Luther und der Wein

Zum 500. Geburtstag Martin Luthers am 10. 11. 1983 

Hans Warnecke

Luther ist wohl am Rhein, aber nie an der Ahr gewesen. Touristische Reisen, wie wir sie heute kennen, waren zu seiner Zeit unbekannt. Dennoch gab es an Rhein und Ahr viele Menschen, die Luthers neue Lehre kannten, weil sie sich wie ein Lauffeuer überall ausbreitete. Und diese Lehre wurde nicht nur begeistert aufgenommen, sondern es gab bereits zur Zeit Luthers und erst recht danach viele, die erbittert gegen Doctor Martinus wetterten. Dabei ging es nicht nur um seine Theologie, sondern auch um seine Person: »Er ist ein Fresser und Säufer!« Hatte er nicht selbst an seine Frau Käthe geschrieben »daß er fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher?«

In der Polemik gegen ihn hat dieses Lutherbild eine große Rolle gespielt. War er wirklich so maßlos? Die Antwort auf diese Frage hat bereits mit dem Wein, dem Bier und dem Essen zu tun. Zeit seines Lebens hat Luther mit der Anfechtung zu tun gehabt, ob er zu Recht den Frieden der Kirche gestört habe. Wenn er sie herannahen fühlte, »so ißt und trinkt er reichlicher als sonst; ohne Appetit, vielmehr im Bewußtsein, daß auch das eine Art von Fasten sei«, wie es Karl Holl ausgedrückt hat. Und bei einem seiner berühmten Tischgespräche konnte Luther sagen: »Während Philippus Melanchthon die Astrologie betreibt, trinke ich einen starken Trunk Bier, wenn ich schwere Gedanken habe.«

Dieses Bier braute seine Ehefrau Käthe in Wittenberg selber.

Ob nun aber Bier oder Wein, die Trunkenheit, die von ihnen ausgehen kann, war Luther ein Greul: »Niemand kann dem Worte Gottes nachsinnen, er sei denn nüchtern. Ein Fresser und Säufer ist weder zum Glauben noch zum Überwinden geschickt.«

Martin Luther im Jahr seines Todes (nach Holzschnitt v. Lucas Cranach d. Ä., 1546)

Und wie verträgt sich dieser Ausspruch mit dem oben zitierten Brief Luthers an seine Frau? Die Antwort ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang dieses Briefes, in dem Luther über die Genesung Melanchthons berichtet und absichtlich übertreibend an seine Frau schreibt, daß er nun wieder Appetit habe und sie sich weiterhin keine Sorgen um ihn zu machen brauche. Er wollte wahrhaftig mit seinem Lebenswandel kein schlechtes Beispiel abgeben; denn er wußte, »daß das Saufen in unserem Lande eine Art Pest ist, welche durch Gottes Zorn über uns geschickt ist«. »Der Sauft bleibt ein allmechtiger Abgott bei uns Deutschen und thut wie das Meer und die Wassersucht.«

Und dabei hätten doch die Deutschen als Christen wissen müssen, wie man mit dem Wein oder auch dem Bier umzugehen habe: »Keine Speise, kein Trank, keine Farbe, kein Kleid, keine besonderen Tage, keine Gebärde ist verboten noch festgelegt, sondern alles ist frei für jedermann, nur daß man sich nüchtern und mäßig darin halte. Nicht diese Dinge, sondern die Unordnung, der Überfluß, der Mißbrauch ist verboten.«

Gleichermaßen aktuell klingt, was Luther sehr realistisch zu einem möglichen Verbot der Dinge sagt, die mißbraucht werden können: »Der Wein und die Weiber bringen manchen Jammer und Herzeleid, machen viele zu Narren und zu wahnsinnigen Leuten. Wollen wir darum den Wein wegschütten und die Weiber umbringen? Nicht so! ... Ja, wenn wir unseren nächsten Feind vertreiben wollten, der uns am allerschäd-lichsten ist, so müßten wir uns selbst vertreiben und töten. Denn wir haben keinen schädlicheren Feind als unser eigen Herz.« Dankbar sah Luther, wie »Deutschland ein sehr gut Land ist, hat alles genug, was man haben soll, zu erhalten dies Leben reichlich. Es hat allerlei Früchte, Korn, Wein, Getreide, Salz, Bergwerk usw. und was auf der Erde zu kommen und zu wachsen pflegt«, und gleichzeitig wurmt es ihn — wieder hoch aktuell — wieviel für Wein und Bier ausgegeben wird. »Man sollte das Geld, das man versaufen will, zusammenlegen und in einem gemeinsamen Schatz sammeln, ein jedes Handwerk für sich, daß man in der Not einem bedürftigen Zunftgenossen damit zu seiner Verwendung helfen und leihen könnte. Oder man sollte ein paar junge Leute desselben Handwerks von diesem Schatz mit Ehren in die Fremde ziehen lassen; das wären rechte brüderliche Werke.«

Da man aber damals wie heute weit davon entfernt war, aus eigenem Antrieb mäßig zu leben, hat Luther in Wort und Schrift dafür gesprochen. Als Professor für die Auslegung der Bibel an der Universität in Wittenberg hat er sich nicht gescheut, in der ihm eigenen Sprache auf die Zustände seiner Zeit einzugehen. So führt er in einer Auslegung des Römerbriefes des Apostels Paulus aus: »Fressen, Saufen und viel Schlafen, Faulenzen und Müßiggehen sind Waffen der Unkeuschheit, mit denen die Keuschheit behende überwunden wird. Wiederum nennet der Apostel Paulus das Fasten, Wachen, Arbeiten göttliche Waffen, mit denen die Unkeuschheit bezwungen wird, doch so, daß diese Übungen nicht weiter gehen als bis zu der Dämpfung der Unkeuschheit, nicht zur Verderbung der Natur.« Diese letzte Bemerkung zeigt, wie Luther daran gelegen war, daß der Christ sich nicht asketisch verkrampft: »Für die Toten Wein, für die Lebenden Wasser. Das ist eine Vorschrift für Fische!« Und in einer Predigt über Johannes 2,1-11 aus dem Jahre 1525 zeigt er, was diese Grundhaltung des Christen bedeutet, daß ihm alles erlaubt sei, wenn man sich nur mäßig und nüchtern darin halte. Es heißt dort:

»Hierbei läßt sich auch Christus merken, daß er kein Mißfallen an dem Aufwand für die Hochzeit hat noch an allem, was zur Hochzeit gebührt, wie Schmuck und Fröhlichsein, Essen und Trinken, wie das der Brauch und des Landes Sitte erfordert. Welches doch so aussieht, als sei es ein Überfluß und ein verlorener Aufwand und ein weltliches Ding, sofern solches alles sein Maß hat und für eine Hochzeit passend ist. Denn Braut und Bräutigam müssen doch geschmückt sein; andererseits müssen die Gäste ja auch essen und trinken, sollen sie fröhlich sein. Und solcher Aufwand und solches Wesen mag alles mit gutem Gewissen geschehen. Denn die Schrift vermeldet solches hin und wieder und vom Brautschmuck und vom Hochzeitskleid, von Gästen und Wohlleben steht auch im Evangelium geschrieben .. . Es liegt Gott nichts an solchen äußerlichen Wesen, wenn nur Glaube und Liebe bleibt, sofern es, wie gesagt, mäßig sei, wie es einem jeglichen Stande gebührt. Denn diese Hochzeit (zu Kana), wiewohl sie arm und klein gewesen ist, hat dennoch drei Tische gehabt, worauf das Wörtlein >Architriklinus< hindeutet, daß der Speisemeister drei Tische zu versehen gehabt hat.

Dazu hat der Bräutigam selber solches Amt nicht getrieben und hat Diener gehabt. Müssen dazu auch Wein trinken, welches aber doch, wenn man bloß der Armut folgen wollte, hätte unterbleiben müssen, wie es wohl manchesmal bei uns geschieht. So werden die Gäste auch nicht allein den Durst mit dem Wein gelöscht haben, denn der Speisemeister sagt ja, wie man den guten Wein zuerst geben sollte, danach, wenn sie trunken wären, den geringeren geben. Solches alles läßt Christus geschehen.«

Luther bei Tisch (aus: Aurifaber, Tischreden Martin Luthers, 1576)

Bereits in diesem kleinen Abschnitt einer Lutherpredigt wird deutlich, wie Luther einen biblischen Text für seine Zuhörer aktualisieren konnte. Für ihn — den Doktor und Professor der Theologie — war es selbstverständlich, nicht nur auf dem Katheder und der Kanzel, sondern genauso im alltäglichen Leben seine Entscheidungen nach den Worten der Bibel zu richten. Als er 1538 zu einer Hochzeit eingeladen wird, kostete er vor dem Beginn der Feier die Weine und sagte: »Man solle den Gästen einen guten Trunk geben, damit sie fröhlich werden; denn wie die Heilige Schrift sagt: Das Brot stärkt das Herz des Menschen, der Wein aber macht es froh.«

Wenn Luther hier als ein Weinkenner auftritt, so hatte er seine eigenen Maßstäbe dazu; denn in seiner Zeit gab es in der Weinherstellung nicht die Möglichkeiten wie heute. Deshalb war Luthers Meinung: »Alte Weine werden zu Krätzern, denn Weine über drei Jahre hinaus sind weniger wirksam. Hinweg daher mit den ruchlosen Kellermeistern, die die Weine so lange aufbewahren, bis sie garstig werden. Sie behindern die gute Gabe Gottes und den Trost der Menschen.«

Und wieder in einer Predigt des Jahres 1535 bei der Auslegung einer Stelle aus dem Epheserbrief sagt er: »Man wehrt der Trunkenheit an allen Orten, fälscht Wein und Bier. Wahrlich, du sollst daran denken: Wenn du Geld für Wein und Bier ausgibst, gibt man dir einen Dreck dafür.« Es ist eben ein Unterschied, ob man heute bei einer strengen Weingesetzgebung und dem Reinheitsgebot beim Bierbrauen oder damals zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebt!

Auch über den Preis des Weines hat Luther geklagt: »Darauf sprach er viel über den hohen Preis des Weines, daß man nirgend keinen guten Wein hat.«

Und seine Ansicht über die Krankheiten, die aus dem unmäßigen Weingenuß entstehen, finden heute sicher nicht die Zustimmung der Ärzte; dennoch sind sie charakteristisch für die Reformationszeit und nachdenklich stimmend für uns heute dazu:

»Weil wir den Wein im Überfluß zu unserem Luxusleben mißbrauchen, kommen davon Krankheiten wie Lepra, Nieren- und Blasensteine, Gicht an Fuß und Hand. Wer Wein ständig genießt, ist meistens gichtkrank; Bier aber führt zur Wassersucht. Über Verordnungen und Diätvorschriften der Ärzte sprach der Doktor ebenso vieles, die allzu streng und übereifrig alles verbieten würden, wo doch ein Leben streng nach den Anordnungen der Ärzte elend sei, da diese fast Unmögliches anordneten. Daher soll Birckheimer gesagt haben: Ich will lieber zwei Jahre ein lustiger Zechkumpan sein, denn 10 Jahre ein Jammerlappen.«

Immer wieder ist für Luther der Wein ein Hinweis auf die Güte Gottes: »Als Luther einmal sehr guten Wein trank, sagte er: Wir glauben nicht, daß uns unser Herr Gott mehr geben werde als den Bauern, denen er so guten Wein gibt, Früchte, Eier, Hennen usw., kurz: alles irdische Geschöpf. Eines aber gibt er nicht, nämlich sich selbst. Daher können wir schließen, was er uns nach diesem Leben geben wird, wenn er schon denen, die seiner unwürdig sind und ihn schmähen, so große Gaben zugeteilt hat.« Ja, er, der so gerne einen Krug Wittenbergisch Bier trank, sagte über den Wein: »Der Wein ist gesegnet und in der Heiligen Schrift bezeugt, Bier aber ist menschliche Erfindung und Weilergabe.«

So ist für Luther der Wein viel mehr als ein Genußmittel, mögen auch andere ihn deswegen tadeln; er weiß es besser: »Kann mir unser Herr Gott das schenken, daß ich ihn wohl zwanzig Jahr gekreuzigt und gemartert hab mit Meßhalten, so kann er mir das auch wohl zugute halten, daß ich bisweilen einen guten Trunk tue, ihm zu Ehren; Gott gebe, die Welt lege es aus, wie sie wolle.«

Benutzte Literatur:

Karl Holl: Luthers Urteile über sich selbst. Vortrag vom 1.11. 1903 in: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Band l, Luther, 6. Auflage 1932
Luther, eine Auswahl aus seinen Schriften, Fischer-Taschenbuch, herausgegeben von H. Gollwitzer, 1955 Luthers Werke, herausgegeben von Clemen, Band 8, Tischreden
Luthers Evangelienauslegung, Teil 4 zu Johannes 2 aus der Fastenpostille 1525
Lutherlexikon, herausgegeben von K. Aland, 1957 Rörer-Nachschrift der Predigt Luthers vom 20, Sonntag nach Trinitatis vom 10.10.1535, WA 41, 444-449