Jugendstil in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Bauten der Jahrhundertwende setzen Akzente

Mechtild Stolpmann-Blum

Jahrzehntelang wurde er unterschätzt, zum Teil als kitschig abgetan, allerdings auch nostalgisch hervorgekramt, und heute gilt er als selbständiger Stil. Man denke an die Ausstellungen in letzter Zeit, oder man betrachte die liebevoll renovierten Jugendstil-Häuser in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Eine neue Stilrichtung der Jahrhundertwende

Von etwa 1890 bis 1914 findet man diese Stilart, in Europa und Übersee. Allerdings unter verschiedenen Namen. In Österreich heißt er "Sezessionsstil", in Italien "Stile florale", in Frankreich "Art Nouveau", in England und Amerika "Modern Style".

Die hierzulande gebräuchliche Bezeichnung "Jugendstil" geht zurück auf die Wochenzeitschrift für Kunst und Kunsthandwerk, herausgegeben in München, erster Jahrgang 1896, mit dem Titel "Jugend". Hier kamen junge Künstler und Designer zu Wort. Ihr Motto lautete: "Alles, was sich an Althergebrachtes anlehnt, wird ausgeschlossen." Neue Formen sollten gefunden werden für alle Bereiche des Lebens und der Kunst.

Man unterscheidet zwei grundsätzliche Spielarten: Florale Ornamente, etwa Tulpen, Efeu, Lilien, und geometrische Ornamente, bestehend vorwiegend aus Flächen und Linien. Außerdem gibt es noch die personale Komponente, nämlich zarte Frauengestalten, Engel, Elfen mit flutendem Haar und schwingenden Gewändern. Symbolismus und Naturalismus verbinden sich hier.

Geschichtlich gesehen ist das eine kurze Zeitspanne. Nach einer raschen Blüte geriet dieser Stil in Vergessenheit, wurde oft verächtlich abgetan, ab 1925 kann man von einer Wiederbelebung sprechen, und seit etwa den fünfziger Jahren erleben wir eine regelrechte Renaissance des Jugendstils.

Zu den Quellen der neuen Stilrichtung gehören die Präraffaeliten, eine Künstlervereinigung aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Gruppe betonte dekorative Elemente in der Malerei, entsprechend der Zeit vor Raffael. Dann gibt es keltische Einflüsse, etwa die verschlungenen Linien alter Schmuckstücke oder Gesangbücher. Und schließlich hat auch der japanische Farbholzschnitt Pate gestanden mit seinen eleganten Mustern und abstrakten Formen.

An Namen, Zentren und Werken sei hier nur eine Auswahl genannt: München, wo die illustrierte Wochenschrift herausgegeben wurde, bekannt u. a. wegen ihrer charakteristischen Titelblätter: hierwirkte Hermann Obrist (Stickerei in Peitschenlinienmanier, 1895), Darmstadt mit Henry van de Velde (Engelwache, 1893), Peter Behrens (Der kuss, 1897), Josef Maria Olbrich (Hochzeitsturm, 1901). In Wien arbeitete Gustav Klimt (Der kuss, 1908), Otto Wagner (Stadtbahnstation Karlsplatz, um 1900). Aus Brüssel wäre zu nennen Paul Hankar (Wohnhaus eines Künstlers in Brüssel, 1897) und Victor Horta (Haus Tassel, Brüssel, 1892/93). Bei Paris denkt man an Hector Guimard (Eingange der Metro. 1899 und 1913), Rene Lalique (Fischbrosche um 1900). Mit Glasgow verbunden ist Charles Rennie Mackintosh (Entwurf für eine Wanddekoration in Glasgow, 1897) und mit England Aubrey Vincent Beardsley (Illustrationen zum Artustod, 1893). New York erinnert an Louis Comfort Tiffany (1848 -1933) und seine Lampen.

Kurhaus.gif (101499 Byte)

In den Jahren 1903/04 wurde das Kurhaus Bad Neuenahr erbaut.

Gedacht war diese neue Kunst für alle. So heißt es im Manifest der Wiener Sezession von 1897: "Wir wenden uns an euch alle, ohne Unterschied des Standes und des Vermögens. Wir kennen keine Unterscheidung zwischen "hoher Kunst" und "Kleinkunst", zwischen Kunst für die Reichen und Kunst für die Armen. Kunst ist Allgemeingut". In Wirklichkeit war sie jedoch nur erschwinglich für einen Kreis vermögender Leute.

Es gibt so etwas wie eine Philosophie des Jugendstils: Die Natur wird stilisiert, verfremdet; elegant und ausgefallen sind die neuen Formen. Dennoch wird Harmonie angestrebt, der Alltag soll sozusagen verklärt werden, eine verhalten ästhetische Stimmung soll hervorgerufen werden. Leben und Kunst werden gesehen im Einklang mit der Natur und ihren Gesetzen.

Jugendstilbauten in Bad Neuenahr-Ahrweiler

In Bad Neuenahr-Ahrweiler lohnt es sich, auf die Suche zu gehen nach diesen Häusern aus derZeit um die Jahrhundertwende. Sie wurden sorgfältig restauriert und bieten ein anschauliches Bild jener Epoche. Aus der Vielzahl seien einige herausgegriffen und vorgestellt, teils von außen, teils von innen.

Da ist zunächst der heutige Kurbereich in Bad Neuenahr. Vor der Jahrhundertwende sah es dort eher rustikal aus. Ausgebaute Straßen fehlten, nur eine Brücke war vorhanden, nämlich die an der heutigen evangelischen Kirche. Der damalige Kurdirektor, Felix Rütten (1893 -1930), hatte die Zeichen der Zeit erkannt und plante systematisch einen richtigen Kurbereich mit entsprechenden Bauten, Straßen und Brükken. Bald entstanden Hotels und Pensionen und auch die Gebäude, die sich mit dem Begriff "Bad Neuenahr" als Kurort verbinden.

Kurhaus und Kurhotel

Kurhaus1.gif (27709 Byte)

Jugendstilelemente am Kurhaus Bad Neuenahr.

Kurhaus2.gif (27476 Byte)

1899 -1900 errichtete man den östlichen Teil des Kurhotels, das jetzige Kursanatorium (renoviert 1988/89). Die Fassade ist klar gegliedert durch die vier unterschiedlich gestalteten Fensterreihen, davon die im ersten und zweiten Stockwerk mit Balkongittern versehen sind. Zwischen diesen beiden Geschossen finden sich sparsam dekorierte Stützen mit geometrischem Dekor. Die Turmfront ist ähnlich aufgelockert, zum Teil mit flächenhaften Ornamenten im Obergeschoß. Die Balkone der Vorbauten tragen Muschelrosetten, vergleichbar denen am Westbau des Kurhotels. Ein neues Thermalbadehaus wurde ebenfalls 1899 -1900 gebaut, mit zunächst einhundert Badezellen, die später auf einhundertdreißig erweitert wurden. Die Fassade ist eher klassizistisch mit ihrem Säulenportikus und den Volutenkapitellen, aber die Zweige oberhalb der Fenster im Erdgeschoß sowie das verschlungene Gebilde über der Eingangstür, bestehend aus Zweigen und einem stilisierten Kopf mit Flügeln, sind schon Jugendstilelemente. Florale Motive sind oberhalb des halbrunden Fensters, im Giebel und auch um die runden Fenster, dagegen geometrisch dekorierte Stützen im ersten Stock. Der westliche Teil des Kurhotels entstand 1913/ 14, er wurde renoviert im Jahr 1988. Die Muschelrosetten des Ostbaus kommen hier mehr zur Geltung, da sie aus rotem Sandstein sind, übrigens in zwei Spielarten: Stilisierter Widder und Lilie.

Das Kurhaus, allerdings ohne den heutigen Casino-Teil, der 1955 geschaffen wurde, stammt aus den Jahren 1903/1904 und enthielt bereits Theater- und Konzertsäle, Speise- und Leseräume sowie Spielsäle, jedoch gab es damals noch nicht das heutige Casino. Die Fassade wird beherrscht von den zwei Türmen, die den Eingang flankieren. Unterhalb der Turmhelme, die einem Glockendach ähneln, findet man geometrisches Dekor, es erinnert an römische Rutenbündel, im Verein mit einem barockwirkenden Gewirr von Linien und Voluten. Die Köpfe an der Tür und die um den Eingangsbereich sind nicht gleich, teils streng, teils lieblich, letztere wiederum von unterschiedlichem Aussehen. Girlanden, ähnlich den erwähnten Rutengebilden, umschlingen die Portale. Vorwiegend florale Elemente zieren den Bereich des heutigen Wiener Cafes und des Restaurants. Der Gartensaal wurde zusammen mit dem Kurhaus errichtet und fügt sich harmonisch in das Gesamtbild des Kurhausbereichs. Restauriertwerden mußten Teile des Kurhauses nach dem Brand von 1985, sie waren 1986 der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Dem Gartensaal erging es entsprechend, nach dem Hochwasser von 1946/47 wurde er restauriert und 1949/50 wieder in Betrieb genommen.

Rund viereinhalb Millionen Mark kosteten die Neuanlagen der Jahre 1894 - 1914. Es lohnte sich offensichtlich, denn dank der von Felix Rütten betriebenen gezielten Werbung im In-und Ausland stieg die Zahl der Kurgäste beachtlich. 1913 waren es 15.226.

Haus Sonnenberg

Das heutige Weingut Sonnenberg in der Heerstraße wurde 1905 erbaut als Landhaus im Jugendstil. Die Kölner Familie Mülhensfuhran den Wochenenden hierher in ihrer Pferdekutsche. Damals diente die heutige Weinstube als Pferdestall. Zum Anwesen gehörten ca. acht Hektar Obst- und Rebfläche, darunter die Gemarkung Sonnenberg. Der Wein dieser Lage diente dem Eigenbedarf der Familie sowie dem der zahlreichen Gäste und Geschäftsfreunde. Die Vorderfront des Hauses ist durch verschiedene Bauelemente reich gegliedert: Unterschiedlich gestaltete Fenster, zwei Türen, drei Erker und ein Balkon mit einem abstrakt gestalteten Gitter. Das Schnitzwerk der Haustür verweist auf den Weinbau der Erbauer. Die leicht stilisierten Rosetten oberhalb der Erker im Erdgeschoß und ersten Stock sowie die geometrisch/ flächigen Ornamente im Bereich des obersten Erkers kennzeichnen, wenn auch sparsam angebracht, die Dekoration der Jugendstilbauten. Den oberen Teil des Hauses zieren Fachwerkbänder.

Die jetzigen Besitzer, die Familien Görres und Linden, haben das Anwesen 1980 erworben. Es bedurfte einer gründlichen Renovierung. Dank der sorgfältigen Zusammenarbeit von Besitzern und Handwerkern erstrahlt es wieder im alten Glanz der Jahrhundertwende.

Haus Sonnenberg.gif (89181 Byte)

Durch verschiedene Bauelemente reich gegliedert: Haus Sonnenberg

Villa Aurora

In der Georg-Kreuzberg-Straße steht das Hotel "Villa Aurora". Es besteht aus drei Häusern, Aurora, Martha und Haus Rembrandt. Die Fassaden der beiden letztgenannten stammen noch aus der Bauzeit von 1905. Dagegen hat von Aurora nur noch das Erdgeschoß Jugendstilcharakter, denn 1964 mußten die Stockwerke über dem Speisesaal abgerissen und erneuert werden.

Die großen Fenster mit der oberen Rundung sowie die Balkone. Erker und Loggia sind typisch für die Bauweise der Jahrhunoertwende. Das Dekor oberhalb einiger Fenster besteht aus Zweigen, stilisierten und geometrischen Motiven. Die Balkongitter zieren abgewandelte Blütenformen und auch abstrakte Motive. Von einladender Eleganz ist der repräsentative Eingang zur Aurora. Leicht ausladende Treppengeländer, gebildet aus verschlungenen Linien, lenken den Blick zu den zwei Säulen, die den Aufgang zur Treppe flankieren. Von den Kapitellen schwingen sich Girlanden herunter, im mittleren Drittel der Säulen finden sich etwas üppigere Blumenranken.

Villa Aurora.gif (105983 Byte)

Beachtenswertes Jugendstilgebäude von 1906: Haus Busch in der Niederhutstraße.

Diese Ornamente wiederholen sich an den Pilastern neben der Tür zur Rezeption. Zum Speisesaal gelangt man durch eine Buntglastür.

Im unteren Teil wachsen blaue Iris hoch, leicht geschweift Stengel und Blätter, im oberen Teil ist das Schwertlilienmotiv etwas abgewandelt und verbunden mit weißen Blüten. Die Buntglasmanufaktur wurde wiederentdeckt durch die Neugotik und fand bald großen Anklang. Die Innenausstattung des Hauses entspricht der Außenarchitektur. Geometrische Ornamentik an den Pilasterkapitellen. die berühmten hohen, überschlanken Glasvasen mit nostalgischen Blumenarrangements, Stuckornamente und Lampen, geschmückt mit Blüten, Blättern, Früchten, nicht zu vergessen das "moderne" Hallenbad im Jugendstil, eine gelungene Imitation, die sich stilvoll dem Ganzen einfügt.

Haus Busch in der Niederhutstraße

In Ahrweiler findet man in der Niederhutstraße ein beachtenswertes Jugendstilgebäude, das Haus Wilhelm Busch, erbaut 1906. Es hat vier Stockwerke und ist, durch den rechten, turmartigen Teil, in reizvoller Weise asymmetrisch. Den Mittelpunkt bildet der zweigeschossige Erker. Die Fenstergitter im dritten und vierten Geschoß haben die schwingende Linienführung jener Zeit. Einige Fenster weisen die charakteristische Rundung auf im oberen Teil. Weitere zeittypische Merkmale sind das Fachwerk, die darin integrierten Halbrosetten, stilisierte Halme und Girlanden. Oberhalb der Tür im linken Teil des Hauses prangt ein buntes Arrangement verschlungener Linien, verbunden mit dem Wappen der Rheinprovinz.

Bleifenster.gif (29799 Byte)

Symmetrisch gegliedertes Buntglasfenster im Haus Busch

Tuerklinke.gif (52073 Byte)

Türklinke mit floralen Ornamenten

Die Vorderfront wurde 1975 gründlich restauriert. Beim Fassadenwettbewerb der Doppelstadt und dem des Heimatvereins Alt-Ahrweiler bekam das Haus den ersten Preis.

Die Rückseite des Bauwerks ziert ein beachtenswertes Buntglasfenster in zarten Farben. In symmetrischer Anordnung sind zwei Schals hochgebunden. Die Mitte ist hervorgehoben durch einen Kreis, der in sich kleinere Kreise, verschieden angeordnet, trägt. Eingerahmt ist dieses Motiv durch unterschiedliche geometrische Figuren. Es überstand die Jahrzehnte fast unbeschadet, wohl mußte die Eisenkonstruktion großenteils renoviert werden. Von den zahlreichen Scheiben wurden fast alle sorgfältig herausgetrennt, gesäubert und teilweise restauriert, so daß es wieder im alten Glanz erstrahlt.

In einem anderen, privaten Haus in Ahrweiler befindet sich eine Holzbank mit Schnitzwerk, wie es jene Epoche liebte: Keltische Ornamente, Fabelwesen, die teils Tier teils Pflanze zu sein scheinen, fließende Linien. Jugendstilmöbel waren kostbare Einzelstücke, keine Massenproduktion. Sie sind als Teil der Innenausstattung, genau wie die Häuser, Ausdruck ihrer Zeit, die die Formen der Natur gekonnt umwandelte. Fast naturalistisch dagegen die geschnitzte Bildleiste mit Früchten, Blättern und zur Schleife gebundenen Bändern. Zum Schluß ein Kleinkunstwerk aus Messing, eine Türklinke, verziert mit Blattwerk und ornamentalen Linien.

Wie immer man den Jugendstil sieht, er ist Ausdruck einer Zeit, die ihren eigenen Stil suchte und fand.

Literatur:

Gerd Betz, Wie erkenne ich Jugendstilkunst?
(Belser. Stuttgart und Zürich 1982)

Meyers, Großes Taschenlexikon 2. Auflage (Bibliogr. Institut u. F. A. Brockhaus AG Mannheim 1987)

James Mackay, Kunst und Kunsthandwerk der Jahrhundertwende (München 1975)

Kurverwaltung Bad Neuenahr AG, 100 Jahre Bad Neuenahr 1858 - 1958 [Festschrift. Are.Ahrweiler 19571. darin:

Ottendorf, Dr. Dr. Walther Verwalter des Heilbades. Lebensbilder der Kurdirektoren von 1863 bs heute

William Hardy, Jugendstil (Xenos. Hamburg. Dt. Ausgabe 1987)

Bernard Champigneulle, Jugendstil Art Nouveau [Wissenschaft und Politik. Köln ohne Jahresangabe)

Gert-Rainer Grube, Aribert Kutschmar, Bauformen von der Romantik bis zur Gegenwart (Werner. Düsseldorf 1986)

Prospekt -Villa Aurora". 1990

Prospekt "Weingut Sonnenberg". 1990

Außerdem wurden freundlicherweise schriftliche Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt bzw. Auskünfte erteilt von Bernd Benning, Bad Neuenahr: Wilhelm Busch. Ahrweiler; Karl Heinz Giffels Bad Neuenahr; Familien Görres und Linden, Bad Neuenahr

Bank.gif (104261 Byte)

Holzbank mit Jugendstilelementen