Auswanderer nach Bosnien und ihr Schicksal

Heinrich Schäfer

Kann die landwirtschaftlich nutzbare Fläche die Bewohner der Eifel ernähren? Dies ist heute keine Frage mehr. - Eher: Was geschieht mit dem Land, das ungenutzt liegen bleibt? Was wird aus den ehemaligen Bauern? Die erste Frage haben im vorigen Jahrhundert viele Menschen so beantwortet: Der Eifelboden ist karg, unsere Kinder sind zahlreich, wir wandern aus. Wir ziehen nach Amerika.

Es gab damals auch schon Menschen, die davor warnten, auszuwandern. Zu ihnen gehört der aus Virneburg stammende Peter Kaufmann, Professor an der Bonner Universität. Er gründet 1832 den »Eifel-Verein zur Verbesserung der Landwirtschaft in der Eifel«. In einer Werbeschrift sagt er: »Erwägt man, wieviele Kräfte unbenutzt in der Eifel schlummern, daß namentlich gegen dreimal hunderttausend Morgen öde Ländereien unangebaut... daliegen, deren Kultur sehr wohl lohnen würde . . .« Und: »In der Eifel ist das Land wohlfeiler als in Nordamerika, denn in letzterem kostet der Morgen 2 bis 3 Dollar (3 bis 4 Thaler) in der Eifel unweit Prüm einen Thaler. Dabei ist der Boden der Eifel nicht schlecht..."

Kaufmann hat in der Folge viel getan, um die Landwirtschaft zu fördern, aber die Auswanderung konnte er nicht aufhalten. Und natürlich war die Lage der Landwirte schlecht!

Gegen Ende des Jahrhunderts kam noch ein besonderer Grund hinzu, Deutschland zu verlassen, ein religiöser. Reichskanzler Bismarck brachte die katholische Bevölkerung in eine bedrängte Lage (Kulturkampf). Und so ist die Auswanderungswelle, von der hier die Rede sein wird, religiös bedingt. Es sind katholische Menschen aus dem oldenburger Münsterland, aus Schlesien, vom Niederrhein und aus der Eifel, die ab 1880 nach dem Südosten Europas, nach Bosnien ziehn".

Den Anstoß, in Bosnien zu siedeln, gab Abt Franz Pfanner. Er war in Vorarlberg geboren, trat in das Trappisten-Kloster Mariawald ein und kam 1869 auf der Suche nach einem geeigneten Platz für eine Klosterneugründung nach Bosnien. In der Gegend von Banja Luka entstand das Kloster Maria Stern. Es war eine schwierige Gründung, besonders da das Land unter türkischer Herrschaft stand. Als nach dem Berliner Kongreß (1878) Bosnien von den Österreichern besetzt wurde, hielt es Abt Pfanner für geraten, deutsche Bauern ins Land zu rufen. So warben seine wandernden Ordensbrüder in Deutschland für die Sache dieses Klosters und verteilten dabei eine vom Abt verfaßte Broschüre »Einwanderung in Bosnien«21.

Ein Nachfahre der Auswanderer, der nach dem 2. Weltkrieg nach Amerika zog, hat in fleißiger Arbeit das Schicksal nachgezeichnet31. Die Strapazen der Neusiedler müssen groß gewesen sein. Unterstützung fanden sie nur bei den Mönchen von Mariastern.

In einem Bericht der ersten Ankömmlinge heißt es (Lammers S. 26): Die Hauptkolonne fuhr dann der neuen Heimat zu. Die auf dem Wagen saßen, sangen, und die anderen, die nebenher durch den glitscherigen Kot waten mußten, murrten und seufsten... »Was, riefen sie wie aus einem Munde, wir haben ein wenn auch bescheidenes Schloß erwartet, jetzt führt ihr uns in eine so erbärmliche Räuberhöhle.« Aber die mutigsten der Frauen fanden sich bald in das unvermeidliche Schicksal, und besonders Frau Köhn brachte mit ihrem nie versiegenden Humor alle zum Lachen. »Wißt ihr denn nicht, daß wir hier in Bosnien sind," sagte sie, »daß die türkischen Schlösser nicht mit Teppichen belegt sind wie in Deutschland, sondern mit Heu und Stroh und zu allem Überfluß auch noch mit Pferdemist? Hier dieses Schloß soll von heute an Schloß Bemm heißen.« Die Deutschen siedelten in langgestreckten Dörfern am Ufer des Flußes Vrbas, welcher zur Save fließt. Sie nannten ihre Dörfer Windthorst (später Nova Topola) und Rudolfstal (jetzt Alexandrovac).

Ab Weihnachten 1880 siedelte eine größere Gruppe aus Niederzissen. »Die Käufer waren Peter Josef Fridgen und sein Bruder Johannes Fridgen und dessen Schwäger Johann Leh-mann und Jakob Loth, alle aus Niederzissen im Rheinland.«

Manche kehrten auch wieder nach Deutschland zurück, so Stefan Josef Krupp, der im Mai 1881 aus Waldorf, Kreis Ahrweiler, angekommen war.

Nachstehend sind die Aussiedler (jeweils nur das Familienoberhaupt) aus dem heutigen Kreis Ahrweiler aufgelistet, die in den Jahren 1879 bis 1883 nach Bosnien auswanderten.

Ankunft 1879

Johann Josef Emuns, geb. 24. 6. 1842 in Sierscheid
Peter Josef Mahlberg aus Sierscheid
mit Anna Maria geb. Ott, geb. 17. 2. 1840 in Sierscheid
Peter Ott, geb. 10. 1. 1848 in Sierscheid

Ankunft 1880

Matthias Frings, geb. 1819 in Vischel Johann Lehmann, geb. 27. 5. 1845 in Niederzissen
Margarethe Loth, geb. 1848 in Niederzissen Peter Anton Schmitz, geb. 19. 9. 1848 in Wershofen
Peter Thönnessen, geb. 7. 3. 1840 in Winnerath

Ankunft 1881

Johann Fridgen, geb. 15. 11. 1853 in Niederzissen
Nikolaus Görges, geb. 21. 4. 1841 in Dedenbach
Johann Kehr, geb. 1831 in Schalkenbach Apollonius Hausmann, geb. 11.1. 1843 in Dedenbach
Johann Labersweiler, geb. 9. 1. 1854 in Rodder/Niederzissen
Paul Schmidt, geb. 2.10. 1850 in Niederzissen
Hubert Simonis, geb. 1843 in Wershofen Anna Katharina Britz geb. Sachs, geb. 1808 in Kaltenborn
Edmund Junker, geb. 1845 in Königsfeld
atthias Thelen, geb. 1826 in Dedenbach
Georg Bley, geb. 17. 8. 1841 in Oberzissen
Matthias Bley, geb. 18. 6. 1848 in Oberzissen
Servatius Eiben, geb. 1830 in Niederzissen

Ankunft 1882

Jakob Bous, geb. 1824 in Niederzissen Peter Josef Fridgen, geb. 15. 9.1841 in Niederzissen
Gertrud Frisch, geb. 15. 11. 1843 in Niederzissen
Johann Frisch, geb. 18. 1. 1850 in Niederzissen
Peter Anton Kratz, geb. 20. 5. 1848 in Waldorf
Julius Müller, geb. 13. 2. 1859 in Burgbrohl
Hubert Schneider, geb. 21.9. 1831 in Reimerzhoven
Hermann Josef Schreiner, geb. 1853 in Winnerath

Ankunft 1883

Heinrich Segbers, geb. 1807 in Niederzissen Diese Personenangaben sind, wie Fr. Lamers in der Einleitung seines Buches sagt, aus den Kirchenbüchern von Windthorst-Rudolfstal herausgeschrieben worden. Sie sind für Familienforscher wertvoll. Daß es dabei leicht zu Fehlem kommt, versteht sich von selbst. Als Beispiel sei eine Stelle auf Seite 161 angeführt: »Der Rheinländer Josef Hubert Zabelberg, geboren zu Huerning im Kreise Adenau am 17. Oktober 1833, gehörte zur ersten Gruppe der Einwanderer; nach kaum zweijähriger harter Arbeit im fremden Lande erlosch das sehnende Auge des wackeren Mannes, und seine Freunde, die voller Hoffnung mit ihm gekommen waren, warfen am 16. Februar 1882 auf sein Grab eine Handvoll jener Erde, die »Heimat« werden sollte auch für den, dessen irdische Arbeit nun getan war.« Hier müßte es heißen:
»Zavelberg - Hürnig - Ahrweiler.«
Der unselige Hitler-Krieg brachte auch diesen blühenden Siedlungen in Bosnien das radikale Ende.
Auf Seite 304 des Buches von Lamers ist ein Heinrich Müller genannt, geboren am 27. 4.1929. Darauf folgt ein Vermerk über seinen Todestag. Doch Heinrich Müller lebt und gibt uns nachfolgend eine Schilderung der Flucht aus Bosnien, die er 1944 als 15jähriger miterlebt hat.

Flucht aus Bosnien

Der 22. September 1944 war ein sehr kritischer und schwerer Tag für die deutschen Kolonisten in Bosnien. Jahrelang hatten sie sich gewehrt und ihre Dörfer verteidigt, so daß trotz verschiedener Überfälle die feindlichen Verbände nie wirklich in die Ortschaften herein gekommen waren. Aber jetzt war die Lage anders. Durch Verrat war die Kreisstadt Banja Luka gefallen und die Feinde waren dabei, über das Gebirge, die »Kozara«, die Bezirksstadt Bos-nisch-Gradiska zu erobern. Damit wären wir richtig umzingelt gewesen. Doch das hat im letzten Moment eine Kosakeneinheit, die unter deutscher Führung, unter einem deutschen General, stand, verhindert. So blieb uns der Fluchtweg nach einer Seite frei.

So kam am 22. September in der Frühe der Aufruf: »Alle deutschen Siedler müssen weg, und zwar sofort!« Das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen, hatten wir doch schon monatelang damit gerechnet. Und unter zwei bis drei Stunden hatten die ersten Siedler schon das Nötigste auf ihre Wagen geworfen und fuhren schon auf der Straße.

Aber unsere Familie mußte noch warten. Mein Vater nämlich, der gute »Michl«, befand sich in Verteidigungsbereitschaft in einem seitlichen Bauernhof und hatte keine Ahnung, was sich auf der Hauptstraße schon abspielte. Es waren so viele verschiedene Militäreinheiten da, daß man nicht mehr wußte, wer ist noch Freund und wer ist schon Feind. Endlich gegen Mittag kam der Vater und wir konnten auch gleich losfahren. Das Vieh, der Haushund, die Schweine, alles liegen lagen und stehen lassen, wie es war. . . Kaum waren wir eine halbe Stunde lang gefahren, da wurde unser Vieh schon an uns vorbeigetrieben, es gehörte nicht mehr uns.

Nach etwa 6 bis 8 Kilometern gab es den ersten Angriff: Minenwerfer waren hinter uns her und es gab die ersten Toten. Doch dank der Kosaken und der deutschen Panzer, die mit uns fuhren, ließ der Angriff bald nach und wir konnten weiter.
In dieser Situation mußte ich an das denken, was meine Großmutter einmal gesagt hatte:
Ach wären wir doch niemals in dieses Bosnien gekommen. Wie war es im Brohltal so schön! -Wenn man bedenkt, unter welch schwierigen Bedingungen unsere Großeltern die Kolonie aufgebaut hatten, und unter welch dramatischen Umständen wir sie verlassen mußten, dann war dieser Satz sicher mehr als berechtigt!

An diesem Nachmittag fuhren wir bis Bös. Gradiska, bis zur Save, rasteten hier einige Stunden, bis es dunkel geworden war, überquerten den Fluß auf der Brücke, ohne dabei gestört zu werden. So erreichten wir die Bahnstation Okucani. Hier lagen wir einige Tage und wußten nicht, was weiter sein würde.

Nachdem die Nachrichten, die wir von Nachzüglern aus unseren verlassenen Dörfern erhielten, so niederschmetternd waren, daß an ein Zurück nicht mehr zu denken war, wurden die Frauen und die jüngeren Kinder in Waggons verladen und in Richtung Ossiek, Ungarn, in Bewegung gesetzt. Wir, die ältere Jugend (ich war 15 J.) und die Männer mußten mit den Pferdefuhrwerken (ca. 350) in dieselbe Richtung abfahren. Wir wurden noch einmal mit Waffen versorgt und von einer Wehrmachtseinheit begleitet. Das war sehr notwendig, denn der Weg bis zur ungarischen Grenze war alles andere als sicher. Aber wir hatten Glück, wir wurden nicht mehr angegriffen, obwohl die Partisanen ganz in der Nähe waren. Aber sie hatten Respekt vor uns. Auf kroatischem Gebiet haben wir noch einmal in der Stadt Dakovo gerastet. Dort war die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung deutsch. Dann ging es ca. einen Monat lang durch Ungarn langsam hinauf in Richtung Wien. Übernachtet haben wir meist in Volksdeutschen Ortschaften, aber auch in ungarischen, und sind überall freundlich und gut behandelt und versorgt worden. Das muß man anerkennen. Wir erhielten aber auch öfter Konserven, Lebensmittel und Pferdefutter aus Wehrmachtsbeständen. So kamen wir über Ödenburg Ende Oktober bis nach Wien. Hier erlebten wir einige Fliegerangriffe und wußten wieder einige Zeit lang nicht, was mit uns geschehen sollte, während schon von allen Seiten Flüchtlinge ankamen. Nach einigen Tagen wurden wir im Bezirk Bruck/Leitha auf die Dörfer verteilt. Damit war unsere Fahrt zu Ende. Einige von uns flüchteten 1945 vor den Russen weiter nach Bayern und Osttirol. Wir aber blieben in Niederösterreich, wo meine hochbetagten Eltern heute noch leben. Ich bin inzwischen Steyler Missionar geworden und habe meine Tätigkeit in der Erzdiözese Wien. Rückblickend können wir sagen, daß wir bei allem Unglück und dem Verlust der Heimat doch sehr viel Glück gehabt haben. Und wir müssen dem Herrgott danken, daß wir da heraus gekommen sind.

Anmerkungen
1) Dr. Dr. Müller: Siedler von Eitel und Mittelmein in Bosnien, in: Heimatjahrbuch für den Landkreis Ahrweiler 1960. S. 75 - 80.
2) vgl.: Adalbert Balling: Der Trommler Gottes. Freiburg 1981. S. 107, Später gründete Pfanner die blühende Mission von Mariannhill in Südafrika.
3) Friedrich G. Lamers: 65 Jahre Kolonie in Bosnien in Jugoslawien. St. Gabriel/Mödling 1970.