Das Franzosenkreuz bei Kempenich

Manfred Becker

Geht der Wanderer zu Fuß von Kempenich nach Engeln, so sieht er rechts am Rande der Kreisstraße, hinter der Aussiedlung Alfred Groß, ein schlichtes Basaltkreuz. Dieses Kreuz trägt die Jahreszahl 1678 und nachstehende Inschrift:

»Anno 1678 auf St. Thomasdag ist erschossen 
worden von den Franzosen der Ersamen Lens Clas Send 
und weltlichen Scheffen in der Herrschaft Kempenig. 
Got troest die Sei in al Ewigkeit Amen.« 

Hier an dieser einsamen Stelle wurde einst Heimatgeschichte geschrieben, wenn auch eine sehr traurige. Unruhige Zeiten herrschten damals im Kempenicher Ländchen und nicht nur hier. Marodierende Truppen des Sonnenkönigs Ludwig des XIV. zogen durch die Eitel und brachten Furcht und Schrecken in die Siedlungen links des Rheines. Die Landleute trauten sich nur noch in Gruppen auf ihre Äcker. Frauen, Kinder und Greise zitterten in ihren Häusern aus Angst vor dem »Franzmann«. Dorf um Dorf wurde ausgeplündert und niedergebrannt und wer es wagte zu oponieren, der war des Todes sicher.

Man schrieb den 21. Dezember, das Namensfest des heiligen Thomas. Die Dorfbewohner hatten sich schon sehr früh zur Pfarrkirche begeben und beteten um Verschonung vor den »Rothosen«, wie die Franzosen im Volksmund genannt wurden. Die Leute waren in dieser schweren Zeit mehr als ängstlich. Erst dreißig Jahre war es her, wo der Krieg vorbei war. Ein Krieg der dreißig Jahre großes Leid über ganz Deutschland gebracht hatte und den nur wenige überlebt hatten. Nur 24 Familien waren im Dorf Kempenich und den umliegenden Gehöften übrig geblieben. Was der Krieg den Menschen gelassen hatte, das raubte ihnen der fürchterliche Brand von 1661, wo bis auf drei Häuser das gesamte Dorf ein Raub der Flammen wurde. Dann kam 1666 auch noch die Pest in unsere Gegend und »Gevatter Tod« suchte sich seine Opfer. In der dunklen Kirche knieten nun die Überlebenden all dieser Schrecknisse und in den umliegenden Orten wütete der Franzose. Pastor Quirinus Mies flehte zu Gott dem Erlöser, daß er seine Pfarrkinder verschonen möge und er erteilte ihnen in seiner tiefen Frömmigkeit den apostolischen Segen. Noch war die Messe nicht vorbei, da stürmte der Torwächter in die Kirche, geradewegs zum Altar. Ein Bote aus dem Zissener Ländchen habe ihm soeben erzählt, daß die Franzosen bereits auf Burg Olbrück und in den umliegenden Dörfern eingezogen seien. Nichts sei ihnen heilig, nichts vor ihnen sicher. Überall loderten Flammen hoch, überall dort wo man sich widersetze und wo nichts mehr zu holen sei. Sofort begann ein großes Palaver in der Kirche. Lens Glas, der Scheffe, hatte seine Mitscheffen um sich geschart und man beschloß den fremden Soldaten entgegen zu gehen und sie zu bitten, wenigstens über die Weihnachstage Frieden zu geben. Pastor Mies erklärte sich ebenfalls bereit mitzukommen. Auf dem Marktplatz unterhalb der Kirche hatte sich bald eine stattliche Anzahl von Männern eingefunden, auch die Schützenbruderschaft war dabei, bereit um Gnade zu flehen, nicht um zu kämpfen.

Es begann leicht zu schneien und die Dunkelheit wich nur zögernd der Dämmerung. Durch das »hintere Tor« zog ein Dutzend mutiger Männer über die alte Steinbrücke in Richtung »Hunswinkel«. Es war keinem wohl in seiner Haut und die meisten beteten leise vor sich hin. Allmählich war es heller geworden, und man war am Pfad, welcher zum »Engelner Busch« führt, angekommen. Da plötzlich tauchten aus Richtung Olbrück einige Reiter auf, unter grausigem Gejohle kamen sie näher und näher. In der Nacht hatten sie dem Kellner von Olbrück den besten Wein aus dem Keller geholt und ein fürstliches Gelage veranstaltet. Der Geist des Brohltalweines, denn zu dieser Zeit wuchsen nocht Trauben an den Hängen entlang des Brohlbach, hatte ihre Sinne verwirrt. Lens Glas, der Mann ohne Furcht und Tadel, trat vor die Meute hin und trug die Bitten seiner Bürger vor. Die Fremden jedoch verstanden seine wohlgemeinten Wort nicht, immer lauter und heftiger wurde das Stimmengewirr. Schließlich kam es zu Handgreiflichkeiten und die kraftlosen Bauern sanken einer nach dem anderen zu Boden. Nur Pastor Mies, welcher einige Brocken französisch verstand, versuchte die Situation zu retten und redete beschwörend auf die Horde ein. Da wurde er urplötzlich von zwei wilden Gesellen angegriffen und Glas erhob sich vom Boden um dem Herrn Pastor zur Hilfe zu eilen. Dann fiel ein Schuß, Lens Glas griff sich ans Herz und sank zu Boden. Der Schnee färbte sich blutrot. Es wurde still in der einsamen Feldflur, alle schauten sich betroffen an. Pastor Mies sprach leise ein Gebet und beugte sich über den Sterbenden. Die Franzosen schwangen sich auf ihre Pferde und ritten gegen Engeln davon.

Ein trauriger Leichenzug trug den Toten ins Dorf zurück, an den Türen der ärmlichen Hütten standen Frauen und Kinder und weinten bittere Tränen. Kempenich aber blieb ob des Mutes dieser tapferen Männer für lange Zeit verschont von den Horden des Sonnenkönigs. Kommt heute jemand an diesem ehernen Basaltkreuz vorbei, so denkt er kaum an die Tragödie, welche sich einst vor mehr als dreihundert Jahren hier abgespielt hat. Franzosen und Deutsche sind zwischenzeitlich Freunde geworden und das ist gut so. Beide Völker haben nur noch einen Wunsch, nämlich in Frieden und Freiheit nebeneinander zu leben.