Heimattreue Landskroner

Wilhelm Knippler

Gemeint sind nicht die Heimersheimer, obwohl das Landskroner Wappen ihr uraltes mittleres Kirchenfenster ziert, auch nicht die Lohrsdorfer, wenn auch ihre Gemarkung bis an den Gipfel des Berges reicht, nicht die Gimmiger, die den ältesten Namen des Berges vor Vergessenheit bewahren, noch die Heppinger, die alljährlich seit langem das Landskroner Bretzelfest feiern und dort weithin sichtbar das Martinsfeuer abbrennen. Sie alle wohnen am Fuß der Landskron, für sie alle ist dieser unverwechselbare Berg eine Selbstverständlichkeit, die sie täglich zur Kenntnis nehmen. Mir selbst geht es so, denn von meinem Arbeitstisch aus gesehen liegt sie vor mir wie ein großes Gemälde, vom Fensterrahmen umgrenzt. Wenn ich mich auch an ihrem Anblick erfreue, mich oft an viele Erlebnisse gern erinnere, die sich mit dieser »Krone des Landes« verbinden, sie ist selbstverständlicher Alltag geworden. Es gibt aber auch viele Landskroner, deren Heimaterinnerungen nur wehmütig stimmen. Zwanzig Jahre lang hat H. O. Olbrich in diesen Blättern der deutschen Menschen gedacht, die durch das unerbittliche Schicksal des letzten Krieges ihre schöne Heimat im deutschen Osten verloren haben. Ich möchte seine Darstellungen um einen Beitrag erweitern, um Landskroner Sudetendeutsche, um wirkliche Landskroner, die Bewohner einer böhmischen Kreisstadt, die ihren Namen von der Burg Landskron hat. Sie liegt in der Mitte zwischen Glatz und Brunn, südlich vom Adlergebirge, also am Westabhang der Sudeten. Diese Schönhengstgauer Sprachinsel umfaßte im Jahre 1930 rund 20000 Deutsche und 3 700 Tschechen, die Stadt Landskron allein davon 5 297 Deutsche und 1 093 Tschechen. Rund 80 % der Bevölkerung waren also deutsch, Grund genug, ihr jahrhundertealtes Schicksal zu verfolgen.

Ein anderer Grund, ich sehe darin für mich sogar eine Verpflichtung: die böhmische Landskron und die unsrige hatten ein gemeinsames Wappen, die goldene Krone auf rotem Grund!

Meine weiteren Ausführungen stützen sich auf die Broschüre »Heimatkreis Landskron«, 1953 erschienen in der Reihe »Sudetendeutsche Heimatkreise«. Der Chronist gibt Bericht »von der Zeit an, da unsere Vorväter den Wald rodeten bis zu den bitteren Tagen der Austreibung aus der Heimat.«

Vor der Zeitenwende gaben keltische Bojer dem Land den Namen: Bojerheim = Böheim = Böhmen. Zur Zeit Christi siedelten dort Markomannen unter ihrem König Marbod. Etwa 200 n. Chr. übernahmen germanische Hermunduren die böhmischen Lande und bauten erste befestigte Plätze, u. a. Landskronae Hermun-durum. Etwa um das Jahr 600 in der großen germanischen Völkerwanderung fielen slawische Volksstämme ins Land. Diese Tschechen ließen sich besonders in den fruchtbaren Tiefebenen nieder, sie mieden den gebirgigen Grenzwald.

929 macht der deutsche König Heinrich l. im Verfolg seiner Ostpolitik den Zug nach Prag. Herzog Wenzel von Böhmen muß ihm huldigen, und 979 wird das Bistum Prag gegründet, das zum Erzbistum Mainz gehörte. Um das Jahr 1000 ist Böhmen ein Teil des Deutschen Reiches.

1192 läßt der böhmische König Ottokar l. die Landskron als Schutzfeste gegen die Markgrafschaft Mähren errichten. Im 13. Jahrhundert beginnt die große Ostkolonisation. Die deutschen Landesherren rufen deutsche Siedler aus dem Reich ins Land. Hermann von Osten ist 1220 der erste bekannte deutsche Grundherr von Landskron. Im Jahre 1228 werden ein Christian und ein Gerlach von Landskron erwähnt, 1241 und 1245 begegnet der Name der Siedlung Landskron, und im allgemeinen wird dieses Jahr 1245 als Stadtgründungsjahr angenommen. 1253 erhält dann Ulrich von Dürn-holz durch König Wenzel die Herrschaft und Vogtei Landskron. 1289 gehört Landskron zu den befestigten Orten. Vorübergehend gehörte dann Landskron zu geistlichem Besitz, dem Kloster Königssaal und zum Bistum Leitomischl.

Als die Hussitenstürme das Land erschütterten, hatte das Herrschaftsgebiet viel zu leiden, besonders 1421.

Neue Grundherren wurden dann von Portupitz und von Pernstein. Sie brachten Ruhe ins Land und dadurch Wohlstand. Diese Herren hingen der protestantischen Lehre an, waren aber tolerant. Damals entstand die Brudergemeinde und Landskron wurde restlos protestantisch. Typisch für die damaligen Verhältnisse, mit den neuen Herren von Liechtenstein begann 1622 die Gegenreformation. Zu den Schrecken des dreißigjährigen Krieges kam der Glaubenskrieg bis zum Endergebnis: Landskron wurde wieder katholisch, war aber totaF verarmt. Nur langsam erholten sich die Landskroner nach Kriegsende. Die Liechtensteiner begünstigten eine rege Bautätigkeit, eine neue Zunftordnung und die neu eingeführte Leinenindustrie brachten wirtschaftlichen Aufschwung, aber leider nur für wenige Jahre. Mit der fortschreitenden Mechanisierung konnten die Landskroner nicht Schritt halten. Auch die Hausweberei ging zurück, und neue Elendsjahre waren die Folge.

Seit 1790 war Landskron eine freie Stadt mit Selbstverwaltung. Neue Belebung erfuhr das Landskroner Gebiet im 19. Jahrhundert durch eine Tabakfabrik mit 2 000 Arbeitern, auch durch mehrere kleine Fabrikbetriebe. Das ruhig-ländliche Leben wurde dadurch nicht gestört.

Die Folgen des ersten Weltkrieges waren im ganzen Sudetenland, natürlich auch in Landskron, Entnationalisierung und wirtschaftliche Drosselung des Deutschtums. Unterbrochen durch kurzen Aufschwung 1938 kam es nach 700 Jahren Deutschtums im Sudetenland zur Katastrophe von 1945.

Im Juni 1945 erhielten 1200 bis 1500 Deutsche in Landskron kurzfristig den Ausweisungsbefehl. Mit ganz wenig Gepäck wurden sie in offene Waggons verladen und nach Teplitz transportiert, wo sie kurzerhand über die Grenze getrieben und ihrem Schicksal überlassen wurden. Kurze Zeit später trieb man bei Nacht und Nebel die Deutschen aus den Nachbardörfern zusammen, führte sie bis zur Grenze bei Mittelwalde, wo man ebenso verfuhr wie bei Teplitz. Die meisten dieser Vertriebenen blieben in der Ostzone.

Geordnete Transporte begannen erst im Februar 1946 von Landskron aus in westdeutsche Gebiete. Sie dauerten bis in den Herbst 1946. Was an Deutschen zurückblieb wurde in das Landesinnere der Tscheche! verschleppt, wo man sie zur Knechtsarbeit einsetzte. Facharbeiter beschäftigte man unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Industrie. Wie grausam den deutschen Brüdern in Landskron mitgespielt wurde, wie viele von ihnen an Mißhandlungen, an Hunger und an Krankheiten zugrunde gegangen sind, läßt sich zahlenmäßig nicht belegen.

Trotz allen Leides und aller Not konnte bereits im Jahre 1953 eine Broschüre »Heimatkreis Landskron« mit Beiträgen von Wissenschaftlern erscheinen, ein Beweis dafür, daß trotz Zerstreuung im ganzen Bundesgebiet und in der Ostzone die ehemaligen Landskroner zusammenhalten wollen. Namentlich wollen sie ihrem Nachwuchs Liebe zur angestammten Heimat, Stolz auf 700 Jahre Grenzlandsge-schichte und Lebenswille mitgeben, um zu verhindern, daß das Andenken an ihre Heimat versiegt.

In dieser kurzen Darstellung kann ich das Kapitel »Berühmte Männer des Landskroner Kreises« nur kurz streifen. Es handelt sich um Kirchengrößen und Generale der österreichischen Armee, um Wissenschaftler und Erzieher, um Volkskundler und Schriftsteller. Ich zitiere hier nur aus der Einleitung: »Die verlorene Heimat trägt man in erster Linie im Herzen, und das tiefste Gefühl, das wir ihr heute entgegenbringen können, ist wahre Liebe. Wir brauchen aber nicht im Innern allein diese traurige Liebe zu hüten, sondern wir haben auch die Möglichkeit, trotz des Verlustes von äußeren Dingen, unseren Feldern, Wiesen und Wäldern, Häusern und Höfen, aufrichtigen Stolz zu empfinden an den Werten, die uns bis heute und für alle Zeit niemand nahm und wird nehmen können. Diese inneren Werte sind aus vielen überragenden Leistungen auf den verschiedensten Gebieten zusammengesetzt, und man wird sie am besten mit einem landläufigen Wort, aber in der umfassendsten Bedeutung, als Kultur bezeichnen dürfen. Wir können darunter sehr viel verstehen, die Arbeit der Kolonisatoren, die im 12. und 13. Jahrhundert aus der Wildnis unsere Heimat herausrodeten, den Bau der Stadt und der Dörfer, das kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Leben, das sich darin entwickelte, aber auch die Tätigkeit unserer großen Heimatsöhne, die für uns alle wahrlich Ruhm und Ehre einlegten.« Ich füge noch hinzu, was einer der großen Landskroner, Dr. Dr. Ernst Lehmann über den Volkscharakter der Landskroner schreibt: »Die meisten Landskroner sind ihrer Herkunft nach Ostfranken, jedoch im Gegensatz zu ihren froh-mutigen Stammesgenossen vom Main ernst, sogar verschlossen (wie ihr Hof) und mißtrauisch gegen Fremde. Wenn der Landskroner aber seine Wortkargheit abstreift und redet, dann nachdrücklich. Er ist Sprachinseldeutscher und in besonderer Weise geprägt durch den Grenzkampf.«

Wenn man als Landskroner von der Ahr das Schicksal der sudetendeutschen Landskroner überdenkt, muß man wahrlich dem gnädigen Los dankbar sein, das uns getroffen.

Es gibt viele Patenschaften von Gemeinden Westdeutschlands, die ausgetauscht wurden mit Gemeinden jenseits unserer Landesgrenzen. Die an Sorgen armen Landskroner des Westens könnten zum mindesten eine geistige Patenschaft eingehen, indem sie öfters gedankliche Brücken schlagen zu den sorgenreichen Namensbrüdern aus dem Osten.