Goldener Glanz auf Trompeten und Hörnern

50 Jahre Posaunenchor der Ev. Gemeinde Bad Neuenahr 

Hans Warnecke

Als im Juni des Jahres 1985 der Posaunenchor der Ev. Kirchengemeinde Bad Neuenahr in einer vielbeachteten Festwoche sein 50. Jubiläum beging, da hätte dieses Ereignis eigentlich nicht mehr beachtet werden sollen, als so viele andere Vereinsjubiläen in Stadt und Land. Weil aber der Blick zurück an den Anfang dieses Posaunenchores in das Jahr 1935 führt, also in eine Zeit, in der die Ideologie der Nationalsozialisten kirchliches Vereinsleben systematisch auszuschalten versuchte, ist die Frage erlaubt und sogar geboten, wieso ausgerechnet in der Kleinstadt Ahrweiler damals die Gründung dieses Posaunenchores ohne Schwierigkeiten möglich war. So muß gefragt werden, wenn man sich daran erinnert, daß bereits im Jahre 1935 über 700 evangelische Pfarrer verhaftet worden waren, weil sie eine Kanzelabkündigung der bekennenden Kirche gegen die Ideologie der Nationalsozialisten und ihre Abgötterei vorgelesen hatten. Kirchliche Jugendarbeit war schon seit einem Jahr fast unmöglich geworden, seit das Ev. Jugendwerk geschlossen in die Hitlerjugend überführt worden war. Längst wurde offen gegen alles »Nichtarische« Propaganda getrieben. Die im Jahre 1935 verabschiedeten Nürnberger Gesetze zum Schütze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre bildeten sozusagen den Auftakt zur Endlösung der Judenfrage in Auschwitz und Theresienstadt. In diesem Jahr also wird der Posaunenchor gegründet.

Die Antwort auf die Frage, wieso das ohne Behinderung hat geschehen können, wird wie so oft in der Geschichte nur gefunden werden können, wenn man sich an die Menschen erinnert, die sich von bestehenden Schwierigkeiten nicht beeindrucken ließen und ein bestimmtes Ziel vor Augen hatten.

Ein solcher Mann war der Gründer des Posaunenchores, der Steuerobersekretär Paul Götze aus Ahrweiler. Er war 1934 an das Finanzamt in Ahrweiler versetzt worden. In dieser rheinischen Diaspora-Gemeinde fand er wohl einen Kirchenchor, nicht aber die von ihm so geliebte kirchliche Bläsermusik.

Seit seiner Jugend in Kassel hatte er diese Form der Kirchenmusik kennen und schätzen gelernt. Er wagte es, Gemeindeglieder um Geld zu bitten, um so die ersten beiden Instrumente zu kaufen. Und sein Wagemut wurde nicht enttäuscht: Die erforderliche Summe wurde gesammelt und Herrn Götze übergeben. Das Gründungsmitglied Paul Langner erinnert sich:

»Unsere erste Übungsstunde fand am 18. Mai 1935 im Beisein des Kirchmeisters, Herrn Krämer und des Vorsitzenden des Kirchenchores, Herrn Gustav Knoll statt. Die bestellten zwei Instrumente waren eingetroffen und lagen blitzend und blinkend umrahmt von blühenden Frühlingsblumen auf dem Tisch im Gemeindehaus. Durch Handschlag verpflichteten sich die Gründer des Chores, getreu allen Anforderungen gerecht zu werden und immer dem Motto des Chores zu folgen: »Die Sach' ist dein Herr Jesu Christ, die Sach' an der wir stehen.« Neben den beiden genannten Bläsern kamen noch dazu Rudolph Wenke, Heinz Weisel, Hermann Bahne, Johann Schunk und August Langner. Natürlich blies man nicht direkt vom Blatt und fehlerfrei. Wöchentlich wurde gemeinsam geübt und auch zu Hause packte jeder sein Instrument aus, um sich weiter zu vervollkommnen. Nicht nur weitere Instrumente mußten beschafft werden, sondern auch das Notenmaterial. Dabei fiel die Auswahl nicht schwer, denn es war selbstverständlich, daß der neugegründete kleine Posaunenchor die von Pastor Johannes Kuhlo herausgegebenen Posaunenbücher bestellte. Damit trat dieser Chor in eine kirchenmusikalische Tradition ein, die bis heute ihre Auswirkungen hat. Ein kirchenmusikalischer Kenner schreibt über dieses Posaunenbuch: »Diese Sammlung diente gleicherweise den Bläser- und Sängerchören, dem gottesdienstlichen, schulischen und häuslichen musizieren, dem Orgelspiel und der musikalischen Fachausbildung, sie diente erbaulichen, kirchlichen, brauchtumsmäßigen, geselligen, vaterländischen Zwecken«. Dieser, das kirchenmusikalische Wirken seiner Zeit so prägende Johannes Kuhlo, der von alt und jung bis an sein Lebensende im Jahre 1941 der »Posaunengeneral« genannt wurde, war auch für den jungen Posaunenchor in Ahrweiler eine wegweisende Gestalt. Für Paul Götze war es selbstverständlich, daß er 1935 mit der Eisenbahn nach Remagen fuhr, um dort in der Ev. Gemeinde Pastor Johannes Kuhlo zu erleben, der einen Vortrag hielt über die Volksmission der Posaunenchöre. Die Musik des Posaunenchors, so war es Kuhlo's Motto, dient dem Gemeindeaufbau. In einem Brief vom Oktober 1935 formuliert Paul Götze diese Absicht folgendermaßen:

»Unser evangelisches Lied muß viel machtvoller als seither geschehen auf offenem Markte, von den Türmen und an Gräbern weckend und tröstend erschallen. Unsere Kirchenmusik ist von ganz außerordentlicher Bedeutung. Hier hat das Leben und Bekenntnis der Kirche einen Anlaß, eindringlich tausende von Herzen und Häuser zu berühren, die sonst vielleicht von heiligen Dingen nicht berührt werden. Hier soll die Macht, deren sie über die Herzen zu Segen und Frieden mächtig ist, sich erinnern und bedienen.«

Von Anfang an mußte sich der Posaunenchor mit der Frage beschäftigen, warum er ausschließlich und vorrangig bei kirchlichen Veranstaltungen auftrete. Noch einmal sei Paul Langner zitiert:

»Wo es auch immer war, wir waren darauf bedacht, daß unser Musizieren zur Ehre Gottes geschah. Darum war es auch selbstverständlich, daß der Choral das Kernstück unserer Arbeit blieb. Oft hat man gefragt, weshalb wir uns so wenig anderen musikalischen Aufgaben zuwendeten. Wir haben abgewehrt und darauf verwiesen, daß wir als Posaunenchor eindeutig ausgerichtet seien, des Herrn Lob zu verkünden. Dennoch waren wir aber niemals so engherzig zu meinen, daß wir zur Ehre Gottes nur bei streng kirchlichen Veranstaltungen musizieren könnten. Gerne haben wir die Hochbetagten an ihren Geburtstagen und Ehejubiläen erfreut und durch den Klang unserer Instrumente Gottes Güte und Freundlichkeit mit einem Ständchen vor ihren Häusern bezeugt. Bei allem blieb es uns immer bewußt, daß es nicht unsere Aufgabe sei, Menschen irgendwie musikalisch zu unterhalten, sondern daß unser Spiel zu jeder Zeit und an jedem Ort die Tatsache zu bezeugen hatte: »Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit!«

Diese eindeutige Haltung mag heute als die private Meinung einiger weniger toleriert werden; damals war sie ein Bekenntnis, das sich von der erwarteten Gleichschaltung der Nationalsozialisten radikal abhob. Und nicht nur damals ist diese Eindeutigkeit für den Posaunenchor der Ev. Kirchengemeinde Bad Neuenahr bestimmend gewesen. Denn bis heute verstehen sich die 22 aktiven Mitglieder und ihrem derzeitigen Leiter Peter Besser als eine Gemeindegruppe, die mit ihren Instrumenten der Gemeinde zum Lob Gottes verhelfen will. Die fünf Jahrzehnte des Posaunenchores haben bis heute nicht nur zu einer neuen Bläsergeneration geführt, sondern auch eine neue Art des Blasens wachsen lassen. Während die Gründungszeit noch ganz geprägt war vom romantischen Klang des 19. Jahrhundert und Pastor Kuhlo streng darauf achtete, daß das Flügelhorn mit seinem weichen Klang dem Chor sein Gepräge gab, hat sich heute der schnörkellose Klang der vorromantischen Zeit durchgesetzt. Für die Gründer des Posaunenchores war es noch selbstverständlich, daß nur Bläser männlichen Geschlechts im Chor mitwirken. Auch das ist Vergangenheit! Jungen und Mädchen, Männer und Frauen üben gemeinsam und gestalten ihre Aufführungen. So wie seit dem Jahre 1935 der neugegründete Posaunenchor den Kontakt zu den Nachbarchören in Oberwinter, Koblenz und Vallendar pflegte, so ist auch heute der Posaunenchor der Gemeinde eingebunden in die kirchenmusikalische Arbeit der Region Koblenz und der ganzen Landeskirche. Von den Gründungsmitgliedern weilen die meisten nicht mehr unter den Lebenden, aber die von ihnen aufgenommene Absicht ist durch die schlimme Zeit des Nationalsozialismus und durch den Krieg hindurchgetragen worden, nämlich mit Trompeten, Hörnern und Posaunen Gott zu loben. Gerade deshalb soll diese Form der Traditionspflege offen genannt werden.