Von der Pfropfrebe zum Jungfernwein

Hanspeter Kees +

Im Zuge der Weinbergsflurbereinigung an der Ahr sind inzwischen beim planmäßigen Wiederaufbau über eine Million Pfropfreben gepflanzt worden. Viele der Neupflanzungen stehen bereits im Ertrag. In zwei bis drei Jahren wird auch die von der Gebietsweinkönigin Renate Fuhrmann am 8. 5. 1981 gepflanzte 1 000 000ste Pfropfrebe die ersten Trauben zum Jungfernwein liefern.

Pfropfreben sind so alt wie die Weinkultur selbst, in unserem Bereich kamen sie seit dem vorigen Jahrhundert als Abwehrmaßnahme gegen die Reblaus immer stärker zum Einsatz. Um 1800 hatte man nämlich die Übung, nur Rebholz (Blindholz) anzupflanzen, das nicht auf eigenem Boden gewachsen war. Die Reben kamen meistens aus Amerika über Frankreich zu uns. Mit den Reben wurde leider auch die Reblaus importiert. Zur Sicherung des Weinbaues machte man sich in Europa ernste Sorgen und kam zu dem Schluß, die Reben auf »hartes Holz« zu pfropfen. Im Jahre 1873 entsandte man eine Kommission von Frankreich nach Amerika, um Reben mit großem Widerstandsvermögen (Resistenz) zu ermitteln, die als Unterlagsrebe dienen konnten.

Ein besonderes Buch über die Kunst des Pfropfens der Reben schrieb schon der Grieche Aristoteles (384 - 322 v. Chr.), die älteste Urkunde über die Herstellung von Pfropfreben. Der griechische Botaniker Theophrast (372 - 287 n. Chr.) empfahl gar die Wurzein der Wildreben als Pfropfunterlagen. Der Römer Columella (2. Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Chr.) gab weitere Empfehlungen für die Pfropfkultur, die Herstellung und Anzucht von Pfropfreben, um Trauben mit großem Zuckergehalt zu erzielen, für Pflanzungen mit frühreifen Trauben und Rebstöcke mit großer Tragfähigkeit. Im 13. Jahrhundert wird das Pfropfen der Weinstöcke auch an der Ahr als allgemein gebräuchlich angeführt. Die Abtei Prüm unterhielt dafür in Ahrweiler einen besonderen Sachverständigen. Auch heute ist die Anpflanzung von leistungsfähigen Reben zur langfristigen Sicherung einer mengen- und gütemäßig guten Ernte das A und 0 der Wirtschaftlichkeit eines Weinbaubetriebes. 50 000 - 70 000,— DM je ha kostet je nach Hangneigung die Neuanlage eines Weinberges mit Pfropfreben, eingerechnet die Bodenvorbereitung, das Pflanzgut, der Vorrats- und Ergänzungsdüngung, der Unterstützungsvorrichtung und der gesamten Arbeit bis zum dritten Pflanzjahr. 25 Jahre lang soll die Anlage »tausendfältige Frucht« bringen.

Die gepfropften, vorgetriebenen und abgehärteten Reben machen ihr »Einjähriges«, indem sie nach gärtnerischen Grundsätzen in der Rebschule herangezogen werden. Die Prüfung des zum Verkauf gelangenden Rebenpflanzgutes unterliegt den Bestimmungen des Saatgutgesetzes und der Saatgutverkehrsordnung. Die sogenannte Feldbesichtigung findet in der Rebschule im Spätsommer bis Frühherbst statt. Sortenreinheit, Wuchs, Pflege, Krankheitsbefall und voraussichtliche Anwuchsprozente werden von einer Fachkommission beurteilt. Nach dem Ausschulen der Reben im Spätjahr schließt sich die Beschaffenheitsprüfung an. Die zum Verkauf kommenden Reben müssen abgezählt, gebündelt (25 Stück), etikettiert (Rebsorte, Unterlage, Klon, Hersteller) und plombiert sein. Die amtliche Stelle für die Anerkennung ist die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz, für das Weinbaugebiet Ahr die Außenstelle Koblenz. Die Anerkennung von bewurzelten Pfropfreben ist nur möglich, wenn Edelreis und Unterlagen aus anerkannten Beständen stammen, dies gilt gleichermaßen für Topf- und Kartonagereben. Gute Rundumverwachsung, kräftige Trieb- und allseitige Fußwurzelbildung werden gefordert und geprüft. Besonnene Auswahl des Rebenpflanzgutes vermeidet Fehler, die im Laufe der langen Lebensdauer der teuren Rebanlagen kaum mehr korrigiert werden können.

Die 1 000 000ste Pfropfrebe im Zuge der Weinbergsflurbereinigung an der Ahr pflanzten Gebietsweinkönigin Renate Fuhrmann und Landrat Dr. Egon Plümer
Foto: Kreisbildstelle

Wir unterscheiden vier Kategorien an Rebenpflanzgut:

1. Vorstufenpflanzgut,

2. Basispflanzgut,

3. Zertifiziertes Pflanzgut und

4. Standardpflanzgut.

Vorstufenpflanzgut verwendet der Rebklonenzüchter zum Neuaufbau von Klonen oder zur Verbesserung (Optimierung) bereits bestehenden Klonen unter intensivster züchterischer Bearbeitung (Individual-Selektion). Vorstufenpflanzgut führt zum Basispflanzgut. Der Klonenzüchter gibt dieses an Winzer seines Vertrauens ab, die daraus in Vermehrungsanlagen weiterhin züchterisch intensiv bearbeitetes zertifiziertes Pflanzgut gewinnen. Standardpflanzgut ist im Verhältnis zu den drei vorgenannten Stufen züchterisch nur minimal bearbeitet und heute nicht mehr gefragt.

Die Landes-Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau, Gartenbau und Landwirtschaft arbeitet mit den Erhaltungszüchtern eng zusammen. In den Versuchs- und Musteranlagen auf der Staatsdomäne Marienthal wird eine leistungsbewußte Selektion betrieben und anhand von exakten Versuchsanstellungen und -auswertungen dem Ahrweinbau wertvolle Hilfe zuteil. Zur Vorbeugung virusbedingter Rebenabbauerscheinungen wurden an der Ahr Bodenentseuchungen durchgeführt. Inzwischen steht virusgetestetes Pflanzgut zur Verfügung. Die Kenntnis des Rebklonen-»Steckbriefes«, d. h., seine ökologische Streubreite, seine Leistungen bezüglich Ertragstreue und Qualität, die Blütefestigkeit, seine Pfropfverträglichkeit mit der amerikanischen Unterlage, sind Merkpunkte für den Winzer.

Soviel zum Erfolgsfaktor Pflanzgut. Die verschiedenen Unterlagsreben haben natürlich unterschiedliche Ansprüche an den Boden, insbesondere den Untergrund. Hier hilft bei der Ausarbeitung der Wiederaufbaupläne in den Weinbergsflurbereinigungen das Ergebnis der geologisch-bodenkundlichen Kartierung weiter. Ursprungsgestein, Bodenart, Wasserhaushalt, Garebereitschaft, Durchwurzelungsvermögen und der Säuregehalt sind in der Legende jeder Bodenkartierung des Geologischen Landesamtes, Mainz, enthalten.

Die Kleinklimakartierung bildet die willkommene Ergänzung zur Bodenkartierung. Ausgehend von der Normalerziehung sind Gassenbreite, Stockabstand, Stammhöhe, Art des Fruchtholzes (Flach-, Halb-, Pendelbogen, Strecker, Kordon) und Laubwandhöhe die Elemente der Rebenerziehung. Die Gassenbreite orientiert sich an der Mechanisierung. Der Stockabstand wird von der Wuchskraft,der Anbringung des Fruchtholzes und der anzuschneidenden Fruchtaugen je qm Standraum bestimmt. Die Stammhöhe liegt zwischen 60 und 80 cm. Die wundenfreie Aufzucht des Stämmchens möglichst im Pflanzjahr ist maßgebend für einen guten und zügigen Saftzustrom in die Tragruten. Das Laub der Reben produziert die Assimilate, lagert Zucker in die Trauben und Reservenährstoffe in das nächste Fruchtholz ein.

Bei optimaler Pflege und günstigem Standort bringt die Jungrebe bereits im zweiten Anbaujahr einen ersten Ertrag, den Jungfernertrag. Meist dauert es ein Jahr länger. Jungfernwein ist ein Grund zum Feiern: erste Ernte, zeitig reif, da noch kein Vollertrag, und besonders fruchtig in der Art.