400 Jahre

evangelische Christen in Remagen

Hermann Josef Fuchs

Als Martin Luther 1517 seine Reformideen an die Wittenberger Schloßkirche anbrachte, ahnte im »schwarzen Rheinland« niemand, daß aus seinen Thesen eine neue Religionsgemeinschaft entstehen würde. Luthers Reformgedanken verbreiteten sich schnell und schon bald nach der Reformation entstand in Oberwinter eine protestantische Gemeinde. Sie zählt heute mit zu den ältesten evangelischen Gemeinden am Rhein, Man schrieb das Jahr 1565.

Zwanzig Jahre später, im Jahre 1585, gibt das Synodalbuch der pichen Provinzgemeinde den ersten Nachweis auf die Existenz von evangelischen Christen in Remagen. Das ist heute 400 Jahre her. Die evangelische Kirchengemeinde Remagen feiert Jubiläum. Vermerkt ist 1585 im Synodalbuch der Provinzgemeinde, daß die Brüder aus Remagen bedrängt werden, ohne Aufschub die Stadt zu verlassen. Die junge evangelische Gemeinde Remagen wurde in den ersten Jahren von ihrer Muttergemeinde Oberwinter mit betreut. In seiner Schriftreihe »Zur Geschichte des Raumes Remagen«, Band eins, befaßt sich Klaus Flink eingehend mit der Entstehung der beiden evangelischen Kirchengemeinden in Oberwinter und Remagen. Fink zitiert dabei die vom katholischen Pfarrer Schug im Jahre 1952 verfaßte Geschichte des »Ahrgau-Dekanates«, in der es unter anderem heißt: »Das Eindringen des Protestantismus, das zuerst in Oberwinter zu beobachten ist, geht auf den Überwinterer Ortsherrn Lutter Quad von Landskron und seine reformierte Gattin Sophia von Palandt als getreue Helfer des abtrünnigen Landesherrn, des Grafen Friedrich von der Pfalz, zurück. Getreu dem Grundsatz: Cuis est regio, illius est religio, daß in jedem Lande die Religion des Landesherrn die alleinherrschende sei, begann der Herr von Landskron auf Befehl Friedrich IM gegen 1559 die Reformation in Birgel und Oberwinter einzuführen.« Klaus Flink stellt zu den Ausführungen von Pfarrer Schug fest, daß die erwähnte Anweisung des Pfalzgrafen erst Ende Juni 1565 an Lutter Quad ergangen ist und ferner, daß man diesen Vorgang auch aus anderen sachlichen Gründen von katholischer Seite heute so nicht mehr darstellen kann. Es trifft zwar zu, daß am nördlichen Mittelrhein hauptsächlich die protestantisch gesinnten Verwaltungsbeamten, insbesondere die adligen Amtsmänner, im Falle Oberwinter der Ortsherr Lutter Quad, die Interessen der Protestanten tatkräftig unterstützten und ihnen vielfach sogar zu Siegen verholten haben. In Oberwinter kommt noch ein anderes, bisher weitgehend unbeachtet gebliebenes Moment hinzu. Gemeint, so Klaus Flink, ist die Reaktion der katholischen kirchlichen Obrigkeit, des Bonner Propstes Gropper in seiner Eigenschaft als Kolationsherr der Kirche in Oberwinter.

Lutter Quad, der in einem 1565 geschriebenen Brief bekennt, daß er sich der Augsburgischen Confession ergeben habe, hat nämlich den Bonner Propst im Juli 1565 um seine Einwilligung zur Anstellung des Predigers Jakob Po-stel gebeten, mit dessen Auslegung der Heiligen Schrift die Einwohner von Oberwinter sehr zufrieden seien. Aus dem Brief an Gropper geht aber auch hervor, daß die Überwinterer in der »gefehrlichen Zeit des Sterbens«, gemeint ist die Pest, »lange Zeit ohne Seelsorger und gar trostlos gelassen worden seien, darüber dann etliche Einwohner ohne Kirchen recht gestorben seien«. Der Bonner Propst war also offensichtlich seiner pastoralen Verpflichtung als Patronatsherr in Oberwinter nicht genügend nachgekommen. Eine Reaktion Groppers ist erst aus dem Jahre 1572 bekannt, als die ihm aus Oberwinter zustehenden Einnahmen ausblieben, weil sie inzwischen für den Unterhalt des reformierten Predigers verwandt worden waren. Berücksichtigt man auch diese Aussagen der überlieferten Quellen, so erscheint die Vermutung berechtigt, daß der Bonner Propst dadurch, daß er seine Aufsichts- und Seelsorgepflicht als Patronatsherr in Oberwinter Ende der fünfziger Jahre offensichtlich nur unzureichend erfüllt hat, eine nicht unwesentliche Voraussetzung für das Eindringen des Protestantismus in Oberwinter geschaffen hat. Die Anfangsentwicklung des Protestantismus in Remagen läßt sich nicht so gut rekonstruieren wie in Oberwinter. Die ältesten überlieferten Aktenstücke stammten aus den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts und enthalten vornehmlich notariell aufgenommene Zeugenaussagen Remagener Bürger beider Konfessionen über die Religionsverhältnisse im Jahre 1624. Nach diesen Zeugenaussagen konnten ab 1609 die der reformierten Religion zugetanen Remagener Bürger dank der tatkräftigen Förderung durch den Amtmann von Merode ihren Gottesdienst im städtischen Rathaus öffentlich und ungehindert abhalten. Unterricht wurde in Privathäusern erteilt, und die Toten konnten ohne jede Störung auf dem katholischen Friedhof bestattet werden. Das änderte sich, als im Verlauf des jülich-klevischen Erbfolgekrieges Remagen 1614 eine spanische Besatzung erhielt. Die Kirchenchronik weiß zu berichten, daß der von 1611 bis 1616 in Remagen tätige Pfarrer und Prediger Thomas Dorn vertrieben wurde. An seine Stelle traten Wanderprediger, die in Privathäusern predigten und tauften. Die reformierte Gemeinde Remagen hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Daß die Verfolgungen aber nicht allzu hart gewesen sein können, wird daraus ersichtlich, daß reformierte Bürger in Remagen zu dieser Zeit öffentliche Ämter als Bürgermeister, Schöffen und Stadtschreiber bekleideten. Dieser Zustand der Duldung währte bis etwa 1660. Dann spitzte sich die Situation zu. Der erste Ausweisungsbefehl gegen einen reformierten Remagener Bürger erging am 19. Mai 1661. Am 9. Juli des gleichen Jahres folgte eine generelle Ausweisungsanordnung durch den Kurfürsten Wilhelm von der Pfalz, als Herr von Julien, die alle Reformierten betraf, die in Remagen geboren und zugezogen waren. In Remagen waren das 17 Familien von insgesamt rund 150 Haushaltungen. Einige Gemeindemitglieder konvertierten, andere hatten Erfolg mit einem Gnadengesuch, den übrigen wurde auferlegt, ihre Sachen zu pak-ken und binnen acht Tagen die Stadt zu verlassen. Der ganzen Aktion scheint aber in bezug auf den Fortbestand der Gemeinde kein dauerhafter Erfolg beschieden gewesen zu sein, wie die 1666 aufgenommenen Zeugenaussagen zeigen. Durch den Religionsvergleich vom 26. April 1672 erhielt die Remagener reformierte Gemeinde das hart umkämpfte »exercitium religionis«.

Mit Zuversicht blickte die Remagener Gemeinde von nun an in die Zukunft. Der 17. November 1684 war für sie ein besonderer Tag. An diesem Tage erwarb die Gemeinde für 600 Taler, die aus einer Kollekte stammten, das an der Hauptstraße gelegene sogenannte »Steinen Haus«. Der Kaufvertrag wurde mit J. Frick, Frau und Schwägerin geschlosen. Der Kaufvertrag, auf Pergament geschrieben, hat die Jahrhunderte überdauert und befindet sich als wertvolles Dokument im Besitz der evangelischen Gemeinde. Das »Steinen Haus» stand auf dem Grundstück der früheren Mädchenschule in der Marktstraße. Die Mädchenschule wurde 1981 abgerissen. Heute befindet sich ein Supermarkt an dieser Stelle. 1685 erwarb die Gemeinde für den am Ort amtierenden evangelischen Schulleiter ein Haus in der Ackermannsgasse (Haus Kochems), das durch ein Grundstück mit dem »Steinen Haus« verbunden war.

Das 1684 von der evangelischen Gemeinde Remagen erworbene »Steinen Haus«

Als das »Steinen Haus« angekauft war, war die Kirchengemeinde noch ohne Pfarrer. Eigene Pfarrer hatte die Gemeinde von 1609 bis 1617 und dann endgültig von 1700 an. Hieraus ist zu schließen, daß die Remagener Gemeinde vor 1700 eine Filiale von Oberwinter war. Die Liste der Pfarrherrn wird von dem aus Oberwinter kommenden Pfarrer Colerus angeführt. Pfarrer Colerus war es auch, der am 28. Februar 1701 den Überwinterer Ortsherrn Lutter Quad von Landskron um Überlassung einer kleinen Glocke für die arme Remagener Gemeinde bat. Zu den wertvollen Urkunden, die über alle Kriege hinweg gerettet werden konnten, gehört auch die Unionsurkunde, die das Datum vom 7. November 1847 trägt. Damit hatten sich die evangelischen Christen der von König Friedrich Wilhelm IV im Jahre 1847 angeregten Vereinigung von Lutheranern und Reformierten angeschlossen. Als 1823 König Friedrich Wilhelm III, der öfter Gast auf dem Gut »Apollinarisberg« war, von Koblenz kommend bei der Posthalterei Remagen die ermüdeten Pferde wechselte, nahm der damalige Pfarrer Gottlieb die Gelegenheit war, Seine Majestät wegen einer Unterstützung für einen Kirchenbau anzusprechen. Die Entwicklung der evangelischen Gemeinde machte gute Fortschritte. Zählte man im Jahre 1783 noch 107 Gemeindemitglieder, waren es im Jahre 1816 bereits schon 296 eingeschriebene Gemeindemitglieder. Mit dieser Entwicklung kam erstmals der Bau der heutigen Friedenskirche ins Gespräch. In der Amtszeit von Pfarrer Renkhoff, 1855 bis 1862, kamen die Verhandlungen für den Kirchenbau in Gang. Bürgermeister Beinhauer forderte am 7. September 1857 Pfarrer Renkhoff auf, eine Kostenübersicht vorzulegen, damit hierüber in der nächsten Stadtverordnetenversammlung beraten werden könne. Am 18. Juli 1871 wurde der Grundstein für den Kirchbau in Anwesenheit des damaligen Landrates von Groote, sowie der Bürgermeister und Pfarrer der Nachbargemeinden gelegt. Der Grundsteinlegung gingen langwierige Verhandlungen voraus. Festgehalten ist, daß am 6. Februar 1869 zwischen der Stadtverordnetenversammlung in Remagen und Sinzig und den Vertretern der evangelischen Kirchengemeinden die Übereinkunft erzielt wurde, eine neue Kirche zu bauen und das »Steinen Haus« der Stadt Remagen zu überlassen. Die feierliche Einsegnung des Kirchenneubaues fand am 18. Juni 1872 statt durch den Pfarrer Springmann. Er stiftete auch die Kirchenfenster. Die Glocken waren aus zehn Zentner Bronze von Beutekanonen aus dem Krieg 1870/71 gegossen worden. Das Erz wurde auf Antrag des Presbyteriums der Gemeinde kostenlos überlassen. Da zu dieser Zeit Frieden im deutsch-französischen Krieg geschlossen war, erhielt die neue Kirche den Namen »Friedenskirche«. Pfarrer Springmann hatte seine Pfarrerwohnung im Hause des Buchdruckers Carl Dreesbach in der Hauptstraße. 1884 wurde unter Pfarrer Worthmann, einem Sohn des Düsseldorfer Bürgermeisters, das Pfarrhaus im Kirchgarten für 1 500 Taler erbaut. Die Stadt Remagen finanzierte den Neubau. 1917 trifft die Gemeinde ein schwerer Schlag, als die Aufforderung zur Herausgabe der Kirchenglocken für Kriegszwecke erfolgte. Nur eine Glocke blieb der Gemeinde erhalten. 1922 veranstalten die katholische und evangelische Gemeinde gemeinsam einen Basar. Der Erlös war für die Anschaffung neuer Glocken bestimmt.

In der Amtszeit von Pfarrer Nasse kaufte die Gemeinde am 1. April 1931 für 18000 Mark von der Stadt Remagen das frühere »Central-Hotel« an der Ecke Marktstraße/Fährgasse und ließ es zum heutigen Gemeindehaus umbauen, in dem auch die Gemeindebücherei und der Dritte-Welt-Laden untergebracht sind. Vom Zweiten Weltkrieg blieben die Einrichtungen der evangelischen Gemeinde nicht verschont. Am 28. Dezember 1944 wird bei einem Luftangriff auf Remagen die Friedenskirche, das Pfarrhaus und das Gemeindehaus schwer beschädigt. Die Kirche ist nicht mehr benutzbar. In edler Toleranz gewährt das St.-Anna-Kloster der evangelischen Gemeinde eine Bleibe. Am 13. Mai 1945 findet wieder ein Gottesdienst in der immer noch stark beschädigten Friedenskirche statt. Am 26. Mai 1946 wird Pfarrer Wahlefeld eingeführt. 1950 folgt Pfarrer Walter Hentze. Von 1930 bis Anfang der fünfziger Jahre hat sich die Anzahl der Gemeindemitglieder mehr als verdoppelt. 1953 zählte man 1 700 Gläubige, davon sind 800 in Remagen und 600 in Sinzig beheimatet. Der Rest entfällt auf die Gemeinden in Kripp, Bad Bodendorf, Westum, Löhndorf und Franken. Am 6. Januar 1968 wird Pfarrer Wolfgang Rehbein Gemeindepfarrer von Remagen.

Die evangelische Friedenskirche in Remagen, 1871/72 erbaut und nach Kriegszerstörungen 1944 wieder hergestellt 
Fotos: Kreisbildstelle

Zur Feier des einhundertjährigen Bestehens der Friedenskirche im Dezember 1971 erstrahlt das Kircheninnere in neuem Glanz. Für die Renovierung fielen Kosten in Höhe von 152000.- DM an. Seit August 1979 ist Udo Grub Pfarrer der Remagener Gemeinde. 1974 wurde in Sinzig die zweite Pfarrstelle eingerichtet und im Jahre 1975 mit Pfarrer Paul Schnapp besetzt. Er wird 1976 erster Sinziger Pfarrer. 1978 wird dann eine dritte Stelle für den Schulpfarrer in Sinzig eingerichtet. Pfarrerin Erdmute Wittmann betreut diese Stelle. Sie wird auch Nachfolger von Pfarrer Schnapp, als dieser 1983 Sinzig verläßt. Acht Monate dauerten 1980/81 die Außenrenovierungsarbeiten an der Friedenskirche. Die umfangreichen Sanierungsarbeiten am Mauerwerk der Kirche erforderten Kosten von 400 000.- DM.

Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts zeichnete sich in Sinzig ab, daß sich die evangelischen Christen mehr und mehr zu einer eigenständigen Gemeinde formierten. Seit 1906 wird alle 14 Tage in Sinzig ein Gottesdienst in der »Präparandenanstalt« (frühere Ausbildungsstätte für Lehrer) gehalten. Seit 1917 ist Sinzig auch im Presbyterium vertreten. 1922 wird in Sinzig in der Barbarossastraße ein Betsaal eingeweiht. 1952 wird die evangelische Kirche in Sinzig eingeweiht. Sie erhält den Namen »Adventskirche«. Am 3. Advent 1965 wird die Kripper Kirche eingeweiht. Das Kripper Gemeindezentrum erhält den Namen Martin-Luther-Haus.

Schwerpunkte der heutigen Gemeindearbeit sind die Patenschaft mit der Kirchengemeinde Gehren in der DDR und die seit 1981 bestehende Partnerschaft mit der französischen Gemeinde Maisons-Laffitte Houilles. Pfarrer Grub will mit diesen Kontakten unterstreichen, daß die Remagener Gemeinde weltoffen im christlichen Gedanken ist. Mit dem Dritte-Welt-Laden will die Gemeinde beweisen, daß die Hilfe für die Entwicklungsländer ein für sie wichtiges Anliegen ist.