Die Besiedlung der Langhard — ein (beinahe) nicht durchgeführtes Projekt

Bernhard Koll

Es gibt hierzulande wohl nur noch wenige Gebiete, in der die Hektik unserer schnellebigen Zeit nicht spürbar ist. Die Langhard, ein großes zusammenhängendes Waldgebiet zwischen Kaltenborn, Herschbach, Fronrath, Kassel und Hohenleimbach ist ein solches Gebiet und vielleicht verdanken wir widrigen Umständen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, daß dieses Gebiet nicht so geworden ist wie die landwirtschaftlichen Flächen der Umgebung. Zum erstenmal erwähnt finden wir die Langhard 1227 in einem Vergleich zwischen dem Marien-Stift in Aachen und dessen Zehntpächter zu Sinzig: Das Stift gibt ihm auch den Zehnt jenseits des Waldes Hattencheit im Langenhart und Kuningesvelt. Dieser in den Mittelrheinischen Regesten Bd. 2, S. 487 abgedruckte Vergleich läßt erkennen, daß zu dieser Zeit die landwirtschaftliche Nutzung der Langhart schon im hohen Maße stattfindet. Es entbehrt aber jeder gesicherten Grundlage, aus diesem Vergleich auf einen Hof zu schließen, wie es Pfarrer Schug, der eifrige Sammler der Pfarreigeschichten auf Seite XV des 5. Bandes als Nachtrag zum 4. Band seiner Geschichten der Pfarreien des Erzbistums Trier getan hat.

Mit diesem Vergleich wird auch der Bogen nach Sinzig geschlagen, die Stadt ist bis 1691 und wie sie selbst sagt »von undenklichen iahren her in continua ac quita« (ununterbrochen und unangefochten) Besitzer dieses Waldes gewesen. Es war nicht feststellbar, wann und wie die Stadt in den Besitz gelangt ist, sie selbst sagt anläßlich des Verkaufes, daß sie ihn vor undenklichen Jahren ererbt habe. Von 1338 stammt die nächste Nachricht: Ein Vertrag zwischen der Stadt Sinzig und den landskronischen Untertanen zu Heckenbach, (gemeint sind die Einwohner aus dem späteren Kirchspiel Heckenbach, also die Dörfer Nieder-und Oberheckenbach, Kassel, Watzel und Fronrath), legt den Heckenbachern umfangreiche Beschränkungen in der Nutzung der Langhard auf. Der Schluß liegt nahe, daß eine allzu intensive Nutzung dem Wald schon erheblich zugesetzt hat. Dieser in den Quellen zur Geschichte der Herrschaft Landskron a. d. Ahr Nr. 341 in einem ausführlichen Regest mitgeteilte Vertrag sagt aber auch, daß der Wald der Stadt Sinzig und den Einwohnern des Kirchspiels Heckenbach gemeinsam ist. Es sind aber, nicht nur die Heckenbacher Bauern, die der Stadt Sorge bereitet haben. Seit etwa 1450 entwickelt sich aus einem Teil der Landskroner Erbschaft die spätere Herrschaft Königsfeld. Sowohl die Herren von Drachenfels, als auch deren Erben, die Waldbotten von Bassenheim bauen diese Herrschaft mit Übergriffen auf Rechte der anderen Erben aus, der landskronische Kellner Tobias Stiffel hat 1598 in seiner Königsfelder Chronik darüber bewegte Klage geführt. (Vgl. dazu Gerhard Knoll, Stadt und Herrschaft Königsfeld, Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1978, S. 43 - 50) Die Stadt wird ihres Besitzes wohl nicht mehr so recht froh:

- in einem Schriftstück von 1616 wird von einem Vergleich »vor. . . beinahe vor neunzig Jahren«, also von ca. 1530 zwischen der Stadt und Anton Waldbott von Bassenheim berichtet, nachdem zuvor Anton am Reichskammergericht einen Prozeß gegen die Stadt angestrengt hatte. (Akten darüber sind nicht mehr vorhanden).

1575 genehmigt Wilhelm, Herzog zu Jülich, seiner Stadt die Errichtung einer Kornmühle gegen die Zusicherung der Stadt, im Falle einer Veräußerung der Langhard diese zuerst ihm anzubieten. Man kann daraus schließen, daß die Stadt sich mit Verkaufsabsichten trägt. Die Urkunde ist nicht mehr vorhanden, wir wissen davon nur durch ein Regest des Sinziger Archivs.

1589 beschweren sich die waldbottischen und landskronischen Untertanen, daß die Stadt Sinzig ihnen ihr »Vieh, Pferd, Kuh, Schwein und anderes« abgenommen habe, wahrscheinlich war die Nutzung der Langhard der Stadt wieder zu intensiv gewesen. Die Stadt mußte auch auf die Erhaltung des Waldes bedacht sein, betrieb sie doch ein Kohlewerk in der Langhard, das sie 1593 dem Kloster Steinfeld für dessen Eisenverhüttung in Wehr zur Verfügung stellte.

-1594 hören wir wieder von Streitigkeiten mit den Heckenbacher Bauern (oder sind es noch die gleichen Differenzen?), in die sich sowohl Hans Reichard Waldbott von Bassenheim als auch der Pfandherr von Sinzig einschalten. Dabei erfahren wir auch, daß auf Schnepp-scheid, ein Gebiet nördlich von Spessart, das seit 1338 als zur Langhard gehörend belegt ist, geschuppt (geschiffelt) wird. Doch erst 1691 kommt es zum Verkauf, für 422 Reichstaler wird Anton Gödertz, Pastor in Hek-kenbach, stolzer Besitzer von einigen hundert ha Wald und Buschland. Doch auch der neue Besitzer kann sich seiner Erwerbung kaum erfreuen. Bereits 1720 verkauft er, wie er ausdrücklich sagt, nach Differenzen mit dem Haus Königsfeld (der Waldbotten von Bassenheim zu Königsfeld, seit 1554 eine der drei Linien des Hauses Bassenheim) die Langhard ausgerechnet denen, die ihm den Besitz verleidet hatten. Die neuen Besitzer nutzen den Wald intensiv, wie die Akten im Landeshauptarchiv Koblenz ausweisen, vor allem durch Brennen von Holzkohle. Zur besseren Erschließung der Vorräte werden sogar neue Wege gebaut. Sonst zeigt die Herrschaft wenig Interesse an der Langhard, sie verpfändet sogar ein umfangreiches Gebiet guten Ackerlandes an die Einwohner von Herschbach. Sonst wissen wir wenig aus der Königsfelder Zeit. Das Archiv wurde nach dem Erlöschen der Linie wohl zum größten Teil an eine Nebenlinie, die von Bornheim, abgegeben, später erhält die gräfliche Linie des Hauses einen Teil davon, nachdem diese die Heckenbacher Besitzungen an sich gebracht hatte. So kommt es, daß im Landeshauptarchiv in Koblenz Akten betr. das Kirchspiel Heckenbach in verschiedenen Beständen zu finden sind: Bestand 40 (Herrschaft Olbrück), Bestand 53 C 5 Herrschaft Bassenheim, 53 C 24 (Herrschaft Königsfeld) und 54,32 (Familie Bassenheim-Bornheim). Bedeutende Akten fehlen, so die Kellnereirechnungen, event. Urkundenbücher und Verzeichnisse des Königsfelder Archivs.

Nach dem Aussterben der Königsfelder oder freiherrlichen Linie geht die Langhard in den Besitz der gräflichen Linie über, und von jetzt an fließen die Quellen reichlicher. Sowohl die Kellnereirechnungen als auch die Korrespondenz der Kellnerei Olbrück, die die Königsfelder Erbschaft mitverwaltete, mit dem Grafen, der sich meist in Wetzlar oder Burg Friedberg aufhielt, sind im Landeshauptarchiv Koblenz erhalten. Besonders die Verwaltungskorrespondenzen stellen eine wahre Fundgrube für den Heimatforscher dar. Begebenheiten und Ereignisse, die in Akten sonst nicht erwähnt werden, sind hier von der Lokalverwaltung auf der Olbrück dem Grafen mitgeteilt und oft auch kommentiert worden. Meist sind auch die Antworten des Grafen dabei. Diese Korrespondenzen bilden die wesentliche Grundlage des nun folgenden.

Am 30. 9. 1767 schreibt der olbrückische Kellner Överich an den Grafen, daß er sich viele Gedanken um die Verbesserung der öden Langhard gemacht habe.

Amtmann Frohn in Koblenz, die Verwaltungsinstanz zwischen Överich und dem Grafen, stimmt mit Schreiben vom 28. 10. Överich zu, befürwortet jedoch eine einzige Siedlungsstelle. Die Länderei bei Kassel sei so schlecht, daß ein Wald dort mehr ertragen würde. Eine Antwort des Grafen ist nicht feststellbar. Erst auf ein weiteres Schreiben Överichs, (24. 7.1768) in dem dieser dem Grafen mitteilt, daß der Interessent Matthias Schäfer gestorben sei und sonst niemand Lust zu einer Kolonisation habe, antwortet der Graf, daß er ungern das Projekt Dorf in der Langhard fallen lasse, aber wenn die Verpachtung der Langharder Länderei (Kake-michsdall, Leimbacher Dali, Steinfriesel und Haunbucher Dali) an die Herschbacher die einzige Möglichkeit einer sinnvollen Nutzung sei, dann in Gottes Namen, aber mehr als die gebotenen 30 Malter Haferpacht müßten dabei schon herauskommen.

Diese Ländereien müssen im engen Zusammenhang mit dem Projekt gesehen werden. Am 15.12.1768 antwortet Överich auf die wiederholte Aufforderung des Grafen, diese Ländereien zu verpachten, daß wegen großer Entlegenheit niemand von den eigenen Untertanen sondern nur die Herschbacher das Land bebauen könnten, aber nur 12 Malter Hafer böten. Diese wüßten nämlich sehr gut, daß nur sie als Pächter in Frage kämen. Lediglich der Pastor von Herschbach habe 30 Malter Hafer als Pacht geboten, wolle aber in den ersten drei Jahren pachtfrei bleiben. Diese 30 Malter waren, wie oben gesagt, dem Grafen zu wenig. Mittlerweile hatte auch der Jäger ein leerstehendes Haus in Oberheckenbach bezogen. Daß man sich auch weiterhin um Kolonisten bemühte, zeigt ein Schreiben Frohns vom 9.11.1769, also eineinhalb Jahre später, in dem dieser dem Grafen mitteilt, daß auch er niemand gefunden habe, der in diese Einöde ziehen wolle und noch 1782 bringt Clausen, der Nachfolger Överichs, einen Hof in der Langhard ins Gespräch, ohne jedoch bei seiner Herrschaft Resonanz zu finden. So sei er, fährt Frohn fort, mit Överich übereingekommen, daß es das beste sei, aus der Langhard einen Wald zu machen, eine Aufforstung mit Fichten oder Tannen sei besonders vorteilhaft.

Doch auch dagegen wehren sich die Heckenbacher Untertanen mit ihrem Weistum, das ihnen ihre Weidegerechtigkeit in der Langhard zusichert.

Damit schläft das Projekt langsam wieder ein, wenn auch weiterhin Versuche einer anderweitigen Verbesserung der Langhard festzustellen sind.

Die Langhard, Waldgebiet zwischen Herschbach und Hohenleimbach. Ausschnitt Tranchotkarte, Bl. 132, Kempenich, von 1809 Repro: Kreisbildstelle

Die Frage, ob das ganze Projekt nur als Druckmittel gegen die Herschbacher Einwohner geplant war, damit diese eine höhere Pacht böten, läßt sich verneinen. Die Korrespondenz läßt nicht an der Ernsthaftigkeit zweifeln, hat aber keinen Eindruck auf die Herschbacher gemacht. 1770, nachdem die Ländereien bereits drei Jahre öd liegen, bieten sie nur noch 6 Malter Hafer als Pacht und Överich ist schließlich froh, die Ländereien für 14 Malter Hafer an Anton Schleich aus Oberheckenbach verpachten zu können. Eine viel zu geringe Pacht, wie Överich bemerkt, wenn schon das Haus Jülich als (halber) Zehntinhaber 14 Malter Hafer daraus erhalte. Rechnerisch läßt sich damit aus den Ländereien einen Ertrag von über 300 Malter Hafer erschließen. Und dann melden sich Ende 1792 der Peter Seifert, Mitpächter des Berler Hofes bei Wollscheid und der Peter Josef Weidenbach aus Wollscheid. Beide wollen die ganze Langhard pachten und auch gleich zwei Höfe in die Hard bauen. Amtmann Becker, der Nachfolger Clausens, begrüßt im Schreiben vom 14.2.1793 das Anlegen zweier Höfe, erhebt aber Zweifel, ob die Bittsteller die erforderlichen Anlagen auch errichten könnten, denn, so wiederholt er am 15. 3. seine Bedenken, Peter Seifert sei mit der Pacht weit im Rückstand. Er schlägt sogar vor, die Lehnsleute nach Auslauf der Pacht 1794 vom Hof zu weisen. Ob Peter Seifert diesem Hinauswurf zuvorkommen wollte, oder wie er selbst sagte, seinem Schwiegersohn Johann Schäfer aus Kassel Platz machen wollte, läuft auf das selbe hinaus. Diese Schwierigkeiten werden Peter Seifert veranlaßt haben, eben diesen seinen Schwiegersohn mit in das Projekt einzubringen. Dieser besaß nämlich ein Vermögen von 1 000 Gulden rheinisch, was ausgereicht hätte, mehr als 2 Höfe zu erbauen. Daraufhin schreibt Becker an den Grafen (18. 6.), daß entweder beide mit der Langhard zu belehnen oder die Ländereien nach den alten Bedingungen anderweitig zu vergeben seien. Die Antwort des Grafen ist zögernd (20. 8.): »Ob ich gleich wohl nicht abgeneigt bin, unter annehmlichen Bedingnissen die Langenharter Länderey dem Peter Seyfert von Kasel in einen Erbbestand zu überlassen; so ist dieses doch eine Sache, die von Wichtigkeit ist und eine nähere Überlegung so wie die Beaugenscheinigung der Güther selbst bedarf, die ich aber jezo ebenso wenig unternehmen als wenig die erforderlichen Gebäude in diesem Jahr noch erbaut werden können.« Der Graf schlägt vorläufig nur eine einjährige Pacht der Ländereien vor, die die Bittsteller auch annehmen.

Für die Pächter sind die Ländereien ohne Hof fast wertlos, sie bitten in mehreren Schreiben im Herbst 1793 um die Genehmigung zur Errichtung der Gebäulichkeiten; erst am 15. 12. genehmigt der Graf einen dreißigjährigen Erbbestand und stellt auch das benötigte Bauholz zur Verfügung. Doch offensichtlich reagiert der Verwaltungsapparat den Pächtern zu langsam; am 12.1.1794 schreibt Becker an den Grafen, daß die Pächter in Wollscheid eine leerstehende Scheune gekauft hätten.

Was weiter geworden ist, ist nicht mehr feststellbar, weil die Akten fehlen. Die Kellereirechnung von 1795 weist 14 Malter Hafer aus der Langhard aus; wir können annehmen, daß dies die Pacht für den Hof und die ehemalige verpfändete Länderei ist.

Damit ist die Verlehnung wohl wirksam geworden, wenn sie auch keine Urkunde darüber mehr erhalten haben, denn 1802 bitten sie um die Ausfertigung einer Pachturkunde. Die französische Verwaltung wolle den Hof öffentlich verpachten, wenn ihnen der Nachweis eines Erbbestandes nicht gelänge. Sie weisen dabei ausdrücklich darauf hin, daß die gräfliche Entscheidung vom 28.11.1793 als Nachweis nicht ausreiche, was uns eine nicht mehr ausgefertigte Urkunde annehmen läßt. Wahrscheinlich ist man wegen den französischen Ereignissen nicht mehr dazu gekommen. Seltsamerweise hören wir diesmal von einem Protest der Heckenbacher Bauern kein Wort. So wurde die Besiedlung zwar im kleineren Rahmen und anders als 1767 geplant durchgeführt. Anders, weil es Bauern waren, von denen die Initiative ausging und die auch die treibende Kraft waren. Kellner und Amtsverwalter, den Schluß lassen die Korrespondenzen zu, entwickelten nur in den Anfangsjahren ihrer Anstellung Aktivitäten zur Verbesserung herrschaftlicher Einkünfte. Der Graf selbst war weit weg und ihn wird das nahende Unheil aus Frankreich weit mehr beschäftigt haben. Die schwerfällige Verwaltung, die wegen jeder Kleinigkeit die Herrschaft fragen mußte und die Entscheidungen des Grafen, die bisweilen aus Unkenntnis der Lage Entscheidungen der lokalen Beamten rückgängig machten, hätten ein Projekt wie das 1767 geplante sicher auch unmöglich gemacht.

Quellen

Landeshauptarchiv Koblenz 53 C 25 Nr. 3129 Bl. 389 Vorderseite, Bl. 163/164, Nr. 2137, Nr. 2660 Bl. 80 — Best. 641 (Findbuch) Nr. 76 S. 18 — Best. 40 versch. Nummern