeit zusichern konnte).

Zuckerwein

ist ein heißer, stark gezuckerter Wein, eine Art Glühwein, den die Wingertsleute während der Lese bei naßkaltem Wetter sich „einverleiben". — An der Ahr: „Sößwing".

Möge des Winzers Fleiß den heimatlichen Weinbau, trotz Risiken und Widrigkeiten erhalten und die Maßnahmen des Staates ihn weiter fördern, damit es, mit dem Segen des Herrgottes verbunden, noch lange heißen kann:

„Greift in den Reichtum dieser Erden,
Auserwählt zum Freunde euch den Wein.
Euch wird das Glück beschieden werden,
eines guten Freundes Freund zu sein".