Kinderspiele von Anno dazumal

Peter Löhr

Wer erinnert sich nicht gerne an seine junge Lebenszeit, an die Kindheit und Jugend. Wer denkt nicht zurück an die Freiheit, Unbekümmertheit und den Drang nach immer neuem Erleben, im Spiel sich messen, die Gaben der Natur erkennen, um dadurch zu erlernen, was im Leben dienlich ist.

So ist das heute und so war es auch früher. Doch wie betätigte sich vor vielen Jahren ein junges Menschenkind?

Gehen wir in die Jahre der letzten Jahrhundertwende zurück und betrachten wir einmal die Zeit, wie sie sich dem Menschen und besonders dem Kinde darbot.

Die Lebensweise war der Region angepaßt, in der man zu Hause war. Die Notwendigkeiten ergaben sich aus dem, was die Natur lieferte. So war dies vor allem in den ländlichen Gebieten. In diesen Zeilen soll darum auch über das Geschehen in der Eifel berichtet werden. Das Jahr begann seit unserer Zeitrechnung schon immer mit der harten Winterszeit. Eis und Schnee bedeckten das Land. Was machten in dieser Zeit die Jungen und Mädchen, wenn sie nicht die Nase an der Fensterscheibe plattdrückten oder sich einen Apfel im Backofen rösteten?

Sie zogen sich die genagelten Schuhe an, mummten sich in warme Kleider ein und holten den Schlitten aus dem Schuppen. Auf den dickverschneiten Wiesenhängen konnte man sich herrlich austoben. »Schliddere« war ein Sport für jung und alt. Schneeballschlachten brachten Wärme in die Glieder. Der Schnee wurde zu Walzen gerollt und daraus Schneemänner gemacht.

In den 20er Jahren tauchten auch die ersten Skischuhe auf. Aber die waren nicht vom Fachmann hergestellt. Das war ja alles viel zu teuer. Hier mußten Faßbretter dazu herhalten, die vorne angespitzt mit Hilfe von Leder- oder Gummibändern an den Schuhen befestigt wurden. Es ging auch so. In der Adenauer Zeitung las man in diesen Tagen von einer Wintersportveranstaltung, bei der auch Jubbes auf Marke Faßdaube startete.

Ging der Winter zu Ende und war an sonnigen Stellen die Erde abgetrocknet, dann kam die Zeit des Murmelspiels. Die aus Lehm oder Ton gebrannten Murmeln, bunt gestrichen, wechselten oft ihre Eigentümer. So mancher Spezialist in dieser Spielart hatte ein ganzes Säckchen voll davon.

Danach kam die Zeit der »Dappe« (Kreisel), die mit einer Peitsche angetrieben wurden. Hierbei kam es auf die Verzierung der Oberfläche der Dappe an. Durch die schnelle Umdrehung wurden effektvolle Farbornamente erzeugt. Im Monat Mai sah man die Kinder an den Haustüren sitzen. Siepeckelten. In dieser Zeit warfen die Ziegen ihre Jungen. Man sprach jetzt vom Maizeckel, das gebraten eine Bereicherung des Küchenzettels war. Diese kleinen Ziegenlämmer lieferten den Kindern auch die Peckel für ihr Spiel. Die Peckel waren die Gelenkknochen der Vorderbeine. Sie wurden getrocknet und farblich verziert. Eine Seite hatte eine Wölbung, die andere Seite eine Vertiefung. Diese nannte man Loch und Döpp. Mit deren Hilfe wurde geknobelt. Das nannte man peckele. Daher gibt es in Adenau auch die »Peckelsjass.« Eine Spielart des Sommers war das »Reefe«. Das hieß, ein Rad mit Hilfe eines Stocks anzutreiben und es so zu dirigieren, daß es in eine gewünschte Richtung lief. Dies war ein gutes Lauftraining. Aber was waren das für Räder? In den frühen Jahren hatte man nur die kleinen Wagen- oder Karrenräder aus Holz. Später als das Fahrrad modern wurde, waren es die Felgen dieser Räder. Seitdem der Luftreifen auf dem Markt war, wurde dieser dazu genutzt kreuz und quer durch die Straßen des Ortes zu laufen.

Je weiter die Jahreszeit fortschritt, desto mehr wurden die Erzeugnisse der Natur zu Hilfe genommen, um Spielzeuge daraus zu machen. An den Ufern der Bäche wuchsen die Weiden. Ihre Zweige waren herrlich geeignet, Flöten daraus herzustellen oder einen Flitzebogen davon zu machen.

Die Äste des Holunderstrauchs haben bekanntlich einen weichen Kern. Dieser wurde herausgepult, aus Hartholz ein passender Stöpsel gebastelt und fertig war die Knallbüchs. Als Munition diente die Schlehe des Weißdorns, wenn sie fest und fleischig war.

Waren die Halmfelder abgeerntet, so machte sich natürlich jeder Junge daran, einen Drachen zu erstellen. »Lätzche« gab es beim Schreiner, Kordel und Papier waren erschwinglich und für den langen Schwanz mußte der Adenauer Lokalanzeiger herhalten. So ging es hinaus aufs freie Feld. Wenn dann der Drachen hoch in den Lüften stand, saß mancher Junge in Gedanken auf ihm und schaute im Geiste weit über die Grenzen der heimatlichen Berge hinweg. So etwas nannte man schon damals Fernweh. Wenn die Kartoffelfeuerchen auf den Feldern brannten und die Knollen ausgemacht wurden, dann war »Märtesdach« nahe. Die dickste Knolle mußte jetzt dazu herhalten, um zu einem »Knollekopp« zu werden. Mit Messer und Löffel wurde ihr zu Leibe gerückt, bis eine grinsende Grimasse, von einer Kerze im Innern erleuchtet, fertig war. Auf einen Stab gesteckt wurde der Knollekopp als Fackel im Martinszug getragen. Für die Kinder war das Martinsfest auch noch auf eine andere Weise interessant. In Adenau wurden am Vorabend mehrere Feuer abgebrannt. Die Viertel des Ortes wetteiferten darum jeweils, das größte Feuer zu haben. In diesen Eifer waren auch die Kinder eingebunden. Tagelang vorher zogen sie mit Wagen und Karren durch die Straßen, um altes brennbares Material einzusammeln. Dabei sangen sie Lieder, die zum Entrümpeln aufforderten, die den Dank für eine Gabe ausdrückten oder auch den Mißmut über einen Geizhals aussagten. Diese Gesänge sind in den Niederschriften über Eifeler Bräuche festgehalten.

Fegten die Herbstwinde um die Hausecken, dann war dies für die Jugend nicht etwa das Signal zum Rückzug in die warmen Behausungen. Jetzt baute man sich erst einmal ein luftiges Schlößchen im Walde, ein »Büdche«. Im Feuerchen davor schmorten die »Krompere« und drinnen wurden Pläne für das nächste Jahr gemacht.

Vergleichen wir einmal die Spiele der Jugend in der Vergangenheit, die mit sehr viel Eigeninitiative verbunden waren, mit dem reichhaltigen Konsumangebot unserer heutigen Zeit, so haben beide Aeren doch eines gemeinsam: Mit spielerischen Mitteln die Jugend in die Wirklichkeit unserer Welt zu führen.