Pankratius Sackmann, tapferer Verteidiger der Schweppenburg

Eine Geschichte aus der Zeit der französischen Revolution 

Achim Schmitz

Wenn man vom Rhein aus durch das untere Brohltal fährt, um etwa zum Laacher See zu gelangen, kommt man zwischen Brohl und Burgbrohl, ca. 4 km vom Rhein entfernt, an einem Schloß vorbei: der Schweppenburg. Dieses, für die gesamte Brohltalregion bedeutende Kulturdenkmal, steht auf einer kleinen Anhöhe ganz in der Nähe der B 412. Die Schweppenburg liegt in Niederlützinger Gemarkung und ist auf vielfältige Weise mit dieser Gemeinde verbunden. So waren z. B. die jeweiligen Burgherren auch Kollatoren der Pfarrei »St. Lambertus« Niederlützingen. Das genaue Alter der Schweppenburg läßt sich heute nicht mehr exakt bestimmen. Der erste urkundlich nachweisbare Besitzer war eine Adelsfamilie, die sich »von Schweppenburg« nannte. Deren erster schriftlich zu belegender Vertreter, »Arnold von Schweppenburg«, erhielt die Burg 1377 als kurkölnisches Lehen. Im Verlaufe ihres langen Daseins hat die Burg öfter ihren Besitzer gewechselt. Im 17. Jahrhundert gehörte sie der Familie »von Metter-nich«. Ein Angehöriger dieses Adelsgeschlechts, »Bertram von Metternich«, ließ die Burg um 1638/39 grundlegend umbauen. Die Schweppenburg, die bis dahin das Aussehen einer alten Wehrburg gehabt hatte, wurde in ein Schloß der damaligen Zeit umgewandelt und erhielt ihr heutiges Aussehen. Im Jahre 1716 erwarb der dem Kölner Stadtpatriziat angehörende Kaufmann Adolf von Geyr das gesamte Anwesen. Seitdem ist die Schweppenburg im Besitz der Familie »von Geyr zu Schweppenburg«.

Wie von allen Burgen und Schlössern, so erzählt man sich auch über die Schweppenburg allerlei Geschichten und Legenden, darunter auch folgende, recht heitere Episode aus der Zeit der Besetzung der Rheinlande durch französische Revolutionstruppen: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts stand die Burg verwaist da. Lediglich der schon etwas ältere Hausgeistliche Pankratius Sackmann bewohnte sie. Kaplan Sackmann war eine äußerst eigentümliche Persönlichkeit. Er, ein Mann von ungewöhnlicher Körpergröße, war zeit seines Lebens davon überzeugt, dazu ausersehen zu sein, etwas Außergewöhnliches vollbringen zu müssen. Während seiner Jugend hatte er sich ausgiebig mit den Heldensagen des klassischen Altertums beschäftigt und die Heldentaten eines Odysseus oder Herakles waren zu Leitlinien seines Lebens geworden. Er war davon überzeugt, zu einem eben solchen Heldendasein berufen zu sein. Leider hatte es das Schicksal aber anders mit ihm gewollt, denn statt zum Militär zu gehen und dort ein bedeutender Feldherr zu werden, mußte er auf Wunsch seiner Eltern Theologie studieren und wurde Priester. Immer noch ganz in der Vorstellungswelt antiken Heldentums verhaftet, war er als Hausgeistlicher auf die Schweppenburg gekommen und mit seinem dortigen Leben ganz und gar nicht zufrieden. Ein Mann von so großartigen Fähigkeiten wie er als einfacher Burgkaplan, welch eine Schmach! So lebte er dann Jahr und Tag auf der Burg, immer daran denkend, was für großartige Taten er hätte vollbringen können, hätte es das Schicksal nur etwas besser mit ihm gemeint. Mit der Zeit wurde er etwas sonderbar, er verließ die Schweppenburg nur noch selten und hatte auch nur wenig Kontakt zu den Leuten in der benachbarten Mühle oder zu den Leuten in Niederlützingen.

Die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1794, als die Franzosen die linken Rheinlande besetzten, erweckten die Aufmerksamkeit Sackmanns. Nach der Besetzung kam es häufig vor, daß Franzosen plündernd durch die Eifel zogen. Jetzt endlich sah Pankratius Sackmann die Chance, auf die er sein ganzes Leben gewartet hatte, gekommen: er würde die Schweppenburg, die seiner Meinung nach von ungeheurer strategischer Bedeutung für die Franzosen sein mußte, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen und so der Welt seine wahre Größe zeigen. Einen solchen Augenblick hatte er sich immer erhofft und so ging er unverzüglich daran, die Schweppenburg verteidigungsfähig zu machen. Das war allerdings leichter gesagt als getan, denn außer ein paar Gewehren aus dem Waffenschrank des Schloßherrn hatte er nichts, womit er den Feind aufhalten konnte. Doch sein Optimismus sank nicht, dachte er doch immer daran, daß die Helden der Antike ihre Heldentaten mit weitaus weniger Mitteln vollbracht hatten. Im Schloßhof lag ein Haufen Pflastersteine, mit denen der Hofraum befestigt werden sollte. Diese Steine schienen ihm gut zur Verteidigung geeignet und daher transportierte er sie alle ins Innere des Gebäudes. Er würde die Steine als Wurfgeschosse benutzen und damit dem Feind Paroli bieten, dachte Sackmann. Danach vergewisserte er sich, daß genug Proviant vorhanden war, um einer eventuellen Belagerung standzuhalten. Schließlich fand er in einer Kammer unter dem Dach eine alte, teilweise schon verrostete Ritterrüstung. Diese säuberte er und zog sie an. Zum Schluß verriegelte er noch alle Fenster und Türen und wartete dann geduldig auf den Feind. Ein paar Tage später erschien eine kleine Gruppe französischer Soldaten in der Nähe der Schweppenburg. Sie machten aber keinerlei Anstalten, sie zu plündern. Pankratius Sackmann glaubte allerdings, in dem Verhalten der Franzosen ein Täuschungsmanöver zu sehen und ging seinerseits zum Angriff über. Mit Gewehrschüssen und Steinwürfen empfing er die vermeintlichen Eindringlinge. Diese waren völlig verdutzt und wichen zurück. Einige Stunden später aber kamen sie mit Verstärkung wieder.

Mit ihren Gewehrkolben versuchten sie, die Schloßtür aufzubrechen. Sackmann aber war entschlossen, das mit allen Mitteln zu verhindern. Er schoß auf die Angreifer und bewarf sie mit Pflastersteinen. Die Franzosen zogen sich abermals in eine sichere Deckung zurück. Um seine Gegner zu täuschen, hatte sich Sackmann eine Menge Kleider bereit gelegt. Diese zog er nun nacheinander an. Er wollte damit den Eindruck erwecken, als seien eine Menge Leute im Innern des Gebäudes. So erschien er mal als Burgherr, mal als Knecht, mal als Geistlicher und auch mal als Burgfräulein oder als Magd am Fenster. Die Franzosen hatten allerdings sehr schnell erkannt, daß es sich bei den Gestalten am Fenster immer um ein und dieselbe Person handelte. Sie machten das Spielchen aber mit und amüsierten sich über die Verkleidungskünste Sackmanns. Zwischendurch unternahmen sie einige Scheinangriffe und verleiteten den tapferen Burgkaplan dazu, seinen ganzen Vorrat an Steinen aufzubrauchen. Dann umzingelten sie die Burg und erstürmten sie aufs Neue. Sie drangen ins Innere des Gebäudes ein und nahmen den sich mit aller Gewalt wehrenden Priester gefangen. Sofort brachten sie ihn nach Burgbrohl und von dort aus nach Koblenz zum kommandierenden General. Dieser wollte ihn kurzerhand erschießen lassen, fragte ihn aber nach dem Grund seines Verhaltens. Sackmann, noch immer mit der alten Rüstung bekleidet, entgegnete in geradezu stoischer Ruhe: »Mon general, un bon commandant defend sä forteresse!« (Ein guter Kommandant verteidigt seine Festung!) Der General war über diese Antwort sichtlich erstaunt, bemerkte jedoch, was für ein sonderbarer Mensch da vor ihm saß. Er begann zu lachen und begnadigte Sackmann. Bevor er ihn aber freiließ, verurteilte er den Priester dazu, zur Strafe für seine Tat, ein paarmal um den Freiheitsbaum herum zu tanzen. Nachdem Sackmann das hinter sich gebracht hatte, kehrte er, trotz der blamablen Bestrafung daran glaubend, daß er endlich eine Heldentat vollbracht habe, unverzüglich auf die Schweppenburg zurück. Diese schützte er nun noch eifriger als zuvor. Sogar dem Schloßherrn selbst verwehrte er ab und an den Einlaß.