Die Maibraut

Mathilde Husten-Causemann

Martin Orlans war mit dem letzten Abendzug angekommen. Nun ging er wie verzaubert durch die stillen Straßen, betrat nach kurzem Zögern den Winzerverein, der gleichzeitig Hotel war und bat um ein Zimmer.

Durstig trank er den schweren Burgunder, der dunkel wie Herzblut in seinem Glas stand, nicht wissend, daß man ihn nur in kleinen Schlucken genießen durfte. Als die zweite Flasche halbleer vor ihm stand, begannen Tische und Stühle lautlos um ihn zu kreisen. Martin schloß die Augen und als nach geraumer Zeit all die Dinge wieder in ihre alte Ordnung zurückgekehrt waren, ließ er sich vom Wirt erklären, was der Lärm im Nebenraum zu bedeuten habe.

Freundlich wurde er belehrt, daß die Burschen des Städtchens die jungen Mädchen versteigerten; denn heute sei der erste Mai und nach altem Brauch würde diese Versteigerung alljährlich dort drüben abgehalten. Diese rätselhaften Worte erweckten Martins Begierde. Schwankend begab er sich in den Nebensaal. Er sah viele junge Männer eng gedrängt an Tischen sitzen und hörte einen Mann von einem hohen Podest aus einen Mädchennamen ausrufen, auf den geboten wurde.

Merkwürdig, dachte er, wenn ich nur wüßte, was dieses seltsame Tun zu bedeuten hat. Als jetzt wieder ein Mädchenname ausgerufen wurde und als er hörte, wie leidenschaftlich auf ihn geboten wurde, erfaßte ihn plötzlich die Lust, die Männer so lange zu überbieten, bis ihm Vroni Lacour zugeschlagen wurde. Nun wurde es totenstill im Saal. Mit erhobenen Fäusten stürzte jetzt ein junger Bursche auf ihn, der von einigen Besonnenen nur mühsam zurückgehalten wurde.

Martin starrte entsetzt die ihm feindlich gesinnten Männer an, zahlte und floh auf sein Zimmer. Als er zwischen den kühlen Tüchern seines Bettes lag, nahm er sich vor, den Wirt morgen um Aufklärung zu bitten, weil er nicht wußte, was er angerichtet hatte. Dann schlief er ein. Martin betrachtete sinnend den Morgenhimmel, der blau vor seinem Fenster stand, summte leise ein kleines Lied und zog sich sorgfältig an.

Nun klopfte es, und als er den Riegel zurückschob, um die Tür zu öffnen, blickte er bestürzt auf den jungen Mann, der ihm bereits gestern abend so bedrohlich nahe gerückt war. Unsanft schob er Martin ins Zimmer zurück, folgte ihm, warf die Tür ins Schloß und fuhr ihn grob an. »Wer gab ihnen den unseligen Gedanken, Vroni Lacour anzusteigern? Das Recht steht nur uns Einheimischen zu. Sie wagten viel, als sie mir Vroni nahmen«.

Mit entwaffnender Liebenswürdigkeit entgegnete Martin:

»Erklären Sie mir bitte, warum Sie so aufgebracht sind. Soviel ich mich entsinne, steigerte ich gestern abend einen Mädchennamen. Wenn ich gewußt hätte, daß ich Sie damit kränken würde, hätte ich es natürlich nicht getan.« »Sie steigerten Vroni Lacour an, — ja — Vroni Lacour und nicht ihren Namen. Vroni erwartet Ihren Besuch, weil sie seit gestern abend Ihre Maibraut ist«. — Und wieder zornig werdend fuhr der junge Bursche fort: »Ich gratuliere Ihnen, denn Vroni ist das schönste Mädchen unserer Stadt.«

Ein leiser angezogener Pfiff löste sich von Martins Lippen, dann fragte er: »Und was ist jetzt zu tun?« »Nichts, zum Teufel, nichts! — Ich kam her, um Sie so zuzurichten, daß Vroni stolz auf Sie sein sollte.« Dann stürzte er plötzlich davon. Als Martin wenige Minuten später in ein Paar ernste graublaue Mädchenaugen blickte, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Fast erschrocken fühlte

er sein Herz heftig klopfen und eine glückliche Ahnung stieg in ihm auf, daß eine Fügung des Schicksals sie auf solche merkwürdige Weise zusammengeführt hatte. Ein helles Lachen ließ plötzlich glitzernde Fun-1 ken in Vronis Augen tanzen. Mit ihrer wohllautenden Stimme sagte sie: »Haben Sie schon darüber nachgedacht, welche Bürde Sie sich aufluden? Einen Monat lang verpflichten Sie sich, mit mir auszugehen, aber verlassen Sie in den nächsten Tagen die Stadt, wird niemand mit mir tanzen.« Nun schwiegen sie. Endlich sagte Martin, seinen Blick fest auf des Mädchens feines Gesicht geheftet, das sich langsam mit heller Röte bedeckte:

»Das Recht auf diesen Monat erkaufte ich mir gestern abend. Nicht eine Stunde lasse ich mir abhandeln.«

Als Martin in den Winzerverein zurückkehrte, überließ er sich freudig einem Gefühl von Glück und Zufriedenheit. Und als er am Abend wieder zu Vroni ging, dachte er: »Wer weiß, ob nicht am Ende unseres seltsamen Brautstandes eine Hochzeit stehen wird.«