Das Ahrtal in Sage und Dichtung

Josef Keysers

Seit den Zeiten Vater Arndts her bis zur Gegenwart haben zahlreiche Dichter und Maler das Lob der Ahr in Wort und Bild verkündet. Kein Wunder, daß sich aus alten Tagen um seltene Naturgebilde und efeuumrankte Ruinen, Burgen und Klöster ein stattlichter Kranz von Sagen und Legenden verpflanzt hat, der Pflege und Erhaltung verdient. Begleiten wir diese Kinder der Muse durch unser Ahrtal. Doppelt genußreich erscheinen uns die reizenden Stätten, wenn uns bei ihrem Betreten der Hauch der Dichtung umweht.

Zwei mächtige Bergkegel bilden schon gleich die Schlüssel zum Ahrtal und eröffnen uns die Wunder des Tales: rechts die Landskrone und links die Höhe von Berg Neuenahr. Wuchtig schaut die Landskrone mit ihrer weißglänzenden Kapelle weit über die Ahr- und Rheinlandschaft hinweg. Einst trug dieser Gipfel ein Schloß, errichtet von dem Hohenstaufenkaiser Philipp, Barbarossas Sohn. Entzückt vom ersten Ausblick, soll der Herrscher gerufen haben : »Das ist des Landes Krone.« Einer der späteren Burggrafen, Gerhard von Sinzig, vermählte sich mit der Erbin von Burg Neuenahr, diese Zeit dient vielleicht der Eintracht zwischen den benachbarten Burgen als Mär von der Wunderbrücke, die uns Karl Simrock poetisch überliefert hat.

Eine kunstvolle Brücke mit hoher Wölbung hatte in der Vorzeit die beiden Bergkegel verbunden, aber der Zwist der beiden Burgherren ließ sie zerfallen. Da verlor ein Graf von der Landskrone sein Herz an ein Burgfräulein von Neuenahr, beide bedauerten gar sehr den Verfall der Brücke. Doch die Liebe ist erfinderisch. An einem Armbrustpfeil band sie geschickt ein Garnknäuel, befestigte dessen Ende und schoß den Faden zur jenseitigen Hütte. Eine Schnur mit Ringlein und Brief lief bald am Faden entlang, ein regelrechter Verkehr begann unbemerkt zwischen den Liebenden. »Hier mag man Märlich schaun, daß Freundschaft und die Liebe die schönsten Brücken baun.« Von Burg Neuenahr sind leider nur kümmerliche Reste verblieben. 1371 wurde die Burg restlos zerstört. Die tiefe Stille da oben und die von Moos und Efeu umrankten Trümmer gaben der Volksphantasie regste Nahrung. Tief im Inneren des dunklen Basaltberges liegen goldene Schätze verborgen, darunter ein goldner Pflug, der im Schloßbrunnen verschüttet ist. Einst riet ein Zwerg einem Landmann, den Pflug zu heben; aber er müsse lautlos zu Werke gehen. Der Bauer fand den Pflug und zog ihn nach oben. Da stand plötzlich ein feuriger Riese vor ihm; der Bauer tat einen Schrei — und der Pflug versank für immer in die Tiefe. Wolfgang Müller hat eine Sage ähnlichen Inhalts poetisch bearbeitet, die unter dem Titel »Schwert und Pflug« vertreten igt. Denn noch einen anderen goldenen Schatz soll die Neuenahrer Talsohle bergen: »Der goldne Pflug, der hier versank, ward tief im Tal gehoben. Dort aufgelöst als Segenstrank, springt hoch sein Gold nach oben . ..«

In Bachern stand vordem die Himmelsburg, in der St. Petrus seines Amtes als Himmelspförtner waltete. Von hier aus besuchte er mit Vorliebe das liebliche Walporzheim und probierte in der Weinlaube eines Gasthauses das köstliche Naß der Ahrberge. Inmitten der herrlichen Landschaft üben die Festungsmauern einen reizvollen Zauber aus.

Robert Reinick feiert die Schönheit von Landschaft und Reben Ahrweilers wie folgt: »Freundlich Städtchen in dem Tale, lust'ge Reben allerwegen. An dem Haus ein stiller Garten mit dem schönsten Blumensegen. Indem Wirtshaus gutes Leben, würz'ger Wein von Einunddreißig, Mädchen in demselben Jahrgang, aber sittsam, gut und fleißig. Draußen schöne, grüne Berge und die Ahr in leichter Krümmung, nun, das kann ja wohl versetzen in die allerbeste Stimmung.«

Noch ist ein poetischer Gruß in lateinischer Sprache erhalten, den ein Mönch vom nahen Kalvarienberg um 1744 verfaßt hat. In der Übersetzung etwa:

»Freue dich, Stadt an der Ahr, du Zier, du Krone der Heimat. Hochglückselige Stadt, dir gab ein günstiges Schicksal einen erwählten Platz vielen der Schwestern voraus. Herrlich nenn ich die Lage fürwahr, die so wie deine immer ein fünffach »W« ihren Bewohnern verleiht. Vierfach lautet lautet es: Wein und Wasser und Wiesen und Weizen; aber das fünfte »W« werde von mir nicht genannt.«

Und nun schildert der geistliche Sänger den köstlichen Rebensaft, das gesunde Ahrwasser, die grünen Wiesen und die fruchtbaren Felder. Wen es aber verdrießt, daß der Poet das fünfte »W«, die Weiber, nicht schildert, der brauche ja nur Ahrweiler zu durchwandern und seinen eigenen Augen die Kost zu geben. Mächtige Felsenberge fügen sich dem Ahrtale an, näheren wir uns dem Engpaß von Walporzheim. St. Peter winkt uns einladend zu. Gar mancher Vertreter der Muse hat hier schon Einkehr gehalten — Arndt, Freiligrath, Simrock, Kinkel. In schattiger Laube beim guten Tropfen begeisterten sie sich zum Lobe der Ahr und ihrer Rebenberge.

Aus dem nun ahraufwärts folgenden Felsengebilde ragt trotzig ein schmales Felsgestein hervor, das den Namen »Bunte Kuh« erhielt. Dutzende von Auslegungen ranken sich um diesen Namen, doch einer Deutung kann hier nach Simrock und Kinkel Raum gewährt werden! Ein Mädchen hatte gewettet, den Fels zu besteigen, eine Flasche Wein auf dem Vorsprung zu leeren, daselbst die Strümpfe zu wechseln. Damit gewann Sie die Wette und als Preis eine bunte Kuh, die nun dem Felsen den Namen gab. Bald biegt die Ahr nach Norden. Aus einer Seitenbucht lugen stimmungsvoll die Ruinen des alten Nonnenklosters Marienthal hervor. Noch ist nachts, so erzählt die Mär, der klagende Nonnengesang zu hören, aber nur reine, keusche Jünglinge und Jungfrauen können ihn hören.

Ein mächtiger Felsenrücken nötigt bald die Ahr hinter Rech zu einer Schleife. Hoch oben im Waldesgrün die Saffenburg, die als die älteste Burg im Ahrtal gilt. Ihr Ursprung ist geschichtlich in Dunkel gehüllt, doch die Sage füllt mit ihrer Phantasie die Lücken der Urkunden. Beim Abstieg von der Burg grüßt das bekannte Winzerdorf Mayschoß. Den anmutigen Namen will man von Marienschoß herleiten. Der Ort liege wie in Marias Schoß, von Blütenschmuck und Waldesgrün umgeben, der Marienmonat Mai habe dann bald den ersten Namen ersetzt. Vom sinnig-frommen Gemüt der Ahrbewohner zeugt folgende Auslegung! Die Nonnen vom nahen Marienthal brachten den Armen im Tale häufig stärkende Lebensmittel. Eine Nonne, Schwester Maria, kam täglich zur harten Winterszeit herüber und brachte in ihrer Schürze und in ihrem Wägelchen Gaben mit.

»Sah man das Wäglein kommen, so war die Freude groß, dann riefen alle Frommen: Da kommt Marias Schoß.«

Noch eine kurze Wanderstrecke und wir sind in Altenahr, dem Burgstädtchen, um auch dort noch zu schöpfen aus dem Jungborn poetischer Erinnerungen. Auf einem weit vorgeschobenen Bergrücken liegt die Burg Are. Der Ausblick in die wilde, zerklüftete Landschaft entzückt auch den Weitgereisten durchaus. Wir blicken in ein wahres Durcheinander ineinandergeschobener Berge. Wolfgang Müller hat diese Stimmung treffend gezeichnet:

»Die stolzen Berge recken dunkel die Häupter empor, und Felsenzacken strecken die Arme d'raus hervor. Am Berge düstert und träumt der Wald so wunderbar, im Tale flüstert und schäumt rauschend die wilde Ahr. Und alles schaut mich so dunkel, gespenstig, unheimlich an. Plötzlich mit leichtem Gefunkel betritt der Mond die Bahn; die Wellen zittern und beben, er küßt sie mit goldenem Kuß, da sah ich tanzen und schweben badende Elfen im Fluß!« Eine Aufschrift am Burgeingang war früher einmal zu lesen: ZUM RITTERSPRUNG. Sie lenkt uns auf das Gebiet der Volkssage. Da schaut man an einer über 100 m tiefen Stelle dort unten die Fluten der Ahr. Hier auf der Burg mit ihren gewaltigen Felsenmauern tragen die Überlieferungen das Gepränge des Gewagten, der ritterlich tollkühnen Tat.

Einst hatten, das meldet die Sage vom Rittersprung, die Feinde des Grafen beschlossen, Burg Are dem Untergang zu weihen. Tapfer verteidigte sich der Burgherr mit seinen Mannen. Die Übermacht war zu groß, Lebensmittel fehlten, man erlag der Bedrängnis. Man wollte dennoch sich lieber dem Tode weihen als schmachvoller Gefangenschaft sich preiszugeben. In voller Rüstung auf seinem Streitrosse zeigte der Graf sich dem Feinde an der steilsten Felswand und rief in ungebeugtem Ritterstolz: »Frei will ich denn sterben, wie meiner Treuen Schar, denn Knechtschaft ist Verderben und schändet immerdar.«

Da gab er dem Roß die Sporen und stürzte sich jäh hinunter in die Tiefe. Voll Schrecken flohen die Feinde und kehrten erst nach Tagen wieder, um die Burg zu zerstören.

Noch von vielen anderen denkwürdigen Begebenheiten weiß die Burg Are zu berichten. Auf manch sonderbare Art soll auch hier der Böse gehaust haben. Nur eine der Sagen noch hier; Einen Felsen beim Dörflein Altenburg wollte er zu Teig kneten; noch sieht man die Eindrücke seiner Fäuste. Auf der Teufelslei hat er Fels auf Fels getürmt, um sich eine Burg bis zum Himmel zu bauen. Doch Gott sandte nur einen seiner kleinsten Blitze und warf das Bauwerk zusammen. Unter der Teufelslei wachsen heute auf grünem Teppich auch reizende Blümlein verschiedenster Art. Ein Mägdlein aus Altenahr, das gottvergessen dem Bösen diente, ging am Pfingstsonntag nach hier, um sich einen Blumenstrauß zu winden.

»Das Glöcklein ruft zur Kirche, indes sie Blumen bricht. Sie denkt: ich laß es rufen und bete heute nicht.. .« Bald steht sie am steilen Rande, ihr Fuß gleitet aus, sie stürzt in die Tiefe. In Todesnot hört sie über sich eine Stimme. » Wenn's Glöcklein ruft, so bete, es tut dir allzeit not — das Mägdlein lag zur Stunde am Fuß des Berges tot.«

Noch viel Denkwürdiges bis hinauf zur Ahrquel-le in Blankenheim könnte das Ahrtal uns, in Sage und Dichtung verwoben, erzählen. Doch wir wollen unsere poetische Wanderung beschließen mit der Eifellegende, die uns ein Heimatdichter hinterlassen hat:

«Es war in einer Maiennacht, als stieg vom Himmel der Herrgott sacht und schritt durch das braune Eifelland. Die Berge dehnten sich braun und groß, doch der liebe Gott fand es nackt und bloß, das braune Eifelland. Er griff in des Himmels blaue Fern und holte herab viel tausend Stern, die verstreut er mit gütiger Hand. Als in der Frühe die Heide erwacht, war sie mit Golde überdacht bis an den äußersten Rand. Der gelbe Ginster golden glüht, am Himmel die Maiensonne sprüht, voll Gold ist unser Ahr-Eifelland...«