Wie Bronzeglocken Opfer des Krieges wurden

Wolf gang Dietz M. A.

Krieg - das bedeutet nicht nur die Mißhandlung, Verstümmelung und den Tod vieler Menschen sowie den Verlust von Hab und Gut, sondern auch fast immer die Zerstörung von Kulturgütern und Kunstwerken, häufig genug solcher von unschätzbarem Wert. Angesichts des allgemeinen Verlustes alter Kultursubstanz durch direkte oder mittelbare Kriegseinwirkung, ist das Opfer, das zahlreiche Kirchen überall in unserem Lande mit der Abgabe von Bronzeglocken an Kriegstribut zollten, zu Unrecht, weil weniger spektakulär, etwas in Vergessenheit geraten - besonders bei der jüngeren Generation.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle, stellvertretend für viele andere derartige Vorgänge, das Beispiel der Pfarrkirche in Gönnersdorf anführen, die - wie ungezählte Sakralbauten in der Umgebung - nicht nur im Zweiten Weltkrieg (zwei der drei neuen Glocken von 1927 mußten 1941 abgeliefert werden), sondern bereits im Ersten Weltkrieg unter Enteignung zu leiden hatten. Hiervon zeugt ein noch heute erhaltener Original-Meldebogen aus dem Kriegsjahr 1917, auf dessen Rückseite - als gesetzlicher Grundlage des Bogens - der volle Wortlaut der »Bekanntmachung (Nr. M. 1/1.17 K.R.A.), betreffend Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung sowie freiwillige Ablieferung von Glocken aus Bronze. Vom 1. März 1917.« abgedruckt ist.

Da gemäß § 7 der vorliegenden Bekanntmachung vom 1. März 1917 »mit der Durchführung dieser Bekanntmachung dieselben Kommunalverbände beauftragt werden, denen bereits die Durchführung der Bekanntmachung M. 1/10.16 K.R.A. vom 1. Oktober 1916, betreffend Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung von Bierglasdeckeln, Bierkrugdek-keln aus Zinn und freiwillige Ablieferung von anderen Zinngegenständen, übertragen worden ist«, war der Meldebogen adressiert an das Bürgermeister-Amt in Niederbreisig als mit der Beschlagnahme, Enteignung und Ablieferung der Glocken beauftragter Behörde. Von dort wurde der Vordruck an den zuständigen, d. h. hier meldepflichtigen Pfarrer Johann Mathias Alef weitergeleitet und von diesem unter dem Datum vom 18. Mai 1917 ausgefüllt und unterzeichnet. Nach seinen Angaben besaß die Pfarrkirche St. Stephan zu Gönnersdorf ein Geläute von drei Bronzeglocken, die folgendermaßen charakterisiert werden:

  1. Eine Läuteglocke von 204 kg Gewicht aus dem Jahre 1838 (zugeordnet der Gruppe A),

  2. eine als »Kunstwert« deklarierte Bronzeglocke von 314 kg aus dem Jahre 1639 (Gruppe B), sowie

  3. eine 544 kg schwere, im Meldebogen mit dem Vermerk »wichtig!« versehene Glocke von 1400, gegossen von »Meister Johannes von Coblenz« (Gruppe C). 

Für die unter 2. und 3. aufgeführten Glocken berief sich Pfarrer Alef bei den Gründen für eine Zurückstellung auf den Sachverständigen Provinzialkonservator Professor Renard, Bonn, einem der Initiatoren und maßgeblichen Mitverfasser der Reihe »Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz«.

Was aber haben Gewichtsangaben und Gruppenzuordnungen (A, B, C) für eine Bedeutung? Nun, die erste Frage ist leicht zu beantworten: sowohl das jeweilige Einzelgewicht (Bronzegewicht) der Glocken, als auch das Gesamtgewicht eines Geläutes (im Falle Gönnersdorfs 1062 kg) bilden die Bemessungsgrundlage für die Höhe der zu gewährenden Entschädigung: »§ 8. Übernahmepreis. Der von der beauftragten Behörde für die Glockenbronze zu zahlende Übernahmepreis wird für die aus einem Bauwerk ausgebauten Glocken wie folgt festgesetzt:

  1. bei Geläuten mit einem Gesamtgewicht über 665 kg auf 2,00 M für das Kilogramm, zuzüglich einer festen Grundgebühr von 1000 M für das Geläut;

  2. bei kleinen Geläuten bis zu 665 kg auf 3,50 M für das Kilogramm, ohne jede weitere Grundgebühr.

Maßgebend ist für die Preisberechnung das aus einem Bauwerk ausgebaute gesamte Bronzegewicht. Die Übernahmepreise enthalten den Gegenwert für die abgelieferten Bronzeglocken einschließlich aller mit der Ablieferung verbundenen Leistungen, wie den Ausbau der Bronzeglocken, die Entfernung der Klöppel und Klöppelöhre und die Ablieferung an die Sammelstellen«.

Die zweite Frage berührt den immateriellen Wert der Glocken, dem mit den Gruppen A, B und C - sie entsprechen den Spalten 3, 4 und 5 des Meldeformulars - auf folgende Weise Rechnung getragen werden sollte: »In Spalte 3 sind diejenigen Bronzeglocken einzutragen, für die eine Zurückstellung oder Befreiung aus den für die Guppen B und C aufgeführten Gründen nicht in Frage kommt. In Spalte 4 sind diejenigen Bronzeglocken einzutragen, für die eine vorläufige Zurückstellung von der Enteignung und Ablieferung aus nachstehend angeführten Gründen zulässig ist; und zwar:

  1. Wenn kein besonderer, sondern nur ein mäßiger wissenschaftlicher, geschichtlicher oder Kunstwert vorliegt, oder solche Bronzeglocken noch nicht oder nicht endgültig beurteilt worden sind. Kennwort: »Kunstwert«.

  2. Wenn eine Glocke für die Bedürfnisse des Gottesdienstes in einem Geläute erhalten bleiben soll, für das die unter Anmerkung 4, Punkt 1 und 3 angeführten Befreiungsgründe keine Anwendung finden können. Kennwort: »Läuteglocke«.

  3. Wenn die Kosten des Einbaues der Ersatzglocken ausschließlich des Wertes derselben den Übernahmepreis für das ausgebaute Bronzegewicht überschreiten würden. Kennwort: »Hohe Einbaukosten«. In der Spalte 5 sind diejenigen Bronzeglocken einzutragen, für die ein besonderer wissenschaftlicher, geschichtlicher oder Kunstwert von dem zuständigen Sachverständigen bescheinigt worden ist.«

Danach ergab sich für Gönnersdorf die Zuordnung der kleinsten und jüngsten Glocke zur Gruppe A. Dennoch unternahm Pfarrer Alef den Versuch, sie als Läuteglocke als unverzichtbar für die Kirche zu reklamieren. Die mittlere Glocke stufte er in Gruppe B ein, da ein endgültiges Gutachten offenbar noch nicht vorlag, und bezeichnete sie folgerichtig als »Kunstwert«. Zur Gruppe C zählte in Gönnersdorf die älteste und schwerste Glocke. Sie war die kostbarste von allen, wurde verschiedentlich sogar in die Zeit um 1380 datiert und »trug in gotischer Minuskel die Inschrift: LUCAS MARCUS MATHEUS IOHANNES MARIA HEIZZEN ICH, MEISTER IOHANN VON CO-BELENTZH MACHTE MICH; am Mantel zweimal in Relief das Lamm Gottes«, und konnte gemäß § 9 der Verfügung vom 1. März 1917 nicht enteignet werden.

Über den endgültigen Verbleib der beiden kleineren Glocken kann das Meldeformular von 1917 naturgemäß keine klare Auskunft geben. Glücklicherweise aber ist aus dem Jahre 1927 ein Pfarrinventar erhalten, welches zwei Glok-ken erwähnt und so eindeutig beschreibt, daß sich zweifelsfrei ergibt, daß auch die mittlere Glocke der Pfarrkirche St. Stephan einer Beschlagnahme und damit der Zerstörung seinerzeit entgangen sein muß. Sie wird nämlich neben der Glocke des Meister Johann aus Koblenz als laufende Nr. 2 geführt und detailliert als »h-Glocke, Akanthus Rebenblatt, Jesus Maria Clara Stephane ora pro nobis Sta Catharina ora pro nobis 1639« beschrieben. Als weitere Inschrift dieser Glocke ist überliefert: »DIE LEBENDIGE BERUFENE ICH, DIE TODTEN BEKLAGE ICH, ZU KONNTSTORF LEUDE ICH«.

Die kleinste Glocke hingegen, die 1838 von Schippang in Neuwied aus einer älteren Glok-ke von 1710 umgegossen worden war, ist dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Das gleiche Schicksal teilten 1941 zwei weitere Glok-ken aus Gönnersdorf, und zwar zwei der drei bereits eingangs erwähnten Neugüsse aus dem Jahre 1927, die abgeliefert werden mußten, nachdem ihr Ruf nur ganze 14 Jahre erschallen konnte.

Quellen

Schug, Peter: Geschichte der Dekanate Mayen und Burgbrohl und einzelner Pfarreien der Dekanate Daun, Gerolstein, Kelberg und Remagen. - Trier 1961
Lehfeldt, P.: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Coblenz. - Düsseldorf 1886 -
Renard, E.: Von alten rheinischen Glocken (ZRhVDuH XII, 1918, S. 69).
Gebhardt/Neu/Verbeek: Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. Düsseldorf 1938 -
Meldungen über vorhandene Glocken aus Bronze gemäß Bekanntmachung Nr. M 1/1.17 K.R.A. vom 1. März 1917 betr. Beschlagnahme, Bestandserhebung und Enteignung sowie freiwillige Ablieferung von Glocken aus Bronze.
Verzeichnis der im Besitz der Pfarrei Gönnersdorf befindlichen Kunstwerke und Altertümer gemäß der Bischöflichen Verordnung vom 16. Mai 1927.