Das Kreuzwäldchen — eine Stätte der Einkehr und Besinnung

Manfred Becker

Wenn man von Weibern nach Kempenich fährt und aus der Kurve am Fuße des Burgberges kommt, sieht man auf einer leichten Anhöhe, mitten in einem kleinen Mischwald eine große und zweitürmige Kapelle. Es ist ein historisches und denkmalwürdiges Kleinod, im Volksmund das Kreuzwäldchen genannt. Die Gnadenstätte liegt südwestlich von Kempenich, etwa 500 m von der Ortsmitte entfernt. Kenner der Heimatgeschichte wissen, daß hier schon im frühen Mittelalter reges Leben herrschte. Schon Anfang des 2. Jahrtausend nach Christus ist hier eine Kempenicher Herrenfamilie erstmals erwähnt, deren Burg auf der einsamen Bergkuppe stand. Zur alten Burg, so heißt noch heute die Straße, welche zu diesem schönen und kunstvollen Wallfahrtsort führt. Funde beim Bau der Kapelle geben Zeugnis von dem einstigen Bestand einer umfangreichen Burganlage, damals wurden, vom Laub der Bäume bedeckt, mächtige Fundamente freigelegt. In späterer Zeit, beim Bau eines Wohnhauses am Anfang des Bongerttales, wurden weitere Fundamente eines größeren Gehöftes gefunden. Es war vermutlich der Herrenhof derer von Bongart, die hier im 14. und 15. Jahrhundert lebten. 

Stationsweg und Kapelle »Kreuzwäldchen« bei Kempenich

Im unterhalb der Kapelle gelegenen Wiesental, fand man im Jahre 1967, beim Neubau einer provisorischen Kläranlage, Eichenholzbalken und Hufeisen kleinerer Pferde, so daß man hier Stallungen aus mittelalterlicher Zeit vermuten muß. Später, als die alte Burg zerstört und völlig verfallen war, hatten in diesem Distrikt die »Kreuzvikare« ihre Gärten, Äcker, Wiesen, Weiden und Holzungen. So entstanden in der Zeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert die Namen für diese Flurbereiche. Da gab es die Kreuzgärten, die wegen ihrer Fruchtbarkeit weit gerühmt waren. Es gibt dort noch heute den Kreuzacker und die Kreuzwiesen, schließlich das Kreuzwäldchen, ehemals der Wald des Kreuzvikars. Der Kreuzvikar nämlich, der geistliche Herr, welcher die Pfründe aus der Kreuzaltarstiftung, die auf die Zeit des Simon von Kempenich im 14. Jahrhundert zurückgeht, besaß, hatte zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zusätzlich die genannten Flurbereiche zur Nutzung. In der napoleonischen Zeit wurden die Ländereien an Kempenicher Bauern vergeben, gingen jedoch wenige Jahre später wieder in den Besitz der Kempenicher Kirche über. Als der Kempenicher Pastor Caspar Heinrich Arck am 4. Mai 1870 starb, folgte ihm am 28. Juni 1870 Ladislaus Stanislaus Ferdinand Freiherr von Freyhold als Pastor der Pfarrei Kempenich. Er war geboren am 26. April 1839 zu Samter in der Erzdiözese Posen. Namentlich hat sich Pastor von Freyhold ein bleibendes Denkmal gestiftet, indem er im Jahre 1873 das sogenannte Kreuzwäldchen in einen Kalvarienberg mit herrlichen Anlagen umschuf. Alle Anlagenteile wurden von Pastor von Freyhold selbst entworfen. Die Entwürfe sind heute noch im Pfarrarchiv vorhanden. Die Zeichnungen zeugen davon, daß Pastor von Freyhold die hohe Kunst der Architektur glänzend beherrschte.

Viele Entwürfe schuf er, ehe er 1879 mit dem Bau einer stattlichen zweitürmigen Kapelle zu Ehren der schmerzhaften Muttergottes begann. Im Stile der Kapelle wurde nebenan noch ein Wohnhaus errichtet. Die Verbindung des Kreuzwäldchens mit dem Orte Kempenich vermittelt ein von Herrn von Freyhold ebenfalls 1873 errichteter Kreuzweg. Für die 14 Kreuzwegstationen mußte die damals sehr arme Bevölkerung 387 Taler aufbringen. Die Kreuzkapelle wurde 1879 in romanischen Formen mit zwei Westtürmen erbaut.

Am 20. Mai 1881 konnte das Heiligtum zu Ehren der schmerzhaften Muttergottes eingeweiht werden. Die Holzpieta wurde in Tirol, in handwerklich hervorragender Arbeit hergestellt, der Preis betrug 1 450 Mark. 3 kleine Glocken hingen im Gebälk der Türmchen und riefen die Gläubigen zum Gebet. Als im unglückseligen 2. Weltkrieg die Kempenicher Kirchenglocken für die Rüstungsindustrie aus dem Glockenturm geholt wurden, da mußten die Glöckchen des Kreuzwäldchens in der Kempenicher Pfarrkirche ihren Dienst ableisten. Nach dem verheerenden Kriege kehrten zwei Glocken wieder in die Kapelle im Kreuzwäldchen zurück.

Als weitere Anlage wurde im Kreuzwäldchen als 12. Station ein großes Basaltkreuz mit dem sterbenden Heiland auf dem Gipfel des Kalvarienberges errichtet. Ferner wurde ein Felsengrab in den Berg getrieben und seitlich rechts ein Blumengärtchen angelegt, mit Lavagrotzensteinen sauber ummauert. Ebenfalls wurden die Wege mit roten Lavagrotzen eingefaßt, so daß eine harmonische Anlage entstanden ist.

Es sollten noch drei Nebenkapellchen erstellt werden mit den Geheimnissen des heiligen Rosenkranzes, in Reliefs dargestellt. Ebenso sollte eine Ölbergsgrotte geschaffen werden, und zwar auf der Dickscheider Seite. Die bis dahin errichteten Anlagen hatten jedoch den Opferwillen der armen Bevölkerung schon stark in Anspruch genommen, so daß die Ölbergsgrotte und die drei Kapellchen nicht mehr verwirklicht wurden. Mag der edle Herr Pastor von Freyhold auch oft bei seiner Behörde angeschwärzt worden sein — wir sind und bleiben alle Menschen mit mehr oder weniger guten Eigenschaften — so bleibt festzustellen, daß von Freyhold die besten Absichten hatte, Gott zu dienen und die Gläubigen zur Gottes Liebe anzufeuern.

Es war Pastor von Freyhold nicht vergönnt, in der von ihm geschaffenen Grabstätte auf dem Kalvarienberg in Kempenich beerdigt zu werden, denn im Jahre 1886 wurde Pastor von Freyhold als Pastor nach Oberwinter abberufen. In Niederaltdorf an der Grenze zum Lothringischen ist Pastor von Freyhold am 1. August 1919 gestorben. Sein Werk jedoch lebt fort und erfreut unsere Herzen, und wir dürfen mit Recht stolz sein auf diese schöne Anlage, ein Geschenk von Pastor von Freyhold, für uns von unschätzbarem Wert. Die herrliche Lourdesgrotte an der Westseite des Kalvarienberges wurde zu Anfang der 30er Jahre errichtet und nach 1950 völlig umgestaltet. Zu dieser Zeit sind auch die Stationen der »Sieben Schmerzen« im Südhang des Kreuzwäldchens entstanden.

Die Kapelle wurde im Innenraum, in hellen Farben, neu gestrichen und bietet dem Besucher ein anmutiges Bild. Neben der schon erwähnten Holzpieta, der schmerzhaften Muttergottes als Hochaltar mit Kreuz, stehen seitlich auf dem Altaraufsatz als Wächter zwei Engel. Links an der Wand sehen wir ein altes Holzbild der heiligen Familie und darunter viele Danktafeln, die von Hilfe aus großer Not Zeugnis geben. Auf der rechten Seite steht auf einem Sockel in der Wand der heilige Bartholomäus, auch er mußte im 2. Weltkrieg seine Heimat verlassen; denn er stammt aus der Kapelle in Lederbach, die im Kriege zerstört wurde. Eindrucksvoll sind die künstlerisch einmaligen Buntglasfenster sowie die architektonisch imponierende Empore.

Das Kreuzwäldchen mit seinen wunderbaren Anlagen ist eine Stätte der Erholung und Besinnung zu jeder Jahreszeit. Immer wieder zieht es Menschen in Not und Sorge zu dieser Gnadenstätte hin und die Lichter der Kerzen brennen fast Tag und Nacht. Wer Hilfe sucht, hier kann er sie finden. Auch mir wurde hier in auswegloser Situation geholfen, als mein Sohn Gilbert 1971 unheilbar an Gehirnhautentzündung erkrankt war. In der Abenddämmerung pilgerten meine Frau und ich zum Gnadenort und beteten um Heilung. Als wir nach Hause kamen und ins Krankenhaus anriefen, teilte man uns mit, daß unser Sohn genesen würde, was auch ohne Komplikationen geschah. Möge Gott uns diese schönen Anlagen erhalten und wir Menschen das unschätzbare Heimatgut in Ehren halten und sorglich pflegen, damit noch viele Generationen hier Ruhe und Besinnung finden.