Der Schlangenstab des Äskulap Symbol ärztlicher Heilkunst

Johannes Roth

Schon in der griechisch-römischen Antike waren Schlange und Stab bekannt als die Attribute (Beigaben) des Äskulap, des Gottes der Heilkunst. Äskulap — die lateinische Entsprechung für das griechische Wort Asklepios — war der Sohn des Gottes Apollo und der Thessalerin Koronis. Seine Tempel und Heiligtümer waren in Griechenland Wallfahrtsziele der Kranken, in der römischen Kaiserzeit vielbesuchte Kur- und Heilstätten.

Zahlreiche Darstellungen auf Krügen und Vasen, vor allem aber auf Münzen zeigen Stab und Schlange zunächst unabhängig voneinander als Einzelattribute des heilkundigen Asklepios. Eine Silbermünze von Epidauros aus der Zeit um 350 v. Chr. ist das getreue Abbild der Gold-Elfenbein-Statue des Asklepios, die ein Bildhauer namens Thrasymedes für das Heiligtum des Gottes in Epidauros (Südgriechenland) geschaffen hat. Hier war das wichtigste Zentrum des Asklepioskultes. Auf dieser Münze ist der Gott majestätisch thronend dargestellt; in der erhobenen Linken hält er einen zepterartigen Stab auf den Boden gestützt, die Hand des rechten Armes streckt er über dem Kopf einer frei sich emporringelnden Schlange aus. Andere Darstellungen zeigen den Gott, wie er sich mit seiner Achsel (Schulterhöhle) auf einen langen Stab stützt, wieder andere haben einen leicht gebogenen, etwas knorrigen Stab, der aus dem Ast oder Zweig eines Baumes gebildet sein könnte.

Wichtiger noch als der Stab ist die Schlange als Attribut. Als Begleiterin mehrerer unterweltlicher Gottheiten (z. B. der Zauberer- und Mondgöttin Hekate und der mütterlichen Demeter, der Göttin des Erdsegens und der Fruchtbarkeit) deutet die Schlange auf die Kräfte des Werdenden und des Schöpferischen hin. Ihre Beziehung zum aufgehenden Licht und ihre als sonnenhaft empfundene Natur findet ihren Niederschlag in der Darstellung geflügelter Schlangen. Wieder andere Sinnbezüge werden mit ihrer alljährlichen Häutung verbunden; sie wird dadurch zum Symbol der Erneuerung des Lebens, der Verjüngung und der Wiedergeburt. Ähnlich mag ein von schwerer Krankheit Genesender seine Heilung und Gesundung empfinden und erleben.

Auch in der christlichen Vorstellungswelt ist die Schlange ein uraltes Heils- und Erlösungssymbol. Die sich häutende Schlange wird zum Sinnbild der Auferstehung. Gelegentlich bedeutet sie Klugheit und Redegewandtheit. Die Paradiesschlange und die Schlange zu Füßen der Gottesmutter Maria personifizieren allerdings den Teufel. Zwei Schlangen, die sich aus einem Kelch winden, sind die Zeichen des Evangelisten Johannes; nach einer Legende sogen sie das Gift aus dem Kelch, der dem Heiligen gereicht wurde, und verschwanden dann. Drei ineinander verschlungene Schlangen, von denen jede sich in den Schwanz beißt und die so einen Ring bilden, sind ein Symbol der Dreieinigkeit Gottes.

Wie ist nun der Stab des Äskulap zu deuten und wie kam es zur Vereinigung von Stab und Schlange und damit zu ihrer die Zeiten und Völker überdauernden Symbolhaftigkeit? Zunächst kann der Stab allein durchaus als Wanderstab verstanden werden, der an die weiten Reisen des Asklepios von seiner nordgriechischen Heimat durch die ganze hellenische Welt erinnert. So versinnbildlicht er die stete Bereitschaft des Arztes, auch weite und mühsame Wege zurückzulegen, um dem Kranken lindernd oder heilend zu helfen. Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. jedoch treten die beiden Hauptattribute des Asklepios, Stab und Schlange, miteinander verbunden auf, als Schlangenstab. Dieses Zeichen wurde das Wappen der Stadt Kos auf der gleichnamigen Sporadeninsel der Aegaeis vor der Westküste Kleinasiens. Kos war im griechischen Altertum weltbekannt als Kurort der Griechen, besonders aber bekannt als Heimat des Hippokrates (um 400 v. Chr.) und der von ihm begründeten Ärzteschule von Kos. Dervon Hippokrates formulierte »Eid« enthält die heute noch gültigen sittlichen Gebote des wahren Arzttums.

Daß die Schlange gleichsam stellvertretend für sich allein als Verkörperung des Gottes Asklepios gesehen wurde, zeigt in späterer Zeit eine Bronzemünze des friedliebenden römischen Kaisers Antoninus Pius (138 -161). Als zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrhunderts in Rom die Pest wütete, verlangte ein Orakel, die Römer sollten den Gott Asklepios aus Epidauros zu Hilfe holen. Der Gott kam in Schlangengestalt an Bord des römischen Schiffes, und das Bild auf der genannten Münze hält den Augenblick fest, in dem die Schlange in Rom vom Schiff auf die Tiberinsel schlüpft, wo dem neuen Gott, Asklepios oder Äskulap, ein Heiligtum errichtet wurde. Eine vor allem in Südeuropa beheimatete Schlange — der Coluber Longissimus — trägt sogar den Namen des Gottes, die Äskulapschlange oder Äskulapnatter. Sie findet sich im ganzen Ausstrahlungsbereich der griechisch-römischen Kultur und wurde von den Römern vornehmlich in der Nähe antiker Bäder angesiedelt. In Deutschland ist sie bei Schlangenbad im Taunus und bei Passau nachgewiesen. Sie wird bis zu 2 m lang, ist olivbraun, ungiftig und harmlos und lebt vorzugsweise von Mäusen. Ihr anziehendes und freundliches Wesen, die Eleganz und Anmut ihrer Bewegungen werden gerühmt.

Der Schlangenstab des Äskulap — statt der griechischen Wortform Asklepios wird meist die lateinische Äskulap angewendet — hat als Symbol ärztlicher Heilkunst die Antike überdauert und ist noch heute das Standeszeichen des ärztlichen Berufs.