Sinzig im Luftbild

Dr. Günther Schell

Als mit Beginn der 30er Jahre die Verwendung des Luftbildes in der Geographie einsetzte, folgte eine nochmalige Entdeckung der Erde aus wissenschaftlicher Sicht. Gegenüber der Karte als dem gebräuchlichsten und wichtigsten Hilfsmittel unserer räumlichen Vorstellungskraft, besitzt das Luftbild den entscheidenden Vorteil des weitaus reicheren Inhalts an Quellenmaterial. Denn was die Karte über die Formen des Geländes aussagt, ist bereits durch den Topographen und Kartographen »gefiltert« worden: sie ist eine generalisierte, mit Symbolen dargestellte und erläuterte Abbildung eines Teils der Erdoberfläche. Das Luftbild hingegen gibt das Aufnahmegebiet in allen Einzelheiten mit voller Beweiskraft für seinen Zustand zum Aufnahmezeitpunkt wieder. Jedes photographische Bild stellt eine Zentralperspektive des jeweils abgebildeten Ausschnitts der Erdoberfläche dar und liefert somit auch immer nur einen geometrischen Ort für die Lage der abgebildeten Objektpunkte. Folglich werden Luftbildaufnahmen auch vornehmlich für photogrammetrische und Katasterzwecke sowie für Bau- und Raumordnungsplanungen erflogen. Inzwischen hat man jedoch längst die Vorteile der Luftbildinterpretation in der Geographie erkannt und das Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten erweitert: Luftbildauswertung und der Einsatz moderner Fernerkundungsverfahren stellen heute wichtige Arbeitsmethoden dar, die nicht nur bei allen Fragen der Planung, sei es der Stadt-, Regional-, Landes- und Verkehrsplanung, sondern auch bei Fragen des Umweltschutzes, wie z. B. der Gewässerüberwachung, der Emissionskontrollen oder der Ökotopkartierung angewendet werden können und auch in zunehmendem Maße genutzt werden.

Das vorliegende Luftbild zeigt Sinzig mit Teilen seines Stadtbereichs, der über eine Gesamtausdehnung von 4 118 ha verfügt. Dieses Gebiet gehört nach dem Landesregionengesetz vom 18. November 1976 zur Region Mittelrhein-Westerwald. Nach der zentralörtlichen Gliederung des Landes ist Sinzig in das Oberzentrum Koblenz und das Mittelzentrum Bad Neuenahr-Ahrweiler einbezogen. In dem neu vorgelegten Landesentwicklungsprogramm Rheinland-Pfalz ist die Stadt gemeinsam mit Remagen auf der Stufe eines Mittelzentrums ausgewiesen. Gleichzeitig wurden die dem Ordnungsraum Rhein-Ruhr zugeordneten Gebietseinheiten Remagen und Sinzig als gewerbliche Entwicklungsorte eingesetzt1).

Sinzig, etwa 1,5 km westlich des Rheins und am südlichen Ausgang des Ahrtals gelegen, befindet sich am Rande der fruchtbaren Talweitung »Goldene Meile«. Mit ihren Höhen von 64 bis 88 m über dem Meeresspiegel (NN) liegt die Stadt etwas höher als die benachbarten Rheinuferorte. Dennoch weist ihre Oberflächengestalt im gesamten Stadtbereich nur mäßige Höhenunterschiede auf: ca. 25 % des Plangebietes befinden sich im Rhein- und Ahrtal mit einer mittleren Höhe von 55 - 60 m NN, das übrige Plangebiet erstreckt sich von den Tallagen bis auf 287 m NN im Südwesten.

Seine von zwei Nebentälchen umgebene, auf einem Mittelterrassensporn gelegene Altstadt ist durch den ursprünglichen Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer noch deutlich auf dem Luftbild auszumachen. Dieser Siedlungsplatz ist seit vorrömischer Zeit unverändert. Vermutlich geht seine Gründung auf eine uralte Wache zurück, aus der sich das spätere römische Sen-tiacum entwickelte. Der Platz war so gewählt, daß er hart westlich der wichtigen Rheintalstraße lag, die von Italien über Straßburg - Mainz Köln - Xanten nach Nijmwegen führte2). Wo sich Jahrhunderte später die von Aachen nach Frankfurt führende Krönungs-, Heer-, Handelsund Pilgerstraße mit der Rheinstraße vereinigte und eine von der Eifel herkommende wichtige Holzkohlenstraße aufnahm, entstand eine 762 erstmals erwähnte fränkische Pfalz. Unter den Konradinern (1024 - 1125) war Sinzig Reichshof, unter den Hohenstaufen (1138 -1254) Kaiserpfalz. Der seit der Frankenzeit bestehende Schwerpunkt der Pfalz hatte sich durch den Zusammenzug zahlreicher Adelsfamilien noch wesentlich verstärkt, hinzu kam die strategische Bedeutung als Straßenverkehrsknotenpunkt, die letztlich Sinzig im Jahre 1267 die Stadtrechtsurkunde empfangen ließ3). Außer der zu Beginn des 13. Jahrhunderts in romanisch-gotischem Stil erbauten Petri-Kirche am Marktplatz als dem höchsten Punkt der Stadt sowie Resten der alten Stadtbefestigung im Osten und Südwesten ist von den mittelalterlichen Bauten nur wenig erhalten. Mit dem Ausbau der linksrheinischen Eisenbahnstrecke im Jahre 1856 kam es erstmals zu einer bedeutenden Erweiterung der Stadt über den mittelalterlichen Bering hinaus4) — ein Vorgang, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist!

Die Luftbildaufnahme, am 20. September 1980 mit einem 153-mm-Objektiv aus 5 250 m Höhe erflogen, hebt im Bereich der Stadt Sinzig mehrere deutliche Trennungslinien hervor:

- Im Osten zeichnet sich der dunkel erscheinende Rhein sehr klar von den hellen Schottern und Kiesen seines Uferstreifens ab. Seine Fließrichtung nach Norden wird durch die zahlreichen Krippen am Rande gekennzeichnet, die bergwärts den von der Strömung angeschwemmten Aufschüttungsfächer sichtbar machen, während talwärts ein rechtwinkliger, glattflächiger Abriß auftritt.

- Parallel zu dem bewaldeten Höhenzug Aulenberg - Ziemert verläuft in Nord-Süd-Richtung die vierspurig ausgebaute Bundesstraße 9. Ihr heller Bodenbelag läßt sie auf dem Luftbild durch optische Überstrahlung übermäßig breit in Relation zu ihrer tatsächlichen Ausmessung erscheinen.

Während die gesamte Gemarkung der Stadt Sinzig bereits im Landschaftsschutzgebiet Mittelrhein liegt, ist das Ahrmündungsgebiet mit seinen 55 ha Fläche seit 1977 zum Naturschutzgebiet »Mündungsgebiet der Ahr« erhoben worden. Der Schutzzweck liegt darin, das Mündungsgebiet dieses Wasserlaufs 2. Ordnung mit seinen Wasser-, Sand- und Schlammflächen einschließlich seiner artenreichen und seltenen Pflanzen- und Tiergesellschaften zu schützen.

Luftaufnahme Sinzig, freigeg. d. Reg.-Präs, in Düsseldorf u. Nr. ON 225 v. 18. 6. 1982

Ohne daß das Luftbild auf Grund dieser Wiedergabe stereoskopisch (dreidimensional) auswertbar ist, lassen die bewaldeten Höhen des Ziemert im Süden und des Mühlenbergs im Westen sehr deutlich die dritte Dimension erahnen. Vor allem das gewundene Wegesystem in ansteigenden Gebieten hebt sich im Gegensatz zu dem geradlinigen Verlauf des Verkehrsnetzes im Rhein- und Ahrtal deutlich ab und läßt somit die Geländeunterschiede sekundär hervortreten. Ähnlich sind auch die beiden Straßenführungen Sinzig - Schloß Ahrental • Königsfeld (nach Süden) und Sinzig - Westum - Löhndorf (nach Westen) zu sehen, die durch ihre langgezogenen Windungen nicht nur den sanften Verlauf der Täler, sondern ebenso ihre jeweiligen Anstiege indirekt zu erkennen geben. Der Rhein schließlich als wichtigste europäische Binnenwasserstraße läßt die im Moment der Aufnahme erfaßten Schiffe in ihrer Fahrtrichtung durch das helle Schraubenwasser an dem jeweiligen Heck deutlich hervortreten.

Auch das Stadtbild Sinzigs wird eindeutig durch das Wegenetz gekennzeichnet. Die von außerhalb einführenden Straßen münden ausnahmslos in den »äußeren Ring« Barbarossastraße -Wallstraße/Harbachstraße - Rheinstraße bzw. den »inneren Ring« Mühlenbachstraße/Bach-ovenstraße - Koblenzer Straße - Kirchgasse. Die dunklen Flächen im Kernbereich des Stadtgebietes lassen die recht offene Bebauung mit ihren eingebetteten Grünflächen klar hervortreten, zeigen aber auch andererseits die bis in die ersten Nachkriegsjahre hinein recht freizügig gehandhabten baulichen Erweiterungsmaßnahmen nach den Randbereichen der Stadt. Während die Zahl der Häuser Sinzigs im Jahre 1808 bei 218 lag, waren es 1914 immerhin 750; bis 1918 kam es dann lediglich zu einem Anwachsen auf 825 Häuser. Von 1949 an folgten nach Einführung entsprechender Bebauungspläne organisch angelegte Siedlungsgebiete wie Neue Heimat (1951), Rheinallee (1953), Hellenberg (1958), Wiesengrund (1959), Landskroner Straße (1960) und Ziemert (1961). Somit steigt die Gesamtzahl der Häuser im Jahre 1962 auf 1 2405) und liegt heute bei 1 857. An dieser Ausdehnung haben auch die beiden Orte Westum und Koisdorf mit ihren weitläufigen Neubaugebieten teil. Westum, südlich des Mühlenberges gelegen, wurde 836 urkundlich erwähnt, als Kaiser Ludwig der Fromme seinem Getreuen Hruobert das Gebiet als Lehen gab. 1225 wird erstmals von dem Bestehen einer Kirche berichtet, deren Gründung jedoch sicherlich eher anzusetzen ist und in Zusammenhang mit der Entstehung des frühfränkischen Siedlungsnamens zu sehen ist: Wistrikesheim entwickelte sich über Westhem zum heutigen Westum, einem Ort mit derzeit rd. 1 500 Einwohnern. Koisdorf, südlich von Sinzig auf einer riedelarti-gen Erhebung gelegen, wird erstmals in einer Urkunde genannt, durch die Konrad, Dechant des St.-Marien-Stiftes und Probst des St.-Adal-bert-Stiftes in Aachen, diesen beiden Stiften und der Abtei Burtscheid im Jahre 1192 die Besitzrechte übergab, die er in »Connesdorf, innerhalb der Grenzen von Sinzich« erworben hatte6). Heute ist Koisdorf mit seinen rd. 800 Einwohnern aufgrund seiner sehr schönen Hanglagen zu einem beliebten Wohngebiet des Stadtbereichs Sinzig geworden.

Die Haupteinnahmequellen der Stadt Sinzig ergeben sich aus der Industrie mit ihren Bereichen für Mosaik- und Wandplatten, Baustoffe, Metallwaren und letztlich dem Sinziger Mineralbrunnen. Auf dem Luftbild treten vordergründig die großflächigen Anlagen zwischen Bahnlinie und Rhein hervor, an die sich nach Süden das ausgedehnte Kiesbaggergebiet mit seinen sehr dunkel erscheinenden, willkürlich angelegten Wasserflächen anschließt.

Wegen der Nähe mehrerer anderer Städte an Rhein und Ahr weist Sinzig als Arbeitgeber, wie auch als Einkaufsort, lediglich lokale Bedeutung für die umliegenden Ortschaften auf, während die Stadt selbst in zunehmendem Maße zum Einzugsbereich der Bundeshauptstadt bzw. dem Verdichtungsraum Köln - Bonn zählt. Überregional ist hingegen die Stellung im Fremdenverkehr, besonders in dem seit 1969 eingemeindeten und seit 1972 mit dem Titel »Bad« ausgezeichneten Bodendorf. Der Ort wurde erstmals 643 als Bodovilla, 893 als Buden-dorpht urkundlich erwähnt. Im Mittelalter hatten zahlreiche Klöster hier ihren Weinbergbesitz; 1316 wird die Bodendorfer Kirche als Filialkirche von Remagen benannt. Wahrscheinlich im 13. Jahrhundert wurde die noch heute als Schmuckstück zählende Burg als Wasserburg erbaut. Ab 1619 liefen Bestrebungen, Bodendorf zur eigenen Pfarrei zu erheben7). Im Nordwesten des Luftbildes gelegen, ist dieser Vorort durch seine drei parallel von West nach Ost verlaufenden Trennungslinien gekennzeichnet: Bahnlinie, B 266 und Ahr. Während der alte Ortsteil im Norden gelegen ist, schließt sich nach Süden bis hin zum Mühlenberg das neuere Kurviertel an. Die bewaldete Erhebung des Mühlenberges, welche um über 100 m das Ahr-tal überragt, ist durch ein gut ausgebautes Wanderwegenetz gekennzeichnet und tritt als solches auch indirekt im Luftbild hervor, obwohl die Wege selbst an keiner Stelle in dem Waldgebiet sichtbar werden: Hier bilden die Wege häufig Jagengrenzen, an denen ein Wechsel des Baumbestandes durch unterschiedliches Alter und verschiedene Arten eine äußere optische Trennungslinie hervorruft. Der diagonal verlaufende Streifen im ostwärtigen Teil des Mühlenberges ist eine mit niedrigem Buschwerk bestandene Waldschneise, die von einer elektrischen Überlandleitung durchzogen wird. Insgesamt stellen die Waldflächen 1 580 ha (38,8 %) von den 4118 ha der Gemarkungsfläche des Stadtbereichs Sinzig dar und befinden sich überwiegend in Gemeinde- oder Privatbesitz.

Ausschnitt Topogr. Karte 1 : 25 000, Serie M 841, Bl. 5409 Linz, freigeg. d. MilGeo-Lizenz Nr. SC 0007

Die zahlreichen verbleibenden Flächen von mittlerer bis heller Färbung sind der Landwirtschaft zuzuordnen. Obwohl ihrem Arbeitsmarkt nur noch eine quantitativ untergeordnete Rolle zukommt, darf die grundsätzliche Bedeutung der Landwirtschaft und ebenso auch der Forstwirtschaft im Rahmen der Gesamtstruktur nicht unterschätzt werden. Die Aufrechterhaltung des im Rheintal gefährdeten ökologischen Gleichgewichts sowie die Funktion des Stadtbereichs Sinzig als Naherholungsgebiet der Verdichtungsräume Köln - Bonn u. Koblenz - Neuwied, setzen auch in Zukunft ein Mindestmaß an land-und forstwirtschaftlicher Bodennutzung voraus8) . Die noch verbliebenen 109 landwirtschaftlichen Betriebe verfügten im Jahre 1974 über 1 608 ha Gesamtfläche, wovon 120 ha bereits nicht mehr genutzt werden. Nur 24 Betriebe haben eine Nutzfläche von über 20 ha, 14 Betriebe zwischen 10 - 20 ha und 72 Betriebe unter 10 ha. 58 Betriebe, davon 17 laufend, werden nebenberuflich betrieben9). So ist es eine zwangsläufige Folge, daß mit der steten Abnahme von landwirtschaftlichen Betrieben in den vergangenen Jahren die Brache um 95 ha zugenommen hat. Dabei handelt es sich vorwiegend um überalterte Obstanlagen in Hanglagen, die heute nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden können.

Zusammenfassend gibt die Luftbildaufnahme folgenden Sachstand wieder: Die Stadt Sinzig mit ihren Vororten Bad Bodendorf, Westum und Koisdorf, umrahmt von ihren Höhen Mühlenberg und Ziemert und den Flüssen Rhein und Ahr, verbunden durch ein gut ausgebautes Bahn- und Straßensystem, wird durch das Photo exakt so festgehalten, wie sie sich zum Aufnahmezeitpunkt darstellte. Daher ist dieses Luftbild trotz seiner noch immer beeindruckenden Aktualität letztlich schon ein Teil einer lebendigen Geschichte, bedingt durch die täglich neu auftretenden Veränderungen in unserem kleinen Ausschnitt des Rhein-Ahr-Bereichs.

  1. Bauleitplanung, S. 4

  2. Städtebuch, S. 376

  3. ebda, S. 376

  4. Berichte zur deutschen Landeskunde, S. 129

  5. Städtebuch, S. 376

  6. Bauleitplanung, S. 2

  7. Heimatkunde Bad Bodendorf, S. 24 ff

  8. Bauleitplanung, S. 17

  9. ebda, S. 18 

Literaturverzeichnis:

  1. Städtebuch Rheinland-Pfalz und Saarland Hrsg.: Erich Keyser, Stuttgart 1964, S. 376 - 379

  2. Berichte zur Deutschen Landeskunde Hrsg.: Institut für Landeskunde, Bd. 33, Bad Godesberg 1964, A. Hammerschmidt »Sinzig«, S. 123 f.

  3. Bauleitplanung der Stadt Sinzig/Rhein, Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan, aufgestellt im März 1982 durch Planungs- und Ingenieurbüro H. Hartmann, Brohl/Rhein (unveröffentlicht; freundlicherweise vom Stadtbauamt Sinzig zur Verfügung gestellt)

  4. Festbuch mit Beiträgen zur Heimatkunde von Bad Bodendorf Hrsg.: St.-Sebastianus-Bruderschaft 1681 e. V. Bad Bodendorf - Düsseldorf 1981