Eine Episode aus den »Truchsessischen Wirren«
Friedrich Bayerath
»das alles hat am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen . . .
(Carl Zuckmayer: >Des Teufels General<)«
Krach hat es allemal gegeben, zuweilen mit bösen Folgen und nicht zu knapp. Obwohl derlei Vokabeln - wie Zuckmayers "raufen« oder der vorstehend benannte »Krach« - mit Vorsicht zu genießen sind. Es sind letztlich nur milde Umschreibungen für das, was man sich unter kriegerischen Auseinandersetzungen der einstigen Zeit vorzustellen hat.
Um einen Begriff zu bekommen, sei an eine damals landläufige Redewendung erinnert, die direkt in den Kern geht. »Wer den Morgenstern aufs Haupt bekommt, der sieht den Abendstern nicht mehr«, sagte man. Und unter Morgenstern ist ein fürchterliches Mordgerät zu verstehen, die schwere Eisenkugel mit langen Dornen, durch Kettenglieder an einer Stange befestigt, mit der man - wie mit einem Dreschflegel - auf die Köpfe der Gegner losdrusch.
Krach also gab es ständig. Die Fackel des Krieges, angezündet im frühen 16. Jahrhundert im Anschluß an die Reformation - 1517 hatte Martin Luther seine Thesen an die Tore der Schloßkirche zu Wittenberg geheftet -, loderte hell, als Hütten und der von Sickingen im westfälischen Münster das »Neue Jerusalem« errichten wollten.
Es rumorte fort. Unter der dünnen Decke des »Augsburger Religionsfriedens« schwelten die Brände und hier und da und allerorten flackerten sie immer wieder neu auf. So auch in den rheinischen Landen. So auch in Remagen. In den Jahren 1577 - 82 hieß der Erzbischof von Köln Gebhard, Truchsess von Waldburg.'
Er war gerade dreißig Jahre alt, als er die Weihen und Ämter empfing. Und er war ein lebens- und sinnenfroher, auch ein rauflustiger junger Mann mit recht lockerem Wandel und Umgang. Hof hielt er verschwenderisch und eine Buhlschaft hielt er sich - oder auch mehrere.
Und nun muß man bedenken: Dem weltlichen Kirchenmann eröffneten sich in der Folge der Reformation in seinen besten Lebensjahren völlig neue Perspektiven. Plötzlich gab es die Möglichkeit, die bisher einigermaßen im Hintergrund gehaltene Mätresse ganz offiziell zu ehelichen. Das hatte der Doktor Martinus geschafft.
Erzbischof Gebhard Truchseß nutzte schleunigst das Angebot: Er heiratete, um 1580 zum Protestantismus übergetreten, seine Geliebte, die Gräfin von Mansfeld, und alles deutete darauf hin, daß er sich mit der Frau nicht begnügen, daß er auch auf dem religionspolitischen Feld weitermachen würde. Da drohte also tatsächlich dem »Hilligen Coellen« der Abfall vom rechten Glauben. Hiergegen aber wurde Front gemacht!
Und dazu berichtet der heutige Wegweiser durch die Geschichte der Kölner Diözese beim Verzeichnis seiner Erzbischöfe unter dem Namen Gebhard, Truchseß von Waldburg, seines Zeichens der 75. der inthronisierten hohen Kleriker, ebenso kurz wie treffend:
"... er (der Gebhard) bekannte sich 1582 zum protestantischen Glauben und heiratete. Sein Versuch, das Erzbistum in ein weltliches Fürstentum zu verwandeln, scheiterte am Widerstand des Domkapitels und der Stadt Köln«. Zunächst aber ist der Truchseß noch am Zuge. Seine Haufen zogen rheinaufwärts, bekämpft von bayerischen und lütticher Truppen, die natürlich ebenfalls mordeten, raubten und plünderten. Diese Marodeure jedenfalls kamen bis Birgel und Oberwinter und sie verwüsteten das Kloster Rolandswerth - heute Nonnenwerth -so gründlich, daß die Klosterchronik aufweinend berichtet, es sei ». . . nichts mehrfunden, dan ein gebundt beroster schlüsselen.«
Die Remagener aber waren wach geworden. Aufgeschreckt betrachteten sie ihre verwahrloste Stadtmauer, die in all ihrer Trostlosigkeit kaum einem Ansturm hätte standhalten können. Da mußte etwas geschehen, und zwar sofort. Schanzzeug wurde dringend gebraucht. Doch was - herrjemine - sollte man zu diesem Zwecke nehmen?
Man sah sich um. Was in nicht geringer Anzahl da so herumstand oder lag, waren leere Fässer, Weinfässer, Fuderfässer2, die davon Zeugnis gaben, was in Remagen vornehmlich getrunken wurde. In der Not frißt der Teufel Fliegen und in der Not schmeißt er Weinfässer auf die Mauern der Stadt. So geschah es. Und Remagen blieb verschont, für diesmal. . .
Vermutlich wäre der Sache nie mehr Erwähnung getan worden, wenn nicht der, dem die Fuderfässer gehörten, der Weinlieferant, sein Eigentum zurückgefordert hätte - ohne Erfolg, übrigens . Seine Beschwerdeschrift ist gottlob erhalten:
"... was gestalt als ich in dem coelnischen Krieg etliche Newe fodrige Fass gehn Remagen führen lassen, die Stadt daselbst acht und zwentzich zu sich genomen, die Boden ausgeschlagen, semptlich mit Erde gefüllt und anstatt Schantzkörb vff den Wäller gebraucht haben ..."
Es siegte schließlich in dem - auch als »Kölner Bistumskrieg" bezeichneten - Wirrwarr die katholische Seite. Gebhard Truchseß von Waldburg wurde seiner Ämter enthoben und verjagt. Er starb 1601 in Straßburg und ist in dem dortigen Münster beigesetzt.
Die von ihm ausgelösten »Truchsessischen Wirren« waren kaum beendet, der Kriegslärm abgeklungen, als die Schießerei aufs Neue begann. Und der Morgenstern ging wieder schrecklich über den Häuptern auf.
Nur wenig Zeit nach Gebhards »Abreise« bezog der spanische Obrist von Schwarzenberg mit großem Söldnerheer ein Lager bei (dem heutigen Bad-)Breisig. Seine Soldateska schwärmte aus, rotten- und regimenterweise plünderte sie unsere Heimat. Kurz darauf begann der »Jülich-Clevesche Erbfolgestreit«, bei dem freundlicherweise einmal die Schützen und die Schläger und Stecher in den Quartieren blieben, dort lauerten oder auch herumdösten, während freilich der sogenannte »Dreißigjährige Krieg«, bei dem es wieder munterer zuging, sich auf die Socken machte, den Anschluß nicht zu verpassen.
»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann . . .«, aber obwohl sie das ja immer ganz natürlich getan haben, hörten die »Wirren« dennoch nicht auf, hier und anderswo, bis auf den heutigen Tag. Zum Glück für uns: seit geraumer Zeit schon »nurmehr anderswo«.
Anmerkungen:Truchseß, französisch: Senechal. ist »der übers Gefolge
Gesetzte«; er hatte die Aufsicht über die Ökonomie. Seit Kaiser Otto dem Ersien mußte
ein Fürst als Truchseß die erste Schussel auf die Tafel setzen, wenn festlich diniert
wurde.
Die Waldburger führten seit dem 13. Jahrhundert den Titel »Truchseß« und verwalteten
bei den Honenstaufen dieses Amt. Später führten sie den Titel auch als Geschlechtsnamen.
Fuder, althochdeutsch ^ »fuodar«. bedeutele eine -Wagenladung,. oder auch eine »Fuhre". Zum anderen ist damit ein Flussigkeitsmaß. Insbesondere beim Wem. bezeichnet. Das Fuder enthielt zwischen 700 und 1800 Liter, ganz verschieden nach den großen Weihlandschaften. An Rhein, Mosel und Ahr waren es in der Regel 1000 Liter.