Opfer des Nationalsozialismus:

Dechant Josef Zilliken, Pfarrer in Wassenach

Heinrich Schäfer

Der Nationalsozialismus hat Deutschland in die größte Erschütterung seiner Geschichte gestürzt. Wenn einmal eine Antwort auf das Wo, Wie und Warum dieser unseligen Bewegung gegeben werden kann, dann wird die Eifel sich ihres Platzes in Geographie und Geschichte dieser Zeit nicht zu schämen brauchen. Das Wahrzeichen der Stadt Mayen ist der schiefe Turm der Klemenskirche. Im Schatten dieser Kirche wurde Josef Zilliken im Jahre 1872 geboren, hier wuchs er auf, hier entschied er sich für das Priestertum der Kirche, deren kraftvoller Zeuge er war bis zum Tode im Konzentrationslager.

Seine wuchtige Gestalt und unbeugsame innere Gesinnung drängen uns zum Vergleich mit dem Gestein, das Mayen und seiner Umgebung den Charakter gibt, dem Basalt. Schon im Priesterseminar in Trier nannten sie ihn achtungsvoll das »Päärd«; und als im KZ seine Kraft endlich gebrochen wurde, schrieb sein Freund Johannes Schulz nach Hause: »Dem Päärd geht der Hafer aus!«, und die Eingeweihten wußten Bescheid.

Am 26. März 1898 wurde er im Trierer Dom zum Priester geweiht. Nach 24jähriger Arbeit in verschiedenen Orten des Saarlandes berief ihn sein Bischof als Pfarrer nach Prüm. Pater Mau-rus Münch, der später sein Gefährte in Dachau war, schreibt: »Wie ein edles Roß in der Vollkraft seiner Jahre, wurde der Prümer Dechant zu einer Führergestalt für Bauerntum, katholisches Bewußtsein und im Werden einer neuen Demokratie zu einem Kämpfer für eine Politik auf christlicher Grundlage in Stadt und Land, in Kreis und Staat. Heute noch spricht man von diesem Dechant in Verehrung und Liebe.« Im Jahre 1927 konnte er in der Salvatorkirche zu Prüm den wuchtigen Barockaltar aufstellen, der den Raummaßen dieses Gotteshauses entspricht. Wer hätte damals ahnen können, daß Kirche und Pfarrer infolge eines unseligen politischen Regimes schwer zu leiden haben würden. Als das Unheil 1933 hereinbrach, tat Josef Zilliken allen Prümern seine unmißverständliche Ablehnung kund. Als wir Schüler des Prümer Regino-Gymna-siums im Jahre 1934 auf dem Kalvarienberg an einer Sonnenwendfeier teilnehmen und Lieder von »Blut und Boden« singen mußten, da erklang mit einmal das Kampflied der katholischen Jugend »Christus Herr der neuen Zeit«. War es aus trotziger Ablehnung des Ungeistes oder bloß jugendliche Freude am Widerspruch? Jedenfalls waren wir Jugendlichen nicht blind den neuen Lehren ausgeliefert. Es gab an unserer Schule Lehrer, es gab Priester, die uns die Unterscheidung der Geister ermöglichten. Zu diesen geraden Männern gehörte Josef Zilliken.

Damals waren wir in Prüm eine Schar junger Menschen, die nicht'auf die neue Linie einschwenkten und nicht der Hitler-Jugendorganisation beitraten. Wir waren keine Helden, .. . und waren uns unseres Weges auch nicht ganz sicher. Wer will sich schon als Feind des Fortschritts, als Konservativer, als Ewig-Gestriger beschimpfen lassen? War die Zukunft doch nicht auf Seiten der Neuen, der Reformer, die uns die »Dunkelmänner der Zeit« nannten? — Heute bin ich sicher, daß wir nicht durchgehalten hätten, wären nicht Lehrer und Priester gewesen, die einen konsequenten Weg gingen. Unerschütterlich stand Dechant Zilliken. »Heute noch lebt die Erinnerung an jenen Silvesterabend, da er in der Prümer Basilika flammenden Protest gegen den »Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts« (Alfred Rosenberg) erhob. Das war keine Politik, sondern Bekennertum!. . . Wegen dieser Predigt kam es zu einer Gerichtsverhandlung. Die Anklage lautete: Beleidigung des Reichsleiters Alfred Rosenberg durch den Pfarrer von Prüm. Man verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährungsfrist.« (Münch).

1937. Josef Zilliken ist 65 Jahre alt. In Prüm ist er dauernden Anfeindungen ausgesetzt. So versetzt ihn der Bischof auf die kleine Pfarrstelle von Wassenach in der idyllischen Landschaft des Laacher Sees. Wird diesem starken Arbeiter nun ein ruhiger Lebensabend beschieden sein?

Gerade in der Laacher Gegend scheint die nazistische Bewegung besonderen Widerstand gefunden zu haben: Hier lebte eine Jugendbewegung im Untergrund, die sich als verschworene Gemeinschaft nicht dem Ungeist beugte.

Pfarrer Josef Zilliken

Hier gab es Bekennerpriester, die zu der Schar von 2 796 in Dachau inhaftierten Geistlichen gehörten: Pfarrer Josef Bechtel und sein Kaplan Peter Schlicker aus Niedermendig, Pfarrer Wilhelm Caroli, wohnhaft in Kell (Münch) oder Kottenheim (Neunheuser), und Pfarrer Johannes Schulz, der die Nachbarpfarrei von J. Zilliken betreute. Es wäre auch noch Pater Maurus Münch zu nennen, der aus Andernach stammte und Dachau überlebte. Nun müssen wir über das »Ereignis Waldfrieden« berichten, das bis auf den heutigen Tag bei den Leuten in lebhafter Erinnerung ist und über das es mehrere schriftliche und mündliche Berichte gibt. An der nordöstlichen Abdachung der Laacher-See-Umwallung liegen die Dörfer Wassenach und Nickenich, 5 km von einander entfernt. Als Josef Zilliken nach Wassenach kam, traf er in Nickenich einen Pfarrer, der wie er selbst wegen seiner Haltung gegenüber den Nazis hierhin verdrängt worden war. Es war Johannes Schulz, geboren am 3. April 1884 in Obervölklingen an der Saar. Kein Wunder, daß die beiden Männer zu Freunden wurden.

Am Nachmittag des 27. Mai 1940 trafen sie sich auf einem Spaziergang und kehrten in dem Gasthaus »Waldfrieden« ein, zwischen beiden Gemeinden auf der Höhe des Ringwalles, der den Laacher See umgibt. Die beiden Geistlichen hatten eben Platz genommen, als eine Wagenkolonne vor dem Hause Halt machte. Aus den Autos steigen der Reichsmarschall Hermann Göring und seine Begleitung. Sie steigen zum Gasthof hinauf und kommen an dem Tisch vorbei, an dem die beiden Pfarrer sitzen. Diese ignorieren den damals allseits bekannten ersten Vertrauten des »Führers« und verweigern den Hitlergruß. Als nach einer Stunde Göring und sein Gefolge das Lokal verlassen, bleiben Zilliken und Schulz wiederum unbeweglich.

Nicht lange sollte es dauern, bis die beiden die Folgen ihres Verhaltens erfahren mußten. Noch in der Nacht wurden sie verhaftet, nach Koblenz ins Gefängnis gebracht, ins KZ Buchenwald überstellt, von wo sie bald nach Dachau gelangten.

Das Waldfrieden-Ereignis fällt in die Zeit des Frankreichfeldzuges. Heute ist es kaum möglich zu beschreiben, in welcher Euphorie sich das ganze Deutschland befand. Wohl nie hatten die Nazis das Volk so geschlossen auf ihrer Seite wie damals. Außer einigen wenigen . . . Wir verübeln es niemand, wenn er im Strome mitschwimmt; wir tun es alle täglich mehr oder weniger, ohne es zu merken. Aber wir brauchen Frauen und Männer, die sich gegen den Strom stemmen und dabei sichtbar hervortreten, so daß wir auf sie aufmerksam werden. Jugend erzieht sich mehr an Leitbildern als an guten Reden, sie braucht Identifikation mit Persönlichkeiten.

Doch selten ist das Leben heroisch, meist ist es banal. Hinterher will man immer Helden oder blutige Opfer. Wir wollen uns davor hüten, aus der zeitlichen Entfernung heraus die Opfer zu erhöhen, hinauf zu stilisieren, ihnen epische Größe zu geben. Es waren Menschen wie wir, die in all den kleinen Entscheidungen, die das Leben uns vorstellt, genau so wie wir bei ihren Entschlüssen schwankten und nicht immer die große Vorausschau hatten, Sie besaßen nicht die Kenntnis der Entwicklung, die wir heute besitzen. Um so mehr: Wer im allgemeinen Taumel eines Siegeszuges dem obersten Offizier das »Heil Hitler!« verweigert, dem können wir unsere Achtung nicht versagen. Das ist auch für uns Heutige ein Stück Hoffnung, die uns infiziert, der Glaube, der uns weiter Menschen sein läßt.

Im KZ mußten Zilliken und Schulz erfahren, welche Unmenschlichkeiten Menschen gegen Menschen sich ausdenken können. »Sie wurden geschlagen, getreten und angespuckt, Verhöre und Mißhandlungen wechselten einander ab. Zwei besondere Schikanen hatte sich die SS-Bewachungsmannschaft für die beiden Priester ausgedacht. Analog einer Szene aus Schillers »Wilhelm Teil« mußten sie an einer auf einer Stange aufgehängten SS-Mütze vorbeidefilieren, die Hand zum »Deutschen Gruß« erheben und laut und deutlich »Heil Hitler« rufen. — Auch mußten beide als Strafarbeit unzählige Male die Schiefertafel mit dem Satz vollschreiben: »Jeder Deutsche ist verpflichtet, den Reichsmarschal zu grüßen.« (Loris)

Nachdem die beiden Anfang des Jahres 1941 nach Dachau verlegt worden waren, ging es ihnen etwas besser. Papst Plus XII hatte für die Priester in Dachau einige Erleichterungen erreichen können. Sie waren von körperlicher Arbeit befreit und durften Bücher lesen. In einer Baracke konnte sogar täglich eine heilige Messe gefeiert werden.

Als sich aber die Lage auf den Kriegsschauplätzen verschlechterte, bekamen dies die Inhaftierten mehr und mehr zu spüren. Die Wachmannschaften erfanden immer neue Schikanen, der Hunger griff um sich. »Ab Mitte Februar 1942 gab es keine Kartoffeln mehr im Lager. Als Ersatz wurden Steckrüben angeliefert. Die als Mittagessen ausgegebene Steckrübensuppe schmeckte widerlich und hatte kaum einen Kalorienwert. Erbrechen und Durchfall stellten sich ein. Später wurden Spinat- und Salatsuppen verabreicht. Der Hunger quälte die inhaftierten Priester Tag und Nacht. Ende Mai wurde auch die Brotration gekürzt. Es gab täglich nur noch ein Viertel Kommißbrot. Eine rapide Abmagerung und ein starker Kräftezerfall stellten sich bei den Häftlingen der Priesterbaracken ein. Die Widerstandskraft gegen Infektionskrankheiten schwand. Eine Erkältung oder leichte Lungenentzündung führten schon zum Tode. Die Symptome waren immer dieselben. Zuerst schwollen die Füße und Beine an, einige Tage später Hände und Arme und schließlich der Kopf. Zuletzt bildete sich dann ein Geschwulst um die Augen, bis dann zwei bis drei Tage darauf der Tod als Erlösung eintrat.«

Der Sterbetag von Pfarrer Schulz ist der 19. August 1942. Zilliken lebte nur 6 Wochen länger. Sein Mithäftling schreibt: »Fast zum Skelett abgemagert, wurde er von Tag zu Tag körperlich schwächer. Seelich jedoch blieb er ungebrochen. Kurz vor seinem Tode erlebte ich folgendes: Wir waren im großen Baderaum unter den Duschen. Die meisten hatten bereits nach dem Baden den Raum verlassen, während Zilliken mit dem Ankleiden noch nicht ganz fertig war. Unser Blockältester, ein jähzorniger Mensch, rannte voll Ungeduld und Wut auf Zilliken zu und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Man sah dem Dechanten an, daß er innerlich kochte. Ich sah schwarz für den Blockältesten, der es nun selbst mit der Angst zu tun bekam. Zilliken richtete sich auf, schaute ihm offen ins Auge und sagte zu ihm: »Robert, danke Gott, daß du ein Körperversehrter bist!« (Ihm war der Arm verkrüppelt) «Dich schlage ich nicht.« ... Bald nach diesem Auftritt mußten wir unseren lieben Mitbruder ins Revier bringen; wir wußten: es war sein letzter Weg im Lager. Ehe er uns verließ, gaben wir Trierer ihm alle gemeinsam die Heilige Ölung in der Kapelle. Wie ein Patriarch kam er mir vor, dieser auch im Angesicht des Todes noch so souveräne Mann. Ganz bewußt empfing er das Sakrament und umarmte jeden von uns, ehe er aus der Kapelle ins Revier getragen wurde. Am 3. Oktober gab er seine Seele in Gottes Hand.« (Münch)

Literatur:

Maurus Münch, Unter 2 579 Priestern in Dachau, Trier 1970 
Josef Loris, Vor 40 Jahren starb Pfarrer Schulz im KZ Dachau, in: Nachrichtenblatt für die Gemeinde Schwalbach (Saar) Nr. 40/1982
Burckard Neunheuser OSB, Zeugen für Christus bis ins Sterben hinein, in: Paulinus Trierer Bistumsblatt, 29/1982