Et Backes

Vom dörflichen Backen in früherer Zeit 

Werner Keller

Die Eifel galt als der ärmste Landstrich des Staates Preußen. Wen wundert es, daß bis Anfang der 50er Jahre unseres Jahrhunderts die bäuerliche Bevölkerung dieses ärmsten Landstrichs soweit wie möglich Selbstversorger waren. Eine Tatsache, die während der beiden Weltkriege und den nachfolgenden Hungerjahren dazu geführt hatte, daß ganze Pilgerscharen hungernder Städter in die Eifel reisten um sich bei Selbstversorgern zusätzliche Nahrung zu besorgen. Begehrt waren Rübenkraut (Zuckerrübensirup), hausgemachte Wurst, Fett und Fleisch aus der Hausschlachtung. An der Spitze aber stand das schmackhafte gute und kräftige Bauernbrot. Der Christ betet »unser tägliches Brot gib uns heute«, in der Not und bei Hunger ein Flehen zu Gott.

Örtlich verschieden gab es in den Dörfern private Backöfen, die im Eigentum von mehreren oder auch einem Besitzer waren, und das öffentliche Backhaus, das im Eigentum der Gemeinde stand.

In Bengen muß es bereits Mitte 1750 ein Gemeindebackhaus gegeben haben; denn bis zur Einführung der Schulpflicht im Rheinland, das bekanntlich bei der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongreß im Jahre 1815 zu Preußen kam, hat ein Handwerker, der als Wandergeselle schreiben, lesen, rechnen gelernt hatte, seine Kenntnisse an die Kinder im Backhaus weiter gegeben. Der Lehrraum habe über dem Backofen gelegen, damit im Winter nicht zusätzliche Heizung notwendig wurde. Dieses alte Backhaus ist Ende des vergangenen Jahrhunderts durch einen einstöckigen Ziegelneubau ersetzt worden. Der Backofen mußte bereits im Jahre 1926 erneuert werden. Im Backes waren zwei Räume. Der Eingang war gleichzeitig Vorraum vor dem Backofen und groß genug um die Tätigkeit des Backens ausüben zu können. Die große und breite Holztür am Eingang war zweigeteilt, wie es bei Stalltüren üblich ist.

Unter dem Backofen war eine Grube, in die mit dem Krätzer und dem »Wösch«, der aus Haferstroh geflochten war und sehr nass sein mußte, die Holzkohlen aus dem Backofen gefegt wurden. »An der Schull« war eine Gemeindewasserpumpe, die Jedermann zugänglich war. Hier wurde der Wösch getränkt und nach getaner Arbeit auch wieder gesäubert. Kohleschaufel und ein Kessel aus Metall, in den im Winter die Holzkohlen gekehrt wurden, standen ebenfalls im Vorraum in der Nähe des Backofens. Hier hielten sich auch im Winter und abends stets Männer auf, angefangen von den Junggesellen ab 19 Jahre, um sich zu unterhalten und kostenlose Geselligkeit zu pflegen. »Dat Backes« stand nicht nur in der Mitte des Dorfes, es war neben der Kirche der Mittelpunkt im Dorf. Im Dorfzentrum gelegen und wegen seiner Bedeutung und Nutzung an den Wochentagen, konnte man dort immer Leute antreffen. Hatte der Ortsbürgermeister während der Woche eine unaufschiebbare Bekanntmachung für die Bürgerschaft, ging der Gemeindediener mit der Schelle durch das Dorf und rief: »An et Backes kunn«.

Ging man aus dem Backes drei Schritte auf die Straße, konnte man das Zifferblatt der Kirchenuhr sehen, wichtig um die richtige Backzeit für das Garen zu beachten. Die Backordnung, aus der Überlieferung von der Gemeinde übernommen, war nach dem Anstaltsrecht geregelt. Sonntags nach dem Hochamt folgten zuerst zwischen Kirche und Backhaus die öffentlichen Bekanntmachungen durch den Ortsbürgermeister. Danach wurden bei einem von der Gemeinde Beauftragten die Backnummern gezogen. Es gab zwei Arten von Backnummern: »rote gedruckte Nummern«, nur für das Backen von Kuchen, Stollen, Weißbrötchen usw. von Donnerstag bis Samstag vor Fest- und Feiertagen; »schwarze Nummern« für das Backen von Schwarzbrot und Platz von montags an. Wie kam man aber zum Backen? In der in Rede stehenden Zeit gab es noch eine echte unverfälschte Dorfgemeinschaft. Das Gemeinschaftsleben blühte, die Menschen hatten noch Zeit für sich und für andere. Die Nachbarschaftshilfe, getreu der christlichen Verpflichtung »einer trage des anderen Last« war die Praxis. Die Leute waren, nach heutigen Maßstäben beurteilt, arm, aber zufrieden. Das Prinzip, soweit wie möglich Eigenversorgung, führte zur Bildung von Interessengemeinschaften in der Nachbarschaft und unter Verwandten. Besondere Fähigkeiten des Einzelnen kamen so einem breiten Personenkreis zu Gute, so z. B. das Dengeln von Sensen und Sicheln. Auch zum Backen schlössen sich Familien unterschiedlicher Größenordnung zusammen; denn je öfter man backen konnte, je weniger Altbackwaren hatte man. Überaltertes Brot oder Platz, ebenso Kuchen, vor allem die beschriebenen Obstkuchen, wurden leicht vom Schimmel befallen. Der Grad der Feuchtigkeit oder Kühle der Räume beeinflußte die Schimmelbildung sowohl positiv wie negativ. Wer also backen wollte, mußte eine Nummer ziehen oder mit einem Berechtigten, also der eine Nummer gezogen und angeschrieben hatte, zusammen backen. So entstanden für einen Backvorgang Backgemeinschaften. Wer die niedrigste Nummer gezogen hatte, konnte sich ab montags früh bei schwarzen Zahlen, und donnerstags früh bei roten Zahlen, auf der Schiefertafel, die im Backhaus hing, eintragen lassen, wo es ihm paßte. Die nächsthöhere Nummer hatte die Möglichkeit in den noch freien Plätzen eine Zeit ihrer Wahl zu belegen. So ging das weiter, bis die Backzeit ausgebucht war.

Wer eine Nummer gezogen hatte, für die ein Anspruch auf das Anschreiben auf der Tafel mangels Belegzeit nicht mehr bestand, vereinbarte möglichst sonntags schon an Ort und Stelle mit einem Anspruchsberechtigten, das Mitbacken. Wer Backanspruch hatte, konnte das Backhaus zum Beispiel von 10.00 bis 11 Uhr nutzen und benutzen. Eine Viertelstunde war notwendig, um den Ofen auf Backhitze zu bringen und zu reinigen, und Dreiviertelstunde benötigte man zum garen. Die Gardauer war am längsten bei Brot und Platz, am kürzesten bei »Täte«.

Das Schwarzbrot war aus Roggenmehl, der Platz aus gebeuteltem Roggen- und Weizenmehl, je zu 1/2. Im Dorf gab es 6 bis 7 »Deis-sem«, Sauerteig, der stets frisch von Haus zu Haus weiter gegeben wurde. Man ging zum Nachbar, erkundigte sich, in welchem Haus der »Deissem« war und verabredete mit dem Besitzer die rechtzeitige Über- und Weitergabe. Der Backofen hatte ein Fassungsvermögen von 40 - 42 Broten oder Platz, auch Vierpfünder genannt. Das Kuchenbacken vor den Fest-und Feiertagen war vielfältig. Gebacken wurden Streuselkuchen (Streuplatz), Apfel- und Pflaumenkuchen (Appel- und Prummetaat), vereinzelt auch Birnenmuskuchen (Maubech). Apfel-, Pflaumen und Maubechkuchen war meist mit gezackten Teigriemchen schön verziert. Die Teigriemchen wurden ebenso wie die Stollen, genannt »der Weck«, vor dem Einschieben in den geheizten Backofen mit geschlagenem Eiweiß bestrichen. Dadurch waren sie nach dem Backen herzhaft braun. Auch die Ränder des Streuplatz und der »Täte« wurden vor dem Backen mit Eiweiß bestrichen. »Bru-de« (Brot), »Platz onn Koche« (Kuchen) wurden daheim backfortig hergerichtet, obwohl in dem zweiten Raum des Backhauses vier »Mohlen« standen, die aber nur als Sitzplätze von den Männern und Jugendlichen zum »Kla-fen«, auf deutsch Unterhaltung, benutzt wurden. Übrigens hatten Jugendliche unter 19 Jahren nur Zutritt zu dem Backhaus in Begleitung Erwachsener als Helfer beim Backen, z. B. den Wösch nässen. Der Transport der Backwaren vom Haus in das Backhaus und zurück erfolgte mit einer »Böeut« aus Brettern gezimmert, die von zwei Personen zueinander, die linke bzw. rechte Schulter des Partner gegeneinander, getragen wurde. Die Größe der Kuchenbleche, genannt »Plaa-te«, war verschieden. Es gab runde, rechteckige und quadratische »Plaate«, die die Größe der Familie wiederspiegelten; denn bei einer großen Familie mußten auch entsprechend große Kuchen gebacken werden. Der Kuchen wurde daheim in einem kühlen, möglichst dunklen Raum aufbewahrt. Das Brot und der Platz hatten in der Regel ihren Aufenthaltsort im kühlen Keller auf einem Brettergestell, das an der Kellerdecke befestigt, freischwebend im Raum hing, damit keine Mäuse und anderes Ungeziefer an die Backwaren herankommen konnte.

Im Herbst jeden Jahres versteigerte die Gemeinde, die als Dünger begehrte Holzasche. Der Backofen wurde meist mit Eichenschanzen beheizt, weil Eiche angeblich den besten Ge-schmack vermittele und Eichenschanzen sich wegen ihrer Sperrigkeit und Starre, im Gegensatz zu Buchenschanzen, für die Verwendung in der Küche oder Futterküche nicht eigneten.

Die Kosten für den Betrieb des Backhauses (Strom und Unterhaltungsarbeiten), die sehr niedrig waren, trug die Gemeinde. Das System »Betrieb eines Gemeindebackhauses«, zugleich Mittelpunkt des Dorfes und Kommunikationszentrum, wie man heute sagen würde, konnte nur funktionieren in einer

lebendigen, gegenseitig abhängigen Nachbarschaftshilfe, eingebettet in die funktionierende Dorfgemeinschaft. Mit zunehmendem Wohl-Stand sind diese, die Gemeinde und das dörfliche Leben prägenden Eigenschaften langsam unauffällig ausgestorben. Der Wohlstandsbürger, der für sich lebt, braucht kein Backes mehr, denn der Supermarkt, den man mit dem Auto anfahren kann, deckt den Lebensbedarf des modernen Menschen.

Nicht nur das Backhaus mit seinen vielen Funktionen und der langen Tradition ist auf dem Dorf verloren gegangen. Die leeren Dorfstraßen, in denen man selten einen Menschen tagsüber sieht, deuten auch die innere Leere an. Das Leben auf dem Dorf ist eben ärmer geworden trotz materiellem Wohlstand.