Scherben ohne Fabrik

Das Werk Rhein-Ahr der Veba-Glas AG schloß die Tore

Rainer Kresse

Das Begräbnis wurde anderenorts schon beschlossen, als hier im Kreise noch die Lebenskraft der Leiche gefeiert wurde. Gemeint ist die »Glasfabrik«, das Werk Rhein-Ahr der Veba-Glas AG in Bad Breisig. Fast unmittelbar nach den großen Aktionen zum Bereich Glasrecycling, die von der Firma und dem Kreis Ahrweiler mit erheblichem Werbeaufwand gestartet und durchgeführt worden waren, beschloß die Mutterfirma in Essen, das Werk Rhein-Ahr zu schließen. Von dieser Entscheidung, einzig und allein aufgrund marktpolitischer Entwicklungen getroffen, wurden alle gleichermaßen überrascht, Werksleitung, Belegschaft und nicht zuletzt die Politiker. Wie kam es dazu?

Noch im Sommer 1982 wurden bei einem Tag der offenen Tür die modernen Errungenschaften des Werkes vorgestellt, doch bereits in den Herbsttagen kamen die ersten Gerüchte auf, die Glasfabrik, gelegen zwischen Bad Breisig und Sinzig, werde dicht gemacht. Vage Andeutungen aus den Essener Vorstandsetagen beunruhigten die Belegschaft. Betriebsratsvorsitzender Alfons Weber, seit 35 Jahren im Betrieb, Mitglied des Gesamtbetriebsrates und als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, warnte seine Kollegen und die Kommunalpolitiker im Kreis, hier insbesondere in Bad Breisig und Sinzig vor den »dunklen Absichten« und den durchsichtigen Aktionen des Glaskonzerns. Anfang Dezember hieß es aus den Essener Vorstandsetagen, es würden Überlegungen angestellt, wie man den allgemeinen negativen Entwicklungen auf dem Hohlglasbehältermarkt entgegenwirken könnte. Die Konzernleitung analysierte gewaltige Überkapazitäten auf dem Markt und billige Konkurrenz aus dem Ausland. Die Anlagen seien bei weitem nicht ausgelastet, auch für das Jahr 1983 sei keine Besserung zu erwarten. Es müsse eine Gesamtanpassung erfolgen — die Stillegung einer Schmelzwanne in einem der Veba-Glas-Werke. Die Überlegungen, die der Sprecher des Könzers Ende November/Anfang Dezember 1982 öffentlich anstellte, alarmierten den Rhein-Ahr-Betriebsrat. Das Werk in Bad Breisig war der einzige »Ein-Wannenbetrieb« des gesamten Unternehmens. Zu Recht befürchtete man in Bad Breisig und Sinzig, daß in Essen zwar andere Alternativen untersucht würden, die Entscheidung aber bereits vorprogrammiert war. Mit der gleichen Begründung wie jetzt war bereits 1979 das Werk zum Teil stillgelegt und mehr als die Hälfte der Beschäftigten entlassen worden. Damals hatte die Firmenleitung vor den versammelten Arbeitern und Angestellten und im Beisein der Politiker des Ahrkreises große Modernisierungsmaßnahmen angekündigt, mit denen das Werk Rhein-Ahr zusammen mit seinen »Standortvorteilen« zukunftssicher gemacht werden sollte.

In der Tat hatte man in den nachfolgenden Monaten modernisiert und einige Millionen investiert. Wie sich aber zeigte, erfolgte die Umrüstung des Maschinenparks auf Geräte, deren Zweckmäßigkeit und Praktikabilität von den Experten schon damals in Zweifel gezogen wurden.

Die sogenannten »Rundläufer«, Maschinen die nacheinander den glühenden Glastropfen in verschiedene Formen fallen ließen, erwiesen sich gegenüber den stationären Anlagen, bei denen das Flüssigglas gleichzeitig in die Formen eingebracht wurde, als zu anfällig und zu wenig produktiv. Darüber hinaus war der Hersteller dieser Anlagen mittlerweile in Konkurs gegangen und Ersatzteile waren nur mit Mühe zu beschaffen. Das Werk Rhein-Ahr produzierte angeblich unrentabel.

Dies war allerdings nur einer von vielen Gründen, die letztendlich zur Schließung führten. Denn trotz aller Probleme waren es offensichtlich nicht die Schwierigkeiten des Werkes Rhein-Ahr, sondern eine marktpolitische Entscheidung, die ganz andere Ursachen hatte und die von den Vorstandssprechern unverblümt ausgesprochen wurde:

Das Angebot sollte verknappt werden, um damit die Preise auf einem Niveau zu halten, das den Glaskonzernen Gewinne erlaubte. Der Bezirksvorsitzende der IG Chemie, Papier, Keramik, der Landtagsabgeordnete Hans Schweizer, sprach in jenen Tagen frei heraus, was auch andere dachten: Das ist eine Absprache zwischen den großen Konzernen, um die Preise zu halten.

Für diese Vermutung spricht in der Tat einiges. Die Konzernleitung ließ sich in ihrem Beschluß, das Werk Rhein-Ahr dichtzumachen, in keiner Weise beeinflussen. Sämtliche Appelle der Abgeordneten aller Parteien, der Kreisverwaltung und der Kommunalpolitiker verhallten unbeachtet in den Essener Vorstandsetagen. Die Hilfsangebote aus Mainz, auch das Wirtschaftsministerium des Landes Rheinland-Pfalz hatte Subventionen angeboten, wurden dankend aber bestimmt abgelehnt.

Bei einem Besuch in Essen, den der Landrat zusammen mit den Bürgermeistern von Bad Brei-sig und Sinzig unternahm, um die Konzernchefs noch umzustimmen und auf die katastrophalen Folgen für den Arbeitsmarkt der Region hinzuweisen — über 170 Mitarbeiter wurden dann tatsächlich ihre Arbeitsplätze los —, wurde von der Firmenleitung auf Nachfrage bestätigt, daß Landeshilfen die Entscheidung nicht beeinflussen könnten.

Man wies kühl darauf hin, daß im Zweifelsfalle damit zu rechnen sei, daß auch alle anderen Bundesländern, in denen sich Standorte von Veba-Werken befinden, entsprechende Hilfen anbieten und mit Subventionen winken würden. Die vorhandenen Überkapazitäten auf dem Hohlglasbehältersektor könnten auf diese Weise nicht gehalten werden. Die Zurückführung sei unumgänglich.

Die Entscheidung war bereits gefallen, bevor die Unternehmensführung am 20. Dezember die Belegschaft bei einer Betriebsversammlung auch.offiziell in Kenntnis setzte und dabei noch immer darauf beharrte, der endgültige Beschluß werde erst im Frühjahr 1983 gefaßt. Die zwischenzeitlich verfaßten, veröffentlichten und nach Essen expedierten Resolutionen der Stadt- und Gemeinderäte, der Parteigremien, der Verwaltung des Kreises und der Kommunen, der Abgeordneten des Bundes- und des Landtages blieben nicht nur ohne Wirkung, sondern in der Regel meist ohne Antwort. Unbeeindruckt blieb die Unternehmensleitung auch von den Spitzengesprächen, die sie am Tage der Betriebsversammlung im Bad Breisiger Kurhaus mit Bürgermeister Zenthöfer, Landrat Dr. Plümer, den Bundestagsabgeordneten Karl Deres (CDU) und Hans Wallow (SPD) sowie Vertretern des Mainzer Wirtschaftsministeriums führte. Unbeeindruckt ließ die Entscheidungsträger aus Essen natürlich auch eine kleine Demonstration vor den Toren des Werkes.

Zu jener Zeit hatten der Betriebsrat und die zuständigen Gewerkschaftsvertreter offenkundig ihre Bemühungen schon darauf ausgerichtet, einen möglichst zufriedenstellenden Sozialplan auszuarbeiten, wenn schon die Schließung des Werkes und damit der Verlust an Arbeitsplätzen nicht zu verhindern war. Arbeitskampf war nicht angesagt. In der Tat, so stellt es sich nach Ansicht des jetzt arbeitslosen Betriebsratsvorsitzenden Alfons Weber und seines Kollegen Rainer Frickel dar, konnten für die freigesetzten Kollegen Konditionen erreicht werden, die hier im weiten Einzugsbereich beispielhaft sind. Am Tage der Betriebsversammlung und dem anschließenden Gespräch mit den Politikern der Region hatte sich klar abgezeichnet, daß angesichts der marktpolitischen Gegebenheiten auch im Gesamtbetriebsrat wenig Erfolg darin gesehen wurde, für Rhein-Ahr einzutreten und damit unter Umständen den eigenen Arbeitsplatz zu gefährden. Die Überlegung, im Gesamtkonzern vorübergehend Kurzarbeit zu leisten, um den Kollegen von Rhein-Ahr die Jobs zu sichern, wurde als unrealistisch schnell fallen gelassen.

Vier Tage vor dem Weihnachtsfest 1982 wurde klar, daß mit dem Frühjahr 1983 in der Glasfabrik die Öfen ausgehen würden. Was blieb, war »eine Immobilie«, so hatte es Dr. Hans Jürgen Knauer, der Vorstandsvorsitzende des Konzerns bezeichnet. Das Werk ist geschlossen, Maschinenpark und Areal stehen zum Verkauf. Bis Ende September waren noch einige Arbeiter bei befristeten Anstellungsverträgen mit der Nachsortierung von über fünf Millionen gelagerten Flaschen und der Demontage der Einrichtungen beschäftigt.

Was nicht mehr zu Sonderkonditionen verkauft werden kann, sollte eigentlich in den Recycling-Kreislauf einfließen. Aber auch da zeichneten sich bald deutlich Aufgabeabsichten ab. Die glassammelnden Vereine und die Kreisverwaltung, die sich bisher beispielhaft um die Rückgewinnung des Rohstoffes Glas bemüht hatten, wurden mit kurzen Schreiben der Veba-Glas davon in Kenntnis gesetzt, daß trotz früherer Zusagen in Rhein-Ahr künftig keine Scherben mehr angeliefert werden könnten. Wer Glas sammelt, müsse sich schon damit nach Lahnstein beispielsweise oder anderswohin bemühen. Für Großkunden mit laufenden Verträgen steht die Anlage in der Glasfabrik noch befristet offen.

Das heißt nun — wenn nicht andere Recyclingwege mit vertretbaren Kosten aufgetan werden —, daß draußen im Lande leere Gläser und Flaschen wie früher auch in die Mülltonne statt in die Glas-Iglus wandern. Der Rohstoff Glas wird verschwendet. Scherben ohne Fabrik.