Krebsnachsorge — Bestandteil einer erfolgreichen Gesamttherapie

Jährliche Krebsnachsorge-Kongresse des Hartmannbundes und der Deutschen Krebshilfe in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Prof. Dr. med. Horst Bourmer, Vorsitzender des Hartmannbundes

Mehr und mehr hat sich Bad Neuenahr in seinen 125 Jahren als Kur- und Heilbad auch zu einem Zentrum der ärztlichen Fortbildung entwickelt. Dies dokumentieren in jüngster Zeit die jährlichen Fortbildungsveranstaltungen zur Krebsnachsorge, die seit 1980 im Kurhaus Bad Neuenahr stattfinden. Als Experiment unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel initiiert, und ursprünglich mit nicht geringer Skepsis aufgenommen, erwiesen sich die Kongresse als notwendige und gelungene Veranstaltung, die sich einer zunehmend großen, bundesweiten Resonanz erfreuen. Dazu trug nicht zuletzt die freundliche Aufnahme in Bad Neuenahr bei. Die Zahl interessierter Teilnehmer, zu der auch die Medien und die Fachpresse gezählt werden müssen, sind ein Beweis dafür, daß Thema und Inhalte dieser Veranstaltung eine sehr breite Zustimmung finden. Es ist das besondere Merkmal dieser Bad Neuenah-rer Kongresse, daß sie einen »pluralistischen« Teilnehmerkreis ansprechen, der sich aus niedergelassenen Ärzten, Krankenhausärzten, Vertretern von Selbsthilfegruppen und medizinischen Komplementärberufen zusammensetzt und in der Bundesrepublik Patienten und Betroffenen die erste Möglichkeit anbot, sich zu informieren.

Dieses Informationsbedürfnis ist verständlich und hat mit Patientenkritik oder gar Kontrolle der durchgeführten ärztlichen Tätigkeit nichts zu tun. Vielmehr zeigt es deutlich das Versäumnis in der Vergangenheit, die Bedeutung der Krebsnachsorge für eine erfolgreiche Krebstherapie zu erkennen. Meist wurde der Betroffene aus dem Krankenhaus entlassen, ohne das Vorkehrungen getroffen wurden für die psychischen und physischen Probleme, denen er nun gegenüberstand. Aus der Erkenntnis und Einsicht heraus, daß eine Krebserkrankung ein Prozeß ist, der nicht mit der Beendigung der akuten Therapie abschließt, sondern bei dem die Nachsorge integraler Bestandteil ist, veranstalten die Friedrich-Thieding-Stiftung des Hartmannbundes und die Deutsche Krebshilfe ihre jährlichen Fortbildungskongresse zur Krebsnachsorge und bemühen sich, wissenschaftliche Probleme im Umfeld einer Krebserkrankung in der Diskussion zwischen betroffenen Laien und der Ärzteschaft verständlich zu machen. Da seelische und körperliche Rehabilitation von gleicher Bedeutung sind und Hand in Hand gehen sollten, müssen auch die akute Primärtherapie und die somatische und psychosoziale Krebsnachsorge koordiniert werden: Psychologen und Ärzte, Laien und Fachleute. Selbsthilfeeinrichtungen und Tumorzentrum müssen immer wieder zur Zusammenarbeit ermuntert und angeleitet werden. Der Bad Neuenahrer Kongreß ist also darauf ausgerichtet, daß diejenigen Berufsgruppen, die in der Krebsnachsorge von wesentlicher Bedeutung sind, da sie sich mit Fragen der psychosozialen Situation der Betroffenen beschäftigen, einen engen Kontakt mit den nachbehandelnden Kliniken und Hausärzten bekommen. So befinden sich unter den Kongreßteilnehmern auch Sozialarbeiter, Gemeindeschwestern, Ernährungsberaterinnen und Krankengymnastinnen. Wenn schon die Rehabilitation im üblichen Sinne Teamarbeit ist, so ist die Rehabilitation in der Krebsnachsorge dies um so mehr. Ziel der Krebsnachsorge-Kongresse der Friedrich-Thieding-Stiftung ist es also, diese Zusammenarbeit zwischen akademischen und nichtakademischen Heilberufen zu fördern. Um es noch einmal zu betonen: Uns kommt es — wie schon seit Jahren auf anderen Gebieten der Rehabilitation — darauf an, daß gerade in der onkologischen Nachsorge die medizinische, berufliche und psychosoziale Rehabilitation Hand in Hand arbeiten, wobei wir Wert darauf legen, daß besonders die hausärztliche Behandlung erhalten bleibt. Die Krebsnachsorge funktioniert nur dann, wenn ein positives Dreiecksverhältnis zwischen Hausarzt, Klinik und dem psychosozialen Rehabilitationsumfeld geschaffen wird, wobei es gleichgültig ist, ob letzteres in einer Selbsthilfegruppe, einem Rehabilitationszentrum, einer Krebsnachsorge-Klinik oder in der eigenen Familie besteht. Besonderen Wert legen wir dabei darauf, daß die Familie mit in diesen Maßnahmenkatalog einbezogen wird. Der Patient, der eine Familie hat, bei der es gelingt, sie verständnisvoll in diesen Nachsorgeplan mit einzubeziehen, ist in jedem Falle in einer günstigeren Situation.

Prof. Dr. med. Horst Bourmer, Vorsitzender des Hartmannbundes 
Foto: Darchinger

Die Themenliste der jährlichen Fortbildungsveranstaltung zur Krebsnachsorge umfaßt nicht nur den Katalog der statistisch häufigsten Krebserkrankungen wie z. B. das Mammakarzinom, das Uteruskarzinom, das Bronchialkarzinom et al., sondern enthält darüber hinaus auch Krebserkrankungen, die nur einen eingeschränkten Personenkreis berühren, wie z. B. die colorektalen Tumoren, der Hautkrebs und der Kehlkopfkrebs. Von gleicher Bedeutung aber sind daneben Themen, die sich mit der psychosozialen Betreuung der Krebspatienten befassen. Ich weise nur auf einige Themen in den vergangenen Programmen hin: »Endstation Hausarzt«, »Praktische Hilfen zur seelischsozialen Krankheitsbewältigung«, »Umgang mit sterbenden Patienten«, »Wie verarbeiten der Betroffene und seine Umwelt eine Krebsdiagnose«. Als dritter Block im Themenbereich der Krebsnachsorge müssen organisatorisch-strukturelle und rechtliche Aspekte erwähnt werden, wie z. B. »Selbsthilfegruppen und ihre Bedeutung für die ärztliche Nachsorge«, »Strukturen und Möglichkeiten der Sozialversicherung in der Nachsorge«, »Krebsnachsorge als Aufgabe der Sozialarbeit im ambulanten Bereich«, oder »Stationäre Nachbehandlung — ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung«. Um es noch einmal zusammenzufassen, zielen die Bemühungen der Friedrich-Thieding-Stif-tung des Hartmannbundes im Rahmen ihres jährlichen Bad Neuenahrer Krebsnachsorge-Kongresses darauf hin, einen Beitrag zur Schließung einer Lücke bei den Rehabilitationsmaßnahmen für Krebsbetroffene zu leisten. Seit dem ersten Krebsnachsorge-Kongreß im September 1980 sind unsere Anliegen unverändert:

Dabei liegt die Erfüllung dieser Aufgaben vorrangig in den Händen von 2 Personengruppen: den Hausärzten und den Selbsthilfegruppen. Es ist Aufgabe des Hausarztes, in seiner Sprechstunde als Vermittler zu Selbsthilfegruppen zu wirken und auf den Treffen dieser Selbsthilfegruppen als Gesprächspartner und Gesprächsbegleiter tätig zu sein. Die Selbsthilfegruppen wiederum lassen die eigenen Erfahrungen in eine Schicksalsgemeinschaft einfließen und unterstützen sich gegenseitig in den persönlichen Lebenslagen. Von dem Erfahrungsgut dieser Selbsthilfegruppen können auch Ärzte in Klinik und Praxis erheblich profitieren.

Ich würde mir wünschen, daß Bad Neuenahr-Ahrweiler über den Rahmen eines Kongreßveranstaltungsortes für Krebsnachsorge-Kongresse hinaus sich der besonderen psycho-sozialen Anliegen von Krebspatienten in seinen vielen Sanatorien und Kurkliniken verstärkt annähme — die Friedrich-Thieding-Stiftung des Hartmannbundes und die Deutsche Krebshilfe bieten dazu ihre Unterstützung an.

Dr. med. Mildred Scheel, Präsidentin der Deutschen Krebshilfe

Dr. med. Mildred Scheel, Präsidentin der Deutschen Krebshilfe

Als sich Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Krankenschwestern und medizinische Laien 1980 zum ersten Fortbildungskongreß zur Krebsnachsorge im Kurhaus von Bad Neuenahr trafen, gab es eine Reihe von Stimmen, die dieses gemeinsame Experiment der Deutschen Krebshilfe und der Friedrich-Thieding-Stiftung eher skeptisch als optimistisch beurteilten. Der Grund für diese, auch in Ärztekreisen anzutreffenden Haltung, war durchaus verständlich: Allzu lange war die Wichtigkeit der Krebsnachsorge für eine erfolgreiche Krebstherapie bei uns unterschätzt oder nicht erkannt worden. War die akute Behandlung einmal abgeschlossen, und der Patient aus der Obhut des Krankenhauses und seiner Ärzte entlassen worden, blieb er sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle selbst überlassen, ungeachtet der Tatsache, daß nun seine psychischen und physischen Probleme erst richtig begannen.

Seit jenen Pioniertagen hat sich die onkologische Landschaft in der Bundesrepublik enorm verändert. Sah ich mich auf unserem 1. Kongreß noch veranlaßt, von der stiefmütterlichen Behandlung der Krebsnachsorge in unserem Land zu sprechen, kann ich nun inzwischen feststellen, daß der Versuch, die Krebsnachsorge zum integralen Bestandteil einer erfolgreichen Krebstherapie zu machen, inzwischen ein voller Erfolg geworden ist. Ursache dafür ist in erster Linie die heute überall akzeptierte Einsicht, daß eine Krebserkrankung im Gegensatz zu vielen anderen Krankheiten ein Prozeß ist, der nicht mit der Beendigung der akuten Therapie abschließt, sondern der sowohl im körperlichen wie im seelischen Bereich auch anschließend für den Patienten eine deutliche Belastung — in vielen Fällen sogar eine Bedrohung — darstellt.

Diese Erkenntnis im wesentlichen Maße nach draußen getragen zu haben, ist ebenso ein Verdienst der bisherigen Neuenahrer Krebsnachsorgekongresse, wie das damit verbundene Bewußtsein, daß eine Krebstherapie nur dann erfolgreich zu Ende gebracht werden kann, wenn die somatische und die psycho-soziale Krebsnachsorge koordiniert erfolgt. Gerade auf diesem schwierigen Gebiet der Zusammenarbeit von Ärzten und Psychologen sind weitere Erfolge zu verzeichnen. So ist es heute bereits vielerorts gelungen, das ursprünglich festzustellende Unverständnis zwischen Ärzten und den Mitgliedern der psycho-sozialen Rehabilitationsteams abzubauen. Gefördert wurde bei den Ärzten dadurch vor allem das Wissen darum, wie bei ihren Patienten körperliches und seelisches Leid zusammenhängen. Wenn dieser gegenseitige Lernprozeß bis heute auch noch nicht in allen Fällen abgeschlossen ist, so läßt sich doch feststellen, daß er bei der interdisziplinären Kooperation der an der medizinischen und psycho-sozialen Nachsorge beteiligten Personen einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht hat. Wenn die Deutsche Krebshilfe heute vielerorts als Initiator des Nachsorgegedankens in der Bundesrepublik betrachtet wird, liegt das daran, daß das bis dahin mit dem Thema Krebs verbundene psychologische Klima der Angst, durch eine immer stärker werdende rationale Auseinandersetzung mit dieser Krankheit ersetzt wurde. Als Resultat dieser Entwicklung, die eine sinnvolle und erfolgreiche Krebsnachsorge erst ermöglichte, stellt sich erstmals ein offenes, nicht allein von Emotionen beherrschtes Gespräch zwischen behandelndem Arzt, Patienten und dessen Angehörigen ein. Die unmittelbare Folge: Durch psycho-soziale Therapiemaßnahmen gefestigt, ist der Krebskranke heute viel eher bereit, durch sein eigenes Verhalten und durch seine innere Einstellung zu seiner Krankheit, zum Gelingen der Therapie beizutragen. Medizinische Nachsorgetermine werden dadurch regelmäßiger wahrgenommen und die Ratschläge des behandelnden Arztes werden strikter eingehalten. Bestand die Funktion des jährlichen Neuenahrer Nachsorgekongresses in den ersten Jahren vor allem darin, eine weitgehend skeptische Ärzteschaft von der Notwendigkeit auch der psycho-sozialen Krebsnachsorge zu überzeugen, so entwickelt sich heute dieser Kongreß immer mehr zu einem Forum, auf dem Erkenntnisse und Resultate der inzwischen bundesweit vollzogenen Nachsorgearbeit ausgebreitet werden. Dadurch aber hat sich dieser Kongreß zu einem Instrument der Wissensvermittlung, der Diskussion und der Anregung für neue Aufgaben und Wege entwickelt.

Aufgabe der künftigen Neuenahrer Kongresse wird es daher sein, die vielfältigen Aspekte des Nachsorgesektors noch stärker als bisher in das Bewußtsein der an der Nachsorge Beteiligten zu rücken. So ist Nachsorge heute u. a. Erholung nach primärer Behandlung. Rehabilitation von krankheits- und therapiebedingten Schäden. Langzeitüberwachung zur Erkennung von Rezidiven. Und schließlich Langzeittherapie, wenn eine länger dauernde Behandlung notwendig ist.

Jede Planung der Nachsorge muß der Frage standhalten: Nützt sie dem Patienten? Sie darf nicht sinnlose Routine sein. Der gegenwärtige Trend, Nachsorge auf breitester Basis zu organisieren, zeigt einen überaus positiven Aspekt: Es ist — nicht zuletzt durch die Nachsorgekongresse in Bad Neuenahr — klar geworden, daß der Krebskranke gerade nach seiner Primärbehandlung eine besondere Zuwendung braucht. Gerade in diesem Stadium seiner Krankheit treten Konflikte und Spannungen auf, die den Kranken oft in tiefste Resignation stürzen können. Familienbindungen zerbrechen, gerade dann, wenn sie von dem Betroffenen am notwendigsten gebraucht werden. Schutz und Befriedigung, die ein Arbeitsplatz bieten kann, gehen verloren, wenn es einem Krebskranken nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus nicht gestattet wird, an ihn zurückzukehren. All diese Problematik ist hier in Neuenahr erstmals in der Bundesrepublik vor einem großen Publikum ausgebreitet worden. Verständnis mußte geweckt und Sensitivität für diese Thematik erzeugt werden, damit eine den Problemen des Krebskranken gerechtwerdende Nachsorgekonzeption erarbeitet und nach reiflicher Diskussion in die Praxis umgesetzt werden konnte. Organisation und Standardisierung sind ein nützlicher Beginn, diese Problematik zu vertiefen. Aber nur, wenn der nachsorgende Arzt kompetent ist, wenn er auf seinen Patienten eingeht, und die notwendige Zusammenarbeit zwischen allen Ärzten gegeben ist. Nur so besteht die Möglichkeit, daß der oft jahrelange Heilungsprozeß kontrolliert und damit stabilisiert verläuft. Im Bedarfsfall hinzutreten muß in dieser Phase der medizinischen Rehabilitation die psychosoziale Rehabilitation, die dem Patienten seine Angst vor einer Rückkehr der Krankheit nimmt und ihn seelisch darauf vorbereitet, seinen Platz in Familie, Beruf und Gesellschaft wieder voll auszufüllen. Erst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind, können wir von einer umfassenden Krebsbehandlung in unserem Land sprechen. Hierzu beitragen, wird auch künftig Aufgabe des Neuenahrer Krebsnachsorgekongresses sein.